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zeiM. Er spricht nur zu seinen Freunden im Jaco- binkr-Clubb. ES ffnd Gerüchte im Umlauf, daß Carnot eine schreckliche Entdeckung gemacht und daß Tallien einen verzweifelten Entschluß gefaßt habe. Männer, dir hinter der Scene beobachten, sehe» voraus, daß die leztea Tage der Schreckensherrschaft hcrannahe». Wenn Robespicrre in dem bevorstehenden Kampfe unterliegt, find Sie gerettet, den» die neue Regierung muß eine Regierung der Milde scpn. Wenn er siegt, habe ich nur den Tag Ihres und des ToveS Zhrer Schwester hiuausgeschoben und meinen eigenen Hals unter das Beil gelegt. Dieß sind Ihre Aussichten dicß ist Alles, was ich thun kann.»

Lomaque machte eine kurze Pause, und Trudaine versuchte weiter darzuthun, daß er sich der Todesgefahr, der Lomaquc für ihn entgegengchcn wolle, nicht un- würdig zeigen werde. Aber der Hauptagent unterbrach ihn in entschiedenem und aufgeregtem Tone:

»Ich sage Ihnen zum dritten Male", erklärte er, ich will keine Dankergicßungen von Ihnen hören, bis ich weiß, ob ich sie verdiene. Es ist wahr, daß ich mich des zeitgemäßen Wohlwollens Ihres VaterS gegen mich erinnere, wahr, daß ich nicht vergessen habe, was sich vor fünf Jahren in Ihrem Hause, am Ufer des Flusses ereignete. Ich erinnere mich alles Dessen sicher wohl, ja bis auf die Dinge, die Sie für unbedeutende Kleinigkeiten halten, zum Beispiel, bis auf jene Taffe Kaffee, die Ihre Schwester für mich warm hielt. Ich sagte Ihnen damals', daß Sic eines Tages besser von mir denken würden. Ich weiß, daß Sie eS jezt thun. Aber bas ist nicht Alles. Sic brauchen mir dafür, daß ich mein Leben für Sie aufs Spiel scze, keine Lobes­erhebungen ins Gesicht zu sagen. Ich will sie nicht hören, weil Das, was ich wage, der armseligsten Art ist. Ich bin zu alt, um auf Das vorwärts zu blicken, was mir noch zu hoffen geblieben ist. Es war etwas in Dem, was an jenem Abend in Ihrem Hause vor­ging, etwas in Dem, was Sie sagten, und in Dem, waS Ihre Schwester that, das mich verändert hat. Seitdem habe ich von Zeit zu Zeit Tage der Traurig­keit und der Zerknirschung gehabt. Ich bin der Skla­verei, der Unterthänigkeit, der Doppelzüngigkeit, des Kriechens unter dem einen und dann unter dem andern Herrn müde geworden. Ich habe mich längst darnach gesehnt, auf mein Leben zurückblickcn und mich mit Gedank.n an eme gute Handlung trösten zu können, gerade wie der arme Mann darin Trost findet, wenn er auf die kleinen Ersparnisse blickt, die er in einem alten Kasten aufgehoben hat. Ich kann dicß nicht thun, und doch ist cs für mich ein Bcdürsniß geworden. Dieß Bedürfnis ergreift mich, gleich einem Anfalle, zu Zeiten plözlich unter den unbegreiflichsten Einflüssen- Ein Blick zum blauen Himmel, auf das Sternenheer überden Häusern dieser großen Stadt, wenn ich zur Nachtzeit aus meinem Dachfenster sehe die Stimme eines Kindes, die Plözlich, ich weiß nicht von woher, an mein Ohr dringt, das Zirpen des Hänflings in seinem kleinen Käfig, der am Fenster des Nachbars hängt, bald diese, bald jene Kleinigkeit ruft dieß Bedürfnip auf Augenblicke in mir wach So ein Schurke, wie ich auch bin, aber die wenigen Worte, die Ihre Schwester zu den Richtern sprach, sind mir wie ein Schwer t durchs

Herz gedrungen. Ist dieß nicht bei einem Menschen, wie ich bin, unbegreiflich? In der That, ich bin mir selbst ein Räthsel. Mein Leben? Bahl Ich habe es um Lohn hingeg ben, um von Schurken von einem schmuzigcn Plaze zum andern gestoßen zu werden. ES ist Laune von mir, mir selbst den testen Stoß zu geben und mich in ehrbarer Weise zu opfern, bevor ich auf immer in die finstere Wohnung einquartiert werde. Ihre Schwester hielt für mich eine Taffe Kaffee warm, und aus Dank für diese Artigkeit gab ich ihr ei» entsezliches Leben. Dafür wollen Sie mir danken? Welche Thor« heitl Danken Sie mir, wenn ich für Sie etwas Heil­sames gethan habe. Danken sie mir nicht für Das!"

Bei diesen Worten schlug er verächtlich ein Schnipp­chen mit den Fingern und ging nach der äußeren Thür, um den Gcfängnißwärter zu empfangen, der so eben zurückgekehrt war.

Nun", forschte der Buckelige, »hat Jemand nach mir gefragt?"

Nein», antwortete Lomaque,nicht eine Seele hat sich im Saale sehen lassen. Was für eine Sorte Wein haben Sic denn getnuiken?"

So-so! Gut als ein Nothbehelf, Freund gut als ein Nothdehelf!«

Ah! da sollen Sic einmal nach meiner Weinstube kommen und ein gewisses Fäßchcn versuchen, mit einem gewissen Meirichen gefüllt?»

Welche Stube? Welches Wcinchcn?"

Ich babekein« Zeitmchr, um es Jhnkn zu erzählen, aber ich denke, wir kommen heute zusammen. Ich hoffe, diesen Nachmittag im Gcfängnißgebäude zu sepn. Soll ich nach Ihnen fragen? Gut! Ich werde es nicht ver­gessen!"

Mit diesen Abschicdsworte» entfernte er sich, warf aber noch einen Blick auf die Gefangenen, ehe er dre Thürc hinter sich schloß.

Trudaine kehrte zu seiner Schwester zurück, nicht ohne die Besorgnis, daß sein Gesicht Das vcrrathcn dürfte, was sich während der außerordentlichen Unter­redung zwischen Lomaquc und ihm zngetragcn hatte. Indessen welche Veränderung auch immer im Ausdrucke seiner Züge vorgegangen scpn mochte, Rose schien die­selbe nicht zu bemerken. Sie war immer noch auffal­lend gleichgültig gegen alle äußeren Dinge. DerGeist der Resignation, in jedem großen Mißgeschick der Mntb der Frauen, schien sie jezt ausschließlich zu beseelen und die Lebensflammc in ihr zu unterhalten. Als ihr Bru­der sich neben ihr niedersezte, nahm sie nur sanft seine Hand und sagte:

»Laß' uns hier beisammen bleiben, Louis, bis die Zeit kommt. Ich fürchte mich nicht davor; denn außer Dir gibt cs nichts mehr, das mich mit Liebe zum Leben erfüllen könnte, und Du mußt ja auch sterben Erinnerst Du Dich noch der Zeit, wo es mich schmerzlich berührte, kein Kind zu haben und dieser Freude und dieses Tro­stes enidehren zu müssen? Ich dachte vorhin daran, wie rntseziich cs jezt seyn müßte, wenn mein Wunsch erfüllt worden wäre! Es ist in djc^r großen Trübsal eine Beruhigung für mich, daß ich nndcrlos bin. Laß uns, Louis, von den alten Tagen sprechen, so lange wir können, nicht von meinen Manne und meiner Ver- heirathung, nur von jenen alten Tagen, ehe ich für Dich eine Last und eine Sorge war."

(Fortsezung folgt.)