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Rinnsal durch das tiefe Stromthal des alten Jsters gegraben und seine Wogen mit jenen des nunmehrigen Donaustromes vereinigt, und seit jenen nebelgrauen Tagen erinnert noch das nunmehr trockenliegende Bett dieses FeldstromeS, der pittoreske Haselgraben nächst Linz, an das längst verschollene Wellengetösc desselben.
Der Haselgraben, ein zwischen gewaltigen Felskegeln sich aufwärts windender, höchst romantischer Thalgrund, ist wohl mehr denn eine Meile lang, von balsamischen Heilkräutern durchduftet und hier und da mit ländlichen Hütten besäet.
Inmitten desselben aber ragt rin gewaltiges Wahrzeichen der finstern Zeit des Faustrechies, die Veste Wildberg, und trozt auf ihrem einsamen Felskegel schon durch mehr denn achthundert Jahre dem Zahne der Zeit. Alles, was uns die ältere Geschichte und Sage von dieser merkwürdigen Veste aufbewahrt, ist, daß dieselbe einst dem edlen Herrn Gottschalk von HuenSperg gehörte, von welchem Ene^kel sagt: »Der Gottschalich von Hinczberg gab Herzogen Leopolden (dem glorreichen) Linz, und alles, das aigen was dar- zu gehört." — Eben dieser Gottschalk übergab 1198, wie Hörmayr berichtet, Wildberg dem in der Geschichte beider Leopolde (des Tugendhaften und Glorreichen) und Friedrich des Katholischen merkwürdigen Bischof Wolsker von Passau; dieser schenkte die Burg dem um ihn hochverdienten Stahremberg Gnndackcr von Steper, seit welcher Zeit dieselbe noch immer ein Ei- geuthum der Herren von Stahremberg geblieben ist. So viel in historischer Beziehung; die Tradition knüpft aber so manche denkwürdige Sage an diese Veste, von welcher der rechte Flügel neu zugebaut und von dem Beamten des Pfleg- und Kriminalgerichtes daselbst bewohnt ist, der linke aber sainmt dem uralten Thurme die Ueberreste der Veste bildet und, ohne weiter benüzt zu werden, dem nagenden Zahne der Zeit anheimfällt.
Gegen Ende des Spätherbstes des Jahres 1395 stand auf einem der FclSkegel des Haselgradcns^' ein Bäuerlein, Hans Helmon von der öden Mühle genannt, und seine Thräncn, so heiß sie auch auf den gefürchteten Wangen herabrollten, hatte der schneidende Nordwind doch bald zu Eis verglast, so rauh tobte der Sturm über die entlaubten Gipfel des Felskegels. — Aber noch lauter tobte der Schmerz im Gemüthe des armen Landmanns; denn nur die nackte Freiheit hatte er gerettet, indem er vor den sein Hab und Gut in Besiz nehmenden Schergen des Stadtvogkes von Linz, welche indessen in seinem Gehöfte hauseten, auf den Felsen geflüchtet war. Er war durch Unglücksfälle aller Art, insbesondere aber durch Mißwachs der lezten Ernte, nicht im Stande gewesen, dem Stadtvogt seinen Leibzoll und Zehent zu entrichten, und nun mit einem soeben in Linz bei einer Base befindlichen einzigen Töchterlein dem bittersten Nothstande preisgegebcn. Da wimmerte er nun hinaus in die hohlen Lüfte und wimmerte mit der Windsbraut um die Wette, und sein Herz pochte immer stürmischer, sein Schmerz wuchs gleich einer Lawine mit jeder Sekunde, denn er war sichs bewußt, daß, sowie er den ersten Schritt an den heimathlichen Herd oder in das Weichbild der Stadt
zurückmache, er auch dem Schuldthurme verfallen key und ohne Gnade schmachten müsse, bis es dem Stadtvogte gefällig sey, ihm die Freiheit zu schenken. HanS wandte sein Auge zum Himmel, aber dieser blieb umzogen und kein mildes Slernlein durchzuckte mit seinem Friedenslichte den Nebelschleier der Berge; Hans sank auf die Erde, aber kalt fühlte es sich da herauf, kalt wie die Menschen sind, welche der Erdboden trägt.
So saß er rath- und thatlos und stierte in die Nacht hinaus, aus welcher kein Rettungsschimnicr für ihn auftauchen wollte.
Und wieder sprang Hans von seinem Erdblocke auf: »Gibt es denn keine Rettung hier!" donnerte er fast verzweifelnd in die Nacht hinaus. — Hier! hier! — schallte in immer schwächeren Akkorden das Echo von der Fclsenwand zurück, und wie ein Blizstrahl durchzuckte cs den armen Hans.
So schallt der gewaltige Ruf: Land! dem todt- müden Seefahrer neubelebend entgegen!
Ohne seiner Absicht recht bewußt zu seyn, steuerte nun HanS in den dichten Nebel hinaus, der Gegend zu, woher der Ruf erschollen war, aber schon beim vierten Schritte fiel ihm ein, daß eben heute die grauenvolle Thomasnacht heraufgezogen scp mit ihren Schaa- ren von Kobolden. Nachteilen und finstern Erddämonen, die, wie der Volksglaube wissen wollte, in dem tiefen Felsgeklüfte des Haselgrabens in dieser Nacht ihr Unwesen trieben und von dem wilden Jäger alljährlich in der Thomasnacht allhier durch die Lüfte gejagt wurden.
Plözlich war es Hansen klar, daß der Rin, der ihn so sehr entzückt hatte, von keiner lebenden Brust ausgehaucht worden sey.
Aber er ermuthigke sich.
«Sey eS!" rief er entschlossen vor sich hin, »der Himmel war taub für mein Flehen, wohlanl so will ich es mit dem wilden Jäger versuchen!«
Und rascher überkletterte er das Gestrüpp, Baumstrunk und Geklüft, um in die Gegend zu gelangen, aus welcher der Ruf in sein Ohr erschollen war. And siehe, schon blizte ein rotdes Flämmchen vom sogenannten »breiten Stein", dem höchsten Punkte der Fels- wand, herüber, und — ein gewaltiger Jäger mit einer rothen Feder auf dem Hute, mit einem Mantel von Luchsfcll behängen und eine gewaltige Armbrust in die Erde stemmend, trat er dem arme,, Bäuerlein entgegen, das erschrocken zurücktaumelte und nicht wahrnahm, wie zwei Begleiter des gewaltigen Waidmanns, in einiger Entfernung am Feuer lagernd, den Bewegungen ihres hochstämmigen Begleiters mit den Augen folgten.
»Stch'I« herrschte der Hochstämmige dem Bauer zu — »hätte bei dem dichten Nebel dich bald verkannt und für eine Jagdbeute gehalten; dank' es meiner zerbrochenen Armbrust, sonst lägst du wohl jn deinem Blute, und fluchtest dem Leichtsinne, dich um Äese Frist in dies Revier zu verirren, das nur den Wildbären und Wölfen zum Rastplaze dient."
(Fortsezung folgt.)
Redaktion, Druck und Verlag der M e e h'schen Buchdruckern in Neuenbürg.