Dreitag Beilage z« Nr. 134. 31. Dezember 1897.
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Roman von Clarissa Lohde.
(Fortsetzung.)
„Mein Himmel, als wenn micht schon manchmal Heiraten zu Stande gekommen wären, die für unmöglich galten. Giebt es denn keine Glücksfälle mehr im Leben? Kann der junge Mann nicht eine Erbschaft machen oder bei seinen Konnexionen vom Kaiser Zulage erhalten, bis er Hauptmann erster Klasse geworden ist?"
Und auf diese vagen Einbildungen hin willst Du es riskiren, daß die Beiden eine ernstliche Neigung für einander fassen, um schließlich unglücklich zu werden? Nein, Mama, deine Pflicht ist es, alles zu thun, um das Zusammenkommen von Otti und Chick möglichst zu verhindern. Aber Du schwelgst mit dem Gedanken, daß ein eleganter junger Offizier Otti anbetet, und bestärkst sie womöglich noch in ihrer Thorheit."
Die Rätin zog ein unwilliges Gesicht:
„Immer schulmeistern, Elli, wirklich. Du verkehrst ganz die Rollen. Bei deiner sonstigen Klugheit solltest Du doch wissen, wie wenig sich das für ein junges Mädchen der Mutter gegenüber schickt. Aber da Du mir manchmal schon aus der Not geholfen hast, glaubst Du, solchen Ton gegen mich anschlagen zu dürfen."
^„Mamal"
»Ja, ja, so ist es. Glaube nur nicht, daß das liebenswürdig ist. Ich kann Dir sagen, von allen meinen Kindern bist Du die am wenigsten liebenswürdige, mag man auch zu Dir anders sprechen. Die Menschen schmeicheln Dir, weil Du Talent besitzest und etwas gelernt hast, und weil Dir das Glück zu Teil geworden, mit Irmgard Lutzen, der reichen vielbegehrten Irmgard, befreundet zu sein, die doch im Grunde auch nur ihres Geldes wegen so viel bewundert und umworben wird. Wäre sie in unseren Verhältnissen, sie bliebe gänzlich unbeachtet, das kannst Du mir glauben."
„Mama, so sprichst Du von Irmgard, der Du doch auch soviel verdankst, durch die ich allein die Aufträge habe, die mir ermöglichen, Dir in deinen Verlegenheiten beizuspringen, und die ich jetzt wieder für Dich in Anspruch nehmen soll?"
„Gott, was ist denn viel dabei, wenn ein solch reiches Mädchen einer armen Freundin einige Aufträgebesorgt ? Das sind die Reichen geradezu den Armen schuldig."
„Und doch thun es Tausende nicht" rief Elli voll Wärme „und cs gehört das gütige Herz Irmgards, ihre edle, feine Natur dazu, um in so zarter Weise zu unterstützen. Denn eine Unterstützung, weiß ich, ist es nur, wenn sie bei mir dieses oder jenes bestellt, was andere, wirklich ausgebildete Künstler ihr um vieles bester liefern können. Aber ich nehme die Unterstützung an, weil ich muß, und laß es nicht merken, wie schwer es mir oft wird, um ihr die Freude an ihrem stillen Wohlthun nicht zu verderben."
„Nun, wenn es ihr soviel Freude macht, Dir wohlzuthun," unterbrach sie die Mutter jetzt, „dann kann es Dir ja gar nicht schwer werden, sie um die 600 Mark zu bitten."
„Glaubst Du das wirklich, Mama?" fragte Elli, während es bitter-um ihren Mund zuckte, und sich etwas jäh zu ihrem Arbeitstisch wendend, fügte sie rasch hinzu:
„Laß mich abbrechen, Mama. Ich werde versuchen, deinen Wunsch zu erfüllen, mehr kann ich Dir jetzt nicht versprechen."
„Aber bald, Elli, bald, die Angst macht mich sonst ganz krank."
„Sobald ich kann. Jetzt, bitte, laß mich arbeiten, damit ich Irmgard wenigstens etwas aufzuweisen vermag, wenn ich sie um einen Vorschuß bitte."
Mit leichtem Achselzucken verließ die Rätin Elli's Zimmer, aber ihre Züge hatten sich doch merklich erheitert. Mit Behagen setzte sie sich in ihrem Wohnzimmer in ihren Lehnstuhl und nahm ihren Roman vor, ein Erzeugnis des Modernsten, sich in dessen Lektüre vertiefend. Lena und Otti waren ausgegangen. Sie hatten Besorgungen zu machen und benutzten die Gelegenheit, ein wenig zu flaniren, die Schaufenster zu betrachten und auszuschauen, ob sie nicht etwa ihren Verehrern vom letzten Abend bei Professor Gersdorf begegneten.
6 .
Im Weinrestaurant Waldau in der Leipzigerstraße hatte sich einige Tage später eine heitere Gesellschaft eingefunden. Lauter junge Leute aus den Kreisen der oberen Zehntausend; wenn auch nicht alle durch ein hervorragendes Vermögen, so doch durch ihre gesellschaftliche Stellung ausgezeichnet.
Auch Referendar Hübner und Lieutenant von Chick befanden sich darunter. Schon war man beim Champagner angelangt, die Gesichter hatten sich gerötet, die Unterhaltung wurde lauter, das Lachen schallender.
Es ging bereits auf Mitternacht. Die Räume waren deshalb schon fast leer. Nur vereinzelte Gäste saßen hier und da noch vor ihren Gläsern.
In einer Ecke, die durch eine Holzwand von dem übrigen Raume abgeteilt war, hatten zwei ältere Herren Platz genommen, west genug von der lärmenden Gesellschaft, um von ihr nicht bemerkt zu werden, doch nicht weit genug, um von der ziemlich laut geführten Unterhaltung, die natürlich sich um Sport und Frauen bewegte, nicht etwas zu verstehen: der Rat Bodin und sein Freund, Baurat Olten, ein alter Junggeselle, mit dem er sich zuweilen eine Erholung bei einem guten Glase Rheinwein in dem renomirten Lokale gestattete. Beide, im Alter ziemlich gleich, waren knorrige, wenig ansprechende Gestalten. Der Baurat klein, korpulent, mit rundem, etwas weingerötetem Gesicht aber klaren Augen; Bodin lang, hager, gelblich bleich, die von dichten weißen Brauen überschatteten Augen von einer Brille verdeckt, mit dichtem, ungepflegtem Haar und Bart und einem finstern unbeweglichen Ausdruck in den Mienen. Gewöhnlich schweigsam, pflegte er nur bei einem guten Glase Wein aufzutauen, um dann aufgeregt und streitsüchtig zu werden. Doch vertrug er sich gut mit seinem Freunde Olten, da beide in ihren Ansichten, die hauptsächlich mit der Unzufriedenheit mit allem Bestehenden, vor allem in Unzufriedenheit mit der eigenen Lage bestanden, sehr übereinstimmten. Der Rat klagte über sein unzureichendes Gehalt, das ihn zur größten Sparsamkeit verdammte. So manches war er genötigt, sich und seinen Mädels, die sich doch sehen lasten konnten, zu versagen, weil sonst die Elle länger als der Kram wurde. Noch nie hätte er mit der Familie eine Erholungsreise machen können. Weiter als auf das in der Provinz Preußen zwischen Kulm und Graudenz liegende Gut des Bruders seiner Frau, in einer fruchtbaren, aber durchaus unschönen Gegend, seien die armen Dinger noch nicht gekommen. Daß er selbst bei seinen nicht seltenen Besuchen bei Waldau mehr Geld ausgab, als eventuell eine bescheidene Vergnügungsreise gekostet hätte, daran dachte er nicht. Das mußte er seiner Ansicht nach haben, das gehörte zu seinen Bedürfnisten.
Anders der Baurat, der vermögend war, aber, seine Fähigkeiten nicht beachtet glaubend, sich schon frühe hatte pensioniren lasten. Er grollte mit der Welt, weil er, ein Sonderling, ziemlich vereinsamt dastand.
In der Jugend hatte er für das weibliche nicht allzuviel Interests gehabt; später als er einmal Lust verspürte, das Ehejoch auf sich zu nehmen, war ihm ein Korb zu Teil geworden. Nun hatte er sich ganz den materiellen Genüssen in die Arme geworfen, aß und stank gern gut, und fühlte sich wohl, wenn er bei einer Flasche Wein mit einem Gesinnungsgenossen über die Mangelhaftigkeit der Welt raisonniren konnte.
„Also es ist wirklich, wie ich es verausgesehen," fuhr der Baurat in der begonnenen Unterhaltung fort, „der junge Herr ist auf und davon und damit die ganze Heirat in den Rauchfang geschrieben."
„Das Mädel vertraut auf ihn" entgegnest, mit finsterem Blick vor sich niederschauend, der Rat; „und ich kann's nicht über mich gewinnen, ihr dieses Vertrauen zu nehmen."
Er war schon bei der zweiten Flasche und deshalb in bedeutend aufgeregtem Zustande.
„Ich aber," fuhr er fort, „hätte den Hallunken am liebsten zur Thür hinausgeworfen, wie er es verdient, als er mit so scheinheiliger Miene Abschied zu nehmen kam. Natürlich behauptete er, daß es nur an Elli liege; wenn sie nur gewollt rc. rc. Aber das kennt man schon, wie ein armes Mädel zu solchem Edelmut gezwungen wird. Und zu alledem muß man noch still sein und lächeln und sich verbeugen und möchte doch mit Fäusten drein schlagen."
Dabei stieß er mit dem Glase so hart auf den Tisch, daß Flasche und Gläser klirrten. Von der Tafelrunde, an der die ^'sunesss äores" saß, klangen jetzt auch die Gläser hell aneinander. Hinten übergeneigt schlürfte man aus den blinkenden Kelchen den Champagner.
„Wie es sich wohl sein läßt, dies junge Volk," brummte der Baurat, sein rotglühendes Gesicht neiderfüllt der fröhlichen Jugend zuwendend. „Unsereins konnte in dem Alter sich noch keinen Sekt spendiren. Aber freilich, diese thun es nicht anders. Und reicht die eigene Kasse nicht, dann wird gepumpt. Da ist der junge Lieutenant v. Chick, ich kenne de» Vater, wohnte mit ihm in einem Hause; ein pensionirter Oberstlieutenant. Seine Schwestern arbeiten heimlich für Ladengeschäfte, der Alte gönnt sich kaum ein Glas Bier, und seine Mutter schafft im Hause wie eine Köchin. Er aber sitzt hier bei Waldau und trinkt Champagner. So ist heutzutage die Jugend."
„Der freibergert," meinte der Rat. „Er ist eng befreundet mit einem meiner Referendare, dem blonden dort, der so stark illuminirt aussieht. Der ist der Sohn des Kommerzienrats Hübner, des großen Maschinenfabrikanten. Sie misten —"
„Und der hält ihn frei," sagte nickend der Baurat; „na dann begreife ich. Aber hören Sie nur, wie das da lacht und tobt, die sind schon toll und voll. Doch, was haben Sie, Bodin, sie starren ja plötzlich wie versteinert hinüber?"
„Still," sagte der Andere und legte seine Hand fest auf den Arm des Baurats, „nur einen Augenblick. Ich glaubte, da eben einen Namen zu hören."
(Fortsetzung folgt.)