Calmer KMeiMii.

Dienstag Beilage ;« Nr. 29. * 9. Mar; 1897.

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Jrrtümer.

Erzählung von F. Arnefeldt.

(Fortsetzung.)

Ich sprach lange und wie mir schien mit dem besten Erfolg. Adelheid wurde immer ruhiger, und als ich sie bat, nun in ihr Zimmer zurückzukehren, reichte sie mir eine eiskalte Hand, und kalt und fremd klangen auch die Worte: ,Jch danke Ihnen, ich weiß jetzt, was ich zu thun Habel'"

Sie verließ mich, und ich atmete für den Augenblick wie von einer großen Last befreit auf. Daß ich nicht daran dachte, mich niederzulegen, brauche ich Ihnen nicht erst zu versichern. Nachsinnend ging ich im Zimmer auf und ab und kam endlich zu dem Entschlüsse, mich mit' Anbruch des Tages in aller Stille zu entfernen. Wie ich Fräulein Adelheid kannte, schien es mir sehr leicht möglich, daß sie, nachdem sie wieder zur Besinnung gekommen, morgen ihrem Verlobten strahlend glücklich entgegenging und der Episode dieser Nacht nicht weiter gedachte, mein Anblick sollte sie nicht daran mahnen und vielleicht wieder andern Sinnes machen. Aber selbst für den andern Fall, daß es zu einem Bruche kam, war es besser, ich war fern. So packte ich denn meine Sachen und schrieb den Brief an Sie. Ich verhehlte mir nicht, daß meine Handlungsweise Mißdeutungen aus­gesetzt sein würde, aber das durfte mich nicht hindern, zu thun was ich für ge­boten hielt; ich sagte mir auch, daß es wahrscheinlich ein Scheiden auf Nimmer­wiedersehen sein würde. Sie ermessen nicht, was ich dabei littl"

Doch, doch!" murmelte der Baron.

Tiefe Stille herrschte im Hause," fuhr der Doktor fort,die Herrschaft wie die Dienstboten hatten sich zur Ruhe begeben, da war es mir, als höre ich am äußersten Ende des Ganges, da wo Fräulein Adelheids Zimmer lag, leise Tritte, es war, als werde vorsichtig eine Thür geöffnet und geschlossen. Ich glaubte sie komme noch einmal und erschrak über dieses Wagnis, hörte jedoch nichts weiter und überredete mich, meine aufgeregten Sinne hätten mir einen Streich gespielt, dennoch lauschte ich immer von neuem; eine unsägliche Angst packte mich, ich vermochte es auf die Dauer nicht mehr auszuhalten und verließ meine Stube, auf den Zehen schlich ich den Gang hinunter bis an Fräulein Adelheids Thür. Es mochte inzwischen zwei Uhr geworden fein."

Das ist das Hin- und Herschleichen, was die Diener vernommen haben wollen," schaltete der Baron ein.

Ich wußte es wohl und durfte es doch dem mich vernehmenden Richter nicht erklären," erwiderte Bodmer.Mit angehaltenem Atem lauschte ich, aber nichts regte sich, ich überredete mich, daß sie sich beruhigt habe, daß sie schlafe, hatte ich ihr doch auf ihre Bitte erst vor kurzem das Chloral mit aus Berlin gebracht, das sie als unentbehrlich für sich erklärte. Sie wird sich auch heute den Schlummertrank zurechtgemacht haben, dachte ich, aber keine Ahnung sagte mir, daß sie demselben eine Substanz beigemischt haben könne, die einen andern Schlaf herbeiruft, und daß ich es war, der ihr das Mittel geliefert."

Oeffneten sie den Kasten nicht, bevor sie ihn in den Koffer packten?" fragte der Lieutenant.

Nein, ich trug den Schlüffe! wie immer an meiner Uhrkette befestigt bei mir, das Schloß war unversehrt," war die Antwort, dann fügte er hinzu:Ich legte mich nicht nieder, sondern erwartete in den Kleidern den Anbruch des Tages. Gegen vier Uhr morgens hielt ich die Zeit für meine Entfernung gekommen; leise verließ ich das Zimmer und schlich mich den Gang hinunter, über die Hinter­treppe aus dem Schlöffe. Es war ein trauriger Abschied; ich hatte gehofft, Lettenhofen in anderer Weise zu verlassen."

Das werden, das sollen Sie I" rief der Baron, Bodmers Hand ergreifend. Sie kehren mit mir dahin zurück."

Bodmer schüttelte den Kopf.Das kann ich nicht, Herr Baron!" sagte er leise.

Es ist Ihnen übel mitgespielt worden," sagte Herr von Letten.Ver­zeihen Sie, lieber Bodmer, die Verkettung der Umstände war so traurig, wir sind alle schuldlos und doch nicht ohne Schuld."

Verzeihen Sie auch mir,' versetzte der Lieutenant, Bodmer die Hand bietend.Bin ich es, der sie an der Rückkehr nach Lettenhofen verhindert?"

Nein," entgegnete Bodmer, die dargereichte Hand nur zögernd berührend, in sichtlichem Kampfe mit sich.Ich will nichts verhehlen, Sie sollen alles wissen," sagt« er dann mit Festigkeit.

Noch mehr I Was habe ich noch zu erfahren?" murmelte der Baron.

Sie haben mich einen Ehrenmann genannt, Sie haben die Zurückhaltung lobend anerkannt, die ich Ihrer Tochter gegenüber beobachtet," fuhr Bodmer fort,

sie ist mir nicht schwer geworden, da ich Adelheid nicht liebte; aber ich hatte einen andern Kampf zu kämpfen, und aus diesem bin ich nicht als Sieger her­vorgegangen."

Was heißt das?" rief der Baron.

Hildegard!" schrie der Lieutenant.O, nun begreife ich alles, so ver­teidigt ein Mädchen nur den Mann, den es liebt."

Ich danke Ihnen für dieses Wort, mag darin immerhin eine Anklage für mich liegen," antwortete Bodmer mit aufleuchtenden Augen. Er schilderte nun, wie sich zwischen ihm und Hildegard leise und unmerklich die Liebe angesponnen, wie sie gewachsen sei in der köstlichen Zeit, die sie während Adelheids Abwesenheit mit einander verlebt, wie er aber gekämpft habe und entschlossen gewesen sei, von dannen zu ziehen, ohne der Geliebten den Zustand seines Herzens zu verraten, und wie es dann zwischen ihnen doch zur Erklärung und zum Gelöbnis gekommen sei.

Wenn ich nicht sofort zu Ihnen kam. Ihnen gestand, was geschehen war und mich Ihrem Richterspruch unterwarf, Herr Baron," fuhr er fort,wenn ich auch Hildegard Schweigen auferlegte, so geschah es keineswegs, weil ich mit dem geliebten Mädchen hinter dem Rücken der Eltern ein heimliches Liebesverhältnis unterhalten wollte, sondern nur weil ich nicht sicher mar, wie Adelheid die Ent­deckung aufnehmen würde. Am Tage nach der Hochzeit, wenn sie mit ihrem Gatten abgereist war, wollte ich Ihnen mein Bekenntnis oblegen. Nach jenem stürmischen Auftritt im Garten sah ich ein, wie geboten diese Vorsicht gewesen, und empfahl Hildegard, sich vor der Schwester nichts von ihrem Herzensgeheimnis merken zu lassen, und dann trennte ich mich von ihr mit recht schwerem Herzen. Als ich in der Frühe des Morgens Lettenhofen verließ, sagte ich mir, daß ich wohl schwerlich dahin zurückkehren würde. Außer anderen Schranken stand zwischen mir und Hildegard ihrer Schwester unglückliche Leidenschaft. Von Adelheids Ver­halten mußte es abhängen, was ich Hildegard schreiben sollte, ob ich mich init bluten­dem Herzen für immer von ihr losreißen mußte, oder ob uns die Hoffnung blieb, nach Jahren, wenn die Schwester ruhiger geworden, an eine Vereinigung denken zu dürfen. Alle Möglichkeiten hatte ich erwogen, nur nicht die, welche eingetreten. Zwischen Hildegard und mir steht der Schatten der Toten.

Sie sehen jetzt ein, daß ich nicht nach Lettenhofen kommen darf, obwohl mein ganzes Herz mich dahin zieht. Verzeihen Sie mir, Herr Baron, grüßen Sie Hildegard und sagen Sie ihr alles, grüßen Sie Fritz ich gehe zu meiner Mutter, und dann verlasse ich Deutschland, vielleicht Europa für immer."

Es wird so das Beste sein," antwortete der Baron, dessen Stirn sich bei den Geständnissen Bodmers immer mehr verfinstert hatte.Es ist mir lieb, daß Sie selbst einsehen, welche unübersteiglichen Schranken Sie von meiner Tochter trennen."

Ich sehe es ein und füge mich in mein Schicksal," antwortete Gotthold resigniert.

Und Sie erkennen auch an, daß Sie nicht recht gehandelt, Hildegard in einen Liebeshandel zu verstricken?"

Das that ich nicht, das wollte ich nicht!" beteuerte Bodmer.

Streiten wir nicht um Worte!" versetzte der Baron streng.Unsere Unterredung hat eine andere Wendung genommen als ich erwartet«, unsere Weg« müssen sich für immer trennen; ehe wir scheiden verlange ich aber Ihr Ehrenwort, daß sie Hildegard entsagen und keinen Versuch machen, wieder Beziehungen zu ihr anzuknüpfen."

Ich gebe es," antwortete Gotthold mit einem schweren Seufzer.Sie haben das Recht, jede Buße von mir zu verlangen. Leben sie wohl!"

Leben Sie wohl I" wiederholte jetzt in tiefer Bewegung der Baron und reichte Bodmer die Hand, dann entfernte er sich mit seinem Sohn, der ein schweigender Zuhörer der letzten Auseinandersetzung zwischen, seinem Vater und Bodmer ge­wesen war und sich von diesem nur durch eine stumme Verbeugung verabschiedet hatte.

Herr von Letten hatte seiner Gemahlin bei seiner Rückkehr nicht viel zu erzählen, was sie nicht bereits wußte, denn Hildegard hatte sich während seiner Abwesenheit an das Herz der Mutter geflüchtet und ihre Liebe zu Bodmer be­kannt. Seine Aufklärung über Adelheids unselige Leidenschaft und die letzten verhängnisvollen Aeußerungen derselben vollendeten nun noch die Geschichte der Entwicklung des Dramas, das sich in Lettenhofen abgespielt.

Jetzt bekannte auch Frau von Letten ihrem Manne ihre Ahnungen und Befürchtungen, schilderte ihm ihre Leiden und Qualen und fügte die Hände faltend hinzu:Wir haben alle schwer gefehlt, soll auch Hildegard noch an dem Irrtum verbluten ?"

Du kannst unmöglich wollen, daß ich Bodmer Sohnesrechte gebe l" fuhr der Baron auf.Wollte ich über alles andere hlEtzgsehm, Adelheids Tod"

Er trägt keine Schuld daran," fiel sie ein.

(Fortsetzung folgt.)