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der Steuerbefreiung nicht schon mit 500 ^ zu beginnen, sondern ein höheren Betrag frei zu lassen und mit der Progression nicht schon bei 15 OVO ^ aufzuhören (Beifall). Schließlich berührte Redner noch die Frage der ReligionSreversalien, das kürzlich beschlossene Farrenhaltungsgesetz, die Gesetzentwürfe betr. die Besteuerung des Kunstweins und betr. das Wasserrecht. Bei allen diesen Fragen werde das Wohl des Landes das Ziel der Partei sein (Beifall). Ueber „Proportionalwahl und Verfassungsrevision" berichtet sodann der Redakteur des Partei- Organs Hr. vr. Schön leb er. Er betonte die Schwierigkeiten und Unzuträglichkeiten des Propor- tionalwahlsystems und verneinte überhaupt die Notwendigkeit eines Ersatzes für Ritter und Prälaten. Ganz unzweckmäßig sei das Bestehen von 2 Wahlsystemen, wenn der Proporz so empfehlenswert sei, wie von anderer Seite behauptet werde, so müßte man das System überhaupt einführen. Friedrich Payer habe sich im Jahre 1894 ganz entschieden gegen den Proporz ausgesprochen, trotzdem schwärme jetzt die Volkspartei dafür. Es müsse alles daran gesetzt werden die reine Volkskammer zu erhalten, ohne diese Zugabe. Rechtsanwalt Di. Schall beantragt hierauf namens des Landesausschusses und der Kammer- Fraktion die Annahmen einer Resolution deren wesentlicher Inhalt dahin geht:
1) Die Partei fordert eine reine Volkskammer;
2) die Kammerfraktion wird beauftragt
») die Negierung zu ersuchen, von einem Ersatz der Ritter und Prälaten abzusehcn und nur für Stuttgart und einige andere größere Städte weitere Vertreter auf Grund des bestehenden Wahlsystems zu gewähren, b) Sollte die Regierung und die Mehrheit des Landtags auf dem Proporz bestehen, so ist die Abstimmung davon abhängig zu machen, ob die Verfassungsrcform im Ganzen, namentlich die Zusammensetzung der I. Kammer den Wünschen des Volkes und den Bedürfnissen des Landes entspricht.
Rektor vr. Egelhaas-Stuttgart spricht sich für das Proportionalwahlsystem aus. Dasselbe habe zweifellos manche Vorzüge, was Redner näher begründet. Rechtsanwalt Sch ef so Id-Ulm ist der Meinung, daß die beantragte Resolution der Stimmung des Landes entspreche, vr. Arnold Elben-Stuttgart empfiehlt gleichfalls die Annahme der Resolution und weist die demokratischen, in der Presse erhobenen Angriffe und Unterstellungen gegen die deutsche Partei, entschieden zurück. Die Resolution wird hierauf beinahe einstimmig (nur 8 Stimmen erhoben sich dagegen) angenommen. Nachdem Professor Hauber- Stuttgart noch den Parteibericht erstattet hatte, schloß der Vorsitzende die Landesversammlung indem er mit Rücksicht auf die herannahenden Land' und Reichstagswahlen den Parteigenossen eine rührige Thätig- keit empfahl.
Balingen, 5. Febr. In dem nahen Dürrwangen verunglückte ein 20jähr. junger Mann beim Fällen einer Tanne, die er mit einem Mitarbeiter an einer Halde fällte. Als dis Tanne fiel, löste sich gleichzeitig ein großer Stein, dem der Verunglückte nicht mehr auSweichen konnte und von dem er derart an eine andere Tanne geschleudert wurde, daß er sofort tot war.
Niederstetten, 5. Febr. (Hundebörse und Taubcnmarkt). Hier hat sich ein Komite gebildet, welches am 24. dS. Mts. (Matthiasfeiertag) eine Hundebörse mit Taubenmarkt, verbunden mit einem Hundewettrennen veranstalten wird.
Mergentheim, 5. Febr. Musketier Bentz, welcher dieser Tage sich mit seinem Dienstgewehr zu entleiben versuchte, ist an der erhaltenen Schußwunde gestern Nachmittag gestorben.
Mergentheim, 7. Febr. In GroßrinderS« feld kam vorgestern Morgen die ledige Sophie Haberkor n auf schreckliche Weise ums Leben. Dieselbe bewohnte seit längerer Zeit eine Behausung allein. Zur Vorsicht schlief jedoch in letzter Zeit eine Nichte bei ihr. Am Tage des Unglücks schickte die Haberkorn ihre Nichte zum Gottesdienst. Nach demselben wurden Vorübergehende durch stinkenden Rauch aufmerksam. Man glaubte, cs sei sin Hausbrand ausgebrochen und drang in das betr. Haus ein. Hier bot sich den Eintretenden ein entsetzlicher Anblick, im Hausflur lag die Haberkorn schrecklich verbrannt, tot. Wie sich dos Unglück zugetragen hat, ist bis jetzt nicht bekannt. Man vermutet, daß die Verunglückte dem Lichte oder Feuer zu nahe kam und auf diese Weise ihre Kleider Feuer fingen; in diesem Zustande wollte sie jedenfalls auf die Straße eilen, kam nicht mehr soweit, fiel im Gange nieder und verbrannte elendiglich.
— Die „Dresd. Nachr." veröffentlichen Mitteilungen über ein Gespräch, das ein Besucher des Fürsten Bismarck kürzlich mit diesem hatte. Ueber fern Befinden äußerte sich Fürst Bismarck: „Ich fühle mich matt, aber nicht krank. Meine Krankheit ist Mangel an Lebenslust. Meine Existenz hat keinen Zweck mehr. Dienstliche Pflichten liegen mir nicht mehr ob; was ich als Zuschauer sehe, daran habe ich keine Freude. Wenn ich noch länger lebe, wird dies immer weniger der Fall sein. Ich fühle mich einsam; meine Frau Habs ich verloren und meine Söhne gehen ihren eigenen Geschäften nach. Auch die Land- und Forstwirtschaft hat mit dem zunehmenden Alter das Interesse für mich verloren. Feld und Wald besuche ich nur selten, mir fehlt die Lust dazu, seitdem ich nicht mehr reite, jage und nach Belieben durch die Büschs kriechen kann. Allmählich fängt auch die Politik an, mich zu langweilen. Wie gesagt, Mangel an Lebenslust, das ist meine Krankheit, wenn ich eine habe." Dann äußerte siü der Fürst über verschiedene politische Fragen. Er bezeichnete die Teilnahme des österreichischen Ministers Goluchowski an dem Kapitel des Schwarzen Avlerordens als einen außergewöhnlichen Vorgang. Hieran knüpfte er Bemerkungen über das Präoalieren des Polentums. Sodann kam die Rede auf die Ernennung des Grafen Murawjew zum russischen Minister des Aeußern. Die erste Aeußerung des Fürsten, als die Ernennung ihm gemeldet wurde, habe gelautet: „Na, das ist ja Der, auf den ich immer gehofft habe. Wenn er sich so macht, wie ich glaube, so wird er gut." Die Beziehungen dcs Grafen Murawjew, als dieser noch Rat an der russischen Botschaft in Berlin war, zum Fürsten Bismarck seien die besten gewesen. Er lei zwar ein vollkommener Russe und werde nur russische Politik treiben, aber ein herum stechender Zug seines Wesens sei Ehrlichkeit. Jede Neigung, der unverfälschten russischen Politik und ihren Zielen zuwider
den europäischen Frieden »«provoziert und etwa in» Interesse Frankreichs zu gefährden, liege ihm vielleicht noch ferner als seinem Vorgänger.
Hamburg, 3. Febr. Di-: Streikleitung behauptet, es seien gestern 90000 ^ Streikunterstützung ausgezahlt worden und zwar per Kopf 8 Das Verhalten der Hauswirte am 1. Febr. sei sehr verschieden gewesen. Einige hätten auf Exmission geklagt, viele den mittellosen Streikenden auf den 1. Mai gekündigt, einige hätten Ermäßigung der Miete bewilligt, andere diese ganz erlassen.
Hamburg, 6. Febr. Der Hafenarbeiterstreik ist beendet. Die Abstimmung der Streikenden ergab 65 "/o der Stimmen für die Wiederaufnahme und 35 "/» gegen die Aufnahme der Arbeit.
Hamburg, 7. Febr. Gestern abend kam es zu Ausschreitungen seitens der Ausständigen. Ueber die ergebnislose Beendigung des Ausstandes gereizte Arbeiter überfielen von der Arbeit heimkehrende Ersatz- arbeitsr auf dem Schaarmarkle und mißhandelten sie in roher Weise. Einer der Ueberfallenen, ein Kohlenarbeiter, gab einen Nevolverschuß in die Luft ab. Darauf entwickelte sich ein förmlicher Kamps. Der Chef der Schutzmannschaft ließ die gesamte Reservemannschaft der Schutzleute ausrücken und den Schaarmarkt räumen. Der Kampf wurde alsdann in der Straße „der große Bäckergang" fortgesetzt. Aus den Fenstern wurde mit Steinplatten und Ascheimern auf die Schutzleute geworfen. Drei Schutzleute sind schwer verwundet; einer davon erhielt einen Steinwurf an den Kopf, der ihm das Gesicht unkenntlich machte. Wieviele Personen aus dem Publikum Verletzungen davontrugen ist noch nicht festgestellt, da dieses sich flüchtete. Viele Seeleute beteiligten sich an dem Kampf. Mit Messern wurde blindlings darauf los- gestochen; daher kam es auch, daß viele Ausständige von ihren eigenen Kameraden verwundet wurden. Die Schimpfworts, sowie das Gejohle, Schreien und Pfeifen erhöhten den Tumult. Die schmale Straße, der große Bäckergang, wurden an beiden Enden abgesperrt; zahlreiche Verhaftungen wurden vorgenommen. Allein von der Wache am Venusberg wurden 56 Personen verhaftet. Heute früh 2 Uhr hatten die Straßen wieder das gewohnte Aussehen. Militär brauchte nicht requiriert zu werden. Heute vormittag standen in der Gegend am Hafen zahlreiche Gruppen von Arbeitern, die die gestrigen Ereignisse besprachen, sich aber ruhig verhielten. Schutzleute sah man heute nur in geringer Anzahl.
Lübeck, 6. Febr. Nach einer Meldung des „Lübecker Anzeigers" hat der finnische Dampfer „Aegir" in der Ostsee zwischen Gjedsted und Varnemünde den Kieler Dampfer „Ferdinand" und den Lübecker Dampfer „Hansa" im Eise festsitzend angetroffen. „Hansa" leidet an Kohlenmangel, war oder vom „Aegir" aus nicht zu erreichen.
Flensburg, 7. Febr. Der der „Dampfschiffrhederei von 1869" gehörige Dampfer „Septima", Kapitän Deßler, ist bei den kanarischen Inseln vor Las-Palmas gesunken.
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„Wäre das möglich?"
„Ich weiß es nicht, ich habe über die Sache noch nicht nachgedacht."
„Und doch wäre mit der Auffindung dieses Schlüssels vielleicht Gottholds Kerkerthür erschlossen!" rief Frau Bodmer, indem sie lebhaft aufsprang.
„Hildegard sah sie betroffen an; sie vermochte den Sinn ihrer Worte nicht sogleich zu fassen.
„Lessings Ausspruch: Wie viel andächtig schwärmen leichter ist als gut Handeln! ist in gewissem Sinne auch auf Dich anwendbar," fuhr Frau Bodmer fort, indem sie wieder neben Hildegard Platz nahm und deren Hand ergriff. „Während Du Dich in Grübeleien versenktest und Fragen zu lösen suchtest, die einzig und allein Gotthold beantworten kann und, davon bin ich überzeugt, zu Deiner vollsten Befriedigung beantworten würde, wenn er Dir als freier Mann gegenüber stünde, siehst Tu nicht das Mittel, das ihm diese Freiheit verschaffen könnte."
„Und das wäre?" fragte Hildegard atemlos.
„Der Schlüssel, dessen sich Adelheid bedient, um den Kasten zu öffnen. Hat man nicht danach gesucht?"
„Nein!" erwiderte Hildegard, traurig den Kopf schüttelnd; „man glaubt ihm ja nicht, und legt seinen Angaben deshalb kein Gewicht bei."
„So thue Du es!" War ein solcher Schlüssel vorhanden, so muß er sich finden; die Tote kann ihn doch nicht in das Grab mitgenommen haben?" fügte sie, vor dieser Möglichkeit erschreckend, mit banger Frage hinzu.
„O nein," sagte Hildegard schmerzlich, „man hat ja ihren armen toten Leib zerschnitten."
Frau Bodmer schauderte. „Und ihr Zimmer ? Die Taschen des Kleides, -as sie an den: letzen, verhängnisvollen Abend getragen?"
„Es ist alles noch so, wie sie es verlassen; die beiden Zimmer, welche sie bewohnt hat, in denen wir sie, tot aufgefunden haben, sind verschlossen. Niemand hat sie bis jetzt wieder betreten, keine Hand hat noch die in ihrem Gebrauch befindlich gewesenen Gegenstände wieder berührt."
„So thue Du es, für Gotthold, für Dich, für mich, für uns alle!" sagte Frau Bodmer feierlich und legte dem jungen Mädchen die Hand auf den Scheitel, als wolle sie sie für das ihr übertragene Werk einsegnen. „Gott stehe Dir bei und gebe Dir Gelingen."
Ein paar Minuten herrschte tiefes Schweigen zwischen den beiden Frauen und in dem sie umgebenden Gehölz, durch das die Sonnenstrahlen jetzt schräger fielen. Frau Bodmer stand endlich auf. „Es ist Zeit, daß wir uns trennen," sagte sie, „ich muß heute noch nach Berlin zurück, aber ich gehe leichteren Herzens als ich gekommen; Dein Bekenntnis, meine Hildegard, hat mir einen großen Trost gewährt, es hat mir den Zweifel an meinem Sohn genommen."
Ein Freudenstrahl blitzte auch in Hildegards tieftraurigen Augen auf.
„Sie glauben an ihn?"
„Wie an Gott! Wenn mein Sohn Dir seine Liebe bekannt und sich mit Dir verlobt hat, dann haben nie ähnliche Beziehungen zwischen ihm und Deiner Schwester bestanden, und alle darauf gebauten Schlüsse sind hinfällig, dann ist er ein Opfer einer traurigen Verkettung von Umständen geworden, für welche uns jetzt noch der Schlüssel fehlt!"
Ihre Stimme erhielt, während sie diese Worte sprach, einen tiefen, beschwörenden Klang; ihre Gestalt schien zu wachsen; das durch die Bäume fallende Sonnenlicht wob einen goldenen Schein um ihr Haupt, in ihrer dunklen Kleidung hatte sie das Ansehen einer Priesterin, welche weissagend im grünen Haine zu dem andächtig lauschenden Volke spricht. (Fortsetzung folgt.)