616

tragen. Das seien die normalen Zustände. Wie es bei den angerichteten Blutbädern zugegangen sei, könne man sich denken. Nach einer Würdigung der amerikanischen Missionen und des Stands des protestantischen Missio-Lwesens im Lande führt« Redner den Zuhörern die Kämpfe der Kurden und Armenier vor Augen, gab eine Schilderung der schrecklichen Scenen bei den massenhaften Niedermetzelungcn im vorigen Jahr, erwähnte verschiedene Beispiele von Standhaftigkeit im Glauben und stellte fest, daß in dem Vernichtungskampf, der von oben herab nach bestimmten Befehlen ausgeführt worden sei, etwa 120,000 Armenier getötet und etwa 100,000 Muhamedaner geworden seien. Aus den schauderhaften Berichten scheinen aber auch einige Lichtblicke hervor: Viele Armenier erlitten lieber den Tod, als daß sie ihren Glauben verleugneten; sämt­liche Missionare blieben auf ihrem Platze; manche Türken seien erweckt worden; die Alt- und Neuar­menier haben sich im Glauben fest vereinigt und die Bewohner des Abendlandes haben jetzt überall Ver­eine gegründet, um den Armeniern zu helfen und das Interesse für dieselben zu wecken. Mit einem Auf­ruf, diese Hilfsvereide kräftig durch Gaben zu unter­stützen, schloß der Redner seinen fesselnden und sehr gut besuchten Vortrag. Weitere Ansprachen hielten Herr Oberamtmann Voelter und Hr. Klassen; in warmen Worten richteten sie an dis Zuhörer die dringende Aufforderung, der unterstützungsbedürftigen, armenische» Christen nicht zu vergessen.

sAmtliches aus dem Staatsanzeiger.) Am 13. November ist von der Evangelischen Ober­schulbehörde die Schulstelle in Liebelsberg, Bez. Calw, dem Unterst hier Christian Frey in Rohrdorf, Bez. Nagold, übertragen worden.

Stuttgart, 13. Nov. Ucber einen Unfall, welcher dem Herzog Robert, Bruder des Herzogs Albrecht, auf einer der kürzlich bei Hohenheim Deger­loch abgehaltenen Schmtzeljagd zustieß, wird erst jetzt etwas bekannt. Herzog Robert ritt bei der betr. Jagd als Fuchs. In der Nähe des früheren Deger- locher Exerzierplatzes streifte der Herzog eine Tanne derart, daß er vom Pferde stürzte und bewußtlos liegen blieb. Ein Spaziergänger, Privatier Hauser (früherer Tapezier), welcher in der Nähe weilte, half einem schnell herbcigeeilren Lazaretgehilfcn den Herzog aufrichten, welcher am linken Bein verletzt war und durch den Sturz das Bewußtsein verloren hatte. Der in der Nähe befindliche Wagen des Herzogs brachte denselben nach der Stadt, wo er bis zu seiner in Bälde zu erwartenden völligen Genesung im Kron­prinzenpalais bei Herzog Albrecht sich befindet.

Pforzheim, 13. Novbr. Eine große Er­bitterung herrscht unter den hiesigen Geschäfts­leuten. Zu dem Warenbazar der bekannten Firma Wronker, welcher, seiner billigen Preise wegen, den Ladeninhabsrn schon großen Schaden zugefügt hat, ist nun seit einigen Tagen ein Verkaufshaus der Geschwister Knopf g-kommen, in welchem die Waren geradezu verschleudert werden und der Zuspruch in­folge dessen ein geradezu unglaublicher ist. Die Firma Wronker hat nun ebenfalls ihre Warenpreise ent­sprechend reduziert und lockt nun ihrerseits das Pub­likum wieder an. Em wahrer Hexensabbath hat nun begonnen, unter dem die übrigen Geschäfte aber sehr zu leiden haben. In einem Artikel desPf. Tagbl."

wird darauf hingewiesen, daß der Zweck der Waren­bazare nur der sei, die Konkurrenz lahm zu legen, um dann die Preise nach Willkür in die Höhe schrauben zu können. Das Publikum wird nachdrück­lich ermahnt, diesen Geschäften fern zu bleiben, und nicht um einiger elender Pfennige willen zum Ruin eines ganzen Standes beizutragen.

Düsseldorf, 12. Noo. Der vorgestern ver­urteilte Homöopath vr. Vollbeding harte zur Zeit für seine Haftentlassung eine Sicherheit in Höhe von 200000 hinterlegt. Dieser Betrag ist nunmehr, dem hiesigen Generalanzeiger zufolge von der Staats- steuerverwallung beschlagnahmt worden, weil vr. V. in seinen Steuererklärungen sein Einkommen so niedrig angegeben hat, daß die Zahlen hinter der Wirklichkeit bei weitem zurückblieben. Der Fiskus gedenkt, sich jetzt an der Sicherheit schadlos zu halten. Gegen das Urteil im Prozesse Vollbeding ist Revision an­gemeldet und gegen die Verhaftung Vollbedings beim Oberlandesgericht in Köln Beschwerde erhoben worden.

Brüssel, 13. Noo. Der Kassierer der hiesigen Filiale desKredit Lyonnais" flüchtete nach Unterschlagung von 900000 Frcs.

Konstantinopel, 13. Noo. Dem hiesigen Vertreter einer europäischen Macht ist eine direkte Nachricht über die Metzeleien zugegangen, dis am .letzten Samstag in Ewerk (Kleinasien) stattgefunden haben. Die Armenier haben eine große Moschee an­gegriffen und Bomben unter die Thüre geworfen. Eine allgemeine Erhebung der Türken in Ewerik und den Nachbarorten gegen die Armenier war die Folge. 3000 Armenier und 200 Türken wurden getötet. Die regulären Truppen schritten erst ein, nachdem Ewerik fürchterlich verwüstet worden war. Einzel-, heiten fehlen noch.

(Eingesandt.)

Erwiderung auf das Eingesandt in Nr. 134 ds. Vl.

In Nr. 133 ds. Bl. sind in einem Eingesandt einige Gedanken über die Kirchenaufsicht bei der Schul­jugend in aufrichtigster und wohlwohlendster Weise ausgesprochen worden, die in Nr. 134 aber eine solch geharnischte Entgegnung gefunden haben, daß diese uns nötigt, »och einmal dieser Angelegenheit näher zu treten. Der Einsender nach den Ausführungen jedenfalls ein hiesiger Volksschullehrer hat sich gewaltig ins Zeug geworfen und in dem Artikel wider alles Erwarteneinige ungerechtfertigte Hiebe" auf dieLehrer der hiesigen Volksschule" gefunden. Und worin sollen dieseHiebe" bestanden haben? Man höre und staune! Wir haben gesagt, daß neuerdings das Verhältnis der Kirche zur Volksschule sich etwas lockere und daher die Lehrer der Volksschule das An­sinnen zur Beaufsichtigung der Schuljugend ablehnen. Ja, verehrter Hr. Einsender, ist denn das nicht wahr? Steht denn die Schule noch in demselben Verhältnis zur Kirche wie früher? Gipfeln nicht dis Bestreb­ungen vieler Lehrer darin, das bisher bestandene Band zwischen Kirche und Schule vollständig zu lösen? Die Hand aufs Herz, Hr. Kritiker, ist denn die An­führung dieser Thatsache ein Hieb auf den Lehrer­stand ? Früher haben, was der Herr Einsender wohl zugeben wird, die Lehrer die Kirchsnaufsicht aus­geübt, ja in den meisten Orten besteht dieselbe jetzt

seidel war leer; er ergriff eS.Ich bringe Ihnen ein frisches Seidel, Herr Polizeirat," sagte er in möglichst geschäftsmäßigem Tone.

«Jetzt noch nicht. Sie bleiben hier!"

Das war ein Befehl, nicht mehr eine freundschaftliche Bitte. Jeder Zweif«! schwand, jetzt galt cs Flucht, eilige Flucht. Grawald saß der Thür seiner Schlaf­kammer nahe, gelang es ihm, diese zu erreichen, dann war er gerettet; die Thür licß sich von innen durch einen schweren eisernen Riegel verschließen, ein Sprung aus dem F.nstcr führte ,hn m den Garten, mit wenigen Schritten hatte er die Haide und bald das Moor erreicht. Jctzt galt eS Vorsicht und Fassung, er mußte so un­befangen erscheinen, a s Hube er keine Ahnung von der drohenden Gefahr, um den ersten unbewachten Moment zur Flucht benutzen zu können.

Wie Sie wollen, Herr Pol-zeirat!" entgegnete er, sich wieder setzend, befehlen Sie nur, wenn Sie daß frische Seidel wünschen."

E>n paar Minute» vergingen unter tiefem Schweigen. Werder hielt eS nicht mehr der Mühe wert, das Gespräch fortzusetzen; er wußte, daß Grawald auf seiner Hut sei, daß er sein Sch cksal ahne, da war auf k?ine unbedachte Aeußerung mehr zu»boffm. Er wartete nur auf die Zurückkunst Ewalds, um die Verhaftung vorzunehmen.

Die Thür wurde geöffnet. Geführt von den beiden Beamten aus M** trat Andres ein, seine Hände waren durch Handschellen gefesselt. Ewald folgte ihm. Aller Augen richteten sich auf den Gefangenen, der mit stieren Augen um sich blickte, ohne zu begreifen, was eigentlich mit ihm geschehen sei.

Diesen Augenblick benutzte Grawald. Mt cinem gnwaltigen Sprungs er­reich! e er sein« Schlaskammer, die Thür flog hinter ihm zu, der eiserne Reegel ver­schloß sie.

Werder setzte ikm nach; er stemmte sich gegen die Thür, um sie einzudrücken, dar aber war selbst seiner Riesenkraft unmöglich. DaS dicke Eichenholz widerstand

noch; sie wird sogar von den Behörden besonders verlangt. In manchen amtlichen Bekanntmachungen steht ausdrücklich: Der Lehrer hat sich an der Kirchen­aufsicht zu beteiligen! Warum denn also diese Er­eiferung? Die Hereinziehung der Latein- und Real­schulen in dieser Sache können wir nicht für gerecht­fertigt finden, da dem Einsender doch wohl bekannt ist, daß diese Schulen einer andern Behörde unter­stellt sind und überhaupt schon lange eins andere Stellung als die Volksschule eingenommen haben. Also mit dem ersten Hieb wird es nichts sein! Nun zum zweiten! Der Einsender bezeichnet dasJnaus- sichtstellen einer evcnt. Honorierung" als eineüber­dreiste Unterschiebung". Nichts für ungut, geehrter Herr Einsender, Die haben übersehen, daß wir nichts in Aussicht gestellt, daß wir nur einen einfachen Vorschlag gemacht haben. Was ist denn aber so Un­geheuerliches an diesem Vorschlag? Enthält er viel­leicht eine Beleidigung Ihres Standes? Mit Nichten l Haben wir etwa gesagt, die hiesigen Lehrer würden dis Kirchenaufsicht übernehmen, wenn sie dafür bezahlt würden? Ganz gewiß nicht! Inwiefern hätten wir uns also einer überdreisten Unterstellung schuldig gemacht? Wenn der Lehrer als Organist, als Kantor, als Agent u. s. w. bezahlt wird, warum sollte er übrigens eine Honorierung für Kirchenaufsicht von der Hand weisen? Etwas Entehrendes können wir in der Kirchenaufsicht nicht finden. Nur nicht das Beil so weit wegwerfen! Wir denken von der Stel­lung eines Lehrers, dem das höchste Gut des Volkes anoertraut ist, viel zu hoch, als daß wir wagen würden, ihn mit demMädchen für Alles" oder sogar mit gewerbmäßigem Kirchendusler" bezeichnen zu wollen. Durch spöttische Bemerkungen kann man jedes Amt herunterziehen; nach unserer Meinung wäre es besser gewesen, der Herr Einsender hätte diese etwas trioi- vialen Ausdrücke und denunzufriedenen Schulmeister" vermieden und das Eingesandt ruhig uns ohne Vor­urteil Ruhe! ist des Bürgers erste Pflicht, sagt Schiller gelesen und sich bei Abfassung seiner Ent­gegnung des Wortes erinnert:Allzu scharf macht schartig", er wäre gewiß zu einer andern Mn-lnmg gekommen. Den zweiten vermeintlichenHieb" haben wir also auch nicht ausgeführt. Im Gegenteil! Wir sind in gar keiner Weise den Lehrern zu nahe ge­treten, haben ihnen vielmehr die größte Anerkennung gezollt und haben uns aber leider zugleich erlaubt, einen Vorschlag zur Lösung der schwebenden Frage zu machen. Dies ist unser Verbrechen, weshalb wir angeklagt werden. Damit könnten mir schließen. Weil aber der liebenswürdige Herr Einsender eine beson­dere Vorliebe fürHiebe" zeigt, so wollen wir ihm verraten, daß er demkollegialsten seiner Kollegen" einen ordentlichenHieb" versetzt hat, (wie es unter Kollegen" scheint's üblich ist!) den zu parieren wir jedoch keine Ursache haben.

Larrdw. Consunt-Uerein Calw.

E. G. m. u. H.

WcrLzkeirne

treffen im Laufe dieser Woche noch ein und sind et­waige Bestellungen sofort einzureichen.

Der geschäftsführende Vorstand:

L. Dingler.

seiner äußersten Anstrengung. Er hörte, wie das Fenster, geöffnet wurde, wie Gra­wald auS demselben in den Garten sprang.

Ihm nach! Fort! Auf die Jagd! Sie, Letke, bewachen den Gefangenen. Die andern folgen mir!" Mit diesen Worten eilte er voran, durch das Haus nach dem Garten.

Vater Grawald war noch ein rüstiger, kräftiger Mann und schnell zu Fuß. DaS Bewußtsein, daß er nur durch die höchste Anstrengung aller Muskeln sich retten könne, erhöhte seine Kraft. Mit rasender Schnelligkeit lief er durch den Garten, er erreichte glücklich das dichte Buschwerk der DiebShaide, in dies?» verschwand er. AlS Werder» gefolgt von Ewald und den beiden Beamten auS M**, der Bürger­meister. der keine große Anstrengung liebte, war mit dem Sergeanten zur Bewachung des Gefangenen zurückgeblieben, in den Garten kam, war der Flüchtling nicht mehr zu sehen.

Er ist fort!" riefen Ewald und Dunkclword ärgerlich. Er hat den Wald erreicht. Da ist-vorläufig schwerlich etwas zu thun. Wie sollen wir ihn im Gebüsch finden?"

Werder lächelte. Er gedachte seiner Jagden fern im W-sten, wo er an der Seite eines indianischen Genossen tagelang den leichten Fährten eines edlen Wildes durch die dichten Wälder gefolgt war. Wie leicht erschien eS jetzt, die breiten, in den Sand klar eingedrückten Fußtapfen der starken Mannes zur Richtschnur zu nehmen. Seinem geübten Auge bot die Verfolgung derselben dmch de., Wald nicht die ge­ringste Schwierigkeit.Mir nach!" rief er den Genossen zu. Er eilte mit solcher Schnelligkeit vorwärts, daß die anderen Polizisten bald keuchend hinter ihm zurück­blieben.

Er erreichte das Buschwerk; mit gleicher Schnelligkeit verfolgte er auch hier seinen Weg, nicht e nen Augenblick ging ihm die Spur verloren, und bald sah er den Flüchtling vor sich, der mit dem höchsten Aufgebot aller seiner Kräfte dem Moore zueilte. (Fortsetzung folgt.)