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Stuttgart, 20. Dezember. Die Kammer der Abgeordneten beriet heute die noch nicht erledigten Wahlanfechtungen. Die Wahl des Abg. Haug in Ulm-Amt wurde nach dem Bortrag des Bericht­erstatters Nieder ohne Debatte für giltig erklärt. Zu der Wahl des Abg. Rembold in Aalen wurde von Schmidt-Maulbronn der Antrag gestellt, unter Aussetzung der Entscheidung über die Giltigkeit der Wahl über verschiedene Behauptungen der Anfechtungs­schrift Beweis einzuziehen. Es erhob sich eine um­fangreiche Debatte, in der sich außer dem Antragsteller Haußmann-Balingen und Kloß für, sämtliche andere Redner Berichterstatter Frhr. v. Secken­dorfs, Gröber, Nieder, v. Geß, Präsident v. Gemmingen, gegen den Antrag Schmidt er­klärten. Derselbe wurde sodann mit Mehrheit ab­gelehnt und die Wahl Rembolds für giltig erklärt. Bei der Wahl des Abg. Krauß in Reutlingen wiederholte die Bolkspartei denselben Antrag.

Tagesneuigkeilen.

8> Das Schöffengericht zu Neuenbürg verurteilte in seiner Sitzung vom 20. d. M. den 41'/, Jahre alten Gemeinde forstwart W. G. Jäger von Calmbach wegen erschwerten Jagdvergehens im Sinne des Z 293 R.-St.-G.-B. zu der Gefängnis­strafe von 45 Tagen. Der kgl. Amtsanwalt hatte 2 Monat beantragt und am Schluffe seiner zeugen­eidlichen Angabe hatte der Forstwächter Gnörzer von Calmbach an das Gericht das Ersuchen gestellt, den Angeklagten recht strenge zu bestrafen. Auf Grund des eidlichen Zeugnisses von Gnörzer und anderer Jndicienbeweise, erachtete das Gericht den Angeklagten für überwiesen, daß er am 23. Nov. l. I. im Staats­walde bei Calmbach 3 Rehschlingen von Draht an­gebracht und dieselben, nachdem der Forstwart G. am selben Tag die Stellung verändert, so daß sich kein Wild darin fangen konnte, am 25. Nov. wieder kunst­gerecht zum Einfangen gestellt habe. Der Angeklagte gab zu, daß er am 25. Nov., wo ihn der Gnörzer hinter einem Felsen (wo sich letzterer verborgen) be­obachtet habe, die Schlingen umgestellt habe, aber er hätte keine böse Absicht dabei gehabt, indem er ge­glaubt, der Forstwächter hätte selbst die Schlingen gestellt und sie seien vom Wilde verschoben worden. Der Angeklagte bestritt weiter mit Hartnäckigkeit, daß er die Schlingen s. Zt. selbst in Wald gebracht habe.

Die Metzgerschaft Württembergs hat eine Petition an die Kammer der Abgeordneten eingereicht um Abschaffung der Fleischsteuer. Es wird ge­sagt, sobald diese wegfalle, werde das Fleisch billiger werden und der Fleischkonsum werde zunehmen. Die Beibehaltung der Steuer würde den kleineren und mittleren Betrieben auf die Dauer die Existenz un­möglich machen rc.

Cannstatt, 19. Dez. Beim Bahnbau er­eignete sich an der Hofenerstraße ein schwerer Un­glücksfall. Zwei Zimmerleute waren in einem Nachen im Neckar mit Anbringung von Gerüstpfählen für den Viadukt beschäftigt als der Nachen von der starken Strömung fortgerisien und an einem Pfeiler zertrümmert wurde. Der eine Insasse konnte gerettet werden, während der andere, der 19jährige August Köhler von Feuerbach, ertrank.

Gmünd, 21. Dez. Gestern vormittag ist in einem Hause der Rechbergstraße Feuer ausgebrochen; die Feuerwehr war rasch zur Stelle und brannte nur der Dachstuhl des betreffenden Hauses ab. Ent- pehungsursache ist unbekannt.

Reutlingen, 20. Dez. Gestern nachmittag ereignete sich in der mechan. Werkstätte von Lumpp und Greiner ein schwerer Unglücksfall, indem ein 18jähriger Mechaniker von einem Transmissionsriemen erfaßt und ihm der rechte Arm unterhalb der Schul­ter vollständig weggeriffen wurde.

Heilbronn, 20. Dez. Heute nacht passierte unter Führung eines Offiziers ein größerer Trans­port Pulver von Nottweil, für das Artilleriedepot in Magdeburg bestimmt, den hiesigen Bahnhof. Es kamen in letzter Zeit größere Sendungen dieses ge­fährlichen Transportgegenstandes nach der deutschen Ostgrenze hier durch.

Rottweil, 20. Dez. Gestern abend stürzte der auf den 8 Uhr Zug zum Bahnhof fahrende Post­wagen da, wo die Straße beim Kaufmann Hohen-

adel'schen Hause eine Biegung macht, um und erlitt starke Beschädigungen; die auf demselben sitzenden Bediensteten wurden abgeworfen und einer derselben, der Briefträger Rothmund, der auf den bedeckten Marktbrunnen geschleudert wurde, erhielt nicht unerhebliche Verletzungen.

Ravensburg, 17. Dez. Einem Bierbrauer ist ein Faß mit einem Sud Bier etwa 2000 Liter vom Wagen gefallen, wodurch der ganze Inhalt auslief. Der Fuhrmann wurde außerdem am Kopse schwer verletzt.

Freiburg> 19. Dez. Bei einer abgehaltenen Zwangsversteigerung in Nohmatt (Wiesenthal) kam es vor, daß ein Pferd für 10 eine Ziege dagegen für 15 ^ losgeschlagen wurde. Der Gaul, meint dieRundschau vom Feldbcrg", muß gewiß ein Prachtexemplar" sein!

Konstanz, 19. Dez. Ein schönes Beispiel treuen Z u sam m en h a l t e n s zwischen einem Offizier und seinem ehemaligen Diener und Kampfgenoffen berichtet derPfullend. Anz." : Im Kriege von 1870 diente Landbriefträger Schaudt in Pfullendorf in einem badischen Grenadier­regiment und war da Diener des Leutnants Fritzsch, mit dem er auch das Gefecht bei Nuits mitmachte. Dieser Tage nun erhielt Schaudt zu seiner großen Freude von seinem jetzt zum Major avancirten Leut­nant Fritzsch 25 zugesandt, um ihm so die Teil­nahme an der Nuitsfeier zu ermöglichen.

Frankfurt a. M., 23. Dez. Die Frkf. Ztg. meldet aus Konstantinopel, seit Mittwnch früh 4 Uhr findet ein fürchterlicher noch andauernder Kampf in und um Zeitun statt. Mustapha Pascha verfügt über 10,000 Mann und 14 Geschütze. Die Armenier sind 15,000 Mann stark. Viele Tote und Verwundete werden bereits gemeldet.

Hannover, 19. Dez. Eine furchtbare Gas- Explosion fand hier in dem Hause Nikolaistraße 18 statt. Es wird angenommen, daß das Kochgas Nachts nicht abgestellt war. Als die Dienstmagd heute Morgen mit einer brennenden Lampe die Küche be­trat, erfolgte die Explosion. Das Mädchen trug schwere Verletzungen davon. Das eiserne Thor wurde über die 17 Meter breite Straße in die gegenüber­liegenden Gärten geschleudert. In den benachbarten Straßen sind sämmtliche Fensterscheiben bis in das oberste Stockwerk geplatzt. Nur wenige Personen wurden verletzt.

Berlin, 20. Dez. Eine Gesellschaft pol­nischer Adliger hat vor Kurzem einen gemein­schaftlichen Jagdausflug nach Ost- und Süd- ostafrika angetreten, von dem sie erst im Juni nächsten Jahres zurückkehren wird. Es sind insgesamt 20 Großgrundbesitzer aus Galizien, Russisch-Polen und der Provinz Posen. Die Führung haben Graf Zamoyski aus Warschau und ein Graf Potocki auS Russisch-Polen übernommen. Aus der Provinz Posen gehört Graf Grudzinski aus dem Kreise Schroda der Reisegesellschaft an. Die Herren werden in Afrika 200 eingeborene Träger mieten, welche zusammen für 20000 ^ Geschenke erhalten.

Berlin, 21. Dez. Einer Meldung des Lokalanzeigers" aus Glatz zufolge wurde der Cere- monienmeister Schräder begnadigt.

B.erlin, 21. Dez. Wegen eines Artikels das allgemeine Ehrenzeichen" wurde derSozialist" vom 21. d. M. beschlagnahmt.

Berlin, 22. Dez. Der Kaiser leidet seit einigen Tagen an einer leichten Erkältung und wohnte aus diesem Grunde der gestrigen Negimentsfeier des 1. Garde-Feld-Artillerie-Regiments nicht bei. Erst um 5 Uhr nachmittags, als bereits alle Vorbereitungen beendet waren, lief die Absage ein und die Mann­schaften wurden wieder entlassen. Auch zu dem abends vorher bei dem Garde-Füsilier-Regiment ab­gehaltenen Herrenabend ließ der Kaiser in letzter Stunde wegen Unwohlseins absagen. Die Erkältung giebt indes zu Besorgnissen keinen Anlaß.

Schneidemühl, 23. Dez. Bei einer in Dziembowa abgehaltenen Treibjagd wurde ein Treiber durch einen angeschoffenen Hirsch aufgegabelt und aufgeschlitzt, so daß er bald starb.

Petersburg, 21. Dez. Die auf der Reise befindliche Gräfin Golewin und zwei Kinder ver­brannten im Eisenbahnwagen. Graf Golewin, der Buchhalter der kaiserlichen Bank ist, wurde gerettet.

Paris, 21. Dezember. Der parlamentarische' Arbeiterausschuß hat beschlossen, daß in Zukunft vor» den in Frankreich beschäftigten Arbeitern nur 10"/« Ausländer sein dürfen. Für den Fall, daß die Ar­beiten zur Nationalverteidigung dienen sollten, bleibew-'. alle ausländischen Arbeiter von der Arbeit aus­geschlossen.

Nom, 22. Dez. Zwischen dem 24. und 31. Dezember werden 10 weitere Bataillone von Neapel nach Afrika abgehen.

Zum Kapitel Notstand in der Land­wirtschaft entnehmen wir folgendes einem uns zugesandten Privatbrief:Wie für die schwer dar­niederliegende Landwirtschaft Abhilfe geschafft wer­den kann und soll, das liegt mir oft schwer auf! Es sind innerhalb derselben eben die Interessen widerstreitend. Hat man es mit einer bäuerlichen Bevölkerung zu thun, die über das eigene Bedürf­nis hinaus produziert wie etwa in Ober­schwaben mit seinen ausgedehnten Bauernhöfen, so ist natürlich ein möglichst hoher Preis der Frucht wünschenswert, ja notwendig, wenn der Bauer mit fremden Kräften arbeiten muß, sonst hat er Verlust. Ein wohlhabender mittlerer Bauer, der alles mit eigenen Kräften, erwachsenen Kindern, bewältigen kann, ist nicht so sehr auf hohe Preise angewiesen^, aber für den kleinen Mann, der mit dem Ertrag feiner Aeckerlein nicht reicht, sondern noch Brot kaufen muß, dem werden natürlich möglichst niedrige Preise das Erwünschteste sein; und doch können gerade für^ ihn die niedrigen Preise sehr verhängnisvoll werden. Denn bleiben die gegen früher sehr niedrigen Preise konstant, so hat das notwendiger Weise eine Ent­wertung der Güter zur Folge, und das muß auf' den bäuerlichen Kredit den nachteiligsten Einfluß aus­üben, der durch die Herabminderung der zu entrichten­den Steuer weit nicht ausgewogen wird. v. Caprivi, der Reichskanzlerohne Ar und ohne Halm" hat ja das große Wort gelassen ausgesprochen, der Bauer soll eben an seinem Vermögen an Gütern abschreiben lassen, wobei er kühlen Herzens zugegeben hat, daß da­durch die kleinen Existenzen vollends ganz zu Grunde gerichtet und nicht mehr zu retten seien; auch Neg.-R. B. ist in seiner Wahlrede dafür eingetreten, daß zur Entlastung der Landwirtschaft die Grundsteuerkataster erneuert und die Güter darin niedriger cingeschätzk werden sollen, damit die Steuerlast dadurch erleichtert würde. Allein was wäre die Folge? Wenn der Jude merkte, daß sein Kapitälchen nicht mehr ganz sicher stände, so ginge er rücksichtslos vor und sein Schuldner wäre kaput. Und nicht bloß die unseligen Juden, die kein Erbarmen kennen, wo ihr Vorteil ins Spiel kommt, würden viel Unheil anrichten, sondern auch die Institute, die zur Hebung der Landwirtschaft^ treibenden Bevölkerung geschaffen sind, kämen in eine peinliche Lage. Unser Darlehenskassenverein z. B. gewährt einen laufenden Credit auf */°tel der dar­gebotenen Pfandsicherheit, also auf 100 Ver­sicherung kann einer 80 ^ erheben. Was wäre nun die Folge, wenn auf einmal allgemein abge­schrieben würde? Die Sicherheit des Instituts er­forderte unbedingt eine höhere Sicherheit, und wenn diese nicht dargeboten werden könnte, Zurückziehung, des Darlehens. So komme ich in Betreff des kleinen Mannes, der noch Brot kaufen muß und auf seinem Besitztum Pfandfchulden hat, aus dem Zirkel nicht heraus: Er bedarf niedrige Fruchtpreise, daß er leberr kann, er bedarf aufs dringendste der Erleichterung von Steuern, die durch eine billigere Einschätzung seines Eigentums erreicht werden kann, und doch ist gerade das sein völliger Ruin. Kann eine Erleichterung der Steuer auch durch ein neues Steuergesetz mit Progressivsteuer, und zwar einer solchen, wo die Progression nicht da aushört, wo sie erst recht an­fangen sollte, erreicht werden, so ist damit dem Haupt­übelstand, der Entwertung des Eigentums, doch nicht abgeholfen."

Handm. Consum-Uerein Calw.

Anfangs Januar trifft ein Waggon Malz­keime ein und bitten wir unsere Herren Rechner, sowie größere Consumenten etwaige Bestellungen mög­lichst umgehend einreichen zu wollen, da wir ab Bahnhof den Preis etwas niedriger als vom Lager stellen können.

Der Vorstand:

L. Tingler, alt Adlerwirt.