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belgische Landesfischereiverein die Vergütung der Hälfte der Auslagen für eine Rückfahrkarte III. Kl. der Eisenbahn, sowie einen Betrag von 5 zu den Kosten des Aufenthalts in Hohenheim in Aussicht. Bezügliche Anträge sind mit der Anmeldung zu stellen. Stuttgart, den 25. Oktober 1895.

v. Ow.

Tagesneuigkeiten.

* Calw, 5. Nov. Am Samstag durcheilte die Trauerbotschaft unsere Stadt, daß Hr. Mädchen­schullehrer W. Roos plötzlich vom Schlage getroffen und gestorben sei. In welcher Achtung der Ver­storbene stand, dafür gab die heutige Trauerversamm­lung am Grabe ein beredtes Zeichen. Zum letzten Geleite hatten sich sämtliche Mädchenschulklaffen, die Kollegen von hier und auswärts, sowie eine sehr große Zahl leidtragender Freunde eingefunden. Der hochgeehrte und vielgeliebte Entschlafene hat 28 Jahre in unserer Stadt gewirkt. Durch sein einfaches, lieb« reiches und bescheidenes Wesen, durch seine innige Liebe zur Jugend und zu seinem Stand, durch sein väterliches Walten in der Schule nahm er alle Her­zen für sich ein. Er besaß große Kenntmffe in der Musik und eine innige Neigung zum Gesang; 8 Jahre lang war er Leiter des Kirchengcsangvereins und seine Leistungen wurden allgemein anerkannt. Be­sonders lag ihm das Gedeihen seines von ihm ge­gründeten Schülerchors am Herzen. Oft hat er mit seinemChörle* die Gottesdienste durch Gesang ver­herrlicht und manches wohlgelungene Konzert gegeben. Wegen seiner Verdienste um den Gesang wurde er zum Ehrenmitglied des württ. ev. Kirchengesangver­eins ernant. Am Grabe sprach H. Dekan Braun, H. Stadtpfarrer Schmid, der Bruder Pfarrer Roos in Mötzingen, und Oberlehrer Dengler. Die Lehrer des Bezirks, der Kirchengesangverein und die Schulkinder sangen Traucrlieder. RooS war ein aufrichtiger, edler, frommer Charakter ohne Falsch; sein Andenken wird in hiesiger Stadt nicht verlöschen.

r. Deckenpfronn, 3. Nov. Gestern abend 7 Uhr wurden die hiesigen Wähler ganz unverhofft mit dem Besuch des Kandidaten der Volkspartei, Hrn. Schuster von Deufringen und einigen Herren von Calw beehrt. Um 8 Uhr war durch die Rührigkeit des hiesigen Volksvereins bereits eine zahlreiche Wähler- Versammlung im Gasthaus z. Krone beisammen, in welcher Hr. Schuster sein Programm begründete und erläuterte. Dasselbe ist nun bekannt und braucht hier keiner Wiederholung. Eins aber ist bemerkens­wert, daß bei der Versammlung einer der ersten Führer der Volkspartei des Calwer Bezirks erklärte, daß man eigentlich über die seitherige Thätigkeit des Freiherrn von Gültlingen als Abgeordneter des Reichstags nicht klagen könne, sein Verhalten im Reichstag habe auch die Volkspartci befriedigt, nur sei derselbe eben ein Edelmann und Beamter; aus diesem Grund habe die Volkspartei einen Mann aus dem Volk auf­gestellt.

Nagold, 3. Nov. Das Wahlkomite der schwäb. Volkspartei hatte auf heute die Wähler eingeladen zu einer Wahlversammlung in die alte Sautterei*. Daß bei weitem nicht die Mehrzahl der Anwesenden demokratisch gesinnt war, bewies der Verlauf der Versammlung. Fabrikant Karl Reichert

führte den demokratischen Kandidaten ein. Mit wenigen Worten umschrieb dieser selbst sein Programm. Man bekam den Eindruck, daß Herr Kandidat Fritz Schuster ein biederer Landwirt, Müller und Bier­brauer sein könne, im übrigen seinen starken Rückhalt werde suchen müssen an der Partei und den Rednern hinter und vor ihm. Verblüffend wirkte nur ein Satz in seiner kurzen Rede anläßlich der Staffel­tarife:Wir in Württemberg werden von Preußen behandelt nicht wie ein Bruder­stamm, sondern wie eine unterjochte Pro­vinz.* Und das nach 1870! Als Hauptredner war der in weiten Kreisen als brillanter Redner be­kannte Herr Konrad Haußmann, Rechtsanwalt aus Stuttgart, erschienen. Er sprach 2'/', Stunden. Von Hrn. v. Gültlingen, dem Kandidaten der natio­nalen und staatserhaltenden Parteien, war im Grunde weniger die Rede als von Herrn v. Hammerstein, den kein Mensch hier wählen will, von Stöcker, von Majestätsbeleidigung (was hier auch nicht vor kommt), vom württ. Landtag, Hegelmaier u. a. Das Schlimmste, was Herrn v. Gültlingen vorgeworfen wurde, war, daß er von Adel sei und auf dieses Geburtsrecht nicht freiwillig verzichte. Daß er am 10. März 1893 für Reform einer Mililärstrafprozeßordnung auf Grund des öffentlichen und mündlichen Verfahrens im Reichs­tag als Redner eingetreten sei, konnte auf Vorhalt nicht geleugnet werden. Zum Schluß wandte sich Redner in dichterischem Schwung an die Nagolder, sie möchten den demokratisch-freiheitlichen Gedanken auch zum Durchbruch bringen, wie in Hirsau der junge, schöne Baum die Decke des Klosters durch­brochen habe. Schade, daß dem Redner sofort er­widert werden mußte, daß nicht die Ulme, sondern die Franzosen einst das Doch dort abgedeckt haben! Von dem, was die Wähler in unseren ländlichen Verhältnissen am allermeisten bewegt und bedrückt, von der wirtschaftlichen Not der Land­wirtschaft und des Gewerbes sprach Herr Hauß­mann keine Silbe. Darauf kam dann in sehr verständlicher, zu Herzen gehender Weise Land­tagsabgeordneter und Redakteur Schrempf zu reden. Er hatte sich auf Einladung verschiedener Bürger zur heutigen Versammlung eingefunden. Die Demokratie sei, sagte er, im Grunde ihres Herzens freihändlerisch und gegen den Zollschutz der Produkte des Bauern und Gewerbetreibenden. Herr v. Gültlingen sei für den Schutz der Land­wirtschaft eingetreten. Herr Fabrikant Schaible gab kurz und eindrucksvoll namens der natwnal fühlenden Bürgerschaft die Erklärung ab, daß die Wähler des Hrn. von Gültlingen mit ihm als einem überaus fleißigen, gewiffenhaften, volksfreundlichen und erfahrenen Vertreter des Wahlkreises durchaus zufrieden seien und daß sie treu bleiben werden. Prof. Wetzel verlas noch aus demBeobachter* Nro. 177, 31. Juli d. I. das Zugeständnis der demo­kratischen Presse:Im Landtag galt Frcih. v. Gült­lingen immer als einer der wenigen Privilegierten die noch die Selbständigkeit der Ueberzeugung entschieden vertreten u.s.w." Zugleich berichtigte er die Behauptung der Demokratie, daß die meisten Angehörigen der Reichspartei, der Hr. v. Gültlingen angehört,Adelige* wären, dahin, daß thatsächlich unter 28 Mitgliedern 7 Adelige und 21 Bürgerliche seien. Endlich bat er noch um Aufschluß über die

Richtigkeit einer in einem zufällig im Lokal befind­lichen Flugblatt stehenden Notiz: es gehören dem engeren Ausschuß der schwäbischen Volkspartei 8 Ad­vokaten und 6 Juden an. Hr. K. Haußmann konnte und wollte diese Zahlen nicht leugnen. Im ganzen verlief die Versammlung ziemlich ruhig. Der Wahl­kampf wird ein harter werden. Möge jeder nach Pflicht und Gewissen bei der Abstimmung handeln und erfüllt sein von der Gesinnung, der Herr Karl Reichert in dankenswerter Weise dahin Ausdruck gab: Es lebe das Vaterland*. (Gesellsch.)

Wahlkampfblüten. DerNeue Albbote* sitzt in seinem Ebingen zwar weit vom Schuß, so schreibt dieWürtt. Volkszeitung", er will aber doch auch dem volksparteilichen Kandidaten im 7. Wahlkreis Wasser auf seine Mühlen treiben. Mit Kleinigkeiten, wie mit programmatischen Erörterungen, giebt er sich freilich nicht ab. Er nimmt den Mund gleich recht voll und donnert den Bauern des 7. Wahl­kreises wutentbrannt einen aus der hintersten Rumpel­kammer volksparteilicher Rhetorik hcrvorgeholten Bombenunsinn ins Gesicht.Ja Bauer, paß wohl auf! Für den rückwärts drängenden, mit Privilegien ausgestopften, auf Sonderrechte beharrenden, auf Volks­verdummung hinarbeitenden, die Steuern dem Volk aufbürdenden Geld- und Titcladel warst du bisher als Stimmvieh und sonst nichts weiter ganz recht, du wirst cs aber, da du es gemerkt und bittere Erfahrungen gemacht hast, heute nicht mehr wollen. Darum rafft euch auf, Männer des Volkes, und gebt dem Adel den Laufpaß, ihm, der so gerne die altem Zustände der Leibeigenschaft wieder haben möchte." Herr v. Gültlingen ein Vorkämpfer der Leibeigen­schaft! Mehr kann man nicht verlangen. Weißt du was, edlerNeuer Albbote", wenn Herr v. Gültlingen ein Vorkämpfer der Leibeigenschaft ist, dann ist Herr Schuster von Deufringen ein Anarchist das eine ist so wahr wie das andere!

Eingesandt.

In der Kammersitzung vom 7. März 1895^ sprach Herr Kunstmüller Schweikhardt, der be­kannte volksparteiliche Abgeordnete, sich über den Zu­stand in der Landwirtschaft mit folgendem Worten aus:

Auch er glaube die Landwirtschaft zu kennen. Ihre Lage sei heute nur in düstern Farben geschildert worden. Insbesondere sei auch die Unverkäuflichkeit des Getreides hervorgehoben und dies darauf zurück­geführt worden, daß die Kunstmüller es vorzögen, auswärts zu kaufen. In Wirklichkeit werde jeder Bauer jederzeit seine Frucht verkaufen können, wenn er ein wahlfähiges Produkt habe. Diese Notstands­klagen seien auch nicht auf unserem schwäbischen Boden gewachsen, sondern importiert worden vom Norden. Wenn die Lärmtrommel nicht so durchs ganze Land gerührt worden wäre, so würde die Landwirtschaft sich nicht so viel beklagen.*

Später hat Herr Schweikhardt von solchen Sachen geschwiegen. Es sei ihm von dem oberen Führer der Volkspartei verboten worden, die Ge­sinnung der Leitung der Volkspartei gegenüber dem Bauernstand so offen mitzuteilen. 0.

Sparen Sie den Schuß, ich habe «inen anderen AuSweg gesunden.* Mit zwei Sätzen stand er vor dem Gutsherrn, welcher, die Hände in der Hosentasche frohlockender Miene abseits am Thorweg lehnte und nun erschreckt in die Höhe fuhr, als der Lieutenant ihm den Revolver vor die Stirn hielt. Sofort hielten die Schurken mit Werfen ein und erwarteten, was mit ihrem Herrn geschehen würde.

Herr!* rief unser Lieutenant mit Donnerstimme, »lassen Sie nicht sofort das Thor öffnen, oder wird einer meiner Leute von den Ihrigen verwundet, schieße ich Ihnen eine Kugel durch den Kopf.'

Da» zog! Der MoSje erblaßte und erfaßte krampfhaft eine Spalier-Latte an der Mauer, um sich vor dem Umsinken zu schützen.

Wieder lief ein dumpfes Gemurmel durch die Reihen der Franzosen, man wagte aber nicht, das Bombardement wester fortzusetzen, wohl wffend, daß das den Tod ihres Herrn unbedingt zur Folge haben würde. Selbst der Kerl, welcher sich der Flinte bewaffnet hatte und diese in demselben Moment anlegen wollte, als der Lieutenant auf den Gutsherrn zusprang, ließ von seinem Vorhaben ab, als er sah, daß sich der Lauf meiner Büchse blitzschnell auf ihn richtete; sie warm doch für ihr bischen Leben bange, die Schurken. Feig trat der Kerl hinter die Mauer und brachte sich so in Sicherheit.

VH.

Noch immer herrschte eine unheimliche Spannung hüben und drüben, Jeder­manns Blick hing an den Lippen des Gutsherrn, wie würde dieser sich aus der ge­fahrvollen Lage ziehen?

Die Lippen fest aufeinander gepreßt, stand der Urheber des meuchlerischen Überfalls da. Seine Augen glühten in tödlichem Haffe und streiften mit Verachtung die feige Schaar, welche er durch sein unsinniges Treiben zu gemeinen Mördern hatte stempeln wollen.

Der Offizier wiederholte seine Aufforderung bezüglich des öffnenS des Thores. Kein« Antwort.

Gut, dann werde ich Sie zwingen,* rief der Lieutenant.Ich gebe Ihnen fünf Minuten Zeit, ist während dieser das Thor nicht geöffnet, schieße ich.' Der Lieutenant zog mit der linken Hand seine Uhr hervor, die Mündung des Revolvers befand sich dabei nach wie vor vor dem Gesichte des Franzosen.

Die Leute des Gutsherrn wurden jetzt unruhig; soviel ich aus ihren Reden entnehmen konnte, billigten viele die Handlungsweise ihres Herrn nicht. Der großen Mehrzahl nach schienen sie dcs Deutschen mächtige Elsaß-Lothringer zu sein, da sie die Worte des Lieutenants unter sich wiederholten, also auch verstanden haben mußten. Einige ballten die Fäuste und machten Miene uns anzugrcifen, wurden aber von den Übrigen, den Vernünftigeren kann man sagen, daran verhindert. Man rief nach einer Minute laut nach der Gutsherrin, da der Gatte dieser noch immer auf seiner Stelle verharrte und mit haßerfüllten Blicken in die Augen seines Gegners blickte, aber kein Sterbenkwöitchen von sich gab, keine Hand rührte, um dem Befehle des OsfisierS Folge zu leisten. Die Aufregung unter den Insassen des Guts stieg endlich auf das Höchste, als nach weiteren zwei Minuten keine Änderung in der Haltung der beiden Männer eingctreten war. Diele weniger beherzte Männer schlichen sich davon, um nicht Zeuge einer entsetzlichen Scene in den nächsten Minuten zu werden, andere wieder eilten in das GutShauS, die Herrin zu holen, Alle aber waren sitzt der Überzeugung, daß ihr Herr und Gebieter sich eher eine Kugel durch den Kopf schießen ließ, als daß er daS eiserne Thor öffnen würde.

Ncch einmal machten die Franzosen Anstalt, ihrem Herrn zu Hülfe zu eilen, ein Haufen von circa fünfzig Mann drang vor und erhob die Waffen, um sich auf unS zu stürzen. Aber Schulter an Schulter erwarteten wir sie, den Rücken durch den Wagen gedeckt.

Kommt nur näher, Himmelhunde,' schrie unser Ostfriese und schwang seinen mächtigen Pfahl wie eine G.rte, während mein rechter Zeigefinger sicher am Drücker des Gewehrs ruhte. Sie wagten eS nicht, keiner wollte der erste zum Angriff sein^.

(Fortsetzung folgt.)