Samstag
Beilage z« Ur. 130.
2. November 1895.
/Nachdruck arrboten.I
Kviegs-Kr^innevnngen
von Th. Schmidt.
III. Auf Requisition.
(Fortsetzung.)
Bald hatten wir die Anhöhe vor Hagondange erreicht. Von hier aus bot sich uns eine herrliche Aussicht auf Metz. Da lag sie. die stolze Feste, vor unseren Blicken! Hell leuchtete die Spitze der Kathedrale ins Land. Hier und da stiegen Heine Rauchwölkchen auf, zum Zeichen, daß beide feindliche Heere sich noch in ungeschwächter Kraft um den Besitz ver stolzen Festung stritten. Wie lange noch und sie mußte sich ergeben — zum ersten Male seit ivrem Besteven.
Der Lieutenant sprang vom Wagen und hieß die Fahrer ins Dorf hinunter fahren und vor dem Hause des Maire auf ihn warten. Ich folgte seinem Beispiele und sprang ebenfalls von dem Mörtelkasten hinunter.
„So, nun wollen wir uns erst eine Havana anbrennen.' sagte der Lieutenant, „auf dem vermaledeiten Kasten vergeht einem alle Lust zum Rauchen, das schaukelt und flößt, daß einem der Magen sich umkrempen sollte. Lasten Sie die Leuts nur fahren, ein Schwein finden wir doch nicht, wollen lieber den köstlichen Anblick von dieser Stelle aus genießen.*
Wir lagerten uns an einer kleinen Anhöhe und hingen unfern Gedanken nach. ES war ein herrlicher Herbsttag, die Luft hell und klar.
Wie friedlich und still lag die Landschaft vor unseren Blicken da! Links schlängelte sich die Mosel wie ein silbernes Band durch das Thal, rechts hatten unr die Aussicht auf Fort St. Quentin, das Moselfort und Les Carnöres, und hätten uns die zu unseren Füßen hinz>ehenden Militair-Colonnen und der dumpfe Schall der Geschütze von den sieben mächtigen Forts um Metz nicht daran erinnert, daß sich hier zwei mächtige Gegner schon seit Monaten im erbitterten Kampfe gegenüberstanden, so wäre kein Mißton in die friedliche Stille der Natur gefallen. Aber die Erinnerung der letzten Wochen, das wilde Kampfgetöse, der Verlust so manches braven lieben Kameraden, goß einen bitteren Tropfen Wermut in den G.nuß deS Augenblicks. Wie mancher brave deutsche Krieg.r ruhte hier in dem stillen Thal zu unseren Füßen! Wie viele Opfer mußten noch gebracht werden, ehe der fränkische Hochmut gebrochen war! Dort drüben jagten in diesem Augenblicke wieder die Batterieen in die sichere Position, um den vordringenden Feind zurückzuhalten, ertönten Alarmsignale auf der ganzen Linie, zum Zeichen, daß der Feind nahe, spielten di« Geschütze von den Forts, in vermehrter Heftigkeit ihre verderbenbringenden Geschoß« in die Reihen der Kameraden schleudernd. Wie lange noch wird das Spiel dauern, fragte ich mich, und wozu nützte cS, da an ein Durchbrechen durch die Reihen der deutschen Truppen nun und nimmermehr zu denken ist?
„Auf der andern Seite der Mosel scheint es heiß her zu gehen", meinte der Lieutenant, durch sein Fernrohr sehend.
„ES scheint, als wenn die Franzosen bei Noiffeville noch einmal durchzubrechen suchten", «ntgegnetr ich.
„Jawohl, nun, da können sie noch einmal Keile bekommen. Schade, daß ich nicht dabei sein kann, und daran ist dieser verwünschte Befehl — diese Schweinerequisitton schuld", sagte grollend der Lieutenant.
Wir beobachteten nun jede Bewegung von Freund und Feind. Nach einer halben Stunde wurde das Geknatter des Kleingewehrfcuers. der Donner der Geschütze schwächer — die Rothoscn waren wieder einmal abgeblitzt. „Wohl bekomm'S ihnen", meinte der Lieutenant.
Wir gingen nunmehr hinunter ins Dorf. Unser Karren — anders kann man diese elenden französischen Wagen nicht nennen — stand vor dem Hause deS Maire. Die vier Kanoniere waren bereits auf der Suche nach einem Schwein.
AIS wir dem Maire unfern Wunsch zu erkennen gaben, sah er uns mit seinen kleinen verschmitzten Augen verwundert an.
Ein Schwein, un coebvv, monsienr 1e eapitaive? Ah I Sie scherzen", antwortete der kleine Mann >m lothringischen Dial'kt mit französischen Brocken untermischt.
„Durchaus nicht. Ich befehle Ihnen, binnen einer Stunde ein Schwein zur Stelle zu schaffen", sagte der Offizier ,n strengem Tone.
„DaS ist unmöglich, sein uns iwpoLLlbilitS! 8vI6»t k'ran^.ais, svläat krussieu sein ioi gewesen — Alles surt, furt! Nix Pferd, nix vaebes, nix Schwein, nix xoulss, nix."
„Schon gut, schon gut", unterbrach ihn der Lieutenant. .Kennen wir, ist die alle Geschichte; wenn man nach Lebensmitteln fragt, rädern die Herren Franzosen eine ganze Scala von dem, was sie nicht besitzen wollen, mit einer staunenswerten Geläufigkeit herunter. Werden selbst im Dorfe Nachsehen, wehe Ihnen, finden wir daS Gewünschte."
Unter allen möglichen Beteuerungen seiner vollständigen Ratlosigkeit, unser» Wunsch zu erfüllen, begleitete uns der kleine Franzose noch eine Strecke Weges. Dann begannen wir auf eigene Faust nach Schweinen zu suchen. Der Lieutenant nahm di« rechte, ich die linke Seite der Dorfstraße. Die meisten Häuser standen leer und boten einen trostlosen Anblick. DaS Einzige, was noch zu requiriren gewesen wäre, war Heu und Stroh, beides brauchten wir nicht, ein Schwein war
nirgends zu finden. Ja der Mitte deS Dorfes stützen wir auf unsere Leute; auch diese hatten kem Boiste, tier finden können.
„Wenn wir 'nen Schwein haben wollten", sagte einer der Kanoniere, ein stämmiger Ostftiese. „müßten wir nach dem Gute fahren, das müten »m Wilde, eine kleine Stunde Weges von hier liegen soll," dabei zeigte er in der Richtung, in welcher das Gut liegen sollte; er hätte soeben von einem Einwohner des Dorfes gehört, daß das Gut. seiner versteckten Lage wegen, gar nicht von den durchziehenden Truppen helmgesucht sei.
Wir überlegten. H'tt« der Franzose die Wah'heit gesprochen, oder wollte er uns m einen Hinterhalt locken? Letzteres war nicht unwahrtchemlich. Jndeß wir waren unser acht, die keine Furcht kannten, obgleich wir keine Waffen, als nur den R volver deS Lieut nantS, bei uns führten.
.Wir wollen's v rluchen,' meinte der Lieutenant, „finden wir das Gewünschte, gut, >m anderen Falle können wir uns wohl gegen die paar L ute auf dem Gute verteidigen."
rv.
In kurzer Zeit befanden wir uns auf dem Wege nach dem GutShofe. Um sicher zu gehen, nahmen wir einen Blousenmann mit, sonst hätten wir aber auch lange suchen können, der Gutshof lag in der That vollständig isolirt und versteckt im Walde.
Als wir bald im scharfen Trabe auf die stattliche Besitzung fuhren, trafen wir lauter verdutzte Gesichter an, es schien als hätten die Bewohner derselben noch keinen Preußen gesehen. Als wir hielten, kamen uns der Besitzer und seine Frau mit einer mir gar nicht sympathischen Freundlichkeit entgegen und fragten nach unserm Begehr. Der Mann sprach gebrochen deutsch, die Frau schien nur des Französischen mächtig. Der Lieutenant nannte den Zweck unseres Erscheinens. Der Franzose zog mit dem Ausdrucke des Bedauerns die Schullern in die Höhe und meinte, daß wir unS den Weg hierher hätten sparen können, sein Gut sei arg mitgenommen fest dem Ausbruch des Krieges, an Lebensmitteln besäße er nur noch für sich und seine Domestiken das Allernotwendigste.
„DaS kann ich nicht so ohne Weiteres glauben, ich habe Veranlassung, Ihre Worte zu bezweifeln," entgegnet« der Lieutenant, sich der Angabe des Mannes in Hagondange erinnernd.
Über das Gesicht des Franzosen flog ein finsterer Schatten, einen Moment blitzte das dunkle Auge in zorniger Erregung. Aber er bezwang sich; in auffällig freundlichem Tone gab er uns zu verstehen, daß es uns ja frei stände, nachzusehen. Dann winkte er einem seiner Knechte, welche inzwischen herzugetreten waren, und sagte ihm: „Führe die Herren durch die Ställe, Jean. Sie, Herr Capitain, werden sich wohl an der Besichtigung meiner Lokalitäten nicht beteiligen, und bitte ich Sie, unterdes ein Glas Wein mit mir zu trinken." Diese Aufforderung schien aber der Madame nicht zu gefallen, eben wollte sie protestieren, da traf sie ein vielsagender, mir nicht entgangener Blick des Gemahls, worauf sie knixend davonging, wahrscheinlich, um für einen Imbiß zu sorgen.
Der Lieutenant nahm das Anerbieten des Franzosen an, befahl den Kanonieren nach einem Schwein zu suchen, während die beiden Fahrer bei den Pferden bleiben und jedes verdächtige Zeichen auf dem Gute ihm sofort melden sollten.
Ehe der Lieutenant mit dem Franzosen ging, winkte ich ihn bei Seite und flüsterte ihm leise zu, daß ich ihn auf alle Fälle begleiten würde, der Franzose führe nichts Gutes gegen ihn im Schilde.
„Für diesen Fall ist gesorgt," meinte er lächelnd, „in meinem Revolver stecken sechs Kugeln."
„Und trotzdem muß ich Sie dringend bitten, auf Ihrer Hut zu sein, ich sehe da auffallend viele Knechte und Arbeiter — wer weiß, ob die nicht aus dem zum Gute gehörigen Dorfe herbeigezogen sind, um jedem Preußen, der es wagt, sich hier sehen zu lasten, das Lebenslicht auSzublasen."
„Nun, dann kommen Sie mit," sagte Lieutenant R. „Ich glaube, Sie sehen Gespenster, wo keine sind — na, besser ist bester," fügte er hinzu.
Wir folgten nun dem Franzosen ins Haus. Die Frau desselben hatte bereits einige Flaschen Wein und einen Imbiß aufgetragen. Im Innern des HauseS, soweit ich eS flüchtig übersehen konnte, zeugte Alle« von einer gewissen Wohlhabenheit und sah in nichts den andern Häusern ähnlich, welche von der wilden Furie Krieg berührt wurden. Ehe wir uns setzten, gab unser gastfreundlicher Franzose mit einem verstohlenen Seitenblick auf uns einem Diener einen leisen Befehl; auch das erregte mein Mißtrauen, während das Alles dem Lieutenant zu entgehen schien.
Während wir uns um den Tisch setzten, sah ich mich nach einem Gegenstand« im Zimmer um, welcher mir bei emem etwa geplanten Überfalle der Franzosen zur Waffe dienen könnte, da, wie ich schon erwähnte, außer dem Lieutenant, Niemand von uns eine Waffe mitgenommen hatte. DaS Z mmer war eine Art Jagdzimmer; an der Wand hinter mir hingen zwei gekreuzte Fangmester und ein Doppellader, sowie verschiedene andere Jagdgerätschaften; ein Griff genügte, um eine dieser Waffen an mich zu reißen. Auch setzte ich mich so, daß ich alle Vorgänge auf dem Gutshofe durch das Fenster beobachten konnte.
Der Franzose schenkte uns auS einer Flasche Rotwein ein, er selbst nahm Rheinwein, welcher, wie er äußerte, sein LieblmgSgetränk sei. Dabei schwatzte er von dem bösen Krieg, von der baldigen Entsetzung Metz'«, von Niederlagen der Deutschen vor Paris und wie daS unsinnige, ihm durch falsche Nachrichten zu- grtragene Zeug mehr hieß. (Fortsetzung folgt.)