Samstag

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Beilage zu-Nr. 112.

21. September 1895.

e re ett ^ t ^ rr, IN-ch^ruck verboienq

Onkel Gerhard.

Erzählung von Marie Widdern.

(Fortsetzung.)

Doktor Schmieden?" sagte sie nun mit leiser Stimme. Dann reichte sie ihm die feinbehandschuhte Rechte.Mein Anblick kann Ihnen nicht überraschender sein, als mir der Ihre, noch dazu in der Uniform!"

Immer noch hing sein Auge in grenzenlosem Staunen an der eleganten Erscheinung des Mädchens, dessen Gesicht wie durch ein Zaubermittel höchst an­ziehend geworden war. Auch Hermines Art und Weise zu sprechen und sich zu bewegen, war, wie wir ja bereits wissen, eine ganz andere als früher. Freilich, die Rätin hatte eS Guido ja längst gesagt, daß das Mädchen ernsthaft an sich gearbeitet habe. Aber auf solch eine Metamorphose war er nicht gefaßt gewesen, sie machte ihn geradezu verlegen, so daß er vergaß, die Rede seiner Braut zu beantworten und Hermine von neuem das Wort ergreifen mußte.

Ich wußte gar nicht, daß auch Sie der Armee angehören," sagte sie.Man sprach mir nie davon und geschrieben haben Sie es mir auch nicht. Doch wo­hin führt Sie jetzt Ihr Weg? Wir können hier unmöglich länger stehen/ setzte sie hinzu,überdies wartet die Droschke auch schon geraume Zeit auf mich/

Ich wollte mein Quartier aufsuchen und dann zu Mittag speisen. Doch hat eS damit keine Eile, und ich werde mir erlauben Sie auf dem Wege zu be­gleiten. Darf ich nun also meinerseits fragen, wohin Sie zu fahren gedenken?"

Hermine war unter den letzten Worten ihres Verlobten in die Droschke ge­stiegen. Mit einer einladenden Handbewegung veranlaßte sie ihn jetzt, ihr zu folgen.

Zunächst nach einem guten Hotel/ erwiderte sie nun.Gegen meine Ab­sicht muß ich ja den Tag noch in D. zubringen. Sie sind hier wohl schon bekannt/ setzte sie hinzu,bitte, geben Sie dem Kutscher Ordre, wohin er fahren soll/

Guido kam sofort ihrem Wunsche nach. Das Hotel, welches er dem Rosse­lenker als Ziel seiner Fahrt genannt, war das vornehmste am Orte, lag aber von seinem augenblicklichen Halteplatz ziemlich weit entfernt.

Mit einem Peitschenschlag, lautem Hui und Hott^ßte der Droschkenkutscher die Pferde in Bewegung, und die Verlobten saßen gegenüber.

Es war doch ein merkwürdiges Brautpaar. Die zwei Menschen, die sich doch für das Leben verbinden wollten, sprachen kein zärtliches Wort mit einander, ja, eS vergingen sogar mehrere Minuten, ehe sie überhaupt das peinliche Schweigen unterbrachen. Dann erkundigte Guido sich nach dem Befinden des zukünftigen Schwiegervaters und wie es Tante Betty ergehe; endlich fragte er Hermine auch nach der Veranlassung zu dieser Reise.

Ruhig, mit den Allüren einer Dame von Welt, gab sie ihm auf jede seiner Fragen Bescheid. Als sie dann auch erzählte, daß sie mit der Familie Barnstedt, zu welcher sie natürlich auch die Rätin rechne, ein Zusammentreffen im Seebade verabredet habe und nun durch das Versprechen, welches sie dem armen Weibe von vorhin gegeben, verhindert würde, sofort nach Z. zu fahren, lächelte Guido und meinte, daß er jetzt begreife, weshalb Bornstedt ihn ersucht habe, noch einige Tage mit seinem Schreiben nach dem Nosenhof zu warten.

Wieder saßen sich die Verlobten ein paar Minuten schweigend gegenüber. Dann war es Hermine, welche sich der Unterhaltung annahm. Mit erzwungener Beredsamkeit schilderte sie ihre Beziehungen zu den Bewohnern der Villa auf dem Kietz und setzte mit leise vibrierender Stimme hinzu:Ich habe den lieben Menschen unendlich viel zu verdanken. Sie lehrten mich nicht nur die Pflichten kennen, welche wir gegen unsere nächsten Angehörigen zu erfüllen haben, sondern ließen mich auch im Austausch der Gedanken begangene Fehler einsehen und die Überzeugung ge­winnen, daß daß eine wahrhaft moralische Ehe unbedingt auf dem Fundament gegenseitiger Liebe ruhen muß/

Ihre Brust hob sich wie in qualvollem Weh, als sie ihm dieses Bekenntnis gemacht. Die großen grauen Augen senkten sich dabei, und die ganze Erscheinung de« Mädchens, welches auch er noch vor wenigen Monden einMonstrum" ge­scholten, eineKarikatur", hatte in diesem Moment etwas so rein Frauenhaftes, fast Demütigendes, daß auch Guido sich staunend fragte:

Wie ist eS möglich, daß sie sich auf diese Weise verändern konnte?"

Doch als er jetzt die Lippen öffnete, um ihr seine Erwiderung zu geben und dabei die Rechte auf den Arm des Mädchens legte, hob Hermine wie beschwörend die Hand.

Nicht unterwegs, Herr Doktor! Was wir uns sagen wollen, sagen müssen, kann nur im stillen Zimmer gesprochen werden. Seien Sie im Hotel auf ein paar Minuten mein Gast, damit es endlich zu voller Klarheit zwischen uns kommt/

Er sah sie verwundert an. Aber sonderbar, wie ihm die Ahnung kam, daß sie vielleicht die Absicht habe, das unnatürliche Verhältnis zu lösen, in welchem sie zu dem Verlobten stand, bemächtigte sich seiner Seele ein Gefühl grenzenlosen Un­behagens. Nicht weil er das Zurückzahlen der Kapitalien fürchtete, die Herr Lutter seinem Vater geliehen, denn das konnte ihm jetzt nicht mehr schwer fallen, nun er so unerwartet der gesuchteste Arzt in C. . . geworden, sondern aus einem ganz andern Grunde. Wie in einer Offenbarung war ihm plötzlich die Überzeugung ge­kommen, daß Hermine eine gar liebe Gefährtin werden müsse, die ihn Clemence nicht vermissen lassen würde.

Natürlich verriet Guido von all diesen Empfindungen im Moment kein Wort. Sie hatte ihn jaschweigen" geheißen, bis sie sich im stillen Gemach gegenüber­ständen.

Aber auch dieser Moment kam. Bald war das Hotel erreicht, sahen sich die Verlobten in einem elegant eingerichteten Zimmer.

DeS grauen Staubmantels entledigt, hoch und doch in voller weiblicher An­mut, stand das Mädchen nun dem Doktor gegenüber, sekundenlang schweigend und den Blick gesenkt. Dann hob sie die Augen. Es flimmerte in ihnen. Waren eS Thränen? Thränen, die sie dem Manne weinen wollte, von dem sie in dieser Stunde Abschied zu nehmen gedachte für alle Zeit?

Herr Doktor," sagte sie dann,wenn uns der Zufall nicht so weit der beiderseitigen Heimat hier zusammengeführt hätte, würden Sie brieflich erfahren haben, was Sie jetzt von meinem Lpprn hören sollen. Still! Ich bitte, lassen Sie mich ausreden," setzte sie hinzu, als er sie unterbrechen wollte,denn ich darf nicht schweigen, wenn ich nicht jede Selbstachtung verlieren will."

Nun gut, so sprechen Sie, Hermine. Ich will Ihnen aufmerksam zuhören. Aber hernach müssen Sie Gleiches mit Gleichem vergelten. Denn auch ich habe Ihnen manches zu sagen/

Sei eS so," entgegnete sie leise. Dann aber bezwang sie sich und begann mit fester Stimme:Seitdem Sie mich an unserm Verlobungstage verließen, ahnungs­los, daß Sie nicht mehr nach dem Nosenhof zurückkehren würden, bin ich auch innerlich eine ganz andere geworden. Das häßliche Begebnis auf der Straße in Kronberg, das grausame Urteil des jungen Mädchens über mich, dem ich mein Ohr nicht verschließen konnte, hatte jäh einen Schleier zerrissen, der auf meiner Seele lag, und ich wußte plötzlich, daß man recht hatte, mich eine .Karikatur' zu nennen. Aber nicht nur meine verunstaltete Außenseite erschien mir nun im wahren Lichte, ich erkannte auch, wie ich mich an meinem Innern versündigt, und verlangte, gut zu machen, was ich unwissentlich verbrochen. Tante Betty zunächst und später Clemence standen mir in diesem Streben treulich zur Seite. Mehr und mehr bildete sich mit ihrer Hülfe der niedergedrückte Geist, und je weiter ich fortschritt auf dem Wege der Bildung, desto beschämender fühlte ich, wie ich vor Ihnen gestanden, und immer mehr drängte sich mir der Wunsch auf, Sie möchten nach dem Rosenhof kommen, um die Veränderung zu sehen und zu empfinden, die mit mir vorgegangen. Aber konsequent wiesen Sie jede diesbezügliche Einladung meines VaterS zurück und ließen cs nach wie vor bei den Briefen bewenden, in denen ich vergebens nach einem Worte suchte, das mir von erwachenden freundlichen Gefühlen gesprochen hätte. Freilich, ich hatte ja selbst zu Ihnen gesagt, daß Sie sich keine Mühe geben dürfen, mich glücklich zu machen, das Glück läge für mich nur in treuer Pflicht­erfüllung.

Hermine seufzte tief auf. Aber wieder gestattete sie nicht, daß Guido sie unterbrach, sondern fuhr fort:

So kämpfte ich innerlich mit bitteren Schmerzen. Endlich aber rang ich mich doch zu einem Entschlüsse empor. Ich sprach mit dem Vater und gestand ihm alle Qualen meiner Seele. Er hörte mir geduldig zu. Als ich geendet, ging er zu seinem Schreibtisch und entnahm demselben die Schuldscheine seine« verstorbenen Freundes, welche auch Ihre Unterschrift trugen. Ohne sich einen Moment zu be­sinnen, riß er die bedeutungsvollen Blätter in kleine Stücke, welche er in mein« Hand legte. ,Da, Kind, das sende dem Doktor und schreibe ihm, wie der Kaufpreis vernichtet sei, den Heinrich Lutter für den Schwiegersohn gezahlt, so zerrissest Du auch das Band, welches Dich an den Mann knüpft, der Dir nur fernen Namen, nicht auch die freundlichen Empfindungen seines Herzens schenken will."

Hermine!" Guido war aufgesprungen. Sein Blick ruhte groß und erschreckt auf ihrem Gesicht, aus welchem jeder Blutstropfen gewichen schien. .Hermine!" wiederholte er. Eine Wett von Gefühlen zitterte durch dieses Wort. Sie aber schüttelte den Kopf und zog aus der Tasche ihres Gewandes ein Papier, das sie dem Doktor reichte.

Der Umschlag enthält die zerrissenen Schuldscheine," flüsterte das Mädchen und setzte mit halb versagender Stimme hinzu:ES war meine Absicht, Ihnen di« Papierstückchen zu senden, sobald ich noch einmal mit Bornstedts gesprochen. Der Zufall änderte meinen Entschluß, und so reiche ich Ihnen jetzt persönlich die Ketten zurück, welche Sie an mich fesselten. Sie sind frei, vollkommen frei, Doktor Guido Schmiede^"

Da aber hatte der junge Arzt ihre beiden Hände gefaßt:Hermine liebes, braves Mädchen!" rief er.Ja, die Ketten gaben Sie mir zurück, dafür aber soll sich ein Band um uns schlingen, ein zartes, inniges, das ,die Zuneigung' heißt und ,die Achtung'. Hermine, ich kann nicht lügen und vermag Ihnen auch in diesem Augenblick, wo sich meine ganze Seele Ihnen entgegenneigt, nicht zu sagen, Leiden­schaft sei cs, die mich Sie bitten läßt: bleiben Sre meine Braut, und folgen Si« mir an den Altar, um mit mir den Eid der Treue zu tauschen. Aber, Hsrmin«, lieb haben will ich Sie, recht aus Herzensgrund, und auch glücklich machen. Da, wo man glücklich ist, versteht eS sich ja ganz von selbst, daß man auch glücklich macht."

Sie hatte sich die Augen getrocknet und schaute forschenden Blicks zu ihm hinüber. Wie sie dann aber traurig mit dem Kopfe schüttelte, schlangen sich plötzlich die Arme des Geliebten um ihren Hals:Hermme, Du darfst nicht .nein' sagen/ flüsterte er,wenn Du nicht unser beider Glück und Frieden für immer vernichten willst." (Fortsetzung folgt.)