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suchen sonst geschützt durch die stereotype Inschrift an der Thüre: „Zutritt verboten", wundern sich zuerst, dann geht die Verwunderung in Unwillen über und in ziemlich kategorischer Form wird dem Herrn klar gemacht, daß er in diesem Zimmer sehr wenig zu suchen habe. Der elegante Herr, erstaunt über diese Energie, will sich zurückziehen und vernimmt noch in der Ferne das Grollen eines Beamten darüber, daß der Fremdling sich nicht einmal vorgestellt habe. „Mein Name ist v. Griesinger — erwiderte der abziehende Herr — .Kabinettschef Sr. Mas. des Königs von Württemberg." —
Stuttgart, 29. Aug. Wie verlautet hat der dieser Tage endlich zur Haft gebrachte Sittlich- keitsverbrecher Schuhmacher Rätter von Ulm bereits 7 solcher versuchter Attentate eingestanden.
Ludwigsburg, 29. Aug. In letzter Zeit hat sich in hies. und in den angrenzenden Oberämtern, «in auf der Karlshöhe hier untergebrachter 12'/- Jahre alter Bursche, welcher dort entsprungen ist, unter verschiedenen Namen Herumgetrieben und Betrügereien verübt, wobei er es blos auf die Wirtschaften abgesehen hatte, die aus den hiesigen Brauereien ihr Bier bezogen. Den Wirtsleuten log er vor er sei von dem Bierbrauer oder Braumeister beauftragt, ihnen mitzuteilen, daß jener Herr an demselben Tage und zu einer bestimmten Stunde mit einigen Herren aus Ludwigsburg bei ihnen eintreffen werde, man solle für diese ein gutes Esten bereit halten, auch solle der Wirt seine Gäste auf jene Zeit zusammenbestellen, der Brauer wolle denselben Freibier verabfolgen, inzwischen solle er (der Knabe) verzehren was er wolle, dieses solle auf die Rechnung geschrieben werden. Esten und Trinken ließ sich der Junge trefflich schmecken und suchte dann schleunigst das Weite. Einige der Wirte gingen auf den Leim und verabfolgten den zusammenberufenen Gästen Freibier, warten aber seither noch auf den angesagten Lieferanten zur Bereinigung ihrer Rechnung. Der hies. Stationskommandant machte dem Treiben des Knaben ein Ende, er überraschte ihn gerade in dem Augenblick als er in einer Wirtschaft zu Neckarrems auf jene Art lustig zechte, und transportierte ihn in das hiesige Amtsgerichtsgefängnis.
Winnenthal 29. Aug. Die hies. Gemeinde steht schon wieder vor der Wahl eines Ortsvorstehers. Es ist dies die 3. Schultheißenwahl innerhalb einem halben Jahre. Der Erstgewählte wurde wegen zu jugendlichem Alter, der Letzte wegen zu hohem Alter von der Kgl. Kreisregierung nicht bestätigt. Die Wahl ist am 3. September.
Heilbronn, 29. August. Die bürgerlichen Kollegien von Heilbronn beschlossen heute anläßlich der 25sten Erinnerungsfeier an die großen Thaten der deutschen Armee im Krieg von 1870/71 die sämtlichen hier lebenden Veteranen, 405 an der Zahl auf den Sedanstag dadurch zu ehren, daß ihnen ein Festmahl seitens der Stadt gegeben und außerdem noch eine bare Gabe von 6 ^ pr. Mann verabreicht
wird. Die Veteranen, welche an dem Festesten nicht teilnehmen können, und ebenso die Witwen von Veteranen erhalten aus der Stadtküste je 9 Den Vorsitz bei dem Festmahl hat der Bürgerausschußobmann Rechtsanwalt Schloß übernommen, da Oberbürgermeister Hegelmaier noch in Urlaub abwesend ist. Auf dem Wartberg wird auf Kosten der Stadt ein Freudenfeuer abgebrannt werden, ferner soll die Beleuchtung des Kiliansturmes sowie die Bekränzung und Beleuchtung der zwei Kaiserdenkmäler in hiesiger Stadt auf Kosten der Stadt erfolgen. Weitere Veranstaltungen hat ein Privatfestausschuß in die Hand genommen. Dieser hat ein ausführliches Festprogramm (Beflaggung, allgemeine Illumination, Festbankets) aufgestellt und es verspricht sonach die Feier am 1. und 2. September eine für die hiesige Stadt nach allen Seiten hin würdige zu werden.
Ulm, 28. Aug. Bei der Flaschnerlotterie fiel der 1. Gewinn auf die Nr. 5601, der 2. auf 7705, der 3. auf 3392, der 4. auf 471D, der 5. auf 6004, der 6. auf 104, der 7. auf 6466, der 8. auf 2319, der 9. auf 88.
— Der Radfahrerverein „Vorwärts" in Pforzheim, welcher am letzten Sonntag ein Wettfahren von Pforzheim nach Altensteig und zurück inscenierte, giebt bekannt, daß der Sieger Großelfinger die 120 km betragende Strecke in 4 Stunden 57 Min. zurückgelegt habe. Es ist dies gewiß eine außergewöhnliche Leistung. Die minder guten Fahrer brauchten 5'/> Stunden.
Berlin, 29. Aug. Das Kaiserpaar ist gestern Abend im Neuen Palais bei Potsdam eingetroffen.
Berlin, 29. Aug. Die Erbgroßherzogin von Oldenburg ist gestern auf Schloß Adolfseck bei Fulda an Unterleibsentzündung gestorben.
Berlin, 29. Aug. Auf Vorschlag des Ministers für öffentliche Arbeiten beschloß, wie der „Reichsanz." mitteilt, das Staatsministerium, daß, soweit es die Natur und die Bedürfnisse der einzelnen Betriebe gestatten, denjenigen Bediensteten, welche am Feldzüge 1870/71 teilgenommen haben, der nächste Sedanstag ganz, den übrigen der Nachmittag freigegeben und in beiden Fällen der Lohn unverkürzt bezahlt wird.
Berlin, 29. Aug. Das Torpedoboot 8 41 ist am 28. August in der Nordsee gekentert und untergegangen. Dabei ertranken der Oberfeuermeister Reichenberg, der Oberfeuermeistersmaat Plum, der Feuermeistersmaat Krüger, die Obermatrosen Urban und Allerkamp, die Oberheizer Wiese und Bätzel, die Matrosen Bruckwitzki, Hannemann, Kurscheit und Schmidt und die Heizer Pohle und Wimmers, also 13 Personen.
Berlin, 29. Aug. Die Nat.-Ztg. meldet aus Beneveul im Magazin der Gebrüder Zolti zur Herstellung von Feuerwerkskörpern brach Feuer aus.
Beide Eigentümer des Magazins sind umgekommen.'. Zwei andere Personen wurden schwer verwundet.
K i e l, 29. Aug. Der Untergang des Torpedoboots 8 41 fand auf der Fahrt der Herbstübungsflotte von Wilhelmshaven nach Kiel bei stürmischer See statt. Die Mannschaft des Bootes war zum Teil in Kiel wohnhaft. Unter den Ertrunkenen befinden sich mehrere Familienväter. Die ertrunkene Mannschaft befand sich zur Zeit des Unfalles unter Deck und nur die Geretteten waren auf Deck.
Wien, 28. August. Das Wiener Tageblatt veröffentlicht eine Unterredung eines ihrer Redakteure mit einer hochgestellten russischen Persönlichkeit in betreff Bulgarien. Letztere bezeichnet« die Befürchtung, daß es wegen Bulgarien zwischen Oesterreich und Rußland zu ernsten Differenzen kommen werde, für unbegründet. Rußland werde auch in Zukunft seine reservierte Haltung gegenüber Bulgarien bewahren, weil man dem Fürsten Ferdinand nicht traue.
Paris, 28. Aug. Die großen Manöver, welche in den Ostprovinzen stattfinden, sind die größten und wichtigsten seit langer Zeit. Vier Armee-Corps nehmen daran Teil.
Paris, 28. August. Die „Gesellschaft zur Unterstützung der Elsaß-Lothringer, welche Franzosen geblieben sind" hat in Erwiderung der vielbesprochenen Interviews des „Matin" den Blättern eine Note zugesendst, in welcher sie mitteilt, daß sie im Jahre 1894—95 5090 Personen, die Elsaß-Lothringen verlassen hatten, unterstützt habe, gegen 4900 und 4400 in den vorhergehenden Jahren.
Paris, 28. Aug. Der Marineminister hat die Dampfer Canton und Cachar gemietet um 1200 Kranke und Reconvalescenten des Expeditionscorps aus Madagaskar nach Frankreich zu transportieren.
Konstantinopel, 29. Aug. Ein fürchterlicher Brand hat dis kleinasiatischen Städte Amassia und Adalia heimgesucht In der letztgenannten, wo gleichzeitig vis Cholera herrscht, sind 800 Häuser,- darunter der christliche Stadtteil niedergebrannt.
London, 28. August. In Militärkreisen herrscht große Erregung. Die letzten Manöver sollen nämlich bewiesen haben, daß der weitaus größte Teil der englischen Infanterie nicht marschfähig war. E>ne diesbezügliche Interpellation soll demnächst im Unterhaus« eingebracht werden.
Gottesdienste
am 12. Sonnteg nach Trinitatis, 1. September
Vom Turm: 36. Kirchenchor: Dir, dir, Jehopha„ will ich singen, von I. S. Bach. Prcdigtlied: 3.
9 Uhr Vorm.-Predigt: Hr. Dekan Braun. Feier des h. Abendmahls. 2 Uhr Nachm.-Predigt: Hr. Sradt- pfarrcrSchmid.
Montag, den 2. September.
Z-cier der Erinnerung a« das Jahr 1870/71.
9 Uhr Lorm.-Pred.: Hr. Dekan Braun. (Das- Opfer ist zur Unterstützung bedürftiger Veteranen bestimmt.) Totenfeier auf dem Friedhof, gegen 11 Uhr,. derselbe.
Deine treue Gefährtin auch das Leid mit Dir tragen kann. Kennst Hu denn nicht
das liebe Dichterwort: ,Geteiltes Leid ist halbes Leid' ?"
La. ja. Tantchen, aber das gilt nicht für mich! Ich muß schweigen, unter allen Umständen schweigen, bis der Tod mir Erlösung bringt."
„Nicht doch, mein Kind! ES giebt kein Vorkommnis, das Du Deiner zweiten Mutter nicht offenbaren könntest."
„Tante, martere mich nicht, ich darf nicht reden, wenn ich mich nicht einer Schlechtigkeit ohne gleichen schuldig machen will. Das aber wirst Du nicht von mir verlangen."
Die Rätin schüttelte den Kopf. Aber als sie noch länger in die Pflegetochter dringen wollt«, erhob sich Clemence plötzlich von ihrem Sessel. Leidenschaftlich warf sie sich an di« Brust der Matrone und wie ein Aufschrei aus tiefstem, gemartertem Herzen klang eS von ihren Lippen:
„Tante, habe doch Erbarmen mit mir! Verlest« mich nicht zu einer Sünde, um welche ich mir das Leben nehmen würde. Ja. Tante, ich schwöre eS Dir, wenn Du mich mit Deinen Bitten dazu bringen solltest. Dir mein Geheimnis zu offenbaren, so mache ich diesem Dasein ein Ende. Ich stürze mich in den Fluß oder ich erhänge — vergifte mich!"
ES lag ein so großer Ernst in den Worten d«S gepeinigten Kindes, daß die Rätin auf das tiefste erschüttert seine Lippen küßte und dann mit vibrierender Stimme erwiderte: „Wenn es so steht, liebes Kind, sollst Du Ruhe vor mir haben. Mein Wort darauf, ich quäle Dich mit keiner Frage mehr, die sich auf Dein Geheimnis bezieht."
„Danke, danke, Tante!"
In anscheinender Ruh« reihten sich nun die Stunden an einander und wurden zu Tagen. Vierzehn Tage waren vergangen, da traf aus C .. . eine Depesche «in, in der Guido meldete, daß sein heißgeliebter Vater endlich den schweren Leiden «legen, welche ihn heimgesucht.
Noch an demselben Vormittage erschien auch Fräulein Betty Lutter in der oberen Etage der Bornstedt'schen Billa. Sie kam, um der Rätin für den Fall, daß dieselbe zum Begräbnis des asten Herrn reisen wollte, den Schutz ihres Bruders anzubicten, welcher gedenke, dem lieben Jugendfreunde die letzte Ehre zu erweisen.
„In betreff Deiner jungen Schutzbefohlenen," setzte das Fräulein dann hinzu. „möchte ich mir den Vorschlag erlauben, daß sich diese während der Zeit Deines Fernseins bei uns einquartiere."
Da die Rätin bereits mit dem Gedanken umgegangen, schon am Abend an das Totenbett in C ... zu eilen, und nur nicht gewußt hatte, welchem Schutz sie Clemence anvertrauen sollte, so kamen ihr die Anerbietungen der Jugendfreundin mehr als gelegen. Auch das junge Mädchen gab ohne Zögern seine Zustimmung zu der Uebersiedelung nach dem Rosenhof. Es willigte freundlich darein, als Betty sich erbot, in Begleitung Hermines gleich nach dem Mittagessen vorzufahren, um Clemence herüberzuholen.
Die Genehmigung zum zeitweiligen Verlassen des Hauses und der Stadt für die Pflegebefohlene und sich selbst hatte die Rätin sich schriftlich von Gerhard erbeten. Auf dem gleichen Wege erhielt sie auch den umgehenden Bescheid, daß die Damen nach Belieben über ihr Thun und Treiben zu bestimmen hätten.
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Es war ein regnerischer Augustnachmittag, als der auS Nord-Deutschland kommende Personenzug in den C . . . er Bahnhof «inlief. Unter den vielen, welche auf dem Perron dieses Moments mit Ungeduld geharrt hatten, befand sich auch Doktor Guido Schmieden. Ernst, den Zug tiefster Trauer um den feinen Mund, war er schon fest einer Viertelstunde vor dem Empfangsgebäude auf und niedergegangen. Jetzt, nun der Zug endlich herangebraust und die Thüren deS Coupes sich geräuschvoll geöffnet halten, eilte er suchend von einem Wagen zum andern, bis sein Blick endlich die schwarzgekleidete Gestatt Tante Klaras bemerkt hatte, der die große, behäbige Herrn Lutters auf dem Fuße folgte. (Forts, folgt.)