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von Schellendorf wieder in das königlich preußische Hauptquartier zurück. ES war abends in der siebenten Stunde, die Sonne war eben blutrot hinter dem schweren Gewölk untergegangen, als der preußische Abgesandte in Begleitung eines französischen Generals, der Ab­gesandte Kaiser Napoleons III., die Anhöhe zum Standorte des Königs Wilhelm von Preußen hinanritt. Die Umgebung des Königs bildete beim Nahen der kleinen Truppe einen Halbkreis um den obersten Kriegsherrn, in welchen Bronsart von Schellendorf mit seinem Begleiter, nachdem sie kurz vorher vom Pferde abgestiegen waren, eintrat.

König Wilhelm kam ihnen einige Schritte ent­gegen und nachdem Bronsart von Schellendorf seinem obersten Kriegsherrn seinen Begleiter als den fran­zösischen General Reille, den Abgesandten Napoleons III. vorgestellt, übergab dieser mit einer tiefen, stummen Verbeugung einen Brief seines Kaisers.

Inzwischen war auch die weiße Flagge auf den Mauem von Sedan aufgezogen worden, das Feuer auf der ganzen Schlachtenlmie verstummt und tiefe Stille herrschte darum rings umher, als nach einer flüchtigen Begrüßung König Wilhelm von dem fran­zösischen General Reille das Schreiben in Empfang nahm.

(Fortsetzung folgt.)

Tagesneuigkeiten.

** Calw, 28. Aug. Einen hervorragenden Genuß bot uns gestern dieHumoristische Soiröe" des Hrn. H> Förtsch aus Stuttgart. Da hörte man nichts von Witzen, die sich in vielen Künstler­familien forterben, aber durch das Alter nicht besser werden, es war ursprüngliche Komik und angeborner Humor, der auf den eingefleischten Hypochonder zwerch­fellerschütternd wirken mußte. Herr Förtsch gab uns eine Blutenlese deutscher Dialekte, kopierte den Eng­länder, die Sängerin von Beruf, den Backfisch, die Theatermutter. Jede dieser Rollen war ein fertiges Ganzes, getreu bis ins kleinste Detail. Dazu die Baßvorträge des Hrn. Carlhof, dessen klangvolle unergründliche Stimme bald wie ein Gewittersturm den Saal durchbrauste, bald in leisen Tönen sich verlor; dann noch die diskrete Klavierbegleitung, die Geschick­lichkeit und Kunst verband: alles wirkte zusammen, um den Zuhörer vollständig zu befriedigen. Reicher Beifall lohnte aber auch jeden Vortrag, besonders erregten die Szenen, in denen Hr. Förtsch, wie er selbst sagte, den Gästen etwas pfiff stürmische Heiterkeit.

sAmtliches aus dem Staatsanzeiger.j Seine Majestät der König haben allergnädigst geruht, auf die erledigte Postmeisterstelle in Calw den Postmeister Rueff in Crailsheim seinem Ansuchen gemäß zu versetzen.

-n. Weilderstadt, 26. Aug. Am gestrigen Sonntag fanden sich die Veteranen des Bezirks Leonberg in der Oberamtsstadt zusammen zu einer ein­fachen, aber erhebenden Erinnerungs-Feier an die

siegreichen Tage der Jahre 1870 und 71. Gegen Mittag stellten sich die auswärtigen Vereine ein; sie nahmen um 1 Uhr Aufstellung in der Ditzingerstraße und marschierten dann im Zuge zur Kirche, wo zuerst ein feierlicher Festgottesdienst stattfand, eröffnet durch den herrlichen Burkhardt'schen Chor:Ich will den Herrn loben allezeit." Hr. Stadtpfarrer Traub hielt die ergreifende Festrede über den 103. Psalm. In eindrucksvollen und unvergeßlichen Worten er­innerte der beliebte Kanzelredner an jene große Zeit vor 25 Jahren und führte aus, welche Opfer jene Tage verlangt haben, welche Früchte sie bewirkt und welche Pflichten sie uns überwiesen haben. Nach dieser erhebenden Feier in der Kirche stellten sich die Vereine auf dem Marktplatz auf, von wo aus der stattliche Zug, der mit den einheimischen etwa 20 Vereine umfaßte, durch die reich beflaggten Straßen sich auf den Engelberg bewegte. Dort begrüßte Hr. Stadtpfleger Hegele (Bezirksobmann) die aus­wärtigen Gäste namens der Stadt und schloß mit einem Hoch auf Se. Majestät den König Wilhelm. Auf dem schönen Festplatze entwickelte sich noch ein frohes, gemütliches Leben bei Musik und Gesang. Die bürgerlichen Kollegien hiesiger Stadt haben sämt­lichen Veteranen von 1866 und 1870/71 zur Feier des Sedanßtages die Gabe von 5 pr. Mann aus der Stadtkaffe verwilligt. Die patriotische Feier selbst muß hier besonderer Umstände halber auf Sonn­tag, den 8. September verlegt werden. An diesem Tage wird vormittags in beiden Kirchen Fest­gottesdienst stattfinden. Mittags vereinigen sich die hiesigen Veteranen im Gasthaus zumBären" zu einem gemeinsamen Festmahl und abends findet im Gasthaus zumKönig von Württemberg" ein Fest­bankett statt, an dem sich sämtliche hiesigen Veteranen beteiligen werden. In dem benachbarten Merk­lingen und in verschiedenen anderen Orten unseres Bezirks (Schöckingen u. a ) wird mit der Feier des Sedanstages ein Kinderfest verbunden.

Von Stuttgart, 25. Aug., wird geschrieben: Welche Hungerlöhne von hiesigen Herren­kleidergeschäften bezahlt werden, beweist wieder ein Fall. Aus eine Annonce hin meldete sich ein tüchtiger Schneidermeister und erhielt '/- Dutzend Hosen zu machen. Bei der Ablieferung der ersten 3 Stück wurden ihm sage und schreibe 30 Pfennig pro Stück bezahlt. Selbstredend dankte er für Weiter­beschäftigung.

Stuttgart, 26. August. Die im Robert Lutz'sehen Verlag schon vor einigen Monaten er­schienene Broschüre betiteltdie Entlarvung des Schultheißen Schlör von Beutelspach" ist heute im Aufträge des Untersuchungsrichters am kgl. Land­gericht beschlagnahmt worden. Wie verlautet hat Schultheiß Schlör wegen des ganzen Inhalts der gen. Broschüre Strafantrag bei der Staatsanwalt­

schaft erhoben und nicht blos wegen einzelner Punkte- wie bei der früheren Broschüre. Es scheint also dies­mal ein recht umfangreicher Prozeß gegen den Ver­leger Lutz zu werden, wobei dann wohl auch der Fall Kühnle einer eingehenderen Erörterung unter­zogen werden dürfte.

Stuttgart, 26. August. Gestern Mittag zwischen 121 Uhr wurde der hier schon längst ge--- suchte Sittlichkeitsverbrecher hier festgenommen. Es ist der led. Schuhmacher August Natter von Ulm, 21 Jahre alt, welcher nach längerer Pause gestern von Ulm hierher gereist ist und an einem jungen Mädchen ein neues Verbrechen zu verüben versuchte, wobei er durch die Mutter des Mädchens ertappt, bei seiner Flucht verfolgt und sodann durch einen Schutzmann festgenommen wurde.

Stuttgart, 27. Aug. Gestern nachmittag hat ein Dienstmädchen in einem Hause der Lerchen­straße in ein Bügeleisen mit brennenden Kohlen Spi­ritus gegossen, wodurch sich dasselbe im Gesicht und an der linken Hand bedeutende Brandwunden zuzog. Auch ihre Kleider haben Feuer gefangen und es wäre wahrscheinlich das Mädchen noch bedeutender verletzt- worden, wenn nicht deren Dienstfrau, rasch entschlossen, eine Bettdecke um das Mädchen geschlungen und das Feuer auf diese Weise gelöscht hätte.

In den Zuchthäusern Württembergs werden seit einiger Zeit die Gefangenen alle 14 Tage höchstens 4 Wochen gewogen. Bei Abnahme des Körpergewichts wird eine Speisezulage ge­geben. Gegen diese Leute kann man nicht human genug sein!

Winnenden, 27. Aug. In Bittenfeld hatte ein Bauersmann seinen beiden Schweinen über die heißeste Tageszeit den Keller zum Aufenthalt an­gewiesen und sich darnach wieder auf's Feld begeben. Als derselbe wenige Stunden später wieder zurück­kehrte und nach den grunzenden Kellerbewohnern sah,, fand er diese lustig badend im Rosinenwein. Wahr­scheinlich sind die Schweine in ihrer schnüffelnden Art auch zum vollen Mostfaß gekommen, wo sie sich am Faßhahnen so lange zu schaffen machten, bis der Most ausgelaufen war.

Heilbronn, 27. August. Die Missethäter,. welche am Sonntag vor 8 Tagen zwischen hier und Neckarsulm einen Soldaten und dessen Bruder an­gegriffen, beide körperlich mißhandelt und namentlich den Soldaten mit Messerstichen schwer verletzt haben, sind im Bezirke Neckarsulm ermittelt und festgenom- men worden.

Ebingen, 26. Aug. Bei der Beerdigung^ eines Kindes kamen hier am Samstag Nachmittag, die die Leiche begleitenden Leidtragenden in nicht ge­ringe Verlegenheit, denn sie fanden die Eingangsthore. zum Gottesacker verschlossen. Auch der herbeigeholte

wenn wir auch glauben, nimmer tragen zu können, was das Geschick auf unsere Schultern gelegt, eines Tage« kommt doch die Minute, in der wir uns ver­wunden fragen:Hab' ich es wirklich überwunden und bin nicht zu Grunde ge­gangen an dem großen Schmerz, den ich glaubte, nimmer überwinden zu können?"

Seit der Stunde, in welcher Gerhard Barnstedt Clemence gestanden, daß er ihren Vater getötet, waren zwei Wochen vergangen. Die ersten Tage derselben hatte das jung« Mädchen abgeschloffen von seiner ganzen Umgebung im Schlaf­zimmer verbracht. Selbst zu den Mahlzeiten erschien sie nicht. Die Rätin war gezwungen, dem armen Kinde ei»en Teller Suppe durch die Thürspatte zu reichen; denn über ihre Schwelle zu treten gestattete Clemence nicht.

Wie geängstigt sich Frau Barner durch dieses seltsame Betragen fühlte, ist begreiflich. Ja. eines Tages, e« war der dritte, nachdem Clemence von ihrem Aus­gange mit so verstörtem Gesicht heimgekehrt, meinte die Matrone, di« Sorge um dm Liebling nicht länger allein tragen zu können; sie mußte die Angst und Qual ihres mütterlich empfindenden Herzens einer andern Seele anvertrauen. Trotzdem fiz e« sonst so viel wie möglich vermied, in da- Parterre hinabzugehen, faßte sie sich jetzt da« Herz, Gerhard Barnstedt zu außergewöhnlicher Zeit einm Besuch zu machen. Aber als sie von der Magd in das Vorzimmer geführt wurde, trat ihr statt seiner Ms. SmiH entgegen mit der Miene einer Person, welche ebenfalls von schwerer Sorge bedrückt war. Ja, in dm Augen der allen Dame blinkte es wie verstohlen» Thräne». AI« die Rätin den Wunsch aussprach, zu Gerhard ge­führt zu werden, seufzte Mr«. Smith, und ihre Hand auf den Arm de« Gastes legend, flüstert« sie:

Ich habe den Befehl, niemand zu Herrn Bornstedt zu lassen und darf auch mit Ihnen keine Ausnahme machen."

Ist der Herr krank?" fragte die Rätin.

.Da« nicht, aber er befindet sich in hochgradiger Erregung, ohne daß ich in meiner Herzen-angst eine Ahnung habe, was geschehe« ist, und was ihn in dieser Weise ausregt."

Mnkwürdig!" Die Rätin schüttelte dm Kopf. Dann zuäte plötzlich ein

Gedanke durch ihr Hirn: daß auch Gerhard Bornstedt sich von der Außenwelt zu­rückzog, auch er aus seiner gewohnten Ruhe herausgekommen, gab ihr ein Licht über die Ursache zu der Verzweiflung Clemence?.

Die Hand der Haushälterin fassend, gestand sie nun mit tief bewegter Stimme, wie sie sich beide in gleicher Sorge befänden, daß sich auch Clemence unbegreiflich verstört zeige. Erst die Mitteilung MrS. Smiths von dem Zustande deS Hausherrn hätte ihr die Augen geöffnet, und nun sei sie überzeugt. Herr Bornstedt und das junge Mädchen haben einander irgendwo getroffen und sich bei der Gelegenheit eingehend ausgesprochen.

Eingehend ausgesprochen?!' wiederholte Mrs. Smith.Herr, Du meine Güte," stieß sie dann hervor, und aus ihrem erblaßten Gesicht sprach Entsetzen^ DaS wäre das Ärgste, waS sich denken läßt!! Jesus, wenn ich mir vorstelle, dafl er dem Kmde die Wahrheit gesagt!" Sie schlug die Hände vor das Gesicht und schluchzte leidenschaftlich.

Die Rätin blickte betroffen auf die verängstigte Frau, und ein Gefühl grenzen­losen Unbehagens, die Empfindung, als stelle sich plötzlich etwas Unheimliches. Düsteres vor ihr auf. ein Gespenst, an das ihre Vernunft bisher nicht zu glauben vermocht, machte sich in ihr geltend. Nur mit der äußersten Willenskraft gewann sie es übrr sich, Mrs. Smith nicht sofort dm Rücken zu kehrm und sich in ihr stilles Heim zu flüchten. Aber ihre Zähne schlugen aneinander, als sie fragte:So liegt doch etwas Ehrenrühriges in der Vergangenheit Ihres Herrn, und Clemence ist eine Namenlose?'

Eine Namenlose?" MrS. Smith trocknete die Augen und schaute der Rätin fragend ins Gesicht.Nein, meine best« Frau, da sind Sir auf vollständig falscher Fähite! Die Eltern der Kleinen waren rechtlich mit einander verbunden. Ich habe der Trauung selbst beigewohnt, ich konnte mich damals gar nicht satt sehen an der wunderholden Braut in dem prachtvollen Gewände von silberdurchwirktem Atlas, welches das junge Ding mit ellenlanger Schleppe vor dem Altar trug. Aber lassen wir alle diese Erinnerungen, sie sollen begraben sein, weil sie im Zusammenhangs stehen mit dem zerstörten LebenSglück meines armen Herrn."

(Fortsetzung folgt.)