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Daß die Untergänger in der vorgeschriebenen Anzahl (3-4 einschl. des Ortsvorstehers) aufgestellt und vor­schriftsmäßig verpflichtet sind, dafür hat der Orts­vorsteher Sorge zu tragen.

Jeder Gemeinde werden je 2 Exemplare dieser Dienstanweisung zugestellt werden.

5) Um die Vermarkung richtig ausführen zu' können, werden die Gemeindebehörden beauftragt, eine genügende Anzahl vorschriftsmäßiger Marksteine zur Vermarkung der Eigentumsgrenzen (mindestens 50 cm lang und 4kantig rauh zugerichtet von dauer­haftem Material) auf Lager zu halten und gegen Ersatz der Selbstkosten an die Grundbesitzer abzugeben.

Calw, 8. August 1895.

K. Oberamt.

Voelter.

Tagesneuigkeiten.

r. Calw, 7. Aug. Für die Sturm- und Hagelbeschädigten des Nagoldthals ist unter den Buchstaben L. I. mit 2 Frauenkleidern eine Unterstützung von 200 eingekommen. Die

von acht christlichem Geist beseelte Spenderin dieser reichen Gabe hat die armen Beschädigten zugleich auf die in »Klageliedern Kap. 3, V. 22 u. 23, enthaltenen Trsstesworte hingewiesen."

Altensteig, K. Aug. Seit einiger Zeit weilen hier drei Togo-Neger. Dieselben machten am Sonn­tag einen Ausflug ins Wildbad und erregten beson­ders bei der Landbevölkerung Aufsehen. In Simmers­feld wollte ein Bäuerlein die Echtheit ihrer schwarzen Farbe absolut nicht anerkennen. Bei der Besichtigung des König-Karlsbades war das Zweifeln auf seiten der Reger; denn sie fragten angelegentlich nach dem Ofen, der das Wasser warm mache. Das Vorhanden­sein warmer Quellen war ihnen ganz unbegreiflich.

Tübingen, 7. August. Zur Erinnerung^ die Schlachten vor 25 Jahren fand gestern nachmittag eine Feier auf dem Friedhof und abends ein sehr stark besuchtes Bankett im großen Museumssaal statt, bei welchem Prof. Dr. Pfleiderer die Festrede hielt. Die Beflaggung der Stadt war allgemein.

Münsingen, 7. Aug. Die Verhandlungen detr. die Erwerbung eines Militärschießplatzes für das XIII., württ. Armeekorps, sind dem Ver­nehmen nach nun endgiltig entschieden und zwar ist das Münsing er Ha^dt gewählt worden.

Ulm, 6. Aug. Der auf der Gänswiefe an­läßlich der Wörth-Feier des Grenadier-Regiments König Karl (5. Württ.) Nr. 123 und des Ulanen­regiments König Karl (1. Württ.) Nr. 19. heute vormittag 10 Uhr abgehaltene Feldgottesdienst und die sich hieran anschließende Parade, zu welcher der kommandierende General v. Lindequist aus Stuttgart eingetroffen war, war vom herrlichsten Wetter be­günstigt und hatte Tausende von Zuschauern angelockt. Nachdem die-Truppenteile in ihre KasernrmentS zu­rückmarschiert waren, fand das Festesten der Veteranen

statt. Diejenigen des Grenadier-Regiments und des früheren 3. Jägerbataillons wurden in der schön ge­schmückten Exerzierhalle auf der Wilhelmsburg, die­jenigen des Ulanenregiments in dem Saal der Brauerei zum Schiff festlich bewirtet. Die Kommandeure hielten hiebei Ansprachen. Heute nachmittag veranstalteten die hiesigen Veteranen-Vereine zu Ehren der anwesen­den Kameraden eine gesellige Unterhaltung mit Musik auf der Wilhelmshöhe. Hier hielt Buchhändler Kerker eine von warmer Begeisterung erfüllte Rede, die von den in großer Zahl erschienenen Veteranen mit brausen­dem Beifall ausgenommen wurde.

Auf dem Hohentwiel fand am Sonn­tag ein sozialdemokratisches Parteifest statt, das aus Baden, Württemberg und der Schweiz besucht war. In Singen duldete die badische Polizei nicht die Ent­faltung der Fahnen. Auf dem Platz vor dem Gast­haus tagte die Versammlung, zu der der Reichstags- abg. Bebel in längerer Rede sprach. Er gab (nach der »Schwab. Tagwacht"), »anlehnend an die Schick­sale des Hohentwiel, ein Bild über die Entwicklung der wirtschaftlichen und politischen Zustände der ver­schiedenen Kulturepochen: den Uebergang von der kommunistischen Markgenoffenschaft zur Feudalherr­schaft, deren Wirken und Ablösung durch die bürger­liche Herrschaft des Kapitalismus, die neben der Bourgeoisie das Proletariat erzeugt, die Gesellschafts­klasse die zur Geltendmachung ihres Rechts an den Errungenschaften der Kultur notwendig den Sieg des Sozialismus erstreben muß."

Karlsruhe, 7. August. Die Kaifer- passage, die vor ungefähr einem Jahrzent für 1000 000 ^ hergestellt wurde, ist heute im Zwangs­weg für 525000 ^ versteigert worden.

Schopfheim, 8. Aug. Gestern Abend halb 4 Uhr wurde Bahnexpeditor Seeber von Schopfheim durch den von Zell- kommenden Zug überfahren und war sofort tot. Seeber hatte vor Jahresfrist eine schwere Typhuskrankheit durchgemacht und war damals dem Grabe nahe, nun hat er auf so jähe Weise den Tod gefunden. Er hinterläßt Frau und ein Söhnlein.

München, 8. Aug. Die M. N. N. melden ausInnsbruck: Ein norddeutscher Tourist, angeblich aus Schöneberg bei Berlin, der feit einigen Wochen vermißt wurde, ist gestern in den Gschnitzer Bergen ab gestürzt und tot aufgefunden worden.

Kissingen, 5. Aug. Der Kurgast Kaufmann Louis Stern aus New-Dork, welcher entgegen den Vorschriften, seinen 15jähr. Sohn an den'Reunionen im Kursaale teilnehmen ließ und den königl. Bade­kommissär, .Bezirksamtsasseffor Frhrn. v. Thüngen, auf dessen Aufforderung, den Knaben zu entfernen, einen gemeinen Menschen nannte und ihm Ohrfeigen antrug, wurde wegen Widerstands gegen die Staats­gewalt zu 600 ^ Geldstrafe sowie wegen Beleidigung zu 2 Wochen Gefängnis verk?teilt. Die einseitigen

Darstellungen des Vorfalls waren von der Familie Stern oder deren Rechtsanwalt Löwenfeld ausgegangen.

Köln, 8. Aug. Die Köln. Volksz. meldet aus Fraulautern bei Saarlouis: In Grube Kronprinz wurden durch schlagende Wetter 5 Arbeiter, schwer verletzt; einer wird vermißt.

Hamburg, 8. Aug. Der nach hier bestimmte schwedische Dreimastschoner H ebe ist in den ostindischen Gewässern untergegangen. Näheres fehlt.

Swinemünde, 8. Aug. Gestern fand die feierliche Enthüllung des Denkmals Kaiser- Wilhelms I. statt. Der Feier wohnte als Ver­treter des Kaisers, General Blomberg bei. Im Kur- Hause war Festdiner.

Berlin, 7. Aug. Anläßlich des am Montag Abend erfolgten Todes Friedrich Engels erscheint derVorwärts" mit Trauerrand. Das Blatt hebt in einem langen Artikel dis Verdienste Engels um die Sozialdemokratie hervor.

Berlin, 7. Aug. Dem Lok.-Anz. wird aus Hamburg gemeldet: Eine acht Köpfe starke Diebes-^ bande, welche in den Vororlen Hamburgs in dev letzten Zeit nicht weniger als 40 Einbrüche verübte». ist verhaftet worden.

Berlin, 7. Aug. Nach einer Meldung des hiesigen Lokalanzeigers aus Paris sind in der letzten Zeit in der Fremdenlegion die Desertionen so häufig vorgekommen, daß der Kriegsminister eine Untersuchung angeordnet hat. Im Monat Juli ver­schwanden nicht weniger als 15 Legionäre, darunter 10 Deutsche.

Berlin, 8. Aug. DieNordd. Allg. Ztg." veröffentlicht das ausführliche Programm für die feierliche Grundsteinlegung zum Nationaldenkmal Kaiser Wilhelm I. Unter den Geladenen be­finden sich die Kaiserin Friedrich, der Großherzog und die Großherzogin von Baden und Fürst Bismarck.

Berlin, 8. Aug. Am 6. dieses Monats» dem Gedenktage ver Schlacht bei Wörth hat der Chef des Militärkabinets, General Hahnke, im Aufträge des Kaisers am Grabe Kaiser Friedrichs im Pots­damer Mausoleum einen Kranz niedergelegt.

Berlin, 8. Aug- Die Ansprache, welche der Kaiser am Jahrestage der Schlacht bei Wörth an die Mannschaft des PanzerschiffesWörth" auf der Rhede von Cowes gehalten hat, hatte nach der Voss. Ztg." ungefähr folgenden Wortlaut: Erinnert Euch, daß Ihr die Mannschaft eines Schiffes bildet, das nach einer Schlacht benannt ist, in der Eure Landsleute sich höchst wacker benommen haben. Heute ist der 25. Jahrestag der Schlacht bei Wörth, wes­halb ich es für angezsigt gehalten habe, dem nach dieser Schlacht benannten Schiffe einen Besuch abzu­statten und einige Worte an die Mannschaft zu richten.- Hoffentlich werden die Thaten, die Eure Landsleute bei jenem Anlaß vollbrachten, eine Aufmunterung bilden für Euch, wenn jemals Gelegenheit für ähn-

einer Biegung deS Weges, rollte ein primitiv ländliches Fuhrwerk an ihnen vorüber. Eine weibliche Person hielt die Zügel der schwerfälligen Gäule, steif aufgerichtet saß die mächtige Gestatt des Mädchens im altmodischen Kleide aus blau und rot saniertem Wollenstoff auf dem Wagen. Den Kopf schützte ein großer Strohhut mit breiten, grell gelben Bändern, die wie eine Fahne hinter ihr her flatterten. Die Leute auf der Straße drehten sich lachend nach der wunderlichen Roffelenkerin um, und ein schnippischer Backfisch sagte, zu seiner Begleiterin gewendet: »Die reine Karikatur! Das ist ja der Dragoner vom Rosenhof, niemand anders als die lange Lutter!"

Hermine mußte die hämischen Worte gehört haben, denn eine heiße Röte zuckte über das vollwangige Gesicht, um gleich darauf einer tiefen Bläffe zu weichen, als ihre Blicke plötzlich denen Guido Schmiedens begegneten. Sie sah, wie der junge Mann, an der Seite der wunderschönen Pflegetochter Gerhard Dornstedts, vor ihrem Anblick zurückprallte, als wäre ein Gespenst vor ihm aufgetaucht. Her­mine sah mit weitgeöffneten starren Augen, daß er wie zornig die Lippen zusammen­preßte, eh« er der Pflicht der Höflichkeit genügte und seinen Hut vor ihr zog. Ein leiser, unartikulierter Laut entrang sich ihrer Brust. Sie riß die Zügel an sich, ein Peitschenschlag, und das einfache Wägelchen, in dem das Mädchen offenbar Einkäufe barg, die eS zur Feier seiner Verlobung in der Stadt gemacht, flog der Landstraße zu, dent Rosenhof entgegen. So lange sich Hermine noch in den Straßen der Stadt wußte, hatte sie weder nach rechts noch links geschaut, nur vorwärts, vor­wärts. Draußen aber blickte sie wie erleichtert um sich. Nur einen Moment jedoch, dann zuckte e« um ihre Lippen, und sie stieß leidenschaftlich hervor: »Eine .Karikatur' nannte sie mich. ,den Dragonner vom Rosenhos'I Und ,er' mußte es hören, gerade er!"

Hermine drückte die Linke über die Augen. Als sie die Hand dann langsam wieder niedergleiten ließ, rollte eine heiße Thräne über ihre Wange. »Aber hatte sie denn nicht auch recht," setzte die Bedauernswerte jetzt hinzu, »sehe ich nicht wirk­lich aus wie eine Karikatur, wenn ich zum Beispiel dies« blumenhaste Erscheinung

der kleinen Barnstedt neben mir denke?" Wie ein Schauder überlicf es sie, dann rang cs sich über ihre Lippen: »Mutter, Mutter, wie sehr ich auch Deine Lehren geachtet, ich glaube doch, sie waren nicht die rechten. Wenn wir Menschen sein wollen unter den Menschen, so müssen wir uns auch ihren Formen und Sitten fügen. Du hast es gewollt, daß ich die Mode verachten, alle Äußerlichkeiten ge­ringschätzen soll, und wie werde ich run für meinen Gehorsam belohnt?"

Hermine preßte die mit grobem grauen Baumwollhandschuh bekleidete Linke gegen die fiebernde Schläfe, und dabei überkam sie ein Gefühl, das sie nie vorher gekannt. Ruhig und sicher war sie bisher ihres Weges dahin geschritten, von dem Bewußtsein gehalten, daß das, was sie thue, stets daS Rechte sei. Hatte sie dabei auch hin und wieder ein Wort getroff n, ähnlich demjenigen, welches sie heute aus all ihrer Seelenruhe gerissen, so war cs nur ein Lächeln höchster Verachtung ge­wesen, m t welchem sie darauf geantwortet. Was kümmerte sie denn das Urteil dieser oberflächlichen Menschen? Sie, die Hermine Lutter, die so groß dastand in sittlicher und jeder andern Beziehung, sie, das reichste Mädchen im Umkreise von Mellen, das sich in Gewänder von Gold hätte hüllen können, wenn es ihm Spaß gemacht hätte. Aber sie wollte ihnen nicht gleichen und nur das treue Abbild ihrer Stiefmutter werden, die so geringschätzig aus den eitlen Tant geblickt, mit dem sich die Frauen anderer Besitzer schmückten, welche lange nicht so reich waren, als sie. eS gewesen.

Und nun? Mit einem Male schaute dieselbe Hermine beinahe entsetzt auf das schlotternde, tunte Klerd, daS sie unverändert aus dem Nachlaß der korpulenten Stiefmutter übernommen hotte. »Eine Karikatur," wiederholte sie dabei und stampfte mit dem Fuße,eine Karikatur!" Dann trieb sie ihre Pferde von neucm zu größerer Eile an, indem sie ohne Mitleid die Peitsche gebrauchte. War cs ihr doch, als höre sie noch immer den Hohn des naseweisen Kindes, als sähe sie unverwandt in die entsetzten Augen ihres Verlobten, denen sie sich entzic hen wollte um jeden Preis

(Fortsetzung folgt.) -

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