Beilage;« Uv. 83
13. Juli 1895.
Samstag
e t 11 e t VS. IRachdruik Vkrdotm-I
Knkrl Gerhard.
Erzählung von Marie Widdern.
(Fortsetzung.)
„Aber Du willst Dich doch nicht entschuldigen," fuhr er lachend fort, als Guido die Lippen öffnete. „Das laß nur hübsch bleiben! Jetzt bist Du ja da und — alles Übrige folgt — wie mein alter Schäfer sagt."
Damit aber hatte der Sprecher seinen jungen Gast, welcher sich natürlich erhoben, wieder auf den Stuhl gedrückt. Selbst Platz nehmend, fragte er nun mit den herzlichsten Worten nach dem Ergehen des lieben alten Freundes, Guidos Later.
Der junge Arzt gab Herrn Lutter — denn diesem sah er sich natürlich gegenüber — ausführlichsten Bescheid. Als er von dem Sterben der Stiefmutter erzählte, fuhr sich der biedere Landmann mit dem Nucken seiner braunen Hand über die Augen. — „Gleiches Geschick," sagte er dann. „Ich habe ja ebenfalls zwei Frauen begraben müssen. Auch die Thränen sind noch nicht versiegt, die ich um die letzte geweint. — Weißt, mein Junge, sie starb, als meine Hermine gerad' ihr zweiunv- zwanzigsteS Jahr zurückgelegt hatte."
„Das dreiundzwanzigste verbesserte das Mädchen ernsthaft, ohne daß die Nadeln aufhörten zu klappern.
Der Alte zuckte die Achseln, und zu dem Gaste gewendet, setzte er hinzu: „Ist sie nicht die seltsamste Person von der Welt? Ich wenigstens meine, jedes andere Weib leidet es gern, wenn man es jünger macht. Aber meine H rmme duldet auch hierin keine Lüge. Sie ist eben so wahr, wie es ihre gute Mutter gewesen — und eben so treu und tüchtig. Bei dem ersten Hahnenschrei ist sie schon aus den Federn und besorgt die innere Wirtschaft. Dabei trägt sie immer »och den Strickstrumpf in der Tasche, um ein paar Maschen abzuhaspeln, wenn sich dazu eine freie Minute bietet."
„Later, ich bitte Dich — laß das Loben," unterbrach Hermine hier die Worte des Alten. „Was ich thue, ist meine Pflicht, nichts weiter. Wir Frauen sind einmal zur Arbeit da."
„Aber doch nicht so bedingungslos, mein Fräulein," warf Doktor Guido lebhaft ein.
Sie sah ihn mit ihren grauen, klaren Augen verwundert an. „Ich verstehe Sie nicht," sagte sie dann, „und weiß nur, daß ich in der Arbeit allein Befriedigung finde."
Er neigte zustimmend den Kopf. „Es käme darauf an, was Sie alles unter Arbeit verstehen."
Sie zuckte die Achseln. „Was? — Nun, ich dächte, das bedürfte keiner weiteren Erklärung."
„Doch! denn auch die Lektüre eines guten Buches kann für eine Arbeit gelten, wenn sich der Lesende Mühe giebt, Vorteil daraus zu schöpfen."
Ein leises Lächeln zuckte um den Mund des Mädchens. Die dicken Stahlnadeln in den Fingern klapperten noch eilfertiger. „Solche Ansichten begreife ich nicht," erwiderte sie. „Ich halte das Bücherlesen für die ärgste Zsitverschwendung, sofern eS sich nicht um ein geistiges Versenken in die Bibel oder das Gesangbuch handelt."
„Aber, mein Fräulein, ich bitte Sie!" rief Guido befremdet, kam aber nicht dazu, den Widerspruch zu begründen, denn Heinrich Lutter legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte lächelnd: „Ihr wollt Euch doch nicht streiten, Kinder? Schon jetzt — und noch dazu über Eure individuellen Überzeugungen?! Du, Her- minchen," fetzte er zu der Tochter gewendet hinzu, „darfst von dem gelehrten Herrn Doktor nicht verlangen, daß er die Arbeit in unserem Sinne als den Inbegriff all.s Achtungswerten an sieht. Mußt Dich schon bemühen, Dein eigenes Denken d-m seinen unterzuordnen, wenn —" er schmunzelte zu ihr hinüber — „Na, alles Übrige folgt, wie mein alter Schäfer sagt."
Guido versuchte zu lächeln. Aber cS gelang ihm nicht, denn er fühlte sich durchaus nicht behaglich in seiner augenblicklichen Situation. Auch der Gedanke an die Zukunft erkältete ihn plötzlich. Und doch siel es ihm nicht im Entferntesten ein, die Hoffnung der beiden alten Freunde zu Schanden machen zu wollen, indem er sich von der beabsichtigten Partie noch in der elften Stunde zurückzog. Er hatte längst gewußt, daß, nachdem das Bankzaus falliert, welchem der Later das ganze Vermögen seiner ersten Frau anvertraut, die Familie Schmieden nur von den Geldern gelebt hatte, di« ihnen Heinrich Lutter vorschoß. Dieselben waren aber innerhalb dreier Jahre zu einem kleinen Vermögen angewachsen, ohne daß die Hoffnung vorhanden gewesen wäre, die Schuld überhaupt zu tilgen. Mißlang es dem greisen Gelehrten doch zum ersten Male andauernd, einem naturhistorischen Werke, an dem er ein Decennium gearbeitet, irgend welchen pekuniären Erfolg zu schaffen. WaS aber Guido anbetraf, so vermochte dieser zur Zeit auch noch nicht das Geringste zu erwerben, sondern kostete noch sein Teil, obgleich er kein Verschwender war und hauszuhalten wußte.
Unter diesen Umständen war es dem jungen Mediziner in hohem Grade befriedigend gekommen, als der Vater ihm die Mitteilung machte, Heinrich Lutter sei in einem vertraulichen Briefe auf ein altes scherzhaftes Übereinkommen zwischen den Freunden zurückgikommen und Hab» nun allen Ernste» vorgeschlagen, die G-ldan-
gelegenhiiten zwischen ihnen dadurch aus der Welt zu schaffen, daß sie ihre Kinder mit einander verbänden. —
Und nun — ? Weil das Mädchen, durch dessen Besitz er für alle Zeit sorgenlos werden mußte, keine liebenswürdige und schöngeistige Natur war, sollte er jetzt Wohlstand und Ansehen mit Füßen treten? Unsinn! Seinem Haushalt würde Hermine ja um so besser vorftehen, je weniger sie nach Bachergelehrsamkeit verlangte. Übrigens mußte eine vornehm ausgestattete Umgebung bald auch um solche Nüchternheit — ein so poesieloses Wesen — den Glorienschein des Reichtums ziehen.
Auf diese Weise wußte Guido die Unbehaglichkeit seiner Empfindungen zu verscheuchen. Er vermochte wirklich wieder Hecker zu lächeln und m zwangloser Weise über dies und jenes mit dem künftigen Schwiegervater und der zukünftigen Braut zu plaudern, nachdem er die Unterhaltung in eine andere Bahn gelenkt. Dann aber trug Tante Betty, die alte unverheiratete Schwester Herrn Lutters, mit Hilfe einer Magd das Mittagissen auf und man setzte sich zu Tisch. Hermine machte jetzt die Wirtin, und wie eS Sitte war in diesem Kreise, der nur seinen eigenen Anschauungen lebte, so legte sie jedem auch das Gemüse und den Braten vor. Guido erschrak über die riesigen Portionen, welche das Mädchen hierbei auch ihm zumutete. Aber da die Speisen vortrefflich zubereitet waren und er sah, daß die Familie Lutter samt und sonders einen bewunderungswürdigen Appetit zu Tage sördeitc, so bemühte auch er sich, nach Kräften dem Gebotenen Ehre zu erweisen.
Bei dem Eifer, mit welchem am Tische des Gutsbesitzers gegessen wurde, kam es zu keinem wirklichen Gespräch. Ja, als Guido die Unterhaltung von vorher fortsetzen wollte, winkte der Hausherr abwehrend mit der Hand und sagte: »
„Nachher, lieber Doktor — jetzt speisen wir."
Der Ernst, mit dem diese Worte Über die Lippen des Allen kamen, hätte Guido nahezu laut auflachen gemacht. Es kostete ihn wirkliche Anstrengung, ruhig zu bleiben und von neuem seine Kauwerkzeuge in Bewegung zu setzen. Endlich aber wurde eS diesen gestattet, von der gehabten Anstrengung auszuruhen. Herr Lutter war der erste, der die Niesenportion auf seinem Teller bewältigt hatte. Mit einem tiefen Atemzuge die kräftigen Hände über dem Bäuchlein faltend, lehnte er sich behaglich m seinen Sessel zurück. Aber erst als er sah, daß auch die Nickglieder der kleinen Tafelrunde allesamt Messer und Gabel aus den Händen gelegt, nickte er seinem Gaste freundlich zu und sagte:
„So, jetzt können wir reden, mein Freund. Während des Ess-nS erscheint mir jede Unterhaltung unnatürlich und eine Beleidigung für diejenigen, die die Speisen mit so vieler Mühe bereitet. Apropos, Betty!' wandte er sich dann zu seiner Schwester, „ich kann Dir übrigens heute mein Kompliment sagen. Aus dem Braten hattest Du ja eine Delikatesse gemacht. Auch die Schoten waren deliciöS bereitet! Nimm Dich nur in acht, daß Du Deine Sache morgen ebenso gut machst."
DaS alte Fräulein lächelte. „Fürchte nichts, lieber Bruder — unser Gast soll mit mir zufrieden sein."
Die blauen, treuen Augen der Allen, deren feine Züge noch so lebhaft von einstiger Schönheit sprachen, ruhten dabei freundlich auf dem Gesicht des jungen Arztes, der sich seiner Verabredung mit der Tante erinnerte. Er sagte also bedauernd zu der alten Dame:
„Für morgen habe ich mich leider zu Tante Klara versagt. Sie wissen doch, daß die einzige Schwester meines Vaters in Kronberg lebt?"
„Ganz gewiß, wenn wir auch längst allen Verkehr mit einander aufgegeben haben."
Die Stimme Tante Bettys zitterte bei den letzten Worten befremdlich, und über das gute Gesicht flog eine heiße Röte. Die Alte mit den schneeweißen Haaren erschien in diesem Augenblick von einer rührenden Schönheit und um vieles anmutiger als das junge Mädchen neben ihr, welches eben wieder das unleidliche Strickzeug aus der Tasche gezogen hatte. Ohne Rücksicht darauf, daß sie noch an der Mittagstafel saß, begann Hermine von neuem d:e dicken klappernden Stahlnadeln in Bewegung zu setzen.
Lutter aber reichte seiner Schwester die hartgearbeitete Hand hinüber. „Wollen Dich die alten Erinnerungen wieder quälen, Betlychen?" sagte er. „Nicht doch — hin ist hin und — alles Übrige folgt." Er nickte ihr freundlich zu und wandte sich dann zu Guido hinüber, der für die Andeutungen der Geschwister keine Erklärung wußte.
„Apropos mein Junge," sagte der Alte, „es soll der Frau Rätin ja recht gut gehen. Nun, ich gönne ihr von Herzen das Loos, muß aber doch gestehen, daß es mir nicht besonders gefällt, sie gerade im Hause Gerhard Barnstedts zu mffen. Kein Mensch kann ja in der Stadt den hochmütigen Narren leiden, außer den Armen und Elenden, welchen er von seinem Überfluß giebt; auch nur. um sich hervorzuthun — meinen die Kronberger."
»Ich kenne Herrn Barnstedt nicht," erwiderte Guido, „habe auch keine Aussicht, denselben kennen zu lernen. Tante Klara sagte mir übrigens, ihr Prinzipal betrete nie die Wohnung, welche sie mit seiner Pflegetochter innehabe."
„Ja, ja, davon hörte ich bereits I" rief Herr Lutter jetzt. „Barnstedt lebt hinter seinen Büchern vergraben wie ein Mönch in der Klause und scheut sogar den Anblick des KmdcS, das er mit sich aus Australien gebracht. Natürlich sucht man hierfür allerlei Erklärungen."
(Fortsetzung folgt.)