Samsiag
Beilage;« Ur. 70
15. Juni 1895.
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Der Gebe von Hattingen.
Novelle von Wilhelm Berger.
(Fortsetzung.)
Konnte Siegfried ihm die Bitte weigern? — Mit einem Blick fragte er seine Mutter; sie nickte fast unmerklich.
Da sagte er: „ Meine Mutter wünscht es; hier ist meine Hand. — Vater!"
Mit Widerstreben löste sich das Wort von seinen L.ppsn. Aber Konrad Grubers Ohr sog es trotzdem auf. als wäre cS himmlische Musik; er nahm die Hand des Sohnes zwischen die seinigen und stammelte: „Danke!"
Ich bemerkte, daß Siegfrieds schnelles Auge sofort die Fingerstümpfe an der Rechten des Vaters erspäht hatte.
Hulda hielt es für zweckdienlich, sich nunmehr zurückzuziehen.
„Ich habe nicht erwartet. Sie jemals wiederzusehcn, Herr Gruber," sagte sie. »ES hat sogar eine Zeit gegeben, in welcher eS mir ein Labsal gewesen wäre, Sie nicht mehr unter den Lebenden zu wissen. Ich mache daraus kein Hehl. Nicht für mich fürchtete ich; für mich allein war ich stark genug, der Welt zu trotzen. Aber ich war nicht allein; ich war nicht frei. Die Aufgabe hatte ich, meinem Sohne die Bahn zu Ehre und Ansehen zu bereiten; der Makel, der an seiner Geburt hastet, durste niemandem bekannt werden. Auch er selbst sollte nichts davon erfahren, damit nicht etwa in ihm die Vorstellung sich bildete, er sei ein Betrüger, und ihn hinderte, sich mit den Besten gleichberechtigt zu fühlen. Ich habe durchgeführt, was ich wollte — in meiner Weise, nach meiner Einsicht — bis zum heutigen Abend. Das Schicksal — die Vorsehung — kurz: eine höhere Macht hat Sie, Herr Gruber, vor mir wiedererscheinen lassen zu einer Zeit, wo ich angefangen hatte, an meiner Weisheit irre zu werden. Da entsann ich mich, daß ein Mann die Wahrheit vertragen müsse in allen Dingen, einerlei, ob die Wahrheit mit ihm sanft oder unsanft verfahre, einerlei, ob sie ihn in seiner Selbstschätzung erhöhe oder erniedrige. Und mir kam das ernstliche Bedenken, ob ich überhaupt das Recht hätte, meinem Sohne, der ja ein Mann ist, die Kenntnis seines Ursprungs vorzuenthalten. Ich faßte meinen Entschluß: vor mir und ihm ließ ich die Vergangenheit aufleben."
Dies war mehr für Siegfried gesprochen, als für denjenigen, den sie anzureden sich den Anschein gab; dann indessen zog sie auch zwischen ihm und sich den Strich für die Schlußrechnung, indem sie fmtfuhr: .Wir beide werden uns hrute Abend zum letzten Mal im Leben begegnet sein Jh l- sse Ihnen Siegfried noch auf eine halbe Stunde zurück; ihm bitte ich zu sagen, was Sie mir etwa noch Mitteilen möchten." — Sie wandte sich zu mir: .S e haben wohl die Güte, mich zu meinem Wagen hinabzubegleiten!' — Und zu Siegfried: .Ich erwarte Dich zu Hause."
Sie zögerte, zu gehen, und ich freute mich darüber. So kalt, so frostig konnte sie auch nicht davongehen von dem Manne, der ihr doch einst so nahe gestanden, — davongehcn aus Nimmerwiedersehen! Ich wäre an ihr irre geworden, wenn, sie cs gethan hätte.
Nein — sie trat zu ihm. „Armer Konrad I" sagte sie weich und leise. »Das Leben hat Ihnen nicht gehalten, was es Ihnen einst in seiner Blüte zu versprechen schien. Inwieweit Sie selbst die Schuld dafür tragen — ich will «8 nicht zu ergründen versuchen. Lieber wäre mir's doch — ich fühle es — wenn cs Ihnen jetzt, wo Sie auf der Schwelle deS Alters stehen, recht gut ginge auf Erden. Glauben Sie mir, Konrad: mit Sorge werde ich künftig an Sie denken. Vielleicht ist Ihnen dies Bewußtsein zuweilen ein Trost, eine Stärkung. Mit dieser Hoffnung möchte ich von Ihnen scheiden. Und nun leben Sie wohl!"
Wahrend Hulda sprach, hatte sie den Handschuh von ihrer rechten Hand gezogen ; sitzt streckte sie dieselbe gegen ihn aus. Und er, Konrad Gruber, der verwilderte, gesunkene Mann, nahm sie, o, wie zaghaft und vorsichtig! m t d r Linken, beugte sich darüber und küßte sie. D S war der Konrad G.ub.r, wie er gewesen war in jener Blütezeit, von welcher Hulda soeben gelp ochen! G.wß: in all den Jahren die vergangen waren, se t er die ohnmächtige Geliebte in das Forsthaus geleitete, befand sich kein Augenblick, worin er sich seiner Gefühle so wenig zu schämen brauchte, als in diesem, da er den endgültigen Abschiedskuß auf ihre Hand drückte I Keines Wortes zeigt« er sich mächtig; wohl aber muß eine Thräne aus seinen Augen gefallen sein, dcnn draußen auf dem Gange bemerkte ich. daß Hulda, ehe sie den Handschuh wieder anzog, mit ihrem Taschentuch verstohlen tun Handrücken rieb.
Erst auf der Straße sprach sie zu mir. Sie bevollmächtigte mich, Konrad Grubers geschäftliche Pläne, soweit dieselben Unterstützung verdienten, zu fördern, indem sie mir eine ansehnliche Summ« nannte, die ich aufwenden durfte. Ich sagte ihr, was ich über Siegfrieds Vorhaben erfahren halte. Es focht sie nicht im Mindesten an. „Das alles liegt hinter uns," versicherte sie. so zuversichtlich, als wenn sie Siegfrieds Sinnesänderung verbrieft und besiegelt hätte.
Vom Wagen auS ries sie mir zu: .Eme Bitte bleibt mir noch auszusprechen. Trennen Sie sich heute Abend nicht eher von meinem Sohne, bis Sir ihm all S erzählt haben, was Sie von mir und jenem bedauernswerten Mann dort oben wissen. Alles — hören Sie! Wenn Siegfried nach Hause kommt, muß er mich nichts mehr zu fragen haben — Sie verstehen mich I — Und nun! Gute Nacht, lieber Freund l Auf WiedersehenI" —
Ich fand Vater und Sohn in eifrigem Gespräch. Das heißt: der Alte redete,
und der Junge hörte zu. Die weichmüt'ge Regung, welcher sich Konrad Gruber vorher hingegeben, war nicht von langer Dauer gewesen. Der Prahler, der Bramarbas in ihm war schon wieder obenauf. Von seinen Kriegtzfahrten berichtete er und von dem unruhigen Wanderleben, das er seit dem Frieden geführt hatte, vom Osten zum Westen der Union und wieder zurück, eine Prosession nach der andern ergreifend, in keiner verharrend, heute leichten Gewinn einstreichend, morgen als armer Vagant sich von Farmhof zu Fannhos durchbettelnd. Siegfried lauschte verwundert; er hatte offenbar keinen rechten Begr ff von der Möglichkeit einer solchen Existenz. Und je mehr Gruber, im Eifer der R de, dem Drange nachgab, sich als ein Tausendsasa aufzuspielen, als Allerweltskerl, der überall sich zurechtzufinden und durch jede Öffnung hindurchzuschlüpfen w.sse, d-sto düsterer sah der Sohn drein. Zuweilen warf er mir einen raschen Blick zu, worin ich die Frage las: Wie denken Sie, Herr Rat, über dies Exemplar der Sp>cics domo? — Aber ich bewahrte meinen Ernst, so sehr mich auch innerlich die Schaustellung belustigte, die Konrad Gruber von sich veranstaltete. In die Anrede: .Herr von Altmühl" hatte er sich erstaunlich rasch gefunden; eS machte ihm sichtlich Freude, sie so oft wie möglich anzubringen. Er bot wiederholt Cigarren an; er wollte Bier holen lassen; er genoß die Situation, in die er versetzt morsen war, mit dem Behagen eines Menschen, der sich daran gewöhnt hat, sich in alles zu finden und allen Dingen die beste Seite abzugewinnen.
Als nach Verlauf einer halben Stunde Siegfried begann, Zeichen von Überdruß und Ungeduld zu geben — welche der glückliche Vater freilich nicht merkte — brachte ich das G<smäch auf Grubers geschäftliche Angelegenheiten. Es verhielt sich damit, wie ich vermutet hatte: er bemühte sich, g'ößere Sendungen von Bier auÖ Kredit zu erhalten. Ob er von vornherein einen Schwindel beabsichtigte, ließ ich auf sich beruhen; ich kam meinem Aufträge nach, indem ich ihm eröffnet«, daß das gnädige Fräulein bereit sei, innerhalb mäßiger Grenzen für ihn Bürgschaft zu leisten. Sobald er das gänzlich Unerwartete begr ffen hatte, strömte er über von Dankbarkeit. Doch vergaß er nicht, auf einem Blatt Papier, daS er aus einer schmutzigen Brieftasche riß, mir sofort Namen und Wohnung ,weier Brauer niederzuschreibsn, mit deren Produkt er Handel zu treiben wünschte. Ich versprach ihm. die Herren sollten bis zum Mittag d.s nächsten TageS im Besitz der erforderlichen Dokumente sein, und forderte ihn aus, unmittelbar nach dem Abschluffe der Kontrakte seine Rückreise nach New-Iork anzutreten. Dies gestand er bereitm lllgst zu. Und nun ging er aufgeregt in dem engen Raume hin und her, seinen Schnurrbart streichend und nirs hin und wieder listig «„blinzelnd. Er sei sozusagen ein gemachter Mann, meinte er. Schon hatte er im Geist einen großen Lagerkeller gemietet, war Besitzer von einem Dutzend Pferde und d.m zu denselben gehörigen Fahrgeschirr und sah sich als Importeur echt bayrischen Biens über die ganze Union bekannt.
Siegfried zwinkerte mir mit den Augen zu. Er hatte genug; ich glaubte e- wohl. Wir erhoben unS gleichzeitig. Gruber erwachte auS seinen Zukun tsträumen; indem er nach seinem Hute suchte, erklärte er, daß er „die Herren" begleiten wolle.
„Lassin Sie das lieber sein," entgegnete Siegfried kühl. „Ich ziehe vor, diesseits dieser Thür von Ihnen Abschied zu nehmen."
Etwas verblüfft war der Amerikaner doch von dieser deutlichen Abfertigung; aber im Nu hatte er sich gefußt.
„Meinetwegen!" rief er lachend. „Die Herren finden ja den Weg auch ohne mH." — Plötzlich fiel ihm ein, was er über Siegfriede geheime Absichten erkundet hatte. Vertraulich wandte er sich zu ihm: „Alle Wetter, Herr von Altmühl, wie wird denn das jetzt mit dem hübschen Theaterblümchen?' — Er antwortete sich selbst: „Na, ich kann mir's denken; sie wird ihre Koffer wieder auSpacken müssen."
Diese Worte begleitete er mit einem leichtfertigen Lachen, — der lockere Weißbart, — mit einem Lichen, das seine Züge widerwärtig verzerrte.
Mit gerunzelter Stirn fragte Siegfried: „Wie wissen Sie?"
Und Gruber wieder ernsthaft: „Ich will Ihnen einen guten Rat geben, Herr von Altmühl. Jagen Sie Ihren Kammerdiener weg, dm Franz. Der Mensch läßt sich Ihre Geheimr isse beim Bierkiug abzapsen."
„Der Bursche soll noch heute Abend seinen Laufpaß haben. I h würde Ihnen sehr verbunden sein, wenn Sie ihn gleich m t nach Amerika nehmen wollten."
„Ich will meine Überredungskunst an ihm v.rsuchen," erwidert« Gruber gut» mütig. „Und bei Ihrem Reitknecht, dem AloyS. sickert'S auch durch. Ich versichere Ihnen, Herr von Altmühl, ich habe mehr über Sie erfahren, als ich wieder auS» plaudern möchte."
Siegfried stampfte mit dem Fuße auf. „Der ganzen Bande «erb» ich Mich entledigen," rief er zornig.
„Recht so," schmunzelte Giuder zufrieden. „So würde ich's auch machen. Wer eine Lvree tiägt, Muß daS Maul halten können."
Siegfried nagt« a-r den L ppen, es kochte in ihm.
„Leben Sie wohl, Herr Parker," sagte cr plötzlich.
„Ach was, Parker I Warum nicht noch einmal Vater? — Bei meinem Fahneneid, es klang v.rteufelt hübsch!"
Der Alle streckte die Hand hin; Siegfried gewann etz über sich, sie flüchtig zu drücken; dann stürzte er davon. DaS Wort, das jener zu hören begehrte» wollt« ihm zum zweiten Male nicht über die Lippen.
Al« er neben mir die Trepp« hinadstieg, stöhnte er. Ich konnte ihm nach» fühlen, war in ihm vorging, und enthielt mich de» Redens.
(Fortsetzung folgt.)