Samstag
Beilage zu Ur. 53
4. Mai 1895.
1^» ^Nachdruck o«riot«n-I
Der ßröe von Hattingen.
Novelle von Wilhelm Berger.
(Fortsetzung.)
Ich aber wußte nun, daß mit dem schönen Freunde des Försters sich in der Vergangenheit etwas ereignet habe, das ihn um das Wohlwollen der Schwestern brachte, und beschloß, eine paffende Gelegenheit wahrzunehmen, um Wolfshagen zum Reden darüber zu bringen.
II.
Der Förster empfing mich mit der Frage, wie mir seine Behausung gefalle, worauf ich erwiderte, der Bau sei nur insofern interessant, als er vollständig planlos und noch dazu mit seltenem Ungeschick errichtet sei. Ich fügte hinzu: „Wenn ich sonst ein altes Wohngebäude durchwandere, dann habe ich immer die Empfindung einer geheimnisvollen Vergangenheit. Damit meine ich nicht, daß ich etwa voraussetze, es seien darin entsetzliche Dinge geschehen. Aber ich sage mir: die Mauern, in denen vier, fünf Generationen sich abgelöst haben, müssen doch das eine oder andere außergewöhnliche Menschenschicksal gesehen haben. Bei der Promenade durch Ihr Haus dagegen, Herr Förster, bin ich von einem derartigen Gefühl gänzlich frei geblieben; ich glaube, es hat sich niemals etwas darin ereignet, das in einem Romane zu verwenden wäre."
„Der Schein trügt." sagte der Förster. „Was im vorigen Jahrhundert die adeligen Damen hier getrieben haben, weiß ich nicht. Wenn eine derselben Aufzeichnungen hinterloffen haben sollte, was immerhin möglich ist, so stecken dieselben in unzugänglichen Archiven. Aber noch zu meiner Zeit ist dieser Mißbau der Schauplatz einer seltsamen Begebenheit gewesen."
Eine der Schwestern räusperte sich leise.
Der Förster achtete nicht darauf, sondern fuhr fort: „Oben in Ihrer Kammer, Herr Sekretär, hängt eine Photographie. Etwas verblichen ist sie zwar, doch immerhin noch deutlich genug, um von dem Manne, den sie darstellt, eine richtige Vorstellung zu geben. Sehen Sie sich das Bild einmal an; es ist der Mühe wert. So hübsche Menschen, wie der Konrad Gruber einer war, sind selten."
Das Schwesternpaar wurde unruhig. „Laß doch die alten Geschichten, Eberhard," bat Zelle. Over war es Nicke — ich weiß es nicht.
„Was ist daran gelegen?" versetzte jener gleichmütig. „Wir haben keine Unehre davon gehabt."
Bei dem Widerstande der Schwestern hielt ich es nicht für schicklich, der Sache Wetter nachzuforschen. Dem Förster indessen schien daran gelegen, vor mir, dem Fremden gewissermaßen das Renommee seines Hauses zu retten. Er entkorkte eine frische Flasche Graacher, schenkte die Gläser voll und Hub dann bedächtig an: „Dieser Konrad Gruber, müssen Sie wissen, besuchte die Forstschule mit mir. Er war ein frischer Jungs damals, mit einem Gesicht wie Milch und Blut. Dabei ein Teufelskerl, der recht gut wußte, wie hübsch er war, und das seinige that, seine körperlichen Vorzüge in das beste Licht zu setzen. Und liebenswürdig war er auch; sein Wesen trug das Gepräge einer rückhaltlosen Offenheit, die ihm alle Herzen gewann, und nicht zuletzt das meinige. Wir fanden nun freilich bald heraus, daß Gruber weitaus nicht der Engel war, als welcher er uns anfangs erschien. Er erwies sich als ein unzuverlässiger Freund, als ein plauderhaster Zwischenträger; er wälzte die Streiche, die er verübt hatte, mit raffinierter Geschicklichkeit auf andere ab; er nahm unsere Börsen in Anspruch, ohne jemals an Rückzahlung zu denken. Dazu besaß er nicht den mindesten Lerntrieb, so leicht er auch faßte. Aber eS giebt ja privilegierte Naturen, die sich alles erlauben dürfen. Man schüttelt den Kopf über ihre Fehler, ärgert sich auch gelegentlich über sie, und kann ihnen dennoch nicht gram werden. So verhielt es sich mit Konrad Gruber. Er konnte thun und lasten, was er wollte: er blieb liebes Kind bei allen.
„Nachdem wir beide gleichzeitig die Forstschule verlassen hatten, sah und hörte ich lange nichts von ihm. Ich hatte das Glück, im praktischen Dienst rasch befördert zu werden, und erlangte in verhältnismäßig jungen Jahren diesen Posten, auf dem man, wie eS den Anschein hat, allerdings beabsichtigt, mich verschimmeln zu lasten. Als ich meine Bestallung in Händen hatte, machte ich meinen Schwestern plausibel, daß sie wohl daran thäten, zu mir zu ziehen. Ganz ohne weiteres waren sie nicht zu haben. Eine Einsiedelei im Walde ist kein Platz, den man in jungen Jahren so leicht freiwillig zum Wohnorte wählt. Aber ich war der einzige Bruder und durfte doch nicht körperlich und geistig in einer Junggesellsnwirtschast verkommen; das hat den Ausschlag gegeben."
„Glauben Sie ihm nicht," fiel eine der kleinen Damen ein. „Wir bedurften seiner Unterstützung mehr, als er der unsrigen. Gezögert haben wir nur, weil wir fürchteten, uns nicht genügend nützlich machen zu können."
Und die andere vollendete: „Als wir darüber beruhigt waren, kamen wir unverzüglich."
„Also im Jahre 1856 begründeten wir unseren gemeinschaftlichen Hausstand," fuhr der Förster in feiner Erzählung fort. „ES war im Herbst des nächsten Jahres —"
„Am 13. November," schaltete eine der Schwestern ein —
„Als ich am Nachmittag eine Kutsche sich durch den Wald winden sah. in der Richtung auf die Oberförsterei. Kaum denkbar war, daß dieselbe sich verfahren haben sollte, da an guten Landstraßen in dieser Gegend schon damals kein Mangel
war. Der vornehme Besuch galt also zweifelsohne mir. Ich verfügte mich zur Einfahrt und sah mit nicht geringer Spannung der Ankunft des Wagens entgegen. Schon aus der Ferne rief mir eine bekannte Stimme zu: ,Guten Abend, Eberhard!'. Doch besann ich mich vergeblich, wer der Rufende sein könnte; denn mit demjenigen, der eS war, hatten sich meine Gedanken schon lange nicht mehr beschäftigt, und ihn konnte ich auch am allerwenigsten in dem Gefährt vermuten. Bald indessen, bei dem Anblick eines blonden Kepfes, der sich aus dem Wagenfenster schob, ging mir ein Licht auf: eS war kein anderer als Konrad Gruber, der als Reisender — ich erspähte einige aufgcschnallte Koffer — sich anschickte, bei mir einzukehren.
„Ich hatte kaum ein anderes Gefühl, als dasjenige der Neugier, während die Pferds Vdllends den Hügel cmporklommen. Noch war der Wagen nicht zum Stillstand gekommen, als Konrad heraussprang, auf mich zueilte und mich mit überschwänglicher Lebhaftigkeit umarmte. Was er alles hervorsprudelte, weiß ich nicht mehr, denn ich hatte inzwischen gesehen, daß er nicht allein gekommen war. In der Kutsche saß eine verschleierte Dame.
„Konrad. immer achtsam auf alles, was um ihn her vorging, hatte meinen Blick bemerkt. Rasch raunte « mir zu: ,Es ist meine Frau. Wir sind auf der Flucht vor hochmütigen Verwandten. Gewähre uns ein Asyl um unserer alten Freundschaft willen; ich habe auf Dich gerechnet. Später erzähle ich Dir alles'.
„Was sollte ich machen? — Wie diese beiden Gäste, die da hereinschneiten, unterzubringen waren, davon hatte ich keine Ahnung. Raum genug war freilich vorhanden, doch in den Gastzimmern oben über den drei Treppen fehlte noch jegliches Mobiliar. Aber abweisen konnte ich die Flüchtigen nicht; einer solchen Hartherzigkeit war ich nicht fähig. Mochten sie bei uns vorlieb nehmen!
„Ich erwiderte kurz, das begehrte Obdach solle ihm nicht versagt sein. Darauf sprach er nach dem Wagen zu: ,Hulda, wir sind geborgen! Ich sagte Dir's ja: Eberhard Wolfshagen ist der beste der Menschen!'
„Aus dem Wagen aber kam keine Antwort; auch regte sich nichts darin. Betroffen eilte Konrad zum Schlage. Die Dame, die er seine Frau genannt hatte, war ohnmächtig geworden. WaS mochte die Ärmste alles erduldet haben, dachte ich, daß sie jetzt zusammenbricht, in dem Augenblick, da sie weiterer Anspannung enthoben ist!
„Konrad sprang in den Wagen; er hob die Leblose herab, und ich empfing sie in meinen Armen. Ich trug sie über die Schwelle dieses Hauses. Es fiel mir auf, daß sie in kostbare Tücher gehüllt war, daß ein feines Parfüm von ihr ausging. Darüber erschrak ich. Welche Prinzessin sich ihm in Liebe zugewandt habe? fragte ich Konrad, der neben mir herschrttt, den Schleier lüftend und ängstlich in den Zügen forschend, die mir noch verhüllt blieben.
„Er hatte keine Zeit, mir zu antworten. Schon kamen Jette und Rieke herbei, voll von Mitleid mit der Unbekannten, voll Eifers, ihr zu helfen. Sie wiesen mich an, meine Last in ihre Schlafkammer zu tragen und sie dort auf eines der Betten niederzulegen. Als dies geschehen, entfernte ich mich, und traf auf dem Flur Konrad. Er war zurückgeblieben und ging unruhig hin und her, augenscheinlich wenig damit zufrieden, daß ihm so kurzer Hand die Sorge für seine Frau abgenommen worden war."
Hier nahm eine der Schwestern das Wort. „Wir erstaunten nicht wenig, als wir gewahrten, welch ein feines, vornehmes Geschöpf uns so urplötzlich in die Kur gegeben war," berichtete sie. „Die Hüllen, die wir von der Ohnmächtigen lösten, gaben Zeugnis davon, daß sie aus einem reichen Hause stammte. Hübsch erschien sie uns nicht, als sie bleich, mit geschloffenen Augen, vor uns lag; dann aber, nachdem sie diese Augen geöffnet hatte und ihre Züge sich zu beleben begannen, wurden wir anderer Meinung. Ein liebreizendes Kind war sie, braunlockig, mit dunklen, schön gezogenen Brauen und großen, blauen, leuchtenden Augensternen. Und noch so jung, so jung! — Ob sie bleiben dürfe? war ihr erstes Wort. So zaghaft kam eS heraus, so scheu blickte sie uns dabei an — wir merkten wohl, wie furchtsam ihr noch umS Herz war. Wir beruhigten sie; wir versicherten ihr, daß sie sich unter Freunden befinde. Und nun, als sie sich erkundigte, ob wir die Schwestern von Eberhard Wolfshagen, dem Freunde ihres Mannes, wären, und gleich darauf bat, Konrad zu benachrichtigen, daß sie sich wieder erholt habe — nun errieten wir» wem Eberhard Herberge gegeben hatte. Sofort aber war uns auch klar, daß in dieser Ehe nicht alles in Ordnung sein konnte. Über Konrad GruberS Verhältnisse und Aussichten im Leben waren wir hinreichend unterrichtet, um zu wissen, daß dieses Frauenzimmer, welches jetzt selbst uns gegenüber ihre Gewohnheit, zu befehlen, nicht ganz verleugnen konnte, weit über seinem Stand war. Liebesheiraten aber, die über eine wette gesellschaftliche Kluft hinweg geschlossen werden, führen bekanntlich selten zu irdischem Glück. Sie dauerte uns, die kleine, niedliche Person, und wir glauben, sie war klug genug, dies aus dem wärmeren, herzlicheren Tone zu schließen, den wir gegen sie anschlugen."
Die andere Schwester fuhr sott : „Unser Mitleid war ihr unbehaglich; sie empörte sich dagegen und kehrte die Prinzessin heraus. Eine von uns möge doch nach ihren Kcff-rn sehen, ordnete sie an. und die andere ihr bei der Toilette be- hülflich sein. Seit achtundvierzig Stunden sei sie nicht aus den Kleidern gekommen, die sie trage. Sie müsse sich für ihren Mann schön machen und ihm wieder etwa» Neues werden. Und nachdem die Koffer hcrbeigebracht waren, putzte sie sich mit unserm Beistände heraus, als ob sie zu einer Soiree in der Residenz gebeten wäre. ES machte ihr augenscheinlich Freude, und uns auch.
(Fortsetzung folgt.)