Samstag

Beilage zu Ur. 47. 20. April 1895.

Iseuicketon.

(Nachdruck verboten.^

Die Alanöverstütze.

Novelle von An n a Gnevkow.

(Fortsetzung.)

Kaum hörte sie, daß Kurt Abschied nahm, kaum sah sie, daß er auch zu ihr herantrat und seine bärtigen Lippen auf ihre Hand drückte. Jetzt erst kam auch die Schwäche, der sie so lange nicht nachgcgeben, über sie, und als sich die Thür hinter dem Davongehenden geschlossen, sank sie in halber Ohnmacht in die Kissen ihre« Stuhles zurück, so daß Elisabeth, di- sie nicht aus den Augen verloren, er­schreckt herzusprang und ihr voll Mitleid zuraunte: .Fräulein Leonore, Fäulein Leonore, sei»n Sie nicht so betrübt, er will ja in wenigen Tagen schon wieder hier sein."

Gleich darauf trat die kleine Manöverstütze ihr Samariteramt an und waltete sein mit unermüdlichem Eifer, treuester Hingebung. Johann war angewiesen worden, sie darin zu unterstützen, und sie selbst lag mit solcher Energie ihrer Pflicht ob, daß der alte Arzt behauptete, sie erriete seine Gedanken schon immer, ehe er sie aus­gesprochen, und wenn der Kranke genese, habe er eS größtenteils der kleinen barm­herzigen Schwester zu verdanken.

Erwähnte der greise Doktor diese Ansicht unt n im Familienkreise, dann konnte Leonore mit Augen, die wie erloschen blickten, aus dem Zimmer gleiten, um ihr eigenes Stübchen auszusuchen und sich darin zu verschließen, der Baron aber enthusiasmiert rufen, er habe eS immer gesagt, daß das Liefe! ein Prachtmädel sei, und die Frau Baronin, die leidend geblieben 'war und auf dem Sofa lag, sich Glück wünschen, daß sie gleich an Elisabeths Eltern geschrieben und Nachurlaub für die Tochter, im Hinblick auf das traurige Ereignis erwirkt habe.

Erna und Linda waren, einem längst beschlossenen Plane nach, zu Verwandten gereist und so der Kreis in Ellerstädt viel kleiner geworden und die frühere laute Lust der Stille gewichen, die um einen Kranken zu sein pflegt.

Und dieser Kranke war noch immer nicht über den Berg hinüber, das Wund­fieber war mit voller Macht ausgebrochen und die Phantasien waren so wirr und kraus, daß der Diener ihnen oft kopfschüttelnd, Elisabeth aber mit einem inneren Erschrecken lauschte, war doch der Name, der immer wieder auf die Lippen deS Leidenden trat, der Eleonorens, des Mädchens, das, wie Liesel gar nicht anders meinte, Kurt liebte und von dem er wieder geliebt wurde.

Elisabeth hatte sich ein Stübchen neben dem großen Erkerzimmer hergerichtet, hier ein Arbeitstischchen am Fenster aufgestellt und die großen Wannen mit Eis deponiert, aus denen sie in regelmäßigen Zwischenräumen die Gummiblasen füllte und sie dem Diener reichte, der am Bette deS Kranken saß und auf die geringste Bewegung desselben achtete. Von Zeit zu Zeit huschte die kleine, leichte Gestalt deS Mädchens dann selbst zu dem Lager des wunden Mannes und überzeugte sich, ob auch alles nach Vorschrift gemacht und jede Anordnung des Arztes pünktlich be­sorgt wurde.

Kurt Waldau wurde am nächsten Tage zurück erwartet, und damit sollte auch dem Wäiterinnenamt Elisabeths ein Ziel gesetzt werden, da sich das Mädchen, das behauptete noch gar nicht erschöpft zu sein, weder Tag noch Nacht Ruhe ge­gönnt hatte. Jetzt saß sie am Bette des Hauptmanns, denn der Diener sollte ein paar Stunden Schlaf genießen, um dann wieder frisch zu sein, und lauschte an­gestrengt auf die kaum hörbaren Atemzüge des Verwundeten, dessen Antlitz schon weniger entstellt war, mit Ausnahme der noch immer geschwollenen Lider, die fest über den Augen lagen. Der Arzt hatte am Vormütag, als er gegangen, eine KrisiS in Aussicht gestellt und versprochen, gegen Abend noch einmal zu kommen, und nun wollte es dem Mädchen erscheinen, als verändere sich unter ihren Blicken das Gesicht des Kranken, als nehme es eine leichenhafte Farbe an und werde spitzer und länger als in den vorhergehenden Stunden.

Tief beugte sich die kleine Manöverstütze über ihren Schützling, als von der Schwelle deS Nebenzimmers eine Stimme den Namen .Elisabeth" leise, wie einen Hauch hervorstieß und es veranlaßte, daß sich das Mädchen mit jähem Erschrecken der Stelle zuwandte, von der der Ruf erscholl. Im Rahmen der Thüre stand Leonore, nicht die stolze, königliche Leonore der vergangenen Tage, eine gebeugte, trauernde Frauengestalt, die die Hände gefaltet ausstreckte und Elisabeth, die zu ihr in daS anstoßende Stübchen eilte, mit heißem Flehen in die fragend zu ihr auf­geschlagenen Augen sah.

Was soll ich, Fräulein Lori, bin ich unten nötig?" war daS erste, was Elisabeth hervorstieß, um hastig hinzuzusügen:Aber bann muß Johann aufstehen und herauf beordert werden, der Kranke darf keinen Augenblick allein sein, denn fast will eS mir scheinen, als könne der Tag heute noch traurig enden."

Ein jäher, krampfhafter Druck der Hände Liesels war zunächst daS einzige, waS ihre Worte bei Fräulein von Ellerstädt hervorrief, dann beugte sich ihr schnee- bleiche« Antlitz tief zu dem Gesicht der kleinen AmtmannStochtcr herab, und ihre Stimme bat, klanglos fast und heiser:Ja, gehen Sie hinab, Elisabeth, gehen Sie hinab und lassen Sie mich nur eine Stunde mit dem Kranken hier allein."

Sie, Fräulein Leonore?" rief Elisabeth mit einem so jähen Erschrecken, daß die« zu der gegebenen Situation gar nicht zu passen schien,daS darf nicht sein, Ihre Frau Mama würde eS sehr mißbilligen, wollte ich meinen Posten verlassen, und ich bin gar nicht müde, ganz gewiß nicht."

Wie könnte man auch müde weiden?" klang es fast träumerisch zurück, aber Liesel, wenn ich Sie nun bitte, mich an Ihre Stelle treten zu lasten, heute, am letzten Tage, denn morgen schon kommt Kurt Waldau. Wenn ich Ihnen sage, daß es zu meiner Ruhe, zu meinem Frieden dient, für den Mann, der sein Leben für mich in die Schanze geschlagen, auch einmal einige kurze Minuten hindurch etwas zu thun, könnten Sie es mir abschlagen, könnten Sie wirklich so hart zu mir sein?"

Elisabeth hielt sich die Hände über die Ohren, als wolle sie diese gegen die flehenden Töne Loris verschließen. Mußte sie nicht hart sein, mußte sie nicht un­erbittlich bleiben, wo es galt, Eleonore vor dem Verhängnis zu bewahren, aus den Phantasien des Hauplmanrs heraus zu hören, daß sie dem Manne ein noch größeres seelisches Leiden aufcrlegt, als er um ihretwillen körperlich litt, mußte ihr nicht ihre Unbefangenheit gewahrt bleiben, so daß sie Kurt mit voller Herzens- freudigkeit als Braut angehören konnte? Die kleine Stütze wappnete sich deshalb mit Mut und Stärke, und so sehr es sie auch verlangte, ihrem Ideal einen Wunsch erfüllen zu können, sagte sie doch abweisend:Der Kranke bedarf jetzt nicht ein­mal der Unterstützung, die EiSumschläge sollen, so lange er in diesem ruhigeren Zustande bleibt, nicht erneuert werden, und Sie könnten deshalb jetzt nichts, gar nichts für ihn thun."

Als beten," ergänzte Leonore sanft und unter dem Ausdruck, den ihr Antlitz dabei annahm, wich Elisabeth von der Schwelle deS Krankenzimmers, die sie be­hütet, zurück, weiter und weiter und litt eS schweigend, daß Fräulein von Eller­städt ihre Hand ergriff und sie hinaus führte, auch aus dem kleinen Stübchen, um dann leisen, schwebenden Schrittes, wie eS das Liesel noch sah, ehe es die Thür schloß, zu dem Kranken zurückzueilen. Wie gehetzt lief Elisabeth die Treppe hinab, durch den Flur und hinein in den Garten und Park, deren Wege sie plan- und ziellos durchirrte, immer mit dem nagenden Gedanken: ein schlechter Soldat, der seinen Poftcn verläßt. Was kann dort oben nicht alles geschehen, denn das Glück wird nicht geben, daß er ruhig so weiterdämmert wie in den letzten Stunden, daß er nicht zurückfällt in seine Phantasien, daß kein Wort über seine Lippen kommt von dem, was die Ruhe, den Frieden anderer stören würde.

Und während die kleine Manöverstütze so unter Selbflvorwürfen und An­klagen litt, war oben, in dem großen, luftigen Erkerzimmer Leonore neben dem Krankenlager zur Erde geglitten und starrte mit heißen, trockenen Augen in da» totenbleiche Gesicht deS Verwundeten. Wie lebensvoll war der Mann, der siech und krank vor ihr lag. noch vor wenigen Tagen gewesen, und nun sah sie ihn hier wie eine gefällte Eiche, niedcrgeworfen um ihretwillen, die sie es nun und nimmer um ihn verdient. Wenn er doch wieder genesen, wenn er doch erstarken, wenn ihm doch nur das Augenlicht erhalten beiden würde, gern wollte sie dann still zurück­treten, gern wollte sie ihre Schuld an ihm dann durch Einsamkeit und Entsagung büßen, wollte es ruhig mit ansehen, daß eine andere den Preis davontrug, diesen Mann, der wie ein Held die nichtigen Eitelkeiten des Leben« verachtete, ihr eigm zu nennen. Wie hoch und weiß die Stirn, hinter der so viel große und gute Ge­danken thronten, die er ihr wie einer guten Freundin stet» mitgeteckt, wie edel die Form deS Gesichts, wie viele Güte in den Linien des Mundes und die Augen, die Augen sie glaubte sie in diesem Augenblick zu sehen, so lichtvoll, so ernst, so aufflammend, wenn eS gall, eine große Idee zu erläutern und zu verteidigen.

Durch die halbgeschlostenen Vorhänge glitt ein Sonnenstrahl und legte sich warm auf die noch immer fest verbundenen Hände Hugo Erbachs, em Heer von Sperlingen führte in den Zweigen der allen Kastanien einen Krieg mit lautem Ge- piepe und Geschrei, und zuweilen rauschte es in dem rotgelben Blättergewirr und ließ das falbe Laub sich lösen und zur Erde niedersinken. Totenstill war e« in dem Krankenzimmer, nicht der Laut eines Atemzugs hörbar, beklemmend legte r» sich auf Leonorens Herz und trieb sie empor von den Knien, auf denen sie vorher gelegen und für das Leben des Verwundeten gebetet, um, wie vorher Elisabeth, sich dicht, immer dichter zu dem weißen, blutlosen Antlitz des Kranken hernieder zu beugen.

Nur leben, nur leben l" von dem Herzen quoll eS ihr warm empor zu den Augen, und eine heiße, brennende Thräne fiel, «he sie ihr zu wehren vermocht«, hernieder auf die Stirn des Liegenden. Ob sie der Kranke empfunden, ob gerade in dieser Minute die Lethargie, die ihn gefangen genommen, wich? Langsam hoben sich die Lider von den Augensternen, und diese selbst sahen, wenn auch noch etwa» trübe, doch mit einem vollen Strahle des ErkennenS in daS geneigte Mädchenantlitz.

Leonore I"

War er eine menschliche Stimme, war eS nur ein Traum, eine Einbildung, daß ihr Name, leicht, wie ein Hauch, durch das Zimmer geglitten? Gab eS einen so plötzlichen Übergang von der tiefsten Hoffnungslosigkeit zum Glauben an ein Besserwerden, an eine Wendung des traurigen Geschicks? Und Leonore blieb atem­los in der einmal eingenommenen Stellung, Auge in Auge mit dem Manne, der ihren Namen genannt.

Und Hugo Erbach fuhr fort zu sprechen, leise, verschleiert, mit einem AuS- druck weicher Glückseligkeit, der Lori ins Herz griff.Bist Du auch gestorben und mir vorangegangen, mein Mädchen, und es giebt nun keine Schranke mehr, di« uns trennt? Wer wollt« auch in dem Reiche deS Lichte« danach fragen, was Stellung und Geld auSmachen, nur auf die Liebe kommt e» an, und ich habe Dich immer geliebt, Leonore."

(Fortsetzung folgt.)