Beilage zu Ar. 41

4. April 1895

Donnerstag

e er r 1 ^ 6 t ^ er. ^Nachdruck verboten.I

Die Manöverstütze.

Novelle von Anna Gnevkow.

(Fortsetzung.)

«Wird er sich doch nicht den Magen verderben/ konnte sich Kurt nicht ent­halten, lachend einzuwsrfen, und trat rasch aus seinem Bersteck hervor, Elisabeth zu begrüßen, aber das Mädchen war rascher als er; flüchtig wie ein Reh verschwand es, und rur dxr Sonnenstrahl lag noch auf der Stelle, auf der es soeben gestanden.

Einige Minuten später schüttelte Friedrich in höchstem Erstaunen sein graues Haupt, denn als er die Hand öffnete, in die der junge Osfizier mit leisem Nachdruck ein kleines Geldstück hatte gleiten lassen, offenbarte sich dies unter dem freundlichen Sonnenstrahl, der es goldgelb aufblitzen ließ, als ein blinkendes Zehnmarkstück. Nun hatte er wohl schon öfter drei Mark erhalten, wenn irgend einer der Besucher Schloß Ellerstädts sein Pferd bei ihm einstellte, auch fünf Mark halte man ihm schon gegeben, wenn er Logiergäste nach dem Bahnhof gefahren, zehn Mark aber, das war etwas Unerhörtes und steigerte seine Hochachtung vor Freund Lampe bis ins Grenzenlose, so daß er jetzt jeden einzelnen Grashalm auflas, der vorher Elisa­beths zitternden Armen entsunken und sie dem Tiere zuwarf, dem er doch entschieden dies reiche Geldgeschenk zu verdanken Hafts.

Die Ellerstädt'schen jungen Damen waren mit den Herren, die im Schlöffe einquartiert worden, im Parke, und dorthin lenkte Kurt, nachdem er Herr und Frau von Ellerstädt begrüßt, von einem Diener geführt, seine Schritte.

Leonore war die erste, die ihn bemerkte und die ihm schon von weitem ein so fröhliches Willkommen entgegen rief, daß er sich beeilte, an ihre Serie zu kommen und die kleine Hand, die sie ihm entgegenstreckte, an seine Lippen zu ziehen. Und nun entspann sich zwischen ihr und dem jungen Offizier ein so lebhaftes Gespräch, in dem der Witz des einen in dem des andern ein ordentliches Tournier führte, daß Hauptmann Erbach, wenn eS ihm darum zu thun war, wohl dahinter hätte kommen können, daß Schönheit und Geist zwei sich berührende, nicht zwei sich ab­stoßende Eigenschaften zu sein brauchten. Schönheit und Gcrst, aber auch Schön­heft gepaart mit Herz und Genrüt? Leonore war in einer schwer zu erklärenden Gefühlserregung, und während sie sonst ohne alle Koketterie die Huldigungen der Männerwelt wie einen Tribut hingenommen, der ihr freiwillig dargebracht wurde, suchte sie jetzt hier und dort zu fisseln, bewußt zu eringcn, was ihr bisher unbe­wußt zugefallen.

Hauptmann Erbach wurde mit der Zeit ganz still, sein Blick streifte wie ver­loren die prächtigen Baumgruppen, deren Laub in allen Schattierungen erglänzte, raschelnd streifte sein Fuß einige Male die welken Blätter, die der Herbst von den Bäumen geweht, und dann ging er Elisabeth entgegen, die von einem Diener be­gleitet, der eine große Platte mit Eßwaron trug, einer weitästigen Linde zuschritt, das Frühstück auf dem Tische darunter zu arrangieren.

«Wie gut sich Ihr Freund in der Rolle des hilfsbereiten Genius ausnimmt/ lachte Lorie etwas gezwungen, als sie den Hauptmann geschäftig mit Elisabeth das Tischtuch ausbreiten sah. «Ich hätte nie gedacht, daß die rauhen Krieger auch für die schlichten häuslichen Arbeiten Sinn und Verständnis haben könnten."

«O, Erbach vor allen," gab Kurt, dessen Blick unverwandt an der kleinen Gruppe unter der Linde hing, schnell zu, «er stammt aus einem Hause, in dem die Mutter, die Schwestern alle häuslichen Tugenden zu üben pflegen, und er schätzt nichts so hoch wie die sorgende, sanfte Hand bei einer Frau."

«Auch, wenn sie vom Küchendunst rot und geschwollen erscheint?" fragte Leonore und schritt etwas hastiger dem Lindenplatze zu.

Kurt lachte.Das weiß ich nicht, mein gnädiges Fräulein, aber zu befürchten hätte er cs hier ja auch nicht, Fräulein Halligs Hände sind, wie ich gestern Gelegen­heft hatte zu bemerken, klein, und wenn auch ein wenig von der Sonne gebräunt, doch von hübscher Form und wohlgepflegt."

Da war eS gesagt, in klaren, dürren Worten gesagt, was die beiden jungen Leute tief in ihrem Innern gedacht, ohne daß 'einer von den Regungen des andern etwas gewußt hätte. Wie eine Bestätigung ihrer geheimsten Gedanken nahm es Leonore, die sich also wirklich durch das kleine Mädchen die Krone rauben lassen sollte, nach der sie gestrebt und die sie ihr, wie sie es sich mit einem leichten Zurück- Werfen dcs Kopfes jetzt zugestand, gern überlaffen hätte, wenn sie ihr erst vorher geboten worden wäre. Gern überlaffen? Es wallte doch heiß auf in dem Her­zen des schönen Mädchens.

Kurt aber fand cs heidenmäßig, daß die kleine Manöverstütze, mit der ihn doch das Vorrecht der ersten Bekanntschaft mehr verband wie dem Freunde, diesem so willig Rede und Antwort stand, wo sie vor ihm in Haltung. Wort und Gebärden stets auf der Flucht schien, und wenn Hugo Erbach diese muntere Plauderei, dies silberhelle Lachen unter dem Lindenbaum der Jagd zu danken hatte, auf der er beinahe angeschosssn und vom Oberamtmann Hallig gerettet worden war, dann wäre er, Kurt, gern an seiner Stelle gewesen, selbst auf die Gefahr einer kleinen Fleischwunde, eines leichten Streifschusses hin.

Beim Diner saß Elisabeth, die erst in der letzten Minute mit hochroten Wangen erschien, so viel war sie umher geschickt und von der Frau Baronin an­gestellt und beschäftigt worden, wieder neben dem Lieutenant von Böhmer, denn ein kleines Manöver Ernas und LindaS, Hauptmann Erbach an Liesels Seite zu bringen,

hatte die Mama noch zeitig genug entdeckt, um den älteren Mann zu sich zu nehmen, die kleine Manövsrstütze aber an den nach ihrer Meinung einzig paffenden Platz am unteren Ende des Tisches, neben den jüngsten Lieutenant, zu sitzen. Gestern nun hatte sich der eben aus dem Kadettencorps gekommene Offizier schwer darüber geärgert, daß ihn das Placement des Abends nicht neben eine der Töchter des Hauses gebracht, heute aber iand er sich in seine Rolle, seine Nachbarin war ein bildhübsches, mobiles Mädchen, dazu nur die Tochter des früheren Wirtschafts-Direktors, wie die Frau Baronin dies stets betont, mithin keine Dame aus der großen Gesellschaft, von den oberen Zehntausend, und wenn man sich da ein wenig gehen ließ, wenn man es mit seinem Tone nicht zu genau nahm, wenn man, Spaßes halber, das kleine Bürgermädel in sich verliebt machte, so hatte das nichts weiter auf sich und gar nichts zu sagen. Der Frühstückswein oder das echte Bier, das im Park serviert worden war, mochten wohl auch noch dazu beigctragen haben, die Unternehmungs­lust deS Lieutenants etwas zu steigern, kurzum, er war ebenso redselig, wie er gestern zum Souper schweigsam gewesen, flüsterte Elisabeth gelegentlich eine nach seiner Ansicht höchst schneidige Schmeichelei zu, lachte viel und schien es gar nicht zu be­merken, daß das junge Mädchen sich scheu von ihm abwandte, ihren Stuhl ein wenig von ihm zurückzog und sehr still wurde.

Niemand beachtete sie, niemand sah, ob dem jungen Kinde eine Unbill ge­schah, zum ersten Mal in ihrem Leben überkam Elisabeths Herz ein heißes Bedauern, sich aus dem elterlichen Hause fort, in die Verhältnisse hierher begeben zu haben; wie anders wäre sie von ihrem Mütterchen bewacht und geschützt worden, als hier von der Frau Baronin, die nur für ihre Töchter Augen und Ohren hatte, und sie schaute mit angstvollen Blicken auf, um gleich daraus die Lider befangen über die braunen Sterne sinken zu lassen.

Zwei blitzende, blaue Augen ruhten mit dem Ausdruck der Beschwichtigung und Beruhigung auf ihr und glitten dann mit einem unbeschreiblich ernsten, fast drohenden Ausdruck zu dem jungen Lieutenant hinüber, der diese Augensprache verstehen mußte, denn er rückte sich etwas gerader auf seinem Stuhl und drehte verlegen an den keimenden Spitzen des blonden Schnurrbärtchens, das die Oberlippe zierte. Elisabeth aber atmete auf, war es ihr doch, als streife eine milde Hand die Last von ihrem Herzen, als habe sie kein Recht mehr, über Verlassenheit und Schutz­losigkeit zu klagen, als wäre sie so wohl behütet wie daheim unter den Fittichen der elterlichen Liebe. Mochte doch nun Herr von Böhmer schwatzen, so viel er wollte, ihre Lippen hielten ein stilles Lächeln fest, das er sehr zu Unrecht auf eigene Rechnung setzte, da es ihm doch durchaus nicht galt. In Gedanken sah sich das Liesel wieder auf der Landstraße, hörte den Hellen Ruf des Offiziers: «Laufen lassen!" griff das Häschen, das ihr entgcgenstürzte, barg es in ihren Armen, stellte sich dem Lieutenant als Manöverstütze vor, sah sein übermütiges, lachendes Gesicht, dachte an den Schreck, den sie empfunden, als sie ihm in Ellerstädt wieder begegnet, an den Tanz vom gestrigen Abend, an den Besuch, den er am Morgen dem kleinen Vierfüßler gemacht, an die Kohlblätter, die er ihm mitgebracht, und der Schluß all dieser wirbelnden Gedanken war: «Wie froh bin ich doch, daß er hier ist, er hat doch ein gutes Herz und ich will nicht mehr davonlaufen, wenn er einmal in meine Nähe kommt."

Nach dem Diner ging ein Teil der jungen Gesellschaft um Croquet zu spielen, Elisabeth wurde aber noch von der Baronin zurückgehalten, um die silbernen Tafel­aufsätze rc. zu verschließen, und Hauptmann Erbach erbat sich die Erlaubnis, ein Buch aus der Bibliothek mit hinaus in den Garten nehmen zu dürfen, wo er sich ein sonnenhelles, warmes Plätzchen im Garten suchen wollte, um die letzten sommer­lichen Freuden einzuheimsen. In Wahrheit war es ihm mehr darum zu thun, sich von der Gesellschaft ein wenig zurückzuziehen und allein zu sein, denn seit Kurts Erscheinen lastete das Verhallen Leonorens wie ein Druck auf ihm, und er wäre um jeden Preis gern mit sich ins Reine gekommen. Schon in der Hauptstadt Halle der Zauber, der von Lori Ellerstädts Wesen, nicht von der äußeren Erscheinung, ausging, seinen Einfluß auf die Ruhe, den Frieden Hauptmann Erbachs auSgeübt und, so sehr er sich auch dagegen sträubte, mochte die Schönheft d.s stolzen Mäd­chens doch auch noch dazu beigetragen haben, den stillen, ernsten Mann zu fesseln. Aber der Hauptmann stürzte sich nicht mehr wie ein Jüngling in ein Meer empor- züngelndcr Licbesflammen; er erwog die Thatsachen und sagte sich resigniert, daß ein- Tochter aus dem reichen, vornehmen Hause der Ellerstädts schwer gewillt sein will de, ihre Hand einem Artillerie: Hauptmann zu reichen, der kein besonderes Ver­mögen hatte, dessen Vater zu dem ganz bürgerlichen Gewerbe eines Rechtsanwalt» gegriffen, und dessen Schwestern selbst an Bürgerliche vermählt waren. Er hatte es deshalb schon in der Residenz so viel wie thunlich vermieden, mit Leonore zu­sammen zu kommen, und er war geradezu widerwillig in den Kreis derer getreten, die ihn durchaus mit in den Reihen der Schlittschuhläufer wissen wollten. Gleich Lori war auch ihm jener Wintcrtag besonders in der Erinnerung geblieben, an dem der Himmel so strahlend blau hernieder geschienen, die goldene Sonne Bäume und Sträucher glitzern machte, und fast hätte er damals all das ausgesprochen, wa« sein Herz bewegte, wenn nicht die Vernunft gewaltsam die Oberherrschaft erzwungen, und aus dem weichen Gesühlston war er in jenen Stunden zu den kühlen, lehr­haften Tönen des guten Freundes üdergegangen, hatte seine Gefährtin über dies und jenes im Leben aufzuklären versucht, ihr Verhältnisse nahe gelegt, die sie bis dahin kaum vom Hörensagen gekannt, und diesen Ton fistgehalten, bis er sich in der Hauptstadt von ihr getrennt.

(Fortsetzung folgt.)