Beilage z« Ne. 33
16. Mar; 1895.
Samstag
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Die Manöverstütze.
Novell? von Anna Gnevkow.
(Fortsetzung.)
„Seht," lachte Linda, auf die Schwelle des Zimmers tretend, als ob sie uns im Bade jemand anders überlassen Hütte als ein paar nervöse Regierungsassefforen und einen invaliden Gutsbesitzer, der sich das Bein gebrochen; geben Sie acht, Lisabethchen, auch in unseren vier Pfählen kommt's nicht anders, unsere Domaine bilden ein paar blutjunge Lieutenants, deren Beine nicht nur, deren Herzen sich auch in dieser Manöverzeit üben und wenn wir Glück haben, bekommen wir vielleicht noch einen Artilleriehauptmann hinzu, der, sich selbst zum Schaden, hinausgeritten, seinen Freund nach Ellerstadt zu holen."
„Doch für die Artillerie, da inklimert man nie," trällerte vergnügt Erna und kam frisch und geschmückt zu den Schwestern herein, „ich bitte Euch, wer könnte auch wohl Geschmack an der dunklen Bombe finden, wo Husaren, Ulanen und Dragoner sich auf der Wahlstrtt zeigen."
„Aber Papa hält so viel von der Artillerie," wandte Elisabeth in dem dunklen Drange, dem Unsichtbaren, Angegriffenen zu Hülfe kommen zu müssen, schüchtern ein; „Papa meint, cs gäbe gerade so viele gescheite Menschen unter dieser Waffe, und jeder denkende Mensch müsse Geschmack an der Unterhaltung mit den Herren finden."
„Dann sind wir jedenfalls gedankenlose Wesen, Lisabethel," lachte Linda lustig auf; „aber wir wissen doch nun, wohin die Neigungen der Kleinen zielen, und wenn's irgend angeht, soll der Hauptmann Erbach immer ihr Tischherr werden."
„Nachdem wir sie geschmückt haben für ihren künftigen Beruf," jubelte Ema und wand rasch und geschickt ein paar rosa Astern, die sie noch in der Hand gehalten, in die braunen Haare Elisabeths, die umsonst mit erhobenen Händen flehte, von ihr abzulaffen.
Die älteste Tochter des Barons sagte nichts. Ihr dunkler Blick hatte nur einmal, wie mißbilligend, die übermütigen Schwestern gestreift und war dann mit einem unerklärlichen Ausdruck zu Elisabeth hinübergeglitten, die, ein hohes Rot auf den Wangen, erschreckt zusammenzuckte, als es an der Thür klopfte und der Diener fragte, ob die jungen Damen bereit seien, nach dem Salon herunter zu kommen.
„Fräulein Leonore," Kurt Waldau streckte dem schönen Mädchen, der freudigen Regung seines Herzens folgend, beide Hände entgegen, „wie froh bin ich, Einkehr in Ellerstadt halten zu dürfen! Seit den schönen Tagen an der Ostsee hatte ich den Wunsch, Ihrem Herrn Vater meine Aufwartung zu machen, und wäre das Manöver nicht gekommen, weiß Gott, ich hätte, wie der Dieb in der Nacht, einen unvorhergesehenen Überfall geplant."
Das war wieder die warme, herzliche, zutrauliche Art und Weise, der ungekünstelte Ton, der Kurt Waldau zum Prachtjungen ihres Papas gestempelt, der selbst die kalte Manier der Mama überwunden und der sich mit seinem sympatischen Klange auch zu dem Gehöre Eleonorens schmeichelte. Die Farbe ihrer Wangen vertiefte sich, der Druck ihrer Hand wurde unbewußt herzlicher, als sie es selbst beabsichtigt, und sie erwiderte lebhaft: „Das wäre nur etwas gewesen, Herr von Waldau, was die Eltern erwartet; giebt es doch auch nichts Häßlicheres, als eine Bekanntschaft, an der man Gefallen gefunden, abgebrochen und beschlossen zu sehen, wenn sechs kurze Wochen eines Badeaufenthalts vorübergerauscht."
Mit befriedigtem Ausdruck wandte sich in diesem Augenblick Frau von Eller- städt, welche dis kleine Gruppe, die ihre Atteste mit dem jungen Freunde bildete, nicht aus den Augen verloren, von diesen ab und den übrigen Personen des Salons zu, die in zwangloser Weise teils saßen, tecks standen und sich, wie es den Anschein hatte, höchst gcmüil ch in dem behaglich und komfortabel ausgestatteten Raume fühlten.
Da war zunächst ihr Mann, der cs sich selbst heute, wo er Gäste hatte und trotz des mißbilligenden Kopfschüitelns seiner Frau nicht anthun mochte, im steifen schwarzen Rock zu erscheinen, und der run in seiner grauen Joppe am Fenster lehnte und mit lautem Lachen seinem Gegenüber, einem der von Erna und Linda erwähnten jungen Lieutenants, eine den Frauen schon sehr bekannte, oft erzählte Anekdote zum Besten gab. Der schmächtige, jugendliche Krieger hielt der Rede drs Hausherrn mit gebührender Artigkeit Stand, aber er konnte es doch nicht verhindern, daß seine Augen sehnsüchtig nach den schlanken Gestalten der beiden Jüngsten des Hauffs Ellerstädt schielten, denen der Kamerad von Böhmer so .teufelsmäßig" den Hof machte, daß die Damen noch nicht einmal zur Begrüßung Herrn von Waldaus gekommen waren, der noch immer mit Leonore sprach, während Hauptmann von Erbach, der ein wenig bleich, ein wenig mißlaumgcr erschien als am Vormittag, zur Sette stand; und da war endlich ganz im Hintergründe, ganz in der Ecke versteckt, noch jemand, ein Mädchen in einfachen, dunklen Kleide, rosa Astern im Haare und ein Paar Augen, die mit warmem, zärtlichem Leuchten die hohe, schlanke Gestalt Lori von Ellerstadts umfingen.
Elisabeth, richtig Elisabeth! Die Kleine hatte in den wenigen Stunden ihres Hierseins schon so vicl geleistet, nebenan im Speisesaal alles so schön geordnet, nichts übersehen, nichts vergessen, auch das Emschenkrn des TheeS würde sie mü den flinken Händen besorgen, die wenn ein Tänzchen gewünscht werden sollte, auch
dies noch zu spielen verstanden, — und nun hatte man die junge Stütze fast vergessen, sie völlig übersehen.
Die Frau Baronin war in diesem Augenblick so tief innerlich froh und befriedigt über das augenscheinliche Interesse, das Leonore an ihrem Wiedersehen mit Kurt Waldau nahm, daß eine fast weiche Regung ihr Herz beschlich, deren Ausfluß war, daß niemand in ihrer Umgebung sich vernachlässigt und einsam fühlen sollte. Sie winkte deshalb auch Elisabeth zu sich heran, die wie ein scheues Reh an der Wand entlang zur Frau von Ellerstädt schlüpfte und von dieser mit einer sanften Handbewegung festgchalten wurde.
So lautlos sich diese kleine Scene aber auch abgespielt, die Herren hatten sie doch bemerkt und hielten cs jetzt für ihre Pflicht, das junge Mädchen mit ihren Namen bekannt machen zu lassen. Was schadete es Elisabeth, daß die Frau Baronin bei jeder Vorstellung mit einflicßen ließ: „Fräulein Hallig, die Tochter unseres früheren WrrtschaftsdirektorS," sie ließ eS sich in ihrer sonnigen Heiterkeit ja gar nicht einfallen, daß ihr dadurch von der vornehmen Frau sofort die besondere Stellung angewiesen werden sollte, dre sie in diesen Tagen und in Schloß Ellerstädt überhaupt einzunehmen hatte.
„Hallig, Hallig, Tochter vom Oberamtmann Hallig? fragte zuletzt — Elisabeth hatte die braunen Augen gerade erhoben — eine fast freudig bewegte Stimme- „Wahrhaftig, mein Fräulein, da muß ich mit Ihnen noch ganz speziell einen Händedruck wechseln, denn ich kenne Ihren Herrn Papa, habe im vorigen Jahre eine Treibjagd beim Forstmeister Murig mit ihm durchgemacht, und wie Sie mich hier sehen, gesund und frisch, danke ich dies nur dem Herrn Amtmann, der emcm Sonntagsjäger die Büchse aus der Hand schlug, als es diesem gerade beliebte, meinen Rücken für den'eines Rehbocks anzusehen." Elisabeths kleine Finger legten sich unbefangen in die Hand des Mannes, ihr Gesichtchen rötete sich, und die braunen Augen strahlten die Freude wider, hier in der Ferne jemand gefunden zu haben, der Beziehungen zu der Heimat, zu dem geliebten Vater hatte.
.O ja, Papa ,ft ein großer Jäger," gab sie eifrig zu, „aus Meilen hinaus ist er seines guten Treffens wegen berühmt, zu allen Jagden wird er gebeten, und zu Hause ist es immer sein Hauptvergnügen, die Jungen, wenn sie auf Ferien sind, im Scheibenschießen zu üben, damit er Ehre mit ihnen einlegt."
.Und Sie nehmen teil an diesen Belustigungen?' fragte Hauptmann Erbach und zog sich emen Stuhl zu dem jungen Mädchen heran, dessen Geplauder di« dunkle Wolke verjagte, die so lange auf seiner Stim gelagert.
„Manchmal, ganz heimlich, wenn die Brüder allein zum Scheibenstande gingen," gab sie mit der naiven Offenherzigkett eines harmlosen Kindes zur Antwort; „die Mama durfte es nicht wissen, sie findet das Retten und Schießen bei Frauen ganz unerhört und meint, Küche und Keller seien die Wahlstatt, auf der wir uns umherzutummeln hätten."
„Also nie der Rücken eines Rosses," scherzte der Hauptmann, auf den munteren Ton seiner Gefährtin eingehend.
„Zuweilen doch," gab sie aber wieder fröhlich zurück, „wenn unsere PonyS von der Weide kamen, dann ritt ich manchmal den einen bis zum Stall, aber ich hatte dann nur einen Zaum, aus langen Binsenhalmen gedreht, und ich war damals noch jung, sehr, sehr jung."
Hauptmann Erbach lachte. „Was nennen Sie denn jung, Fräulein Hallig? Sechs Jahr, sieben Jahr, vielleicht auch noch acht, und wann beginnt denn das Atter für Sie?'
„Mit der Konfirmation," meinte sie ernsthaft und nur die letzte Frag« beantwortend, „von da ab heißt eS doch schon, der Vernunft mehr Gehör gebe», und mir kam's auch mit einem Male wie eine Offenbarung, daß ich Mama ein wenig zur Seite stehen müsse."
„Hat der Herr Oberamtmann denn nur die eine Tochter?" fragte Herr von Erbach weiter und blickte der Nachbarin in daS schon wieder hell gewordene Gesichtchen.
„Nur das einzige Mädel," bestätigte sie fröhlich, „deshalb würdigten mich auch die Brüder, mit ihnen zuweilen meine Kräfte zu messen und durch Busch und Feld zu streifen, denn ich habe nie Passion für die leblosen, ausgestopften Dinger, die Puppen gehabt."
Beide lachten lustig, und dies Lachen machte, daß Leonore und Kurt Waldau sich gleichzeitig nach dem Flecke umwandten, von wo es erscholl. Als sich der letztere dann aber unwillkürlich der Gruppe zuwandte, erbot sich Lori liebenswürdig, ihn vorzustellen und gleich darauf stand der junge Offizier vor der kleinen Manöver» stütze, sie mit seinen Augen, in denen das Vergnügen über die schon früher gemacht« Bekanntschaft deutlich lesbar stand, so anblitzend, daß ein verlegenes Lächeln über das noch eben so unbefangene Gesichtchen Liesels huschte.
Wenn er doch nur schweigen, wenn er doch nur ihrer Begegnung hier, in diesem Krebse gar nicht Erwähnung thun wollte! Eine heiße Angst beschlich ihr Herz, die braunen Augen hoben sich einmal schüchtern bis zu dem Antlitz de« Mannes und senkten sich dann wieder, als er ein fast unmerkliches Zeichen der Beruhigung gemacht.
Aufatmend folgte sie dann einem Wnke der Baronin, nachzusehen, ob man nicht bald zum Souper gehen könne.
(Fortsetzung folgt.)