Calmer Mommblllij.

Samstag.

Keilage Nr. 150.

22. Dezember 1894.

Jeuikteton.

IR-chdiuck vrrbolkn.l

Dev SonöevLing.

Roman von P. Felsberg.

(Fortsetzung.)

»Ich habe alles nach der Zeichnung des gnädigen Herrn geordnet," .sagte dieser und schob die schweren seidenen Vorhänge zur Seite.

Sie haben es gut gemacht, kleine Aenderungen werde ich noch vornehmen." Es klang kurz, und ein leichtes Neigen des Kopfes bedeutete dem Verwalter, daß der Gast seines Herrn allein zu sein wünschte. Jener verbeugte sich und verließ nachdenklich das kleine Haus. Es war etwas in der Art des Fremden, in seinem Blick, dem Ton seiner Stimme, was dem Verwalter ausfiel, und worüber er sich doch nicht klar werden konnte. War es die Aehnlichkeit mit irgend einer Person, die ihm bekannt war, oder war es nur das Gebietende, was aus den Gebärden des Arztes sprach, die nicht Herrschsucht, aber eine gewisse Hoheit ausdrückten, wie sie vornehmen Naturen eigen ist, welches Standes sie auch immer sein mögen.

Doktor Justus blickte prüfend in dem kleinen Raum umher. Kostbare durch­wirkte Seidenstoffs bekleideten die Wände. Die Teppiche, die schweren Seidendecken, mit wundervoller Stickerei verziert, welche die Gestalten japanischer Frauen und sagcnhafter'Tiere darstellten, die köstlichen kleinen Gegenstände, wohl bestimmt zum Gebrauch eines Fürsten, alles dies waren echte Kunstwerke eines Volkes, das in seinem Sonnenlande so ganz andere Anforderungen ans Leben stellt als wir Europäer.

Doktor Justus' Blicke schweifen befriedigt über den Raum; ein leises Lächeln zuckte um seinen Mund, als er an der einen Wand daS in Seidenstoff gewirkte Bild einer Japanerin gewahrte.Sie sind doch Weiber wie alle Weiber, ob im Süden «der Westen, gefallsüchtig, kokett und treulos." DaS letzte Wort klang verächtlich, bitter, als ob die Erfahrung ihn zu diesem Ausspruche ganz besonders berechtigt habe. Ein Diener kam und fragte nach seinen Befehlen.

Doktor Justus gebot, die Abendmahlzeit ihm auf der Schloßterrasse zu servieren, schüttelte dann den Staub der Reise von sich und erschien bald im ele­ganten, aber einfachen Promenadekostüm.

Von der Schloßterrasse bot sich ein schöner Blick über die tiefer liegende Ebene bis hinüber nach Felben, dessen halb verfallenes Herrenhaus, von mächtigen, alten Bäumen umgeben, über all die kleineren Häuser des Dorfes hervorragte. Doktor Justus hielt lange den scharfen Krimstecher vor die Augen. Trostlos genug sah cS dort drüben aus, wo die drei Frauen heute ihren Einzug gehalten, wie er aus ihrem Gespräch im CoupS erfahren hatte. Mit gesundem Appetit genoß der Arzt dann seine Abendmahlzeit, die vortrefflich zubereitet war; die Köchin hatte mit sichtlicher Freude ihre Thätigkeit für den Gast ihres Herrn ausgenommen. Man munkelte m der Küche, daß der Doktor Justus wohl vorausgesandt sei, und daß der Herr Graf bald selbst kommen werde. An der Schönheit des aufdämmernden Abends sich freuend, ließ der Arzt seine Blicke über die Thalebene schweifen, über grünende Wiesen, wogende Felder, über Gärten mit bunter Blütenpracht und den schönen dunklen Wald.

Die Kunde von der Anwesenheit des ArzteS auf dem Schlöffe hatte sich alsbald verbreitet im Dorfe Schönburg und dem Nachbarorte Felden. Als am anderen Morgen Doktor Justus aus seiner kleinen Behausung dem Schlöffe zuschritt, wurde ihm gemeldet, daß eine Anzahl Dorfbewohner seiner harrten, um ihn zu bitten, zu ihren Kranken zu kommen.

Sofort ging er in das Vorzimmer, in welchem die Leute seiner warteten. Ruhig hörte er jeden einzelnen an und versprach auch jedem, zu kommen. Erleichtert aufatmend entfernten sich die Leute; sie glaubten ihre Kranken schon gerettet, weil endlich ein Arzt in der Nähe war, den sie so schwer vermißt hatten. Vertrauen flößte er ihnen allen ein, der neue Doktor. Wie ein rechter Helfer in der Not erschien er denen, die seiner harrten. Er spendete Trost und Hilfe in reichstem Maße unter der armen Landbevölkerung, die sonst meist zu spät zu dem entfernt wohnenden Arzt kam und so dem Tod eine reiche Ernte bot, wozu besonders die Kinderwelt ihr großes Kontingent stellte.

Wie selten ein Arzt, so durfte er befriedigt sein durch das Vertrauen, welches die Kranken und ihre Umgebung ihm entgegenbrachten. Das Bewußtsein der Kraft und Stärke lag in der Ruhe seines Auftretens und teilte sich denen mit, die auf ihn hofften.

DaS ist ein rechter Arzt," tönte es heimlich hinter ihm,so gut hatten wir noch keinen." Dieser Ruf eilte ihm voraus und drang auch zu den Armen nach Felden, die noch nie auf eigene Kosten einen Arzt für ihre Leiden zu rufen imstande gewesen waren, und der Armen-Doktor kam weit her und meist zu spät.

Am Abend des ersten Tages, den Doktor Justus auf Schloß Schönburg verbracht, ritt er langsam aus Felden heimwärts. Die verfallenen Häuser sahen in der Nähe trostlos aus; die dürftigen Wiesen und Felder waren schlecht bestellt, nur umS Herrenhaus war daS Land des Pächters in gutem Stande, und der ver­wilderte Park mit seinen hohen, schönen Bäumen »erhüllte nur halb die Schäden deS alten Baues dem Vorüberreitenden.

Er hatte viel Elend gesehen in einer Stunde, die er in dem armseligen Dorfe verbrachte. Er sah nur verwitterte oder verhärmte Greise, schwache Frauen mit

sorgenvollen, abgespannten Gesichtern und welke, bleiche Kinder. Die jungen, arbeitskräftigen Männer waren seit Jahr und Tag ausgewandert, um auf einem andern Fleck von Gottes weiter Welt sich ein Heim zu schaffen und dann die Ihren zu sich kommen zu lassen. Alle, die hier waren, lebten in der Hoffnung, daß eS ihnen einmal doch besser gehen könne, wenn erst sich neues Glück in der Fremde für sie fände. Die Greise hofften nichts mehr für sich selbst, aber doch für ihre Kinder und Enkel, und Doktor Justus hörte mit Rührung ihre Erzählungen an, bei denen die alten Augen zu leuchten begannen, in dem Gedanken, daß ihren Enkeln ein besseres Los beschieden sein werde als ihnen selbst. Mit Wehmut blickte Doktor Justus auf die blaffen, kranken Kinder, für die auf ein besseres Dasein gehofft wurde. Er wußte, daß manches unter ihnen hier bleiben werde, für immer geborgen auf dem sonnigen Kirchhofe zu Schönburg. Die große Armut war ein unerbittlicher Würgengel für die kleinen Menschenknospen, die Licht und Luft und Pflege und Nahrung bedurften, um gedeihen zu können. Hier fehlte eS am besten, und sein Herz ward ihm weich, als er sah, wie zärtlich die Mütter ihre Lieblinge an sich drückten, denen sie so manches versagen muhten, was ihnen not that. Als er ge­gangen, fanden die Mütter in mancher KindeShand ein Goldstück, und sie segneten mit nassen Augen den Mann, der ihnen so gut zu helfen verstand.

Ich hätte schon früher kommen sollen," sprach leise Doktor JustuS zu sich. Das Elend ging ihm nah, er hatte es noch nie so geschaut, so Auge in Auge. In Gedanken verloren ritt er an der Mauer entlang, die den Park deS Herrenhauses abschloß von der Landstraße.

Plötzlich hielt er sein Pferd an und blickte gespannt durch eine Lücke der Mauer, die hier zusammengestürzt war, und über welche hinweg der Blick des Reiters in den Park zu dringen vermochte. Eine hell gekleidete Frauengestalt bewegte sich drüben auf dem Rasen. Er kannte schon die ruhigen, vornehmen Bewegungen Gertrud FeldenS und bewunderte jetzt wie am vorhergehenden Abend die Grazie deS schönen Mädchens, welches sich bückte, um in einen Korb das spärliche Fallobst zu sammeln. Ein großer brauner Strohhut saß auf dem goldig glänzenden Haar, die Hände steckten in langen Handschuhen; ein einfaches Helles Kleid und eine winzig kleine Schürze waren die Toilette der Dame von Welt, die plötzlich aufs Land ge­bannt war, um hier zuvegetieren", wie sie seufzend sich eingestand.

Gertrud Felden hatte nach nie in ihrem Leben einen Tag so nützlich ver­bracht wie den ersten Tag in dem alten Herrenhause. Sie hatte ausgepackt, ge­ordnet, nicht geruht, bis sie es so wohnlich gemacht, wie es mit den Mitteln, die ihr zur Verfügung standen, nur möglich war. Nun war sie in den Park gekommen und fand ihre Mutter beschäftigt, das gefallene Obst aufzulesen. Schweigend nahm sie den Korb und fragte nur, als er schon halb gefüllt war:Wozu können wir es gebrauchen?"

Wir wollen eS einkochen," meinte die Baronin, und ernst setzte sie hinzu: Kind, wir wollen und müssen sparsam sein, dann halten wir es hier schon aus."

Ein bitterer Zug glitt über das schöne Gesicht Gertrud Feldens. Sie strich mit der Hand über das einfache Kattunkleid und dachte an ihre eleganten Toiletten, die in den Schränken hingen. Auch diese sollten gespart werden, um noch nach Jahrzehnten zu besonderen Gelegenheiten wieder ans Tageslicht zu kommen, alt­modisch, lächerlich, wie sie selbst dann wohl war. Sie biß die weißen Zähne in die schwellenden Lippen. Unerträglich erschien ihr das Los, ein armes, altes Mädchen zu werden. Hastig bückte sie sich, hob das Obst auf und warf es in ihren Korb.

Doktor JustuS erschien das Mädchen wunderlieblich in dieser Beschäftigung.

Ob sie den Blick der Bewunderung, der an ihrer Gestalt haftete, fühlte, daß sie nun wie suchend, sich umblickte? Doch gewahrte sie den Retter nicht, der lang­sam weiter ritt, fürchtend, sein indiskretes Anblicken könnte ihr peinlich sein.

Lange beschäftigten sich die Gedanken des ArzteS mit der jugendlichen, schönen Mädchenerscheinung. Das ruhige, stolze Gesicht zog ihn mächtig an, die herbe Jungfräulichkeit, die auf demselben lag. weckte in ihm ein unbestimmtes Verlangen, dem er keinen Ausdruck zu geben vermochte, daS aber doch ein Lächeln um seinen Mund zauberte, dessen er sich selbst nicht bewußt war.

Nach Schönburg zurackgekehrt, ging er dann durchs Schloß von Zimmer zu Zimmer, von Saal zu Saal. Lange stand er vor einem der Bilder, das in der Ahnenreihe der Schönburgs hing.

DaS Bild war ein liebliches Frauenantlitz mit blonden Locken und herrlichen, sanften Augen und einem Mund, der so schön wie der seine war.

Bettoffen stand JustuS da; er entdeckte eine Aenlichkett, welche ihn starren machte. Dies Frauenantlitz mit den weichen, edlen Zügen und den zärtlichen Augen schien in den Mädchen wieder von neuem aufzuleben, welches er gestern im Eisen- bahncoups kennen gelernt hatte.Seltsamer Zufall," dachte er, und weich setzte er hinzu:Rosa, eS soll Dein Schade nicht sein, daß Du ihr ähnlich siehst, als wärst Du ihre Tochter." Ein langer, liebevoller Blick traf das Bild noch, dann wandte sich JustuS ab, eine Thräne im Auge zerdrückend.

Er mußte die Frau sehr geliebt haben, denn nochmals wandte er sich um und blickte aus das Frauenbildnis, dessen Augen ihm nachblickten, das sich jetzt aus der Ferne so plastisch aus dem Rahmen hob, als ob plötzlich Leben in die feinen Glieder gekommen wäre.

(Fortsetzung folgt.)