Dienstag.

Beilage zu Uv. 148

18. Dezember 1894.

eulttetl? er. sN«chdruck verboten-!

Dev Sondevking.

Roman von P. Felsberg.

(Fortsetzung.)

Danke, danke, bester Werden, wir kommen bald, wohl schon Sonntag, um dann einen ganzen Taa bei Jbnev zu verbringen. Tausend berzliche Grüße an Ihre liebe Gattm"

Der Zug hielt, Herr von Werden stieg aus nach herzlichem Händedrücken und den besten Wünschen für die drei Damen.

Schweigend begann nach einiger Zeit Gertrud das Handgepäck zu ordnen und zum Aussteigen sich zu rüsten.

Ein schwerer Atemzug, der wie ein Seufzer klang, hob dabei die Brust des schönen Mädchens; sie ging nicht gern in das alte Nest zurück, das sie als Kind zuletzt gesehen, und das jetzt in der Erinnerung keinen Reiz für sie hatte. Sie, die Stolze, Vielbewunderte, wollte anderes, wollte in der Welt leben unter Menschen, die ihr huldigten, und empfand es als ein Unglück, in das armselige stille Dörfchen zurückzukehren, in dem ein kleines, verwahrlostes Gut ihr beständiges Heim sein sollte.

Und doch war in der Hauptstadt ihres Bleibens länger; das wußte sie gut genug. Der letzte Rest eines großen Vermögens war durch den Bankerott eines Hauses, das seit einem Menschenalter die Geldgeschäfte der Feldens besorgt hatte, verloren gegangen.

Eine kleine Rente von dem Gute in Felde», das zum Teil verpachtet war, blieb noch, dazu das alte Herrenhaus mit seinem altertümlichen Hausrat, seinen hohen Zimmern mit den weiß getünchten Wänden, den blank gescheuerten Dielen und den Fenstern mit winzig kleinen Scheiben. Alles ländlich, altmodisch, ohne den Komfort und Luxus, an den Gertrud Felde» gewöhnt war wie an etwas, das sich von selbst versteht. Sie grollte dem strengen Vormund, der eS so angeordnet, und der Mutter, daß sie nachgegeben, daß sie nicht alle Mittel daran gewandt, in der Residenz weiter zu leben, das schöne, berauschende Leben, in dem sie geflattert von Fest zu Fest, sie, die Begehrteste und Schönste von allen. Wie anders war eS ge­worden, seit sie arm war. Sie huldigten ihr noch, doch nicht wie früher; sie empfand den feinen Unterschied zwischen dem ernsten Werben um Herz und Hand und der nur ihrer Schönheit gezollten Bewunderung. Im Geist zog manches Männerantlitz an ihrem Auge vorüber; sie hätte wählen können, jetzt war cs zu spät. Nicht einer von allen hatte sie geliebt um ihrer selbst willen. Doch, doch einer! Aber er war arm wie sie, und sie hatte bedauernd die Achsel gezuckt, als er es ihr gestand, als er bat, sie möchte warten auf ihn, bis er ihr mehr bieten könnte als sein lieb­endes Herz. Eine Hütte und ein Herz, das war nichts für sie, nein, das konnte sie noch immer haben; dazu brauchte sie nicht mit ihren neunzehn Jahren noch zehn Jahre zu warten, bis er endlich kam, sich seine treue alte Braut zu holen.

Der grelle Pfiff der Lokomotive riß sie zurück in die nüchterne Wirklichkeit. Der Fremde, welcher hier ebenfalls sein Reiseziel erreicht hatte, sprang aus dem Coupö und bot den Damen seine Hülfe an beim Aussteigen. Die Baronin Felde» dankte liebenswürdig und nahm bereitwillig seine Hand an, die er ihr zur Stütze reichte, auch Rosa stützte sich fest auf seinen Arm; nur Gertrud lehnte mit einem stolzenIch danke!' seine Hülfe ab. Leichtfüßig sprang sie aus dem CoupS, und ihr suchender Blick hatte sofort eine große, echte und rechte Landkutsche entdeckt, aus der Zeit ihrer Vorfahren stammend, welche noch Zopf und Perücke trugen. Zwei schwere Ackerpferde bildeten das Gespann, und der sommersprossige Kutscher steckte in der abgeschabten Lwrs, als ob er eine ganze Familie darin beherbergen wollte.

Dunkle Schamröte stieg in die Wangen Gertruds, da sie bemerkte, wie aller Augen auf Las seltsame Gefährt gerichtet waren, welches nun mit Gepäck beladen wurde, das in hohem Turm sich aufbaute und sich wie ein schwankender Berg hin und her bewegte. Sie fand sich furchtbar gedemütigt und begriff nicht, daß ihre Mutter dies so gar nicht rachempfand, daß Rosa noch laut lachen konnte, als sie es sich in der geräumigen Kutsche bequem machte.

Ach, das ist köstlich, eine fahrende Hütte! Mama, warum hast Du uns nichts von diesem lieben Ungeheuer erzählt," lachte Rosa, und Gertrud ärgerte sich noch mehr, als der Fremde aus dem Coups in einem leichten, eleganten Jagdwagen an ihnen vorüber davonfuhr und seinen Hut tief vor den Damen zog.

Dieser lächerliche Aufzug auf der Station hätte uns doch erspart werden können", sprach sie grollend zu ihrer Mutter.

Kind," lächelte diese,die guten Leute wollten uns eine Aufmerksamkeit er­weisen; sie der km. eigenes Fuhrwerk ist besser für die Feldens als Lohnkutschen, und warum auch nicht? Kind, Kind, warum hängt Dein Sinn so am Kleinlichen, am Aeußeren; sind wir nicht gut geborgen in dem lieben, alten Kasten?"

Der behäbige Pächter in seinem besten Sonntagsstaat setzte sich neben seinen Knecht, der heute in der Feldenschen Lwrö steckte und mit verlegenem Grinsen seine Freude darüber äußerte, daß er den herrschaftlichen Kutscher abgab, und fort ging es m ich wer! all gem Trab, gefolgt von unzähligen neugierigen Blicken, vor denen sich Gertrud m den tiefsten Winkel des Wagenpolsters verbarg.Das ist der Anfang," dachte sie und biß sich auf die Lippe,so wird es weiter gehen, und in einem Jahre ist von der stolzen Gertrud Felben nichts mehr übrig als ein echtes, armes Landfräulein, über das die große Welt die Achsel zucken würde, wenn eS

plötzlich wieder dort erscheinen sollte." Arm sein dünkte ihr gleich mit Schande, und diese Schande möglichst zu verbergen, dünkte ihr richtig; aber ihre Mutter und Schwester schienen sich brüsten zu wollen mit ihrer unverdienten Armut und nicht gewillt zu sein, dem Schein etwas zu opfern.

Es war Abend, als das Gefährt durch eine düstere Lindenallee dem alten Herrenhause von Felben zufuhr.

Die alten, prächtigen Bäume!" jubelte Rosa,das liebe, gute Haus, wie treu es aussieht, wie eine schiefe, runzliche Dienerin, die sich mühsam aufrecht erhält, um ihren Dienst nach wie vor zu verrichten."

Ja, so müssen wir denken und Nachsicht haben mit dem Altersschwachen um der Treue willen, die diese Mauern uns erhalten," stimmte ernst die Baronin ein, die einst wie Rosa so zart und ätherisch gewesen sein mußte und jetzt noch immer schöne Augen besaß, schwärmerisch und tief wie die ihres jüngsten Kindes. An ihrer Seele zogen wechselnde Bilder vorüber. Sie hatte schöne, glückliche Zeiten hier verlebt mit ihrem Gatten, der schlicht und einfach war, ein edler, reiner Mensch, mehr Philosoph, als Landwirt und Jäger. Sie schloß eine Sekunde die Augen und preßte die Zähne zusammen; warum mußte er so früh den Seinen entrissen werden, warum ein Band zerrissen werden/ das unauflöslich war, das ihn mit ihr verband über den Tod hinaus in treuester 5Cbe.

Der Wagen hielt. Gertrud achtete nicht auf die grünen Laubgewinde, das riesige, in schiefen Buchstaben glänzendeWillkommen", welches das Portal mit dem Wappen der Felde» schmückte; sie sah nicht die kleine, geputzte Kinderschar mit Sträußchen in den braunen Händen, wie die Orgelpfeifen. Sie schritt an ihnen vorüber in den matt erleuchteten, großen Flur mit den mächtigen, bunten Eichen­truhen, die den unerschöpflichen L-inenschatz ihrer Urahnen beherbergten. Kalte, dumpfe Lust wehte ihr entgegen. Der Geruch des langen Unbewohntseins entlockte ihr einEntsetzlich!" und unwillkürlich wehte sie mit dem feinen, spitzenbesetzten Taschentuch, aus dem zarter Blumenduft strömte, um ihr Gesicht, als wolle sie zudringliche Insekten verjagen.Wie eine Totengruft!" stöhnte sie und ging weiter, jedes Fenster öffnend, das auf ihrem Wege durch die weiten Räume lag.

,O wie lieb, wie niedlich!" rief Rosa.Sind das alle Ihre Flachsköpfe, Herr Ramdow? Acht, wahrhaftig, acht Stück, und darunter sechs Buben; sieh', Mama, diesen Burschen mit dem Apfelgesicht! Geh', Junge, bring mir einen Stuhl hierher; ich kann nicht springen und lachen wie ihr glückliches Völkchen. Ich muß immer still sitzen, aber das thut nichts; schöne Geschichten will ich euch dafür erzählen, wenn ihr hübsch artig bei mir sitzen wollt und mir Gesellschaft leistet So, und nun gebt mir eure Blumen alle in meinen Schoß, und dafür gebe ich euch etwas anderes für die kleinen Leckermäulchen; aber nicht die Finger an den sauberen Schürzchen abwischen, sonst schilt Mama, hört ihr l Hier haltet die Hände auf!" Rosa sezte sich am Portal nieder, die verlegene kleine Schaar um sich sammelnd, die mit lüsternen Blicken auf die Düte sah, die Rosa ihrer Umhängetasche entnahm.

Gottlob!" lächelte die Baronin, als sie feuchten Auges auf das hübsche Bild blickte, welches Rosa unter den Kindern bot.Sie wird zufrieden hier sein und hoffentlich gesunden."

Warm drückte sie die Hände der Pächtersleute, die voll Mtleid und stiller Freude auf das gnädige Fräulein blickten, das an ihren Kindern so großes Ge­fallen fand.

Dann schritt Rosa am Arm der Mutter, gefolgt von den Kindern, mit den Blumen durch die Zimmer, freute sich über all die alten, sonderbaren Möbelstücke und ließ sich schließlich behaglich auf dem großen, mit blumigem Kattun bezogenen Sofa nieder, auf dem ihre Großeltern schon als Kinder gesessen.

Die Kinder des Pächters mußten selbst ihre Sträußchen in eine Vase stellen, und dann wurden sie entlasten, nachdem sie der Baronin die Hand geküßt mit mit einem Kn>x, wie Rosa es sie lehrte unter Hellem, frohem Lachen über die unge­schickten kleinen Burschen, die sich nicht beugen wollten, sondern viel lieber in di« Knie knixten, wie sie es von den größeren Schwestern sahen.Mama, ich freue mich zu sehr über die acht Flachsköpfe; nun fürchte ich nicht, melancholisch zu werden» und Du, Mütterchen, nicht wahr, Du darfst es auch nicht?"

Nein, mein Liebling, wenn ich Dich freudig sehe," gab die Baronin zurück und ließ ihre Hand über das schöne, braune Haar, gleiten, das in glänzenden Locken das feine Gesichtchen umgab.

Freudig und ergeben, sorge Dich nicht um mich; hier werde ich sicher gesund, bin ich doch in meinem Element, auf dem Lande, zwischen Kindern und guten Menschen, fern von all den Lügen der Welt. Ja, ja, Gertrud, zucke nur mit den Schultern, ich hasse die Lügen der Salons, und Du thust mir leid, daß Du sie nicht vermissen kannst, jetzt, da Du doch gesehen, wie alles Lüge war, was man Dir dargebracht. Ich wollte, ich könnte Dir etwas müteilen von meiner Zufriedenheit."

Ein kalter Blick der Schwester ließ Rosa verstummen. Es war ihr, als ob er sagen sollte:Du lahmer Vogel, wie kannst Du Dich messen mit mir!"

Das schmale Gesichtchen wurde dunkelrot, und einen Moment zuckte eS um den Mund mit dem Schelmengrübchen in bitterem Weh; die Kälte der Schwester verursachte ihr Schmerz, und unwillkürlich flogen die Blicke Rosas über die Ahnen- büder, die in langer Reihe an den Wänden hingen, und suchten dort nach einem so schönen, kalten Gesicht, wie das ihrer Schwester war, die weder ihrer Mutter noch ihrem Vater ähnlich sah und doch eine rechte Felben war. Sie fand mit ihrem scharfen Blick keilte von allen heraus, die so schön war und so kalt blicken konnte, so von oben herab, wie Gertrud. (Forts, folgt.)