^ 138. Amts- und Anzeigeblatt für den Bezirk (Lalw.
69. Iahrgavs.
Erscheint DienSt« g, Donnerstag und SamStag. Die EinrückungSgebühr deträqt tm Bezirk und nächster Umgebung s Pfg. die .^eile, s»nft IS Pf-.
amstag, den 24. November 1894.
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Tagesneuigkeiten.
*Calw. Der 8. Dez. ist der 300jährige Geburtstag des Schwedenkönigs Gustav Adolf. Zum Andenken an diesen edlen Mann, dem die Evangelischen Deutschlands so viel zu verdanken haben, wird in den meisten Städten eine besondere Feier veranstaltet. Wie wir hören, soll, auch hier durch den ev. Bund und durch den ev. Männerverein das Gedächtnis Gustav Adolfs in würdiger Weise begangen werden. — Dem Vernehmen nach hat die ev. Kirchen- und Oberschulbehörde die Anordnung getroffen, daß in den ev. Volksschulen des Landes am 8. Dez. eine einfache Feier zum Andenken an Gustav Adolf stattzufinden habe und daß in dem Hauptgottesdienst am 9. Dez. Gustav Adolfs in angemessener Weise gedacht werde. In Preußen ist der 8. Dez. schulfrei.
Nagold, 21. Nov. In Nagold wird am Samstag den 24. abends 5 Uhr, und Sonntag den 23. d. M. abends 4 Uhr, Dauer etwa 2'/- Stunden, das Gustav-Adolf-Spiel von A. Thoma in der Turnhalle aufgeführt werden. Die Rollen werden von Seminaristen und Seminar- Angehörigen gespielt. Nach den umfassenden Vorbereitungen zu schließen, darf man eine schöne, erhebende Gedenkfeier erwarten. Namentlich werden die eingelegten Gesänge, Chorgesänge und Lieder des Pagen Leubelfing ihres Eindrucks nicht verfehlen. Der Reinertrag fällt dem Gustav-Adolf-Verein zu. Gäste von auswärts sind herzlich willkommen.
Stuttgarts 21. Nov. Seit heute Abend steht der Königinbau gerüstfrei da. Immer mehr kommt in der Bürgerschaft übrigens die Ueberzeugung zum Durchbruch, daß über lang oder kurz doch die dem Bau am nächsten befindliche Reihe Kastanienbäume fallen muß.
Tübingen, 22. Nov. Heute früh fand der Portier des Bahnhofes auf dem Abort die Leiche eines Mannes, der sich offenbar gestern Abend schon mittels einer Schnur erhängt hatte. Durch die Untersuchung wurde festgestellt, daß der Selbstmörder der 38 Jahre alte von seiner Frau getrennt lebende Geometergehilfe Ernst Binkelmann aus Neuenbürg ist. In einem in den Kleidern gefundenen Brief gab er als Grund des Selbstmordes an, daß er lungenleidend sei und niemand zur Last fallen wolle.
Rottweil, 20. Nov. In dem benachbarten Göllsdorf wurde heute mittag gegen 1 Uhr der 16 Jahre alte Stephan Schobel, Sohn des Zimmermanns Schobel, mitten im Orte erschaffen; als er, eben im Begriffe in die Wirtschaft zur Linde zu gehen, von derselben noch etwa 30 Schritte entfernt war, krachte ein Schuß aus einem Fenster des über einer Treppe gelegenen Hausöhrns und Schobel stürzte von einer Kugel in's Herz getroffen tot nieder. Das Gewehr hatte der Forstwächter Süffel von Fleckenhausen geladen im Oehrn stehen lassen; der in der Wirtschaft anwesende 20 Jahre alte Taglöhner Anton Schobel, Sohn des Maurers Schobel in Göllsdorf, machte sich mit dem Gewehre zu schaffen, wobei, wie er behauptet, das Gewehr sich zufällig entladen habe. Anton Schobel stellte sich sofort selbst bei der Staatsanwaltschaft.
Bietigheim, 19. Nov. Heute Nachmittag durchlief die Kunde unsere Stadt, der in der ganzen Umgebung wohlbekannte Handelsmann Jordan aus dem benachbarten Freudenthal, ein Mann von auffallend kleiner Statur, sei tot aus der Enz gezogen worden. Als nämlich der Briefträger der hiesigen Kammgarnspinnerei heute mittag seinen Gang in die Stadt machte, erblickte er an einer gegen die Enz hin sehr abschüssigen Stelle bei der sogenannten Hammersteige den Körper eines Mannes aus der Enz hervorragen, der den Arm krampfhaft um einen im Wasser befindlichen Weidenstrunk geschlungen hatte. Bei näherer Besichtigung entdeckte man in dem Entseelten den obenbezeichneten Handelsmann. Derselbe hatte im Kopf mehrere stichartig« Verletzungen, auch soll ihm ein Ohrläppchen fehlen. Ob der Bedauernswerte einem brutalen Gewaltakt zum Opfer fiel oder, was nach Lage der Umstände kaum anzunehmen ist, verunglückte, wird die mit Energie eingeleitete Untersuchung hoffentlich ergeben. Unglaublich däW ist, daß verschiedene die Hauptstraße nach Besigheim passierende Leute, sowie in der Spinnerei wohnende Personen gestern abend gegen 6 Uhr laute Hilferufe gehört haben wollen, ohne daß jemand den Mut hatte, sich nach dieser Ursache umzusehen. Der Fall erregt durch seine Eigentümlichkeit allgemeines berechtigtes Aufsehen, sowie große Teilnahme mit der schwerbetroffenen Familie des Verunglückten.
Göppingen, 20. Nov. Vor ca. 6 Monaten bewarb sich ein Fabriktaglöhner Namens Leonhard Helmer aus Augsburg, welcher hier in Arbeit stand, um die Liebe der Tochter des hiesigen Bauunternehmers K., was ihm auch gelang. Durch sein sicheres und vornehmes Auftreten verstand er es auch, die Eltern seiner Geliebten zu gewinnen, nachdem er seinem Schwiegervater in sxs einige Schuldscheine mit mehreren Tausend Mark vorgezeigt hatte, so daß der Verlobung nichts mehr im Wege stand und dieselbe auch würdig gefeiert wurde, aber auch der Schwiegersohn die ihm zu Gebote gestandenen Vorteile sehr zu Nutzen machte. Der Schwiegervater wurde jedoch nach und nach mißtrauisch und erkundigte sich in der Heimatgemeinde seines Schwiegersohnes über besten Vermögensverhältniste. Es stellte sich heraus, daß derselbe völlig vermögenslos war. K. machte bei der Staatsanwaltschaft Augsburg Anzeige, welche gegen Helmer einen Steckbrief wegen Urkundenfälschung erließ, da die Schuldscheine sich als gefälscht erwiesen hatten. Helmer wurde flüchtig. Gestern Nacht gelang es nun der hiesigen Polizeimannschaft den Helmer auf dem Drei-Königskeller nach heftiger Gegenwehr dingfest zu machen. Derselbe trug bei seiner Verhaftung einen falschen Bart. Außer dieser Helden- that hat er sich noch wegen eines Betrugs zu verantworten, da er sich auf einen der gefälschten Schuldscheine bei einem Bekannten 90 Mk. erschwindelte.
Von der Alb, 20. Nov. (Entsprungen.) Gestern gingen in Waldhausen (OA. Geislingen) einem Bauern, der sein Vieh auf der Waide hatte, durch Buben erschreckt, 5 Rinder durch und sprangen in den Wald, wo sie trotz eifrigster Nachforschung bis heute noch nicht aufgefunden werden konnten.
Darmstadt, 19. Nov. (Der hessische
Pfarrverein) hat sich in seinem Organ über die „Salbung" derPrinzessinAlixvonHessen folgendermaßen ausgesprochen: „Wir hatten immer noch zu hoffen gewagt, Gott werde eS also fügen, daß durch irgend ein Ereignis unsere Prinzessin Alix vor der Verleugnung ihres Glaubens und Bekenntnisses bewahrt bliebe. Gott hat unsere Gebete nicht erhört. Ihre „Salbung" ist laut Manifest des Kaisers von Rußland, ihres Bräutigams, erfolgt und damit hat die Prinzessin die evangelische Kirche verlassen und ist zur griechisch-orthodoxen übergetreten. Das mag dem Zaren und seinem Volk zur „Beruhigung" gereichen, uns aber erfüllt es mit der tiefsten Betrübnis. In allen Schichten der deutschen evangelischen Bevölkerung bis hinauf zur preußischen Generalsynode äußert sich tiefstes Bedauern über diese zur Thatsache gewordene Konversion unserer hessischen Fürstentochter. Und wir als Verein der hessischen Geistlichen sind um so mehr veranlaßt,
' Zeugnis abzulegen gegen dies Aergernis, das unserer Kirche gegeben worden ist. Das Volk steht nicht mehr aus dem Standpunkt, zu glauben, daß den Großen erlaubt sei, was den Kleinen durch ihr Gewissen verboten. Die Verpflichtung zur Treue gilt nach oben wie nach unten. Der Hermelinmantel muß ebensowohl wie der Arbeitskittel mit einem guten Gewissen getragen werden: eine Moral verpflichtet uns alle! Die Mahnung des Kaisers, für Religion, Sitte und Ordnung einzustehen, erfährt durch dies Vorkommnis eine eigentümliche Beleuchtung, und wenn solches am grünen Holz geschieht, was soll's am dürren werden? Unter solchen Umständen ist unser Kampf gegen Sozialdemokratie und Anarchismus ein vergeblicher. Dazu ist dir russische Kirche die niederste Form des Christentums, auch ist sie noch intoleranter als die römisch-katholische. Ihre Verfolgpngswut hat die lutherischen Brüder in den russischen Ostseeprovinzen in die schwerste Bedrängnis gebracht; mit List und Gewalt wütet das „heilige" Rußland mit dem „heiligen" Synod gegen alles, was deutsch und evangelisch heißt. — Um so größer ist unser Schmerz über das, was geschehen. — Wohl dulden die Hausgesetze der russischen Kaiserfamilie keine evangelische Kaiserin auf dem Thron; gut, dann möge man freien in Montenegro oder Griechenland, aber nicht deutsche evangelische Fürstentächter in Versuchung führen, oder aber man ändere die Hausgesetze. Wir finden nichts dagegen einzuwenden, wenn mit deutschen Fürsten verheiratete russische Prinzessinnen sich ihren Popen mitbringen, aber das deutsche christliche Ehrgefühl könnte wohl verlangen, daß man drüben mit gleichem Maße mißt. Wir gehen, nach dem Dafürhalten vieler, in der Trauerkundgebung über den Tod des russischen Kaisers schon zu weit, und nun geben wir ihnen auch noch eine deutsche Prinzessin hin: was Wunder, wenn man im Osten geringschätzig auf die Deutschen herabsieht? Doch das Traurige ist geschehen; bei einem bösen Anfang aber kann man kein gutes Ende Voraussagen. UnS ist es leid, wir sind betrübt. — Die Prinzessin ist als Großfürstin in die russische Kaiserfamilie und als Alexandra Fedorowna in die russische griechisch-orthodoxe Kirche ausgenommen worden. Für uns ist sie nun tot und wir klagen lauter und tiefer, als wenn