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die Schaffung eines städtischen Arbeitsamts steht wenig abweichend von dem früheren Gemeinderatsbeschluß in Aussicht.
Stuttgart, 25. Oktbr. Ihre Kaiser!. Hoh. Frau Herzogin Wera von Württemberg, Groß- fürstin von Rußland, hat dem Kinderhospital „Olgaheilanstalt" als Beitrag zur Einführung des neuen Diphterie-Heilmittels „Heilserum" die Summe von 1000 ^ huldvollst bewilligt. Durch diese hochherzige Zuwendung ist man dort in den Stand gesetzt, die Versuche mit diesem neuen Heilmittel bei unseren meist armen Pfleglingen in ausgiebigster Weise fortsetzen zu können.
* Ensi ngen, 23. Oktbr. Lese bei günstigem Wetter nahezu beendigt. Käufe zu 60—63 ^ pr. 3 bl.
Rosenfeld, 21. Okt. Der landwirtschaftliche Bezirksverein Sulz hielt heute mittag in der Sonne hier eine zahlreich besuchte Versammlung, bei der Oberamtstierarzt Hoffmann von Sulz über die Maul- und Klauenseuche, die im Bezirk gegenwärtig umgeht, den ersten Vortrag hielt. Als zweiter Redner sprach Domänepächter Kemmel über die Frage: „Was hat uns die Futternot des vorigen Jahres gelehrt?" Er kam zu dem Schluß, man solle nie zu viel Vieh halten, da zu wenig Futter gebaut werde, wenn aber Futternot eingetreten sei, solle man nicht gleich zu Schleuderpreisen absetzen, sondern bei den gegenwärtigen geringen Getreidepreisen mehr Körner füttern. Redner wies auf das Berner Oberland und die Schweiz überhaupt hin, wo man die Aecker nicht mit Getreide, sondern mit lauter Futter angebaut finde. Die Berner machten damit gute Geschäfte. Anschließend an den Vortrag warnte der Vereinsvorstand Landesökonomierat Schosser, doch nicht nach dem Satz zu verfahren: „Wo fünfe fressen, fressen auch sechse." Wenigem Vieh viel füttern, bringe einen größeren Nutzen. Mit einer Besprechung über die staatliche Viehprämierung im Bezirk schloß die Versammlung.
Heilbronn, 24. Okt. Vergangene Nacht hat sich in der hiesigen Kaserne ein Portepeefähnrich, gebürtig aus München, mittels eines Revolverschuffes durchs Herz entleibt. Als man ihn heute früh zum Dienst wecken wollte, lag er tot auf dem Boden seines Zimmers; der Schuß war von niemand gehört worden. Mißgeschick im Offiziersexamen soll den jungen Mann zu dem unglückseligen Schritt getrieben haben.
Frankfurt a. M., 25. Okt. Bei der heutigen Fortsetzung der Beratungen im sozialdemokratischen Parteitag gab Vollmar in seiner Rede allerlei Winke in Bezug auf die praktische Agitation auf dem Lande, zu der sich voraussichtlich nur wenige Genossen eignen würden. Man müsse auf das Fühlen und Denken des Bauern eingehen, ihm zeigen, daß man Verständnis für seine Leiden habe. Vor allen Dingen müßten die Agitatoren den Hochmut fahren lassen, den Bauer nicht in einer Weise anschwadronieren, wie das schon geschehen sei, daß dieser jeden Augenblick denken müße, jetzt komme: „Schafskopf verstehst Du mich jetzt?" Der Bauer sei politisch ungeschult, aber nicht dumm, wohl aber mißtrauisch und das mit Recht.
— Zu den ersten Verhandlungen des soz.- dem. Parteitags in Frankfurt a. M. bemerkt die Freis. Ztg.: „Auf dem soz.-dem. Parteitag haben die Gehaltsstreitigkeiten den ganzen ersten Verhandlungstag ausgefüllt. Diese Diskussionen scheinen uns bezeichnender für die Partei als sonstige theoretische Ausführungen. Die Anträge, für die Parteigehälter überall ein Maximum von 3000 ^ festzusetzen, sind allerdings abgelehnt worden. Aber die lange Diskussion und die Art, wie Parteiführer aus den verschiedenen Orten für die Anträge eintraten, beweist, welches Interesse die einschlagenden Fragen innerhalb der Partei erregen. Besonders interessant ist die Art, wie Bebel sich der Anträge zu erwehren versuchte. Er mußte dabei zunächst alle in seinem Buch über die Frau proklamierten Grundsätze preisgeben. Denn dort ist ausdrücklich ausgeführt worden, daß alle Arbeiter den gleichen Anspruch auf Lebensgenuß, also auf gleichmäßige Entschädigung haben sollen. Bebel will im soz.-dem. Zukunftsstaat keinen Unterschied machen zwischen den gebildeteren und ungelernten Arbeitern, zwischen geistiger und körperlicher, schwieriger und leichter Arbeit. Im Gegensatz zu dieser Auffassung aber vertreten jetzt die Führer für sich selbst die Abstufung deS Einkommens nach dem Wert der Leistungen. Der Wert der Leistungen aber wird bemessen nach dem Grade der Ausbildung und nach dem Verhältnis von Wtzebot und Nachfrage. Das sind genau die Grundsätze der verlästerten sog. Bourgeoisie unter „der Herrschaft deS Kapitalismus". Bebel fühlt dies auch selbst heraus und sucht es damit zu verteidigen, daß die Sozialdemokraten in der bürgerlichen Gesellschaft leben und auf diese die Grundsätze des soz.- dem. Zukunftsstaats noch nicht anzuwenden seien. Aber eS handelt sich doch um die Regelung der Gehälter von Personen, welche ausschließlich innerhalb der soz.-dem. Gesellschaft beschäftigt werden. Genau dasjenige, was hier auSgeführt wird für die höhere Bezahlung der Gebildeteren, muß auch in jeder Zukunftsorganisation Geltung beanspruchen. Oder glaubt man dort, die geistig Gebildeteren zu einer qualifizierten geistigen Arbeit ohne Gewährung eines höheren Lohns zwingen zu können? Jedenfalls haben die soz.« demokr. Führer und Parteibeamten nach ihren persönlichen Verhältnissen jetzt gar keine Ursache, die Verwirklichung des soz.-dem. Zukunftsstaats zu wünschen. Sie würden sich dabei persönlich nur ganz außerordentlich verschlechtern. Denn so weit erstreckt sich auch die Fantasie Bebels nicht, anzunehmen, daß im soz.-dem. Zukunftsstaat sich das allgemeine gleiche Einkommen Aller auf die Höhe der bestbesoldeten Parteibeamten und Redakteure der soz.- dem. Gegenwart erheben würde. In jedem Falle ist das Schauspiel, welches der soz.-dem. Parteitag am ersten Tage dargeboten hat, nicht geeignet, diese Gesellschaft besonders fürchterlich erscheinen zu lasten."
Berlin, 24. Oktbr. Die „Nationalzeitung" schreibt, die gestrige Unterredung des Kaisers mit dem Reichskanzler Graf Caprivi bezog sich auf die Frage betreffend Maßregeln gegen den Umsturz, doch sei auch bei dieser Gelegenheit kein Ausweg gefunden worden, um die im Staatsministerium vorhandenen Meinungsverschiedenheiten zu beseitigen, als solcher
gilt, daß vom Reichskanzler eine der Auffassung des Kaisers entsprechende Vorlage dem Bundesrat und dem Reichstage gemacht wird.
Berlin, 24. Okt. Der „Reichsanzeiger" veröffentlicht die Einberufung des Reichstags auf den 15. November. Der „Nordd. Allg. Ztg." zufolge ist eine feierliche Schlußsteinlegung damit verbunden.
Berlin, 24. Okt. Zur Meldung der „Kölnischen Ztg.", wonach die stimmführenden Minister der Bundesstaaten demnächst zu Besprechungen über Maßregeln gegen den Umsturz in Berlin eintreffen, teilt die „Nords. Allg. Ztg." mit, daß hierüber keine Beschlüsse gefaßt worden, sondern nur Beratungen gepflogen worden sind. Ein Entwurf der Vorlage, welche als Präsidialvorlage eingebracht wird, stehe noch nicht fest.
Petersburg, 24. Okt. Das Befinden des Zaren hat sich neuerdings derart verschlimmert, daß die für heute angesetzte Vermählung des Thronfolgers mit Prinzessin Alix von Hessen unwahrscheinlich geworden ist. — Heute erscheint ein Manifest, welches den dritten Sohn des Zaren zum Thronfolger ernennt, falls der Großfürst Nikolaus den Thron besteigt.
London, 25. Okt. Reuter meldet aus Shanghai: Es verlauttt gerüchtweise, die Chinesen hätterr Port Arthur geräumt; die Japaner hätten östlich von Port Arthur ihre Landung bewerkstelligt. Aus Aoko- hama meldet dasselbe Bureau: DaS Gerücht von der Landung japanischer Truppen ist zwar noch nicht offiziell bestätigt; eS findet aber allgemeinen Glauben^ da eS feststeht, daß die Expedition des MarschaM Oyama die Landung in Port Arthur oder in Wei- Hai-Wei oder zwischen den beiden Punkten bewerkstelligen sollte.
Rom, 25. Okt. Infolge des Genusses von- faulem Fischfleisch ist der berühmte Geiger Professor Chiostri m Florenz nebst Frau und Mutter gestorben. Sohn und Magd liegen schwer krank darnieder.
Standesamt ßalw.
Geborene:
15. Okt. Marie Luise, Tochter des Gottlieb Rappol d„ TuchscheererS hier.
21. . Marie Luise, Tochter des Jakob Ludwig
Baral, Fabrikarbeiters hier.
22. „ Gertrud, Tochter des Georg Schütz, Rats-
schreibers hier.
22. „ Helene Friedrike, Tochter des Ludwig Brun
net, Maschinenstrickers hier.
Getraute:
20. Okt. Friedrich Herrmann, Schuhmacher hier und Luise Wilhelmine Stotz hier. Gestorbene:
23. Okt. Robert Albert Bulmer, 2 h« Jahre alt, .
Sohn des Michael Bulmer, Maschinenstrickers hier.
Gottesdienste
am 23. Sonntag nach Trinitatis, 28. Oktober. Vom Turm: 650. Ter Kirchenchor singt: „Wachet, auf, ruft uns die Stimme." Prcdigtlied: 649. 9'/2 Uhr Vorm.-Predigt: Hr. Dekan Braun. 1 Uhr Christen-- lehre mit den Söhnen. 2 Uhr Nachm.-Predigt: Hr. Stadtpfarrer Schmid.
Mittwoch, 31. Oktober.
10 Uhr Betstunde im Vereinshaus.
Frau Dreßler. Dorothea trat an eine Komode und ergriff eine auf derselben liegende Mappe. „Ich werde ihr gleich die Papiere mitnehmen!"
„Was für Papiere?" fragte Jordan hastig.
„Familiendokumente, die mir Angelika vorher gegeben hat," erwiderte Dorothea, „und die ich nun zu ihrer Legitimation der gnädigen Frau mitnehmen will."
„Warten Sie doch, geben Sie ihr diese Papiere nicht eher, als bis ich sie durchgesehen habe." Dabei entriß Jordan die Mappe Dorothea'« Händen.
„Thun Sie es, aber geschwind!' erwiderte Dorothea und eilte dann, so schnell sie konnte, zu ihrer Gebieterin.
„Wo ist denn der Schlüssel zu der Mappe?" rief er ihr nach, aber sie hörte nicht mehr.
„Wie einfältig ist doch diese alte Person!" brummte Jordan ärgerlich und stampfte mit dem Fuße. Er besah die Mappe von allen Seiten und hatte schon große Lust, sie gewaltsam aufzureißen, was er auch wohl gethan haben würde, wenn Dorothea's Wiedererscheinen ihn nicht daran verhindert hätte.
„Die Mappe, die Mappe!" rief Dorothea atemlos. „Madame ist heftig und herrisch und will die Legitimationspapiere des jungen Mädchens, nach denen sie gleich fragte, haben. Um sie nicht argwöhnisch zu machen, habe ich ihr den Schlüffe! zur Mappe, den ich in der Tasche trug, bereit« übergeben."
Jordan stieß einen Fluch aus und sagte! „Suchen Sie nur wenigstens zu erfahren, was dies für Papiere find."
> Dorothea kehrte zu ihrer Gebieterin zurück, die ihr die Mappe aus der Hand nahm, dieselbe öffnete und die darin enthaltenen Papiere hervorzog.
„Lies mir das vor," sagte sie und reichte der Kammerjungfer das erste Blatt, welches idr in die Hand gefallen war. „Meine Aufregung ist so groß, daß ich keinen Buchstaben zu lesen vermöchte."
Dorothea nahm das Papier, trat an das Fenster und erfüllte den Befehl ihrer Herrin.
Es war eine notariell beglaubigte Abschrift von ihres Neffen Paul Heirats
kontrakt. in welchem er mit seiner Braut, der Schauspielerin Emilie Lary, die Gütergemeinschaft einging und ihr sein ganzes Besitztum, so groß «der klein dies bei seinem Tode wäre, vermachte, wenn sein Ableben einst vor dem ihrigen erfolgen sollte.
Frau Dreßler hörte diese Vorlesung mit äußerlicher Ruhe an, aber sie verzog stets, so oft das Wort „Schauspielerin" darin vorkam, mit widerwilliger Miene das Gesicht und verriet einige Ungeduld, als ob die Vorlesung ihr zu lange dauerte.
Als der Heiratskontrakt gelesen war, reichte sie Dorothea ein anderes Papier^ Es war Angelikas Taufschein, aus dem hervorging, daß sie die eheliche Tochter des Barons Paul von Battenstein und seiner Gattin, geborene Emilie Lary, war.
„Genug, genug!" rief Frau Dreßler, „ich mag nichts mehr hören; auch bedarf es keinen Zeugnisses für die Giltigkeit dieser unwürdigen Ehe, ich habe nie die Entweihung unseres Namens bezweifelt. Das junge Mädchen ist meine nahe Blutsverwandte, ich kann es nicht ändern."
Sie legte die Papiere wieder in die Mappe, die sie verschloß und dann in ihrem Schreibtisch verwahrte.
Darauf setzte sie sich in ihren Sessel.
„Erzähle mir weiter, trafst Du sie gleich?"
„O ja," berichtete Dorothea mit malitiösem Lächeln, „und zwar in Gesellschaft eine- Herrn, den sie auf der Reise kennen gelernt hatte, und dem sie sehr ungenirt ihre und unsere Adresse gegeben hatte, damit er sie hier bei uns besuchen möchte."
Frau Dreßler schnellte von ihrem Platze wieder auf, als ob der Stich eines giftigen Insekts sie verwundet hätte. Eine brennende Röte lag auf ihren sonst so bleichen Wangen und ihre Züge flammten im Ausdruck des Zornes.
„Was sagst Du?!" rief sie mit bebender Stimme und setzte dann, als Dorothea ihr wie mitempött zunickte, hinzu: „War wundere ich mich über die Manieren eines solchen Komödiantcnkindes? Der Apfel fällt nicht weit vom Stamme, und freche Koketterie, der mein Neffe Paul ja auch zum Opfer gefallen, liegt hier im Blut. Und solch Geschöpf muß ich Verwandte nennen!"
(Fortsetzung folgt.)