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vorzutragen. Die unverzüglich angestellten Erhebungen ergaben thatsächlich, daß Schock bezüglich der Absendung des Geldes eine Unwahrheit gesagt hatte. Schock wollte nun das Geld in einem unfrankierten Couvert, für das er sich keinen Postschein habe geben lassen, nach Amerika geschickt haben. Außer der Unterschlagung der fraglichen Geldsumme werden Schock noch mehrere andere Vergehen zur Last gelegt.
Kirchentellinsfurt, 22. Oktbr. Heute Abend, kurz vor 5 Uhr, brannte eine dem Bauern Christian Weber gehörige Scheune nebst Holzschuppen nieder. Die Familie war gerade abwesend. Die sehr in Gefahr stehenden Nachbargebäude wurden gerettet, wobei namentlich die Hilfeleistung der hiesigen Frauen und Jungfrauen anzuerkennen ist, die bis in die tiefe Nacht hinein emsig Wasser herbeischafften. Die Ursache des Brandes ist unbekannt. Weber ist zum Teil versichert.
Ludwigsburg, 23. Okt. In letzter Nacht legte sich der erst vor 8 Tagen eingerückte Rekrut Bauer der 7. Compagnie des Infanterieregiments Nr. 121, gebürtig von Kleinsachsenheim, am Bahnübergang bei Ludwigsburg gegen Eglosheim, nur mit Tuchhose und Drilchjacke bekleidet, auf die Schienen und ließ sich vom Zuge überfahren. Man fand den Kopf scharf vom Körper getrennt.
Horrheim, 22. Oktober. Lese dauert fort. Preise etwas zurückgegangen zu 60—70 ^ pr. 3 bl. Schon viel verkauft. Vorrat noch ca. 1000 bl. Käufer erwünscht.
Heilbronn, 20. Okt. Ein ergötzlicher Streich wurde gestern Abend einem vorübergehend hier befindlichen Reisenden durch einen Dachshund gespielt. Der Reisende besuchte ein hiesiges Geschäft und stellte beim Betreten desselben seinen Cylinder auf den Ladentisch. Er verließ darauf mit dem Chef den Laden. Bei der Rückkehr war der Cylinder spurlos verschwunden. Angestellte Recherchen führten zu dem überraschenden Resultat, daß der vorgenannte Köter ein Attentat auf die Kopfbedeckung ausgeführt, zuerst mit derselben längere Zeit Fangball gespielt und nachdem ihm das Feld für seine Thätigkeit zu klein, dieselbe auf die glücklicherweise gegenwärtig immer schmutzige Straße geschleppt und dort das Zerstörungswerk gründlich beendet hatte. Die liebe Jugend half unter lebhaftem Halloh das Ende des Cylinders zu beschleunigen.
Heilbronn, 22. Oktbr. Gestern nachmittag um 3 Uhr hat sich hier in der Sicherer'schen Apotheke ein junger Apotheker, der Sohn reicher Eltern aus Pforzheim, vergiftet. Furcht vor dem Examen wird als Motiv der traurigen That angegeben. In einer hinterlasienen Schrift .sprach der Unglückliche den Wunsch aus, in Pforzheim begraben zu werden. Der Leichnam wurde vorläufig in das hiesige Leichenhaus verbracht.
Vom Bodensee, 21. Okt. Gestern abend gegen halb 9 Uhr stürzte von der Brüstung des Löwen am Molo in Lindau die Handelsmannsehefrau
Karoline Raup ach von Triebelwitz in Schlesien in den See und ertrank. Die unter ärztlicher Leitung angestellten Wiederbelebungsversuche blieben erfolglos. Das auffallende Benehmen ihres Ehemannes, sowie sonstige verdächtige Anzeichen, insbesondere frische Kratzwunden an dessen rechter Hand, ließen vermuten, daß nicht ein Unglücksfall, sondern ein Verbrechen vorliege. Raupach wurde deshalb verhaftet. Derselbe hatte sich am 4. Juli d. I. verheiratet und wohnte mit seiner 55jährigen Ehefrau, die Vermögen besessen haben soll, nahezu 4 Wochen in einem Lind- auer Gasthofe, nach seiner Angabe immer noch auf der Hochzeitsreise »begriffen, machte er täglich Ausflüge, namentlich zu Schiff nach Rorschach, wo er meistens für seine Frau an dem im dortigen Bahnhofbefindlichen Automaten Unfallversicherungskarten löste. In seinem Besitz befand sich u. a. auch ein gefälschter Reisepaß und ein falscher Thaler.
Mannheim, 23. Okt. Die Errichtung eines großen Bismarkdenkmals wurde durch das hiesige Comite beschlossen.
Köln, 23. Okt. Die Köln. Ztg. meldet aus Berlin: Auf Anregung des Reichskanzlers Grafen Caprivi treffen voraussichtlich morgen die stimmführenden Minister der verbündeten Staaten behufs Besprechung von Maßregeln zur schärferen Bekämpfung der Umsturzparteien von Reichswegen hier ein.
Hamburg, 23. Okt. Der Dampfer „Jakob Christensen* aus Bergen wurde im englischen Kanal von einer englischen Fischerbarke in Grund gebohrt. Die Besatzung — 8 Personen — ist ertrunken.
Berlin, 23. Okt. Die „Kreuzzeitung* weiß zu den Staatsministeriumssitzungen zu melden, daß in Sachen der Vorlage gegen die Umsturzbestrebungen Caprivi gelungen ist, für eine auf seine Veranlassung ausgearbeitete Vorlage sowohl die Zustimmung des Staatsministeriums wie die allerhöchste Bewilligung zu erlangen.
Berlin, 23. Okt. Der Kaiser ist nachmittags um 3 Uhr beim Reichskanzler vorgefahren.
Berlin, 23. Okt. Der Reichsanzeiger veröffentlicht im Anschluß an die Mitteilung vom 20. d. M. von der dem Kaiser überreichten Adresse einer ostpreußischen Deputation des Bundes der Landwirte die Antwort des Kaisers: „Ich freue Mich aufrichtig, daß Sie gekommen sind, um Meiner Aufforderung in Königsberg folgend sich vertrauensvoll an Ihren König zu wenden. Ihr Erscheinen ist Mir ein Beweis, daß Meine Worte richtig erfaßt und daß Sie gesonnen sind, dem in landesväterlicher Fürsorge vorgezeichneten Weg zu folgen. Es gereicht Mir zur Befriedigung, daß Meine Hoffnung, die Ostpreußen würden auch jetzt in erster Linie dem König im Kampfe für Religion, Sitte und Ordnung folgen, schon jetzt sich zu erfüllen beginnt. Seien Sie versichert. Meine Sorge für die Landwirtschaft, für die großen und kleinen Bauern wird nicht Nachlassen, wie Ich Gott vertraue, daß es, wenn alle wohlgesinnten Teile der Nation sich um Mich scharen, möglich sein wird, das
teuere Vaterland ohne schwere Erschütterungen durch die Kämpfe hindurch zu führen, welche die zersetzenden Bestrebungen uns aufnötigen. Ich danke für Ihre Kundgebung, grüßen Sie Ihre Mir so liebe Heimat."
Berlin, 23. Okt. Die „Post" bestätigt die Meldung, wonach das auswärtige Amt gegen das Urteil im Prozesse des Kanzlers Leist Berufung einzulegen beschlossen hat, sobald das Erkenntnis ausgefertigt ist.
Brüssel, 22. Okt. Bei den gestrigen Stich-' wählen wurden hier sämtliche 18 Kandidaten der klerikalen Partei mit 10000 Stimmen Mehrheit gewählt. In Lüttich, Charleroy und Verviers siegten, die Sozialisten. Die Kammer ist jetzt zusammengesetzt aus 104 Klerikalen, 5 Alt- und 15 Jungliberalen und 28 Sozialisten. De Burlet, Baras und Fröre Orban wurden nicht wiedergewählt.
Rom, 23. Okt. Durch den bekannten Erlaß der Präfektur wurden 55 sozialistische Gesellschaften Mailands aufgelöst. Bei dieser Gelegenheit wurden viele Haussuchungen vorgenommen, wobei Schriftstücke, Register und Abzeichen beschlagnahmt wurden. Es ist alles ohne Zwischenfall abgelaufen.
London, 23. Oktbr. Aus Petersburg wird telegraphiert: Es sei unrichtig, daß die Trauung des Thronfolgers in Livadia stattfinden solle. Der Zar habe nur den Wunsch ausgedrückt, vie Familie um sich zu sehen und der Braut des Thronfolgers den letzten Segen zu erteilen.
— Die Londoner „Evening News" erhält von einem Spezialkorrespondenten des „British Medical. Journal" in Livadia folgende Depesche: „Während der letzten 48 Stunden hat der Zar an einer Reiho derartiger Krampfanfälle gelitten, wie sie einer unmittelbar bevorstehenden Katastrophe vorhergehen. Diese sind von zeitweiliger Bewußtlosigkeit begleitet und sehr peinlichen Charakters. Außerdem ist große Herzschwäche vorhanden, wie dies auch bei den späteren Phasen der akuten Brightschen Krankheit der Fall ist. Seit mehreren Monaten waren die Symptome einer Mitralkrankheit des Herzens bemerkbar. Zweimal hat. dies Lungenkongestion und Atembeschwerden verursacht. Die Anfälle waren sehr gefährlicher Natur und kehren jetzt mit großer Häufigkeit wieder. Die Hoffnung ist aufgegeben; aber es treten zuweilen solche überraschende Besserungen bei diesem Zustand ein, daß die Aerzte eine beträchtliche plötzliche Besserung noch für möglich halten. Jedoch sei dies die letzte Hoffnung. Das Schlimmste könne jeden Augenblick geschehen.
Petersburg, 24. Okt. Das Allgemeinbefinden des Zaren hat sich nicht gebessert. Die Kräfte haben sich nicht gehoben, die Schwellungen am Fuße sind größer geworden, die Herzthätigkeit ist unverändert. Gestern machte sich Schläfrigkeit bemerkbar,, es traten leichte Krampferscheinungen auf. Die Vermählung des Thronfolgers soll heute nachmittag 2 Uhr stattfinden.
Budapest, 23. Okt. Das Grubenunglück
Anzug in feinster Harmonie. Sie trug Halbtrauer. Ein hellgraues, schwarz besetztes Kleid, das glatt und einfach bis an den Hals hinaufging und dort durch einen weißen Umschlagkragen begrenzt wurde, hob ihre zierliche Figur, deren weiche Linien schon mehr Jungfräulichkeit als Kindlichkeit verrieten, ganz reizend hervor.
Beim Eintreten lächelte Angelika der Kammerjungfer zu, wobei ihre weißen Perlzähnchen sichtbar wurden. „ES scheint mir doch nötig," sagte sie, indem sie sich der Kammerjungfer näherte, „daß ich zu meiner Tante gehe und mich ihr präsentier. Ist sie so leidend, daß sie durch Sprechen angegriffen würde, so werde ich mich begnügen, ihr die Hand zu küssen."
Indem Angelika mit so ruhiger Bestimmtheit auf etwas zurückkam, das ihr von Dorothea vor wenigen Minuten abgeschlagen wordm war, gab sie einen Beweis von der Selbstständigkeit ihres Handelns und daß sie durchaus nicht leicht ein- zuschüchtern war. Es lag überdies, so jung sie noch war, doch gleichzeitig in ihrer ganzen Art zu sprechen und aufzutreten eine gewisse Festigkeit dcS Charakters ausgeprägt, was Jordan mit seinem Scharfblick sogleich erkannte; er fühlte, wie gefährlich dies kleine zierliche Persönchen seinen Plänen werden konnte.
Dorothea empfand nur den Ärger, daß Angelika gegen sie eigenmächtig Handelle, und diesen Ärger ließ sie sie deutlich fühlen, als sie ihr wiederholte, daß die gnädige Frau krank sei und von Niemandem persönlich belästigt werden wolle. Sie hob daS Wo>t „belästigt" ganz besonders scharf hervor.
„Damit wir uns übrigens von vornherein auf den richtigen Fuß stellen," setzte sie dann sehr herrisch hinzu, „bitte ich Sie, mein Fräulein, recht sehr, ein für alle Mal unsere Hausordnung respektiren zu wollen. Dahin gehört zunächst, daß Sie Ihr Z'mmer niemals verlassen, ohne daß Sie von mir dazu die Erlaubnis erhallen haben."
Angelika sah Dorothea groß an. „Ich soll das kleine Zimmer nicht verlassen?" fragte sie, als ob sie nicht recht gehört hülle.
«Sie können dem Himmel danken, daß Sie überhaupt solch' Asyl gefunden
haben."
Bei diesen harten Worten Dorothea's zuckte Angelika zusammen; sie hatte bis jetzt geglaubt, in dem Hause ihrer Großtante als Verwandte ausgenommen zu werden, jetzt mußte ihr klar werden, daß sie in demselben nur eine Geduldete war. Sie fühlte sehr gut die Verachtung heraus, die für sie darin lag, daß sie nicht einmal ihrer Verwandten die Hand küssen dürfe, sondern ganz aus ihrer Nähe verbannt bleiben solle. Sie preßte die Lippen auf einander, um ihre Empfindungen nicht merken zu lassen, konnte aber nicht hindern, daß zwei große Thräncn langsam über ihre Wangen rollten. Sie faßte sich aber sogleich wieder, warf den Kopf zurück, als ob sie ein ihr zugefügtes Unrecht und den dadurch hervorgerufenen Schmerz kräftig von sich abschütteln wollte, und verließ, ohne ein Wort weiter zu sprechen, daS Zimmer.
„Sie ist noch gefährlicher als ich dachte," raunte Jordan seiner alten Freundin und Helfershelferin zu, als sich die Thür hinter Angelika geschlossen hatte, „die kleine Hexe ist von bestechender Schönheit, und wenn sie der Alten vor die Augen kommen sollte, möchte sich dieselbe leicht durch diese koboldartige Schönheit rühren lassen."
„Diese Schönheit," sagte Dorothea malitiös, „ist aber nicht die einer Bartenstein, sondern eine ganz fremde, und ich werde nicht müde werden, der gnädigen Frau die Abstammung dieser kleinen schwarzen Kreatur bei jeder Gelegenheit in's Gedächtnis zurückzurufen, das wird eine unübersteigliche Scheidewand zwischen Beiden aufrichten.'
„Thun Sie daS," erwiderte Jordan hierauf, aber in einem so trockenen Tone, als ob er kein großes Zutrauen zu Dorothea's Kunst in der Jntrigue hätte, „ich. werde das meinige thun."
(Fortsetzung folgt.)