Beilage zum „Calwer Wochenblatt"
Nro. Atz.
^ sNachdruck verbotm.I
Am letzten Abend.
G. Walter.
Sie wohnten dort auf der kleinen, reizenden Antilleninsel im idyllischen, paradiesischen Frieden, und wir lagen sechs Wochen lang mit der „Chriemhild" in der großen, herrlichen Bucht, die -uns einen Exerzierhafen bot, wie das Herz eines Seeoffiziers ihn sich nur wünschen konnte. Wir waren lange Zeit in Südamerika gewesen und des ewigen Angefeiertwerdens allmählich herzlich müde geworden. Die Ruhr hier im stillen Hafen that uns wohl. Und was die Mannschaft anging, so war auch für sie nichts am Lande und am Strande zu suchen, was sie zerstreute und abzog. Nur daß die Natur in ihrer stolzen, tropischen Schönheit sie in ihren Freizeiten zu gesunden und erquickenden Spaziergängen einlud, die ihnen ausgezeichnet bekamen, und daß es ihnen nicht minder gut that als uns, wenn sie nach deS Tages Last und Hitze in der Mündung des Blime, eines über steiniges Geröll inS Meer abfließenden Flusses, nach Herz entlüft bei Sonnenuntergang baden konnten. So ging der tägliche Dienst in wohl ausgekauften Stunden seinen regelrechten, ungestörten Gang, innenbordS wie außenbords. Zum Bootsrudern und Bootssegeln war Platz genug da, wo wir als einziges Schiff die ganze Zeit zu Anker lagen, und einen schöneren Stand zum Landungsmanöver als den, der palmenumdrängt die Bucht einsäumte, hätten wir gar nicht finden können. So kam's denn, daß wir «ine Woche über die andere zugaben, zumal wir hier draußen auf südamerikanischer Station ziemlich freie Hand hatten, wenn nur der Zweck der Ausbildung der Mannschaft erreicht wurde. Dazu gehörte selbstverständlich auch die Ausbildung im Schießen. Wir hatten uns eine ganz vorzügliche Schießbahn ausgesucht und mit Erlaubnis des regierenden Bürgermeisters des kleinen, unter Palmen und Pisangs am Fuß der hohen bewaldeten Berge fast verborgenen Negerdorfs dieselbe so kunstgerecht wie möglich zurechtgemacht.
„Nehmen Sie sich nur in acht/ hatte er, selbst ein Halbneger, in dem dort üblich verdorbenen Französisch-Englisch gesagt, „daß sie kein Vieh totschießen. Es weiden da in der Gegend zuweilen Pferde und Kühe."
Wir nahmen uns also so gut in acht, wie wir konnten, durch ausgestellte Posten und schossen munter d'rauf los. Da wollte es eines Tages aber doch das Unglück, daß ein junger, übermütiger Gaul sich um die abwehrenden Posten und ihr Schreien nicht kümmerte, sondern in lustigen Sprüngen durch die Büsche brach und über die freigehauene Bahn setzte und gerade in dem Augenblick, als ein Matrose abdrückte. Der Gaul machte einen mächtigen Satz mit allen Vieren zugleich, um selbige Viere im nächsten Moment weit von sich zu strecken, und um nicht wieder aufzustehen. Die Mauserkugel war ihm mitten durchs Herz gegangen.
Nun war Holland in Not. Auf alle Fälle mußte das Pferd dem Eigentümer ersitzt werden. Als ich in meiner Eigenschaft als Adjutant dem regierenden Halb- neger Mitteilung von dem ärgerlichen Unfall machte, erhob er ein fürchterliches Lamento. Fünfhundert Mark mindestens sei der Gaul wert gewesen, aber wenn wir vierhundert gleich zu seinen Händen einzahlen wollten, dann würde er den Versuch machen, den Mister Parks zu bewegen, auch damit zufrieden zu sein. Käme die Sache zur Klage, dann könnten tausend und mehr Mark daraus werden!
„Ich werde den Mister Parks morgen selbst aufsuchen/ entschied der Kapitän, als ich ihm Meldung machte, „und Sie werden mich begleiten. Vielleicht läßt sich bester mit ihm reden als mit dem braunen Hallunken/
Mir war die Aussicht auf den angekündigten Spaziergang nicht unlieb. Das Haus des Mannes lag gar zu reizend hoch oben auf dem Felsvorsprung unter Palmen, und vielleicht waren die Leute, die in dem Hause wohnten, auch ganz umgängliche Menschen. Neulich beim Bootsrudern waren wir bis dicht an den umdrandeten Fels herangegangen, und ich hatte eine schlanke, jugendliche Gestatt in Weiß durch meinen Feldstecher beobachtet, die mir sehr anmutig vorkam. Möglicherweise konnte ich mir jetzt in Veranlassung dieses bettübenden Pferdemordes Gewißheit darüber verschaffen, ob ich mich geirrt.
Zeitig in der Frühe des folgenden Tages lag die Kommandantengig am Fallreep, das Segel wurde gehißt, und wir fuhren in den herrlichsten Morgen hinein, der je über Westindien aufgegangen war. Eine kräftige Brise wehte über die Karibische See her und brachte uns Kühlung; die Palmen rauschten am Strande, und auf dem Strand spülten die brandenden Wellen, und die Luft war so klar, daß man die einzelnen Toppen der Bäume hoch oben auf den entfernten Bergen unterscheiden konnte. Und ich selbst war vergnügt wie nie.
Weniger der Kapitän, der mit sorghafter Miene am Ruder saß.
„Werden wohl unsere Not mit diesem Mister Parks haben," sagte er, als wir auf den Sand gesprungen waren und unter den Kokospalmen hingingen. „Soll ein armer Teufel sein, der seine Handzuckermühle möglicherweise allein dreht, haben ja alle hier nichts auf der Insel. Darum hat er sich auch so west von uns zurückgehalten. Fataler hätte mir nichts sein können als dieser unglückliche Schuß."
Ich wußte auch nicht viel Tröstliches dagegen zu sagen. Ich dachte nur so flüchtig daran, ob die Dame in Weiß möglicherweise auch mit drehen müßte, und sie that mir schon ordentlich leid.
Nun stieg der Pfad bergan, und es wurde heiß. Der Kapitän knöpfte den Waffenrock auf. „Auch noch in Uniform muß man hier dem elenden Vieh zu Liebe umherklettern," murmelte er. „Wird ein schöner Schmierfex sein, dem wir da unsere dienstliche Aufwartung machen."
Ich urteilte im stillen milder. Das weiße Kleid schien mir doch sehr chic und tadellos damals. Nun waren wir oben. Auf einem kleinen Plateau lag das Haus vor ms. Reizend, niedrig, mit vorspringendem, verandaähnlichem Dach, vor
der Thür ein großer, mit goldenen Früchten behängter Orangenbaum, über das Dach zwei schlanke Palmen sich neigend, und im Hintergründe unermeßlich blau funkelnd das Meer, dessen Rauschen geheimnisvoll und verheißend zu uns herauf tönte. Die Couliffen bildeten zwei mächtige Orangenbäume mit dichten, gerundeten Kronen.
„Der Mensch wohnt entzückend," sagte der Kapitän — da erschien besagter Mensch auch schon unter dem Vordach: ein breitschulteriger Herr mit blondem Vollbart, und schwenkte den breitrandigen Sttohhut zum Gruß.
„Guten Morgen, Herr Kapitän, ich bin sehr froh, Sie zu sehen!" rief er uns mit weitschallender Stimme entgegen und ging schnellen Schrittes auf uns zu.
Wir standen still und grüßten, höflicher, als wir wohl eigentlich vorgehabt hatten. Jetzt war er bei uns und reichte dem Kapitän die Hand.
„Ich weiß, weshalb sie kommen, Kapitän," sagte er freundlich; „ich hätte Ihnen den Gang gern erspart, wenn ich nicht fürchtete, von Ihnen für ausdringlich gehalten zu werden."
Großes Handschütteln. Dann wurde ich vorgestellt. Abermaliges Handschütteln und Versicherung gegenseitiger Genugthuung über dies Bekanntwerden. Meinerseits sehr aufrichtig gemeint, denn der Mann gefiel mir außerordentlich, und außerdem war mir, als hätte ich in der Oeffnung der Thür eine Gestatt in Weiß vorüberschweben sehen.
„Und nun, bitte, treten Sie ein unter mein'Dach!" lud er ein. „Sie sind warm und müde vom Weg, und eS verhandelt sich drinnen besser beim Sitzen."
Der Kapitän war manchmal komisch im Anknüpfen von Bekanntschaften. Ich hatte eine ordentliche Angst davor, daß er die Aufforderung kurz zurückweisen würde. Aber er that es nicht. Und das fand ich sehr hübsch von ihm.
„So, nun setzen die Herren sich gefälligst", sagte der Hausherr, als wir unter die Veranda des Vordaches traten, „und etwas Soda mit Brandy nehmen Sie auch nach dem Bergmarsch, auf jeden Fall! Carmen! rief er ins Haus hinein."
Und auf den Ruf kam mein Verhängnis. Da stand sie in der Thür. Schlank, reizend, das ganze Mädchen ein Gedicht, wie sie mit ihren tiefen, dunklen Märchenaugen uns ansah. Wenn einen in der Havannah oder an Bord plötzlich das gelbe Fieber, das Scheusal, packt, dann heißt es unter den entsetzensvoll vor ihm Auseinanderstiebenden : „Den hat's!" Es war nun zwar ein anderes Unglück, das mich gefaßt hatte, aber ich wußte es selbst, wie ich da vor ihr stand: „Den Mann hat'S!" Und zwar war eS ein einsamer Seeoffizier, der sich mit einem Mal nach dem Glück sehnte.
O du vielgutes Roß, das — wer weiß, ob nicht in einem Anfall unglückiicher Liebe — dort auf dem Schießstand einen Soldatentod gesucht hatte, wie er sonst Pferden vom Civil nur außerordentlich fetten wird — an jenem einzig schönen Morgen habe ich dein Andenken gesegnet. Die beiden Herren saßen da und sprachen verständig und mhig über die Entschädigung, und Carmen und ich standen nach der See zu und sahen über die blaufunkelnde hin.
„Sie wohnen hier sehr einsam?" fragte ich.
Sie sah mich an mit ihren wunderbaren Augen. Es lag eine ganze Wett darin, etwas wie eine stumme, wehmütige Frage an das Leben, und doch viel Zuversicht und Glaube und viel Herzensreichtum und Herzensherrlichkeit. Em prächtiges Geschöpf.
„Ganz einsam," gab sie zur Antwort, „nach der Stadt kommen wir ein- oder zweimal im Jahr, und hier herum wohnen keine Weißen."
„Aber Sie haben unter Menschen gelebt?"
„Ja, ich war drei Jahre auf Antigua bei einem Verwandten, um etwas zu lernen, mehr als ich hier lernen konnte."
„Sie lesen gewiß gern in ihrer Einsamkett?"
Ihr Blick leuchtete auf. „Unendlich gern. Aber ich habe oft nichts zu lesen."
„Darf ich Ihnen etwas schicken?" Mein Herz fing an zu pochen.
,O. ich wäre Ihnen sehr, sehr dankbar! Aber eS macht Ihnen Mühe."
„Darf ich Ihnen die Bücher einmal selbst bringen? Mein Bursche ist etwa» dumm und könnte den Weg verfehlen."
Sie war rot geworden und suchte nach Antwort, da kamen die beiden Herren ums Haus herum.
„Du, Carmen, Deinen Rigolo hat das Deutsche Reich auf Rechnung ge nommen; nun wollen wir nächster Tage zur Stadt, um Dir ein neues Pferd zu kaufen, das hoffentlich weniger übermütig ist."
„Ich werde Sie mit der Dampfpinaß hinfahren lassen," warf der Kapüän gutgelaunt ein, mü einem freundlichen Blick das bildschöne Mädchen bettachtend.
„Besten Dank, Herr Kapitän," rief sie, und ein sonniges Lachen machte ihr Gesicht noch reizender — „vor drei Jahren, da ließ Kapitän von Normann uns auch einmal hinfahren, ich war damals noch ein Kind, aber es war ein wunderschöner und mir unvergeßlicher Tag."
„Was? Kapitän von Normann vom „Odin" ? Kennen Sie den?"
„Er war fast jeden Tag bei uns, als er hier im Hafen lag," antwortete der Vater, „und wir schreiben uns noch alle Jahre zum Geburtstag und zu Neujahr. Drinnen werde ich Ihnen sein Bild z'igen."
„Nun, dann möchte ich sein Nachfolger werden," rief der Kapitän in ungewohnter Wärme. „Ich bleibe hier noch einige Zeit und hoffe, daß wir in recht freundliche Beziehungen treten werden. Wann wollen Sie zum Pferdekauf fahren?"
„Am liebsten thäte ich eS morgen —"
„Schön! Wie gesagt, ich lasse Sie hinfahren. — Hier mein Adjutant wird sich ein Vergnügen daraus machen, Sie hinzugeletten — nicht wahr, Leuthold? — und dann essen Sie beide bei mir zu Abend. Einverstanden?" — Sie waren es sehr. Ich auch. Noch viel mehr.
(Fortsetzung folgt.)