Stuttgart, 7. August. Gestern abend fuhr «ine Frau mit einem 12jährigen Knaben in einem einspännigen Fuhrwerk die Ludwigsburgerstraße herein und hielt beim Hauptzollamtsgebäude an, wo der Knabe vom Wagen heruntersteigen wollte. Ein vorübergehender Arbeiter trieb aus Mutwillen das Pferd an, der Knabe kam unter die Räder und wurde so schwer verletzt, daß er auf dem Weg zum Katharinenhospital sta rb. Der Arbeiter, der das Unglück veranlaßt hat, ergriff die Flucht, wurde aber durch einen Schutzmann eingeholt und zum Stadtpolizeiamt verbracht.
Eßlingen, 4. Aug. Gestern kam der Geschäftsführer der deutschen Turnerschaft, Dr. Götz von Leipzig-Lindenau hieher, um unter Mitwikung der städtischen Bau-Kommission die Stelle zu bestimmen, wo das künftige Georgii-Dcnkmal seinen Platz finden soll. Als geeignetster Standort wurde der untere, der Brückenkapelle zunächst gelegene Teil der Maille, nahe beim alten Turnplatz, bestimmt.
Ulm, 3. Aug. In vergangener Woche ist der 70jährige Oekonom Schmid von Bonlanden bei Kellmünz auf gräßliche Weise ums Leben gekommen. Derselbe war damit beschäftigt, die Ziegelplatten seines Daches umzuschlagen. Gewohnt, den ganzen Tag seine Pfeife zu schmauchen, setzte er dieselbe wieder in Brand, als sie ihm ausgegangen war. Das noch glimmende Zündholz warf er von sich. Zum Glück fiel es durch das offene Dach auf den Heuschober und entzündete diesen. Der alte Mann wollte die Flamme durch Schlagen mit einer Stange löschen, und als ihm dies nicht gelang, holte er einen Kübel voll Wasser, um dasselbe auf das Feuer zu schütten. Dabei glitt er aus und stürzte auf den brennenden Heustock hinab. Seine Hilferufe wurden nicht gehört, bis die emporsteigende Rauchsäule die auf dem Felde beschäftigten Dorfbewohner herbeirief. Der Mann lebte noch als die Leute ankamen; da man ihn aber hervorziehen wollte und zu diesem Zwecke eine Planke von der Wand losriß, schlug das Feuer plötzlich so stark auf, daß es unmöglich war in den Stadel einzudringen. Die Jammerrufe des Unglücklichen wurden vom Prasseln des Feuers und dem entstehenden Rauchqualm erstickt. Alle Versuche, ihn dem Feuerherde zu entreißen, waren vergeblich. Als das Gebäude auf den Grund niedergebrannt war, fand man nur noch wenige Knochenreste des in den Flammen Umgekommenen.
Gelsenkirchen, 2. August. Einer Falschmünzerbande, die im hiesigen Jndustriebezirke falsche Fünfmarknoten massenhaft verausgabt, ist man hier auf die Spur gekommen. Drei Personen sind bereits verhaftet worden. Die Scheine sind täuschend nach- geahmt und vom Jahre 1882 datiert.
Berlin, 4. Aug. Am 1. Februar d. I. fuhr der Berliner Gemeindelehrer Kindler von Schmargendorf mit seinem Fahrrade nach dem dortigen Bahnhof. Der Rentier Karl Hcrgsprung
kam ihm mit seiner Frau und seinem Hunde entgegen. Das Tier, ein großer Jagdhund, sprang wütend dem Radfahrer entgegen. Dieser rief dem Angeklagten zu, er möge doch seinen Hund zurückrufen; statt dessen schrie der Herr des unvernünftigen Tieres: „Du Lümmel, was willst Du?" und hieb gleichzeitig einige Male mit dem Stocke auf den Radfahrer ein. Obwohl außer diesem selbst auch das Fahrrad durch die Stockschläge beschädigt worden war, stellte Herr Kindler nur Strafantrag wegen Körperverletzung und schloß sich dem eingeleiteten Strafverfahren als Nebenkläger an. Das Schöffengericht am Landgericht II glaubte eine derartige Rohheit bei einem Manne der besseren Gesellschaft besonders streng ahnden zu sollen. Das Urteil lautete demgemäß auf drei Monate Gefängnis und eine an den Nebenkläger zu zahlende Buße von 300 wobei das Bedauern ausgesprochen wurde, daß der Nebenkläger nicht eine höhere Buße verlangt und nicht auch Strafantrag wegen Sachbeschädigung gestellt habe.
Berlin, 5. Aug. Der erste Versuch mit frischen Seefischen als Nahrung für Vas Militär hat bereits stattgefunden; und zwar ist vor einigen Tagen dem ersten Bataillon des Kaiser Alexander Garde-Grenadier-Regiments Nr. 1 eine solche Fischmahlzeit verabreicht worden, welche den Mannschaften vortrefflich gemundet hat. Es waren Schellfische, die in besonderen Fischtransportwagen direkt von der See hierher gesandt worden waren und in ausgezeichnetem Zustande hier ankamen, obwohl gerade an jenen Tagen die Hitze den höchsten Grad erreichte.
Berlin, 6. Aug. Mehrere seit einiger Zeit in Berlin weilende japanische Offiziere, welche sich hier aufhielten, um die deutschen Armeeverhältnisse kennen zu lernen, haben Befehl erhalten, sofort in die Heimat abzureisen, um im Kriege gegen China die in Deutschland erworbenen militärischen Kenntnisse zu verwerten. 5 Offiziere sind bereits abgereist.
Berlin, 6. Aug. Der Buchhalter Schmidt und der Kellner Zenner wurden heute wegen Betrugs zu 18 bezw. 6 Monaten Gefängnis verurteilt. Beide hatten sich gegenüber der Familie Kotze erboten, gegen eine Bezahlung von 300 ^ den Schreiber der verleumderischen Briefe zu nennen. Die Summe wurde beiden verabfolgt, aber sie konnten den Schreiber nicht nennen, weil sie ihn eben nicht kannten.
Berlin, 6. Aug. Heute Mittag hat bei den Asphaltierungsarbeiten in der Mathieustraße ein Zusammenstoß zwischen Arbeitern, welche die Arbeit plötzlich niederlegten und versuchten, die weiter arbeitenden Kameraden zu Gleichem zu veranlassen, und der Polizei stattgefunden. Die Polizei mußte blank ziehen, doch sind ernste Verwundungen nicht vorgekommen. Vier Personen wurden verhaftet.
— Ueber das gegen den Kanzler Leist und den Assessor Weh lau eingeleitete Disziplinarverfahren wird von der „Voss. Ztg." milgeteilt, daß
nach Ablauf der Gerichtsferien gegen beide Anklage- erhoben wird.
— (In Sachen Leist und Wehlau.) Dr. Vallentin, der zuletzt Stationschef in Mundame gewesen, hatte in der „Kreuzzeitung" erklärt, daß die in der „Neuen deutschen Rundschau" veröffentlichten „Tagebuchblätter eines in Kamerun lebenden Deutschen",, welche die bekannten schweren Anklagen gegen den, Kanzler Leist und den Assessor Wehlau enthielten, als ganz private Aufzeichnungen zu betrachten, nichts für die Oeffentlichkeit bestimmt gewesen und ohne sein, (Vallentins) Zuthun und seinen Willen veröffentlicht: worden seien. Hierauf erwidert in der „Kreuzzeitung" der Schriftsteller Franz Giesebrecht in Berlin: Dem-, mir seiner Zeit übersandten Tagebuche des Dr. Vallentin lag eine kurz gehaltene Bleistiftnotiz bei, der ich nicht entnehmen konnte, daß die Aufzeichnungen, nur privater Art und nicht zur Veröffentlichung bestimmt waren. Ich habe daher, zumal mir wichtige öffentliche Interessen auf dem Spiele zu stehen-, schienen und die Zeit drängte, kein Bedenken getragen, einen Teil des Tagebuches zu publizieren. Wenn also Herr Dr. Vallentin erklärt, die Herausgabe des Tagebuchs nicht veranlaßt zu haben, so kann ich das nur bestätigen.
— Ueber den Dowe'schen Panzer schreibt der Hamb. Korr, übereinstimmend mit anderen Mitteilungen: Die vollständige Unbrauchbarkeit des Dowe'schen Panzers für militärische Zwecke hat sich bei dem einmaligen Versuche, der auf Bitten des „Erfinders", also nicht offiziell, m diesem Frühjahre bei der Jnfanterieschießschule in Spandau stattgefunden, hat, sofort herausgestellt. Zunächst wurde mit Gewehren LI. 88 und in der Spandauer Munitionsfabrik gefertigten Patronen auf Verlangen Domes gegen einen freihängenden Panzer geschossen. Nicht sämtliche Geschosse durchschlugen in diesem Falle den Panzer; die Stoßwirkung des Geschosses wurde durch die Pendelung des freischwebenden Panzers abgeschwächt. Sobald der Panzer aber durch Anlehnung gegen eine Holzwand oder einen Erdwall festgelegt war, schlugen die Geschosse ausnahmslos sowohl auf nahe, wie auf weite Entfernung durch. Bei der Vorführung seiner Erfindung vor einem militärischen Zuschauerkreise im Wintergarten zu Berlin wurde zwar auch ein In» fanteriegewehr LI. 88 benutzt; die verwendete Munition, die äußerlich den scharfen Patronen 88 entsprach, war jedoch von Dowe selbst beschafft. Der Wintergartenversuch hatte zwar ein günstiges Ergebnis. Den Anwesenden fiel damals bei der Schußabgabe der schwache, matte Knall auf, während die Detonation in einem geschlossenen Raume stärker sein mußte. Gleichzeitig wurde von den Schießenden auch nicht der geringste Rückstoß verspürt. Diese Wahrnehmungen berechtigen zu der Annahme, daß die zur Verwendung gekommene Munition nicht die volle Ladung von 2,75 Gr. Gewehrblättchenpulver enthalten hat. Eine Kont- role der Munition hat, da es sich im Wintergarten lediglich um eine Privatvorstellung, nicht aber um
waren wenige Tropfen der Flüssigkeit verschüttet worden. Es hätte des scharfen, bitteren Arzeneigeruchs, der vom Schlafenden herkam, gar nicht mehr bedurft, um Eva die schreckliche Gewißheit beizubringen, daß sie sich nicht irrte in ihrer Vermutung. Ja, ihr Mann war in den Tod gegangen, um ihr freie Bahn zu machen. Noch lebte er, ja, sein Herz schlug noch, seine Pulse bebten, aber wie lange noch, dann begann die fürchterliche Wirksamkeit deS Trunkes, dessen Gefährlichkeit ihr der Arzt bei jedem Besuche warnend ans Herz gelegt hatte.
Eva mußte an sich halten, um nicht laut hinaus zu schreien. Ihre Augen hatten sich unnatürlich vergrößert; jetzt, wo sie die Gewißheit hatte, daß sie, fall« nicht ein Wunder geschah, ewig ihres selbstlosen Mannes Schuldnerin bleiben mußte, erschien ihr die Zukunft noch öder und grauenvoller, als sie sich dieselbe erst noch am verwichenen Nachmittage ausgemalt hatte.
Nur noch eine Sekunde säumte sie; dann begriff sie, daß um jeden Preis Hilfe geschafft werden mußte. Da eilte sie aber auch schon an die Thür und riß diese auf.
.Anspannen!" herrschte sie den erstbesten Knecht, der ihr in den Weg kam, an. „Du fährst, so wie Du gehst und stehst in die Stadt und holst den Doktor herauf."
„Jetzt, auf den Abend um neun Uhr?" frug der Knecht kopfschüttelnd.
„Was stehst noch!' herrschte die Bäuerin, ohne auf den Einwand des Erstaunten zu achten. „Es geht aus Leben und Tod . . dem Doktor sagst, daß mein Mann von seine» Schlaftropfen zuviel genommen . . das ganze halbe Fläschlein voll ... aus Versehen, also sagst . . ."
Wie schwer ihr doch die Worte nur über die Lippen wollten; ihr wars, als ob das neugierig sich herbeigesellende Gesinde ihr von der Stirn die Lüge ablesen müsse.
„Ja so, um den Bauer .. da heißt'S freilich geeilt!" brummte der Knecht nunmehr, während die übrigen Leute Ausrufe deS Erschreckens und Bedauerns
laut werden ließen. „Ich werd' den Schlitten nehmen . . der Schnee ist fest gefröre . . da geht's heidi . . in zwei Stunde bin ich wieder hiesig!"
.Geh' . . geh' . . und bringst den Doktor noch zur Zeit, dann sind hundert Mark Dein!" drängte die Bäuerin.
Sie hörte den erfreuten Ausruf des Knechtes gar nimmer; spornstreichs eilte sie ins Zimmer zu ihrem Mann zurück.
Aber kaum war Eva in's Zimmer zurückgetreten und hatte die Thür hinter sich gescblosien, da überkam sie auch schon das alte Zittern wieder. Sie mußte sich an der Wand festhalten. So ratlos und verzagt war sie in ihrem ganzen Leben noch nicht gewesen, wie eben jetzt. Die röchelnden, nur ganz langsam und unregelmäßig sich wiederholenden Atemzüge ihres in solch tiefen Schlaf versenkten Mannes drangen bis zu ihr. Aber was sollte sie bis zur Ankunft deS Arztes beginnen und thun, um den Eintritt des Schrecklichsten hintan zu halten!-
Sie besann sich nicht lange. Auf'S Geratewohl eilte sie ans Bett und begann den darin Liegenden aus Leibeskräften zu schütteln und zu rütteln in der eitlen Hoffnung, ihn dadurch zu ermuntern.
Zuweilen schien es, als sollten ihre Bemühungen von Erfolg gekrönt werden; dann reckte sich der Schlafende etwas und blinzelte auch wohl mit den Augen, dabei unverständliche Laute vor sich hinmurmelnd. Aber das waren doch nur rasch wieder vorübergehende trügliche Zeichen. Nur zu bald versagten auch sie und trotz des verzweifelnden Rüttelns Eva's und der flehenden Aufschreie, die über deren Lippen drangen und einen Toten, wie das Sprichwort sagt, zum Leben hätten zurückbringen müssen, rührte sich der Bauer nimmer.
Dafür aber drang das Röcheln immer dumpfer und bedrohlicher über seine blaufarbenen, dickanschwellenden Lippen und zuweilen wars gar, als ob er mit Erstickungsanfällen zu kämpfen habe. Dann schnellte die Zunge rückwärts und wollte, den Rachen zusperren.