Beilage zum „Caliver Wochenblatt"
Nro. 35.
^Nachdruck verboten.!
Auf eigenen Außen.
Novelle von F. L. Reimar.
(Fortsetzung.)
Flüchtig zogen die Worte ihres Vaters: .In seinen Zügen liegt etwas, das bedeutet: ich bin der Herr und Du hast zu gehorchen!' noch einmal durch ihre Erinnerung, aber sie wollte keine Unruhe mehr in ihrer Brust, keinen Schatten auf ihrem klaren Sinn, vielmehr lächelte sie, und wieder bewegten sich leise ihre Lippen, denn auS ihrem Innern drangen die Worte: .Dürfte ich es mir selbst vergeben, Edmund, wenn ich an Dir zweifeln, mich vor Dir fürchten wollte?!*
Klara hatte mit Herzklopfen dem Augenblick der ersten Begrüßung ent-egen- gesehen, sich aber selbst d«S Versprechen gegeben, bei derselben nur das schwesterliche Gefühl lür Edmund walten zu lassen und seiner Verlobten keinerlei Voreingenommenheit zu zeigen, wobei sie allerdings annahm, sie würde Eveline in bräutlicher Verschämtheit finden, der gewisse reizende Unbeholfenheit in sich schließt. Ihr aber dann mit der sicheren Haltung der »erheirateten Frau zu Hülfe zu kommen, schien ihr eine dankbare Aufgabe zu sein, und leise schmeichelte sie sich, daß sie dem jungen Mädchen gegenüber eine etwas bevorrechtete Stillung gewinnen würde. Als nun aber der Wagen zur festgesetzten Stunde »or dem Garkauer Herrenhaus« hielt, als Eveline ihren Gästen freudig zwar, aber anscheinend in »ölliger Uabefangenheit entgegentrat, da gesellte sich zu der Überraschung, welche Klara empfand, ein nicht gleich zu besiegender Verdruß; sie sah und wußte es in diesem ersten Moment: das junge Mädchen verschmähte die schützenden Flügel, welche sie über demselben aus- breiten wallte! Und w» blieben die Ergüsse der Empfindung, welche die junge Frau der Situation angemessen gehalten, da» Überstlömen de» Gefühl», bas sie sich — vorher selbst schon gerührten Herzen» — «usgemalt hatte? Freilich färbten Evelinen» Wange» sich höher und strahlten ihr« Augen glänzender «iS sie ihrem Verlobten die Hände eutgegenstreckte, freilich klangen die Worte, mit denen sie seine Schwester und deren Batten begrüßte, freundlich und selbst herzlich, aber wie weit blieb doch alle» da» hinter den Erwartungen zurück, die Klar« ihrer Phantasie entnommen hatte! Ihr Gemüt ist entweder nüchtern, oder ihr Herz greadezu kalt! sagt« sie sich mit einem Seufzer, und nahezu »erletzt fand sie sich dadurch, daß Eoeline schon nach wenigen Augenblicken, statt eine innere Rührung au»klingen zu lassen oder auch nur anzudeuten, lachend auf die Scherze «inzugehe» vermochte, die Herr von Milten in jovialer Weise an sie heranbrachte. Ihre Augen suchten den Bruder, war eS denn möglich, daß er nicht» an Eveline vermißte? Eie sah aber nur, daß seine Blicke stolz und freudig an der prächtigrn Erscheinung hingen, und seufzend wandte sie die ihrigen ab.
Im Wohnzimmer traf die Gesellschaft de» Oberst, der heute ziemlich wohl und daher in guter Laune war. Er verstand e» n»ch von alten Zeiten her, den Wirt zu machen, und fand sich bewagen, sofort einen heiteren To» anzuschlagen, in den namentlich Klara eifrig und geflissentlich «instimmte, weil sie den Entschluß gefaßt hatte, sich vorzugsweise dem alten Herrn zu widmen, da Eveline si, so wenig sympathisch «nzog. Vielleicht ahnte sie dabei nicht, daß sie sich gerade durch dieses Verfahren den Dank der Verlobten erwarb. denen e», «l» auch Herr von Milten sich nach einer Weile der Unterhaltung entzog, nachdem er sich die Erlaubnis erbeten hatte, die Wirtschaft in Augenschein nehmen zu dürfen, vergönnt ward, eine zeitlang in leis erem Zwiegespräch zu verharren. Sie selbst aber fand die Art des Alten, sich mit ihr zu necken, bald ganz liebenswürdig, und da ihre Natur eine überaus heitere war, so brachten ihr seine Scherze rasch die gewohnte Stimmung zurück, gleichwie er ihr die Versicherung gab, daß es ihm eine Herzenscrquickung und ein ungewohntes Glück sei, wenn es einmal so heiter in seiner Umgebung sei wie in diesem Augenblick.
.Ja, ja Evy,* wandte er sich zu seiner Tochter, die gerade herüber sah, „ich möchte, daß Du das Leben nicht immer so ernst ansähcst, sondern cs verständest, so fröhlich zu sein, wie unsere liebenswürdige Frau von Milten hier.*
Evelinen» Augen blickten in dieser Minute hell und freundlich. „Wer weiß,* sagte sie, „vielleicht erscheine ich Dir noch einmal übermütig, denn mir ist, als gäbe eS fortan nichts Schweres auf der Welt mehr, — als sei meine Kraft eine doppelte geworden I*
„Das sprach meine Braut!* sagte Edmund und zog ihren Arm mit einer raschen Bewegung an sich, so daß sie gezwungen war, einen Moment halb an rhn gelehnt zu bleiben.
ES war ein schöner Anblick, die beiden hochgewachsenen, edlen Gestalten in dieser Vereinigung zu sehen, und wer sich desselben freute, mußte sich zugleich sagen, daß eine gewisse Gleichheit in ihrer äußeren Erscheinung, in dem Ausdruck ihrer Züge auch auf eine innere Gemeinsamkeit, eine Ähnlichkeit des ganzen Seins und Wesens zu deuten schien. Die nämliche Energie, welche sich in dem Gesicht Dern- burgS auspräzte, glaubte man zwischen den hochgewölbten Braunen seiner Braut zu erkennen, und wenn man etwa in seinen Augen die Warnung lesen mochte, die Kraft und Ausdauer seines Willens nicht herauszufordern, so verriet jener feste Zug um den überaus feinen Mund, das schön geformte Kinn EvelinenS, daß sie nicht gewohnt und nicht gesonnen war, den stolzen Nacken zu beugen.
Selbst für Klara war es in dem Moment, als Eveline lächelnd und glücklich zu ihrem Verlobten aufsah, nicht möglich, dem Gedanken zu wehren: sie pusten zu einander, und zum ersten Mal vermochte sie es. ihre Blicke mit ungezwungener Freundlichkeit auf dem Mädchen ruhen zu lasten. Vielleicht hätte sie auch der in ihr aufksimenden Empfindung Worte geliehen, wenn in diesem Augenblick nicht Herr von Milten ins Zimmer getreten wäre. Er hatte seinen Rundgang durch die Wirtschaftsgebäude beendigt und floß nun über vom Lobe der verständigen, überraschend praktischen Einrichtungen, die er überall getroffen.
„Wahrhaftig, der Ruf hat nicht übertrieben,* schloß er, und ich stimme ihm aus voller Seele bei, wenn er die Ökonomie auf Garkau eine Musterwirtschaft nennt!* „O, o!" fiel der Oberst, besten Laune fortwährend aufgeräumt war, ein; „bestärken Sie mir nur Eoeline nicht in dem Glauben, daß sie eben alles versteht. Sie wissen nicht, wie wenig Einspruch in ihr Regiment sie ohnehin duldet! Hat sie mir nicht z. B. noch neulich meinen eigenen Burschen, an dessen Bedienung ich seit Jahren gewöhnt war, ohne weiteres fortgeschickt, weil sie einen Span auf ihn hatte?* Über die Wangen EvelinenS flog ein hoher Rot, und sie sah ihren Vater mit einem nahezu finsteren Blick an, während sich der Gesellschaft ein gewisses unbehagliche» Gefühl bemächtigte und Klara ausrief: „Aber konnten Sie denn selbst, Herr Oberst, den armen Menschen nicht retten? Mich dünkt, die Fürbitte deS eigentlichen Herrn hätte ihn halten müssen!*
„Das ist'» gerade!* entgcgnete der Oberst lebhaft und wollte in seiner indiskreten Plauderei fortfahren, als Eveline kurz und beinahe heftig dazwischenfuhr:
„Der „arme Mensch* hatte sein Schicksal vollkommen verdient! Überhaupt aber handelte eS sich um Grundsätze, die nicht aufgegeben werden durften.*
Sie süßte kein Wort hinzu, das ihr Handeln näher erklärt, oder auch nur den Schein der Rücksichtslosigkeit gegen ihren alten Vater von ihr genommen hätte; dagegen suchte Herr von Milten den herben Eindruck ihrer Worte zu mildern, indem er in seiner jovialen Weise auSriei: „Wieder ein Unikum, das wir zu bewundern haben! Eine junge, schöne Dame beruft sich auf Gesetz«, — einerlei, ob fremde oder selbstgeschaffene! — während bei ihrem Geschlecht sonst nur die einzige Erklärung zu gelten pflegt: tsl S8t MOL xlaisir I Nimm Dich vor Deiner Braut in acht, Schwager!*
Über da» Gesicht des Landrat» flog ein ruhige» Lächeln. „Eveline weiß wie ich selbst.* sagte er, „daß nur der, welcher Rechte hat, Rechte fordern darf.*
„Du meinst natürlich d«S Recht der Stärkeren,* spattete Herr von Milten gutmütig; „schöne Schwägerin, wa» würden Sie Edmund entgegenhalten, wenn er in der Ehe einmal ein solches Recht behaupten wollt«?*
„Einfach die Erinnerung für mich und ihn,* versetzte sie, ohne zu zögern, aber auch ohne zu enöten, „daß fein Weib in ihrer eigenen Ehre die seine zu wahren hat*
„Wenn ich'S sagen darf: gut gesprochen!" rief Herr von Milten, „aber — bist Du mit der Antwort Deiner Braut zufrieden, Edmund?"
„Gewiß,* entgegnet« der Landrat, dem das Jnquisitorium unbehaglich zu werden anfing, etwas kühl, „eS freut mich, daß Eoeline über diesen Punkt — den der Ehre, meine ich — ebenso empfindlich denkt wie ich selbst*
Die inzwischen vorgerückte Zeit ermahnte jetzt die Gesellschaft zum Aufbruch. Eveline half der jungen Frau Hut und Ehawl anlegen und verschwand dann während die Gäste sich von dem Oberst verabschiedeten, auf einige Minuten, trat aber in dem Augenblick, als die letzteren auf die Terrasse gehen wollten, vor welcher der Wagen hielt, wieder zu ihnen. Sie erschien im rasch angelegten Reitkleid, da» ihrer schlanken Figur vortrefflich stand, ebenso wie da» schleierumwallte Hütchen, welche» sie auf ihrem Haupte trug.
„Nun?* fragte man ihr verwundert entgegen.
„Ich gebe Ihnen das Geleit, mindestens bi» zur Grenze von Garkau,* sagt« sie, und ihre Hand, welche die zierliche Gerte hielt, deutete leicht auf ein für ein« Dame gesattelte» Pferd, ein bemerkenswert schöne» Tier, da» gerade von einem Diener herbeigeführt wurde.
„Nun, da« ist mir ein schönes Arrangement!* lachte Herr von Milten; „die Dame kavaliermäßig zu Pferde, und die Männer — der zukünftige Gemahl inklusive — frauenzimmerlich im Wagen! Wie erträgst Du da». Edmund?*
Der Gefragte war inzwischen zu dem Pferde getreten, hatte kurz da» Sattelzeug untersucht, den schlanken Hals gcklopft und sagte jetzt zu dem Diener: „Ist das Tier vollkommen sicher?*
„Das gnädige Fräulein versteht durchaus, es zu regieren!* war die Erwiderung. Dernburg wollte noch etwas sagen, aber in demselben Augenblick ward da» Pferd unruhig, und Eveline, die herbeigeeilt war, rief: „Lasten Sie mich rasch aufsitzen, Dernburg, Zemire erträgt das Warten nicht gern!"
Damit stützte sie sich leicht auf seinen Arm, während er sie, ohne noch ein weiteres Wort zu äußern, in den Sattel hob. Sie dankte ihm mit einem anmutigen Nicken für seine Hilfe, und er wandte sich darauf dem Wagen zu, in welchem die anderen unterdessen schon Platz genommen hatten. Herr von Milten hielt die Thür zu seinem Einsteigen offen, doch Dernburg gab dem Kutscher die Weisung, sich al» Bedienter hintenauf zu stellen und ihm selbst mit seinem Sitz die Zügel abzutreten.
„Wie, Du willst fahren?* fragte Herr von Milten verwundert, und Klara fügte hinzu: „Welch' komischer Einfall, Edmund!*
Er wandte sich in anscheinend guter Laune zu den Geschwistern um und sagte: „Ein Einfall, nehmt es dafür! Mich dünkt aber, ich habe mehr von Eveline, wenn meine Hände wie die ihren etwa» halten und lenken.*
„Ich verstehe, sie darf den Zügel nicht allein führen,* sagte Herr von Milten und pfiff leise lächelnd vor sich hin, als Evmund nicht sogleich antwortete.
Die Aufmerksamkeit des letzteren war auf Eoeline gerichtet, die sich an seiner Seite hielt und heiter und lebhaft mit ihm sprach, während Klara sich bald gelangweilt in den Wagen zurücklehnte, da auch Herr von Milten nur Sinn und Auge für die schöne Reiterin zu haben schien und kaum eine andere Aeußerung that alS: „Wie bewunderunxswü dig sie zu Pferde sitzt!' oder: „Wie leicht und wie sicher sie das Tier zu lenken weiß!*
Der Weg führte durch ein Dorf, welches den Namen des Gute» trug, und die Gesellschaft ward von manchen neugierigen Blicken gemustert, wie denn die Kunde von EvelinenS Verlobung bereits zu den Ohren der Bewohner gedrungen zu sein schien. (Fortsetzung folgt.)