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^>er Kaiser ausstieg küßte ihm Bismarck die Hand. Der Kaiser trug Marineuniform und Mütze. Die Die Herrschaften begaben sich sodann in das Schloß, wo die Fürstin Bismarck im Vorsaal zur Begrüßung «ntgeaenkam.
Friedrichsruh, 20. Febr. Während des Soupers demonstrierte der Kaiser dem Fürsten Bismarck an zwei Gardegrenadieren die Verbesserungen der neuen Uniform. Bismarck kredenzte die historische Flasche .Steinberger Kabinet" mit einem Trinkspruch auf den Kaiser. Zu einer großartigen Ovation kam es bei der präzis 9 Uhr erfolgten Abfahrt des Kaisers. Als derselbe, begleitet vom Fürsten, das Schloß verließ, durchbrach die Menge die Spaliere und stürzte zum kaiserl. Zug. Die Illumination war prächtig. Der Abschied war äußerst herzlich. Kaiser und Fürst schüttelten sich wiederholt die Hand.
Wilhelmshaven, 20. Febr. Der Kaiser hielt nach der Vereidigung an das gesamte im Exerzierschuppen der Matrosenartillerie versammelte Maschinen- und Heizerpersonal etwa folgende Ansprache: Er nehme Veranlassung dem gesummten Personal sein tiefstes Beileid auszusprechen über das Unglück auf der „Brandenburg". Sein Auge beobachte nicht nur das, was über Deck, sondern auch das, was unter Deck geschehe; er könne dem Maschinenpersonal, das jetzt in den Vordergrund trete, seine höchste Anerkennung aussprechen; er habe daher auch befohlen, daß die in ihrem Berufe an Bord der „Brandenburg" Verunglückten mit allen militärischen Ehren bestattet werden. Wenn das Maschinenpersonal, welches anerkannt das Vorzüglichste aller Nationen sei, fortfahre, diese Kaltblütigkeit und Pflichttreue an den Tag zu legen, würde es stets seiner Anerkennung und seines kaiserl. Dankes gewiß sein.
Berlin, 20. Febr. Der Vorwärts erklärt, die Sozialdemokraten stimmten im Reichstage geschloffen für den russisch. Handelsvertrag.
Das Unglück auf dem Panzerschiff Brandenburg. Ueber die Explosion auf dem Panzerschiff Brandenburg und ihre Folgen berichtet die Kieler Zeitung noch folgendes: „Wie wir von Zeugen, welche sich an Bord des Schiffes befanden, erfahren, war das durch die Explosion hervorgerufene Geräusch kein besonders starkes; auf dem Deck hörte sich's an, als ob ein leeres Faß kräftig zu Boden geworfen würde. Gleichzeitig aber quoll der Dampf überall aus dem Schiffe hervor, so daß die hier und da zunächst laut werdende Ansicht, als handle es sich nur um ein zersprungenes Wasserstandsglas, bald genug einer schlimmeren Vermutung weichen mußte. Aber auch diese wurde noch durch die Thatsache übertroffen, welche sich drunten im Maschinenraum abgespielt hatte und von deren Schrecklichkeit man sich wegen des immer noch ausströmenden Dampfes erst längere Zeit nach der Katastrophe überzeugen konnte. Die unmittelbare Wirkung der Explosion ist unseren Lesern bekannt: 39 Tote und 10 Verwundete wurden
nach und nach aus den unteren Räumen heraufbefördert; und die Leichen, die man oben niederlegte, boten einen entsetzlichen Anblick. Den meisten war das Zeug vom Leibe gerissen, die Haut zerfetzt und förmlich aufgerollt, dickerSchaum stand den Toten vor dem Munde. Auch in die Kambüse war der heiße Dampf gedrungen und hatte dort den Koch der Offiziers-, ven Koch und den Steward der Deckoffiziers- Messe getötet, während, wie wir hören, ein dort mit Kartoffelschälen beschäftigter Mann unversehrt geblieben ist. Der Zivilkoch war zufällig nicht in der Kambüse anwesend und entging so dem traurigen Schicksal, das so viele brave Männer ereilt hat. Gleich, nachdem das Unglück geschehen, wurde dasselbe nach Kiel gemeldet und um ärztliche Hilfe gebeten. Von den im Hafen und in der Werft liegenden 'Kriegsschiffen hatte nur das Wachtschiff Pelikan, welches am Montag in See gehen soll, Dampf auf. An Bord desselben wurden daher sechs Aerzte der Marine eingeschifft, um an die Unglücksstätte befördert zu werden, wo das manöverunfähig gewordene Schiff lag. Ein Werftdampfer folgte. Auch Prinz Heinrich begab sich mittels Pinaffe in See und an Bord des Brandenburg. Dort hatte man inzwischen die Toten an Deck gebracht, während einige besonders schwer Verwundete mittels eines draußen befindlichen Schultorpedoboots nach Kiel geschafft worden waren; zwei derselben konnten nur als Leichen ins Lazaret geschafft werden. Während die an Bord des Panzerschiffs gebliebenen Verwundeten von den Aerzten aufs sorgsamste untersucht und verbunden wurden, begann man auf Backbordseite, die Leichen auf den Werftdampfer hinüberzuschaffen, wo sie — ein trauriger Anblick — auf Deck ausgebreitet lagen. Wie bereits gemeldet, traf der Dampfer gegen 6 Uhr an der Blücherbrücke ein, von wo die Leichen in die Leichenhalle des Lazarets befördert wurden. Die Verwundeten blieben auf dem Panzerschiff, das nunmehr vom Pelikan, in Schlepptau genommen und nach Kiel bugsiert wurde. Erst gegen 10 Uhr trafen die beide Schiffe im hiesigen Hafen ein. Von den Verwundeten ist über Nacht noch ein Werftarbeiter gestorben, der von Bord zum Lazaret gebracht wurde. Die übrigen Verwundeten befanden sich am andern Morgen noch an Bord und wurden mittags 12 Uhr mittels des Wasserfahrzeugs 1 an die Barbaroffabrücke und von dort auf einzelnen Bahren zum Lazaret befördert." Die Beerdigung der Verunglückten des Panzerschiffes Brandenburg findet am Dienstag nachmittags 3 Uhr statt. Auf Befehl des Kaisers werden die Verunglückten mit Ehrenbezeugungen, wie die vor dem Feinde gebliebenen Kombattanten, bestattet. Der Kaiser beauftragte den Admiral Knorr mit seiner Vertretung bei der Beisetzung. In dem Zustande der Verwundeten ist keine Verschlimmerung eingetreten.
Berlin, 19. Februar. Nach dem „Reichsanzeiger" hat die vom Reichsmarineamt eingeleitete technische Ermittelung der Ursache des Unglücks auf dem Panzerschiff „Brandenburg" zunächst ergeben.
daß das Personal des Schiffes und der kaiserlichen Werft in jeglicher Beziehung seine Schuldigkeit gethan hat.
Ausland.
Wien, 20. Febr. Gestern Nachmittag fanden wieder Demonstrationen der Arbeitslosen statt, die nach der inneren Stadt ziehen wollten. Die Demonstranten wurden durch die Polizei zerstreut. Mehrere Verhaftungen wurden vorgenommen.
Paris, 20. Febr. Ueber die Dynamit- Explosion in der Rue Saint Jacques, werden weitere Einzelheiten bekannt. Ein unbekannter Reisender, der als ein untersetzter schwarzbärtiger Mann beschrieben wird, hatte vor einigen Tagen in einem Hotel Garni der erwähnten Straße ein Monatszimmer gemietet. Da er gestern Nacht nicht heimkehrte und Versuche, die Thür seines Zimmers zn öffnen, mißlungen, holte man die Polizei. Die Schutzleute erschienen um 2 Uhr Nachts. Als ein Polizeiagent die Thüre mit Gewalt aufstieß, hörte man das Fallen eines Gegenstandes, wahrscheinlich einer Bombe, und darauf erfolgte eine starke Explosion, bei welcher die Wirtin schwer und zwei Pensionäre durch Spreng- stücke leicht verletzt wurden. Der diensthabende Schutzmann war derjenige, der s. Z. Ravachol verhaftete. Man glaubt, daß der Attentäter dieses gewußt hat und der Anschlag daher als Racheakt zu betrachten ist.
Tagesneuigkeitrn.
Stuttgart, 17. Febr. (Strafkammer.) Der oftbestrafte 31jährige ledige Schlosser Karl Heinrich Theurer von Geisingen O.A. Ludwigsbura,, der am 12. v. M. in einer Wirtschaft zu Eßlingen die 25jährige übelbeleumundete Crescentia Böhm von Fachsenfeld, seine frühere Geliebte, die er mit einem Anderen antraf, nachdem ihn die beiden beschimpft hatten, in der Erregung und aus Eifersucht durch 4 Stiche am Kopf, Arm und Schulterblatt verletzte, wovon diese aber nach 10 Tagen sich wieder erholte, wurde mit Rücksicht auf eine Vorstrafe wegen Körperverletzung unter Ausschluß mildernder Umstände zu. einjähriger Gefängnisstrafe verurteilt.
Ebingen, 19. Febr. Gestern abend 10 Uhr hatte der 17jährige Sohn des früheren Polizeidieners Gern hier mit dem Schreiner Fuß vor dem Gasthof z. Fuchsen Streit, in dessen Verlauf er auf Fuß. einen Schuß aus einem Revolver abgab. Die Ladung ging aber dem Schützen selbst in die rechte Hand und riß ihm drei Finger weg, so daß er für seine frevelhafte That zu büßen hat.
Von der Jagst, 18. Febr. Heute sollte in. Crailsheim ein Kind des Bauern Sch. von Ingers- Heim zur Taufe gebracht werden. Alles war zur Abfahrt gerüstet; kaum abgefahren, erfolgte die übliche Schießerei. Das Pferd scheute, warf das Gefährt um; dasselbe wurde teilweise schwer beschädigt, die Hebamme mit dem Kind wurde herausgeworfen; die Hebamme erlitt Verletzungen am Kopfe, der Knecht
langen, hätte ich ihnen sagen müssen, daß die wichtigen Schriftstücke unbeaufsichtigt waren, während ich etwa eine halbe Stunde lang draußen in der Küche hantierte."
„Und warum haben Sie es ihnen nicht gesagt? Kein Mensch mit gesunden Sinnen hätte ja deshalb auf die wahnwitzige Vermutung kommen können, vaß das Manuskript während dieser Zeit entwendet worden sei."
„Wie, Heimerdinger? — Sie könnten mir im Ernst dazu raten, zu fremden Menschen von jenem Vorkommnis zu sprechen? Ich sollte Ernas Namen preisgeben, sollte aller Welt offenbaren, in welcher Situation sie sich hier befunden? Nein, lieber Freund, das thue ich nimmermehr, auch wenn ich mich darum einer viel schlimmeren Unwahrheit schuldig machen müßte. Sie soll in ihrem Vertrauen auf mein» Ehrenhaftigkeit nicht getäuscht, und ihr guter Name soll bei mir so sicher sein wie bei einem Bruder. Nie wird außer Ihnen ein Mensch von mir erfahren, daß sie an jenem Abend in meiner Wohnung gewesen ist, nie wird sie durch mich der beschämenden Notwendigkeit aus gesetzt werden, auf eine unzarte Frage Antwort zu geben."
Der kleine Musiker neigte ganz zerknirscht das langmähnige Haupt und drückte dem Freunde warm die Hand.
„Sie haben Recht, Harmening! — An alles das hatte ich nicht gedacht. Eine Lüge, wie diese, wird Ihnen nicht sehr hoch angerechnet werden auf dem Register Ihrer Sünden."-
Zwei Tage nach dieser Unterredung empfing Günther aus dem Krankenhause die eilige Nachricht, daß in dem Befinden seines Vaters eine bedeutende Verschlimmerung eingetreten sei. Sie erreichte ihn nach Beendigung seiner Bureaustunden und er zögerte keinen Augenblick, dem Rufe zu folgen, den sie in sich schloß. Der Assistenzarzt, bei dem er gemeldet wurde, machte «in bedauerndes Gesicht.
„ES steht schlecht mit Ihrem Vater," sagte er. „Ich darf Ihnen nicht verhehlen, daß Sie sich auf das Äußerste vorberriten müssen."
„Und soll es mir trotzdem noch immer verboten sein, ihn zu sehen?"
„Nein! Jedes derartige Verbot wird natürlich hinfällig mit dem Augenblick,
da wir auch die letzte Hoffnung aufgeben mußten. Kommen Sie mit mir. Aber nehmen Sie all' Ihre Kraft zusammen, denn Sie werden den Patienten leider sehr, verändert finden."
Und seiner ganzen Kraft bedurfte Günther in der That, um bei dem Anblick des Sterbenden seine Fassung zu bewahren. Nie hätte er es für möglich gehalten» daß eine kurze Krankheit so fürchterliche Verwüstungen in einem Menschenantlitz anzurichten vermöge. Angesichts dieser unzweideutigen Kennzeichen schrecklichster Leiden empfand er die Gewißheit, daß dir Erlösung nicht mehr fern sei, fast wie einen Trost» Er neigte sich über den mühsam Röchelnden, der mit weit geöffneten, verblaßten Augen dalag, und sprach ihm mit so herzlichen, liebevollen Worten zu, wie sie sett langer Zeit nicht mehr zwischen ihnen gefallen waren.
„Er wird Sie nicht mehr erkennen," sagte die Wärterin leise. Aber es schien doch, daß sie sich getäuscht habe, denn es ging etwas wie der Versuch eines Lächelns über das faltige, abgezehrte Gesicht des alten Mannes. Seine Lippen bewegten sich, als ob er dem Sprechenden antworten wolle; doch außer jenem entsetzlichen Röcheln» das von Sekunde zu Sekunde angstvoller wurde, kam kein Laut aus seinem Munde. Günther ergriff seine eiskalte Rechte und behielt sie zärtlich zwischen seinen beiden Händen. Minute auf Minute ging so dahin, ohne daß eine entscheidend- Veränderung im Zustande des Kranken wahrnehmbar gewesen wäre. Da plötzlich zuckte es durch seinen abgemagerten, kraftlosen Körper wie die Wirkung eines elektrischen Schlages, und als hätte eine unsichtbare Faust ihn emporgerissen, lichtete er seinen Oberleib au» den Kiffen auf.
„Das Aktenstück —" stieß er völlig tonlos zwar, doch deutlich verständlich hervor, „es muß wieder herbeigeschafft werden. Seine Ehre steht aus dem Spiel — seine — Zukunft —"
Die Worte erstarken in einem ächzenden Gemurmel und sein Körper fieO schwer zurück.
(Fortsetzung folgt.)