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ordentlich großen Bedarf hat. Die Zahl der in Be­tracht kommenden Betriebe dieser Branche in Rußland wird auf mehr als 3000 geschätzt. Als solche nun­mehr exportfähige Artikel sind speziell alle Färb- und Appreturstoffe, Kratzen, Maschinenbürsten, Stahldraht­litzen, Spinn- und Appreturmaschinen, Webstühle, Webschützen, Pickers, Webeblätter, Strickmaschinen, überhaupt alle Gegenstände, welche für die Textil­branche gebraucht werden, zu nennen.

Friedrichsruhe, 17. Febr. Der Kaiser reist Montag Nachmittag 2 Uhr von Berlin ab, und trifft hier 6 Uhr Abends ein, soupiert bei der Familie Bismarck, und reist Nachts nach Oldenburg resp. Wilhelmshaven weiter.

Tagesneuigkeiten.

* Calw, 18. Febr. Bei der gestrigen Ver­sammlung des Schwarzwald Vereins hielt der Schriftleiter des Vereins Hr. Rektor vr. Weiz­säcker einen Vortrag über eine Fußtour von hier nach Schramberg. Der Redner gab in anziehender, von feinem Humor durchwehter, lebendiger Schilder­ung ein Bild des Weges, der besonderen Naturschön­heiten und der Sehenswürdigkeiten in Dörfern und Städten der berührten Gegend. Der Weg ging über Zwerenberg, Simmersfeld, Jgelsberg, Freudenstadt, Älpirsbach, Schiltach nach Schramberg. In Freuden­stadt wurde hauptsächlich die Kirche und ebenso in Älpirsbach das Kloster besichtigt. Die Kirche in Freudenstadt, ein Werk Heinrich Schickhard's, verdankt ihre Berühmtheit namentlich ihrer Winkelstellung, wo­durch es ermöglicht ist, daß die in dem einen Winkel­arme sitzenden Männer die im andern untergebrachten Frauen nicht, beide aber die in der Spitze des Winkels angebrachte Kanzel sehen können. Am 2. Mai 1601 wurde der Grundstein zur Kirche von Herzog Friedrich gelegt. Trotz der späten Erbauungszeit mischen sich gotische Formen mit Venen der Renaissance in allen Teilen des Baues. Die prächtigen spätgotischen Chor­stühle sind von einem Calwer Meister Konrad Wid- mann im Jahr 1488 für Älpirsbach verfertigt worden. Der Taufstein soll angeblich aus dem 11. Jahrhundert und aus dem Kloster Älpirsbach, nach anderer Ansicht von Hirsau stammen. Die Schale ist mit roh ge­arbeiteten, seltsamen Reliefs geschmückt und trägt die Inschrift:L vowit inkusuw domo oorvus ad »NAus venenum" (d. i. der in unserem Bilde den Menschen bedeutende Hirsch speit das von der Schlange bei­gebrachte Gift aus). In Älpirsbach zieht jeden Frem­den die schöne Klosterkirche an. Die Kirche ist eine altromanische Basilika mit erhöhtem Mittelschiff; der lange Kreuzarm ruht auf je sieben Rundbögen, die von mächtigen Monolithen aus Buntsandstein getragen sind. Die Klosterruinen sind zum großen Teil erhalten, aber in Privathänden; am meisten ist noch zu sehen vom Dorment und den Zellen. Das Ziel der Wanderung war Schramberg. Dieses gewerbsame Städtchen hat eine reizende Lage und bietet Gelegenheit zu den

interessantesten Ausflügen. Sehr lohnend war für die Besucher die Besichtigung der dortigen Email­fabrik und des Junghans'schen Gartens. Von Schram­berg wurde die Heimkehr per Dampfroß bewerkstelligt mit Ausnahme der Strecke HochdorfNagold, welche zu Fuß zurückgelegt wurde. Dem Redner wurde von Hrn. Oberförster Koch in Hirsau der wohlver­diente Dank ausgesprochen. Der Vortragende konnte noch die erfreuliche Mitteilung machen, daß der Verein in stetem Wachsen begriffen und mit andern Vereinen in regen Schriftenaustausch getreten sei.

* Calw, 19. Febr. Die Creditbank für Landwirtschaft und Gewerbe in Calw hielt gestern nachmittag im Gasthof zum Waldhorn ihre Generalversammlung ab. Der Vorsitzende, Hr. Karl Staelin, eröffnet? die Versammlung, in­dem er die zahlreich Erschienenen freundlich begrüßte und sodann der 4 im letzten Jahr gestorbenen Auf­sichtsratsmitglieder gedachte, worauf sich die Anwesen­den zum ehrenden Andenken der Verstorbenen von den Sitzen erhoben. Da die diesjährige Generalversamm­lung die 25. seit dem Bestehen der Bank war, so erstattete Hr. Stadtschultheiß Haffner einen sehr interessanten Bericht über den Geschäftsgang in diesem Vierteljahrhundert. Aus dem Bericht ging hervor, daß von den Gründern der am 8. Dez. 1868 ins Leben getretenen Bank nur noch einige am Leben sind, daß die Bank sich stetig weiterentwickelte und noch nie einen Schaden erleiden durfte und daß sie für viele Handwerker und besonders auch für die bäuerliche Be­völkerung von größtem Nutzen gewesen sei. Aus dem» Rechenschaftsbericht ergab sich, daß, obgleich der Um­satz im letzten Jahr wegen der gedrückten Lage der Landwirtschaft und der 11 im Bezirk sich befindlichen Darlehenskassen etwas zurückgegangen sei, doch wieder günstige Resultate erzielt worden seien. Zur Freude der Mitglieder wurde der Zinsfuß bei Darlehen auf 4"/» und die Provision auf '/» festgesetzt, so daß Darlehen bei der Bank demnach billig erhalten wer­den können. Als Dividende konnten 6 °/» ausbezahlt werden; der Reservefonds erreicht jetzt eine stattliche Höhe. Die Mitgliederzahl hat sich von 605 auf 608 erhöht. In den Aufsichtsrat wurden gewählt die Herren Stadtpfleger Ha yd, Privatier Pfleger, Kaufmann Schnaufer und Kannenwirt Frohn- meyer; als Ersatzmänner wurden berufen die Herren Julius Staelin und Verwaltungsaktuar Fechter. Der Gründung einer Central-Genossenschaftbank stand die Versammlung zwar nicht unsympathisch gegenüber, aber es wurden auch Stimmen laut, welche zur Zu­rückhaltung rieten und verlangten, es soll eine ab­wartende Stellung eingenommen werden, bis sich die Sache geklärt habe und genügende Garantieen ge­boten seien. Die Entscheidung wurde sodann dem Vorstand, dem Aufsichtsrat und einer Kommission von weiteren 6 Herren überlassen.

* Calw, 18. Febr. Der evangel. Bund hatte auf heute abend eine Zusammenkunft im badischen

Hofe veranstaltet. Der Vorstand des Bundes Hr. Rektor vr. Müller, begrüßte in warmen Worten die Versammlung, hob in treffender Weise die Be­deutung Or. Martin Luthers hervor und wider­legte an der Hand sicherer Urkunden die von dem kathol. Pfarrer Majunke herausgegebene Schrift über Luthers Lebensende, indem er den von den Gegnern Luthers behaupteten Selbstmord als niederträchtige Verleumdung kennzeichnete und dagegen die letzten Lebenstage und den Tod Luthers wahrheitsgetreu schilderte. Hr. Prof. Haug beleuchtete die für die einzelnen Parteien charakteristische Abstimmung des Reichstags am 2. Dez. 1893 über die Wiederzulassung der Jesuiten, worauf Hr. Stadtpfarrverweser I)r. Hory ein GedichtJesuitenlied für das deutsche Volk" vortrug. In einem kräftigen Schlußwort gab Hr. Dekan Braun seiner Freude und Zuversicht, über die Entstehung und das fernere Gedeihen des Protestantismus Ausdruck, betonend, daß der Aus­breitung der reinen evangelischen Lehre die größten . Hindernisse sich entgegenstellt, schließlich aber die Sache durch sich selbst gesiegt habe und daß auch fernerhin der Protestantismus leben und nicht untergehen werde. Mit dem Gesang des LutherliedesEin feste Burg ist unser Gott" wurde die leider nur schwach besuchte Versammlung eröffnet und geschlossen.

Calw. (Egsdt.) Die Freunde unseres frei­willigen Schülerchors werden hiemit auf die am. Samstag den 24. Februar abends '/-8 Uhr im. ev. Vereinshaus stattfindende, aber nur einmalige Aufführung ergebenst aufmerksam gemacht. In 3 Ab­teilungen werden religiöse, vaterländische unv Früh­lings-Lieder mit entsprechenden Deklamationen der Schülerinnen aufeinander folgen. Auch wird der ev.. Jünglingsverein die Güte haben etwas Drama­tisches vorzuführen, was gewiß ebenso Freude machen - wird.

Calw. In diesem Jahre soll in unserer Stadt wieder ein weiteres Gebäude erstehen, nemlich ein neues Schlachthaus, das als Ersatz des in der Stadt befindlichen, baufälligen Hauses nun auf dem unteren Brühl erstellt werden soll. Der nötige Platz wurde den hieß Metzgern, welche den Bau selbst übernehmen, seitens der Stadt gratis überlassen und soll so bald als möglich mit dem Bauen begönnert werden. Als Muster wird voraussichtlich das Ell- wanger Schlachthaus dienen. Vom Beginn der Be­nützung ab ist ein Nachlaß der städt. Fleischsteuer- Abgabe um '/s vorgesehen. In dem neuen Schlacht­haus wird nicht nur Groß-, sondern auch Kleinvieh geschlachtet werden, und auch Private sind gezwungen,, ihre Schlachtungen daselbst vorzunehmen. Da auch zum Gewerbe nötige Maschinen Aufstellung finden, welche Jedem dienen, und die Verzinsung des Schlacht- Mises von der Metzger-Genossenschaft übernommen werden muß, werden die Metzgermeister unter sich und von Privaten, für jedes geschlachtete Stück eine Gebühr, deren Höhe der Zustimmung des Gemeinde-

^ ^Nachdruck verboten.I

Vaterlandsverrat.

Novelle von Lothar Brenkendorf.

(Fortsetzung.)

IX.

Eine furchtbare Zeit der Prüfungen war gleichsam über Nacht für Günther Harmening angebrochen, und es war trotz der mannhaften Festigkeit seines Charakters begreiflich genug, wenn unter dem schweren Druck, mit welchem die Hand des Schicksals auf ihm lastete, die finstersten Gedanken Herrschaft über ihn gewannen.

Nach seiner Rückkehr in das Ministerium und nach dem unbefriedigenden Bericht, welchen er dem Obersten von Retzow über das Ergebnis seiner Nachforsch­ungen hatte abstatten müssen, war er in da» Kabinett des Ministers befohlen worden. Seine Excellenz hatte ihn einem kurzen aber höchst ungnädigen Verhör unterworfen und ihn dann mit der wenig ermutigenden Eröffnung entlassen, daß unverzüglich eine sehr strenge Dikciplinar-Untersuchung gegen ihn eingeleitet werden würde. Eine Stunde später war ihm die Meldung von der schweren Erkrankung seines Vaters zugekommen, den man besinnungslos auf der Straße gefunden und mit polizeilicher Hülfe in das nächste Krankenhaus geschafft hatte. Natürlich hatte er sich sofort dahin begeben, um von dem leitenden Arzt« zu erfahren, daß eS sich um eine schwere Gehrrn-Affektion in Verbindung mit einer Lungenentzündung handle und daß von einer etwaigen Überführung des Patienten in seine Wohnung nicht mehr die Rede sein könne. Alle», was er zunächst für den Unglücklichen zu thun vermochte, bestand darin, daß er ihm die Aufnahme in die erste Verpflegungiklaffe und die sorgfältigste Behandlung sicherte. Man gestattete ihm vorläufig nicht einmal, den Kranken zu sehen, der nach ärztlicher Versicherung in den wildesten Delirien lag und ihn doch nicht erkannt haben würde. Auch während der nächsten Tage trat darin keine

Änderung ein. Günther mußte sich bei seinen Besuchen auf Erkundigungen bei dem Pflegepersonal beschränken, und die Auskünfte, welche er da erhielt, waren von einer sehr wenig tröstlichen und hoffnungsvollen Art.

Zu alledem kam die andauernde Ungewißheit über Ernas Geschick. Allabendlich erschien Fritz Heimerdinger in der Wohnung seines Freundes, um ihm Bericht zu erstatten über die Schritte, welche er während der letzten vierundzwanzig Stunden zur Auffindung der jungen Erzieherin gethan. Aber mit einem wie rührenden, aufopfernden Eifer er auch immer dabei zu Werke ging, und einen wie bewunderungs­würdigen, erfinderischen Scharfsinn er auch an den Tag legte; das Resultat seiner Bemühungen war doch immer von derselben entmutigenden Art. Erna war und blieb spurlos verschwunden, und nach Verlauf von einer Woche blieb für die beiden Freunde kaum noch eine andere Annahme übrig als die, daß sie gleich nach jenem Zusammentreffen mit Günther, die Stadt wieder verlassen haben müsse. Denn der Befürchtung, daß sie durch eine VerzweiflungSthat all' ihrer Bedrängnis ein rasches Ende gemacht haben könnte, wagte keiner von ihnen Ausdruck zu geben, wie bang sie auch unzweifelhaft zuweilen ihre Herzen beschlich.

In der gemeinsamen Sorge um ein teures Wesen, dys sie vielleicht beide mit gleicher Kraft und Innigkeit liebten, waren Günther und der kleine Musiker einander während dieser wenigen Tage viel näher gerückt, als Küher im Verlauf vieler Monate geschehen war und eS war nur natürlich, daß in ihren Gesprächen auch von jeden andern Kümmernissen die Red« war, die wie drohend heraufziehende Wetterwolken den Lebenshimmel des jungen Beamten verdüsterten. Neben der an­scheinend Hoffnungslossen Krankheit Gottfried HarmenmgS war «S da» rätselhafte Verschwinden deS geheimen Aktenstückes, das sie oft und eingehend besprachen. Günthers anfängliche Hoffnung, daß das Manuskript doch noch irgendwo im Ministerium austauchen würde, war nicht in Erfüllung gegangen, unv für seine Vorgesetzten galt eS als eine ausgemachte Thatsache, daß die wichtige Abhandlung verloren gegangen sei. während sie sich, den bestehenden Vorschriften zuwider, außer­halb de» Ministeriums in seinen Händen befunden. (F»rts. folgt.)