96. Amts und Anzeigeblatt für den Bezirk (Lalw. 68. Illhrsavx.
Erscheint Dienstag, Donnerstag und Samstag. Die EinrückungSgtbühr beträgt im Bezirk und nächster Umgebung S Pfg. die Zeile, sonst 12 Psg.
Donnerstag, Sen 17. August 1893.
AbonnementSpreiS vierteljährlich in der Stadt Sv Pfg. «»h SO Pfg. Trägerlohn. durch die Post bezogen Ml. 1. 15, sonst t« ganz Württemberg Mk. 1. 35.
Deutsches Reich.
— Der Kaiser stattete am Samstag vormittag zum drittenmal in diesem Jahre den Bauten des Nordostseekanals einen Besuch ab und ließ sich vom Baurat Koch ausführlichen Vortrag über den Stand der Arbeiten halten an der Hand von Zeichnungen über die bei Levensau ausgeführte Hochbrücke, für deren Bau der Monarch bei der letzten Besichtigung der Arbeiten am Nord-Ostseekanal im Juni d. I. den Grundstein gelegt hatte. Nach eingehender Besichtigung des Schleusenbaues bei Holtenau wurde dem Baumuseum ein Besuch abgestattet.
Berlin, 14. Aug. Heute hat das 4. Garderegiment seinen Einzug in Berlin gehalten. Tausende von Zuschauern hatten Unter den Linden und auf der Charlottenburger Chaussee sich aufgestellt. Auf dem Pariser Platz war eine Empfangtribüne aufge- schlagen, auf der die städtische Abordnung, mit Oberbürgermeister Zelle an der Spitze, Platz genommen hatte. Der Kaiser begab sich zum großen Stern im Tiergarten und führte das Regiment von dort durch das Brandenburger Thor. An der Spitze des Zuges ritten General-Oberst v. Paps und 200 Offiziere als Deputation aller Garderegimenter. Oberbürgermeister Zelle begrüßte das Regiment; er hoffe, daß zwischen demselben und der Bürgerschaft ein ebenso gutes Einvernehmen gehalten werden möge wie in der alten Garnison. Der Oberst des Regiments gab dieser Hoffnung ebenfalls Ausdruck und brachte ein Hoch auf Berlin aus. Der Kaiser reichte Herrn Zelle vom Pferd herunter die Hand. Zu dem Frühstück des Regiments, welchem der Kaiser beiwohnte, lud der Oberst sämtliche dem Empfang beiwohnenden Stadträte und Stadtverordnete ein. — Leider hat
sich während des Einzugs in Moabit ein beklagenswertes Unglück ereignet. Eine Anzahl Personen hatte das Gitter des Ausstellungsparks bestiegen; dasselbe brach zusammen, viele Personen stürzten in die Tiefe und wurden schwer verwundet.
— Der „Reichsanz." meldet: Se. Mas. der Kaiser hat dem Staatssekretär des Reichsschatzamts, Wirklichen Geheimen Rat Freiherrn v. Maltzahn die nachgesuchte Dienstentlassung zum 1. September d. I. zu erteilen und demselben zugleich den Kronenorden erster Klasse zu verleihen und den Landeshauptmann der Provinz Posen Dr. Graf v. Posa- dowski-Wehner zum Staatssekretär des Reichsschatzamts unter Beilegung des Charakters als Wirklicher Geheimer Rat mit dem Prädikat Excellenz zu ernennen geruht.
— Der neue Reichsschatzsekretär Dr. jur. Graf Arthur Adolf v. Posadowsky-Wehner entstammt, der „Köln. Ztg." zufolge, einer evangelischen Familie von altem schlesischem Adel; er ist 1845 zu Groß- Glogau als jüngster Sohn eines Oberlandesgerichtsrats geboren, wandte sich nach Beendigung seiner juristischen Studien der Landwirtschaft zu, wurde 1873 Landrat des Kreises Wongrowitz und war von 1877 bis 1885 Landrat des Kreises Kröben im Bezirk Posen. Hier wurde er von den Provinzialständen zum Direktor der provinzialständischen Verwaltungs-Kommission zu Posen erwählt, welche Stelle später zu der eines Landesdirektors und Landeshauptmanns umgewandelt wurde. In dieser Stellung, die er seither bekleidet, hat Graf Posadowsky sich in hervorragender Weise bewährt. Er erfreut sich wegen seiner umfassenden Kenntnisse, seines Verwaltungstalents, seiner strengen Sachlichkeit und seiner liebenswürdigen Umgangsformen in der ganzen Provinz Posen eines ausgezeichneten Rufes. Graf
Posadowsky war von 1882 bis 1885 freikonservatives Mitglied des Abgeordnetenhauses als Vertreter des 6. posenschen Wahlkreises Fraustadt-Kröben. Er ist Vorsitzender der Jnvaliditäts- und Altersversicherungsanstalt der Provinz Posen seit ihrer Begründung.
Karlsruhe, 14. Aug. Nach offizieller Mitteilung wird der Kaiser erst am 10. Sept. abends hier eintreffen und tags darauf die Parade abhalten.
Berlin, 15. Aug. Auch dem Zentralverein der deutschen Leder-Industrie hat das Handelsministerium auf die Anfrage wegen Beteiligung an der für 1894 in Antwerpen geplanten internationalen Ausstellung eine ablehnende Antwort erteilt.
— Nachdem die russische Regierung die Erhöhung der Zölle auf deutsche Maaren aucch auf Finland ausgedehnt hat, wird Deutschland den 50prozentigen Zollzuschlag auch auf die Einfuhr aus Finland anwenden. Es machen sich zwar Bestrebungen dagegen bemerkbar, besonders in Lübeck, das allerdings bei dieser Frage in hervorragender Weise beteiligt ist. Von der Einfuhr aus Finland nach Deutschland, die sich 1891 auf 5.9 und 1893 auf 7.3 Mill. ^ belief, fielen auf Lübeck allein 4.9 und 5.8 Millionen. Da sind die Bemühungen, den Zuschlag von der Einfuhr aus Finland abzuwehren, wohl begreiflich. Trotzdem ist, nach der „Magdeb. Ztg.", die Ausdehnung der deutschen Zuschlagszölle auf die aus Finland kommenden Waren mit Sicherheit zu erwarten; sie ist nur deshalb noch nicht verfügt worden, weil die betr. kaiserliche Verfügung der vorherigen Zustimmung des Bundesrats bedarf, die augenblicklich wegen der Ferien dieser Körperschaft auf dem Wege der Umfragen bei den
Aeuittetorr.
Brandkäthe.
Aus den Papieren eines Dorfschulmeisters.
Von A. Linde«.
Ferien! Goldenes Wort für einen armen, geplagten Dorfschulmeister. Ferien! Du Zeit glücklicher Freiheit, ich will dich benutzen, um diesen Blättern eine Geschichte anzuvertrauen, die ein Stück meines Lebens enthält, Lieb' und Leid versunken, doch nie vergessen. Leuchtendes Himmelblau des Spätsommertages! Lichte, schimmernde Sonnenstrahlen spielen durch daS dunkle Grün der großblätterigen Gais- blattlaube quer über den grüngestrichenen Gartentisch, an dem ich schreibe. Hin und wieder rieselt ein welkes Blatt herab auf den weißen Bogen oder hernieder zu meinen Füßen in den Kies detz Bodens. Draußen vor der Laube träumt verspätet die letzte Rose am Strauche. Die Einsame sieht still und stolz herab auf die weißen, roten und bunten Sterne der Astern, die letzten Kinder des Sommers, die um sie her so munter und fröhlich blühen, als ob nicht bald der Herbststurm sie knicken und der Reif sie töten würde. Doch was macht'-? Die Blume verblüht, die Frucht muß treiben.
Wie wunderschön es auch hier draußen sein mag, leicht ist mir daS Schreiben jetzt gerade nicht. Zur Seite neben der Laube auf dem grünen Rasen des Baum- hofeS fährt mein Ältester, der frische, sechsjährige kraushaarige Bub' mit dem kleinen Schiebkarren, den ich ihm in den Weihnachtsferien selbst gezimmert Hab', hin und her. Er liest die rotbäckigen Äpfel auf, die früh gereift von der Sommersonne, im -H erbstwind einer nach dem andern herabfallen in das taufrische GraS. Und wenn
er dann einen besonders schönen gefunden hat, so kommt er jedesmal zu mir hergelaufen, hält ihn mir vor und sagt: „Vater sieh, der ist aber mal dick! Soll ich ihn gleich der Mutter hineinbringen?" Neben mir am Boden auf der Fußbank, die ebenfalls ein Meisterstück meiner Schreinerkunst ist, sitzt mein dreijähriges Töchter» chen, die flachsblonde Liesbeth, der Mutter Ebenbild, mit ihrer Puppe beschäftigt und läßt mir, mit den großen, Hellen Blauaugen bittend zu mir aufschauend, nicht Ruhe: ich soll sie das Wiegenliedchen lehren, welches Mutter gestern unserm Jüngsten sang. Ja unser Jüngster! Dort drüben am rebenumrankten Schlafstubenfenster steht mein junges Weib und hält ihn mir entgegen, den lieben, kleinen Hemdenmatz, den sie eben aus seinem Wiegenbettchen geholt. Wie der rosige Bursche mit den drallen Beinchen strampelt. Wie er so hell und lustig kräht gleich dem Buchfink, der oben im Birnbaum auf dem höchsten Ast sein Liedchen pfeift und mich dabei mit dm klugen Äuglein ansieht, als wollte er sagen: „Ja, ja, Du Menschenmann, wir sind Kameraden, wir beide! Ich singe von Lenzeslust und Sommerherrlichkeit und Du willst erzählen von Frühlingslust und Leid, von Sommerglut und Wetternachl!"
Doch, da schlägt's schon wieder auf dem Kirchturm! Zeit ist's, daß ich endlich meine Arbeit beginne. Ich sage dem Jungen, er solle die Äpfel, die dicken und die kleinen, nur immer gleich ins Hau« fahren, dort könnte er lle mir nachher zeigen, bringe Klrin-Liesbeth zur Ruhe, nicke lächelnd hinüber zu meiner Frau und dem kleinen Hemdenmatz, und tauche die trocken gewordene Feder in das dickbauchige Tintenfaß.
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Ein Spätsommertag war'« wie heute, voll Himmelsblau und Sonnenglanz. Brausend trug mich der Bahnzug dahin über Berg und Thal, durch Wald und Flur, Dorf und Stadt, dem Flecken Halmstädt zu, in dessen Nähe das Ziel meiner Reise lag.
Hellen AugeS und hoffnungsreich schaute ich durchs offene Fenster hinaus in