eilage zumCalwer Wochenblatt

Rro. 67.

Ikeuicceton.

- Nachdruck »erboten.

Karokd Kharktons geheime Wege.

Aus dem Amerikanischen von Sophie Freiin v. Zech.

(Fortsetzung.)

3. Kapitel.

Als Eleonore etwas später in das getäfelte Wohnzimmer trat, fand sie ihren Vater mit Edward im eifrigen Gespräch am Kaminfeuer sitzen, ein Tischchen, auf welchem rin Krug Ale und zwei Gläser standen, zwischen ihnen. Eleonore erwartete eS nicht anders, als daß ihr Vetter ihrem Vater das Geheimnis ihrer Liebe ver­raten habe, allein hierin täuschte sie sich. Nicht aus Großmut nur aus Berechnung halt« Edward Baylis geschwiegen, er wußte wohl, daß ein Verrat ihm vollends jede Hoffnung raube, jemals Eleonores Hand zu gewinnen, während sein edelmütiges Schweigen nicht ohne Eindruck auf sie bleiben würde. »Ich kenne ja die überspannte Närrin," dachte er bei sich, denn gleich allen niedrigen Naturen hielt er Edeldenkende für überspannt. Wirklich blieb auch sein Schweigen nicht ohne Eindruck auf Eleonore und sie war den Rest de» Abends freundlicher mit ihrem Vetter als gewöhnlich. Dennoch war sie sehr froh, als Edward sich empfahl und sie sich zurückziehen durfte in ihr einsames Zimmer.

Hätte man den Geliebten des größten Verbrechens angeklagt, Eleonore hätte unerschütterlich fest an seine Unschuld geglaubt; wie kam eS denn, daß bei der ersten Beschuldigung einer Untreue ihr Herz einen Zweifel fand? Ach über die kleinliche menschliche Natur! Wir können Alles eher verzeihen, als das, was unsere Eigen­liebe verletzt.

Eleonore legte sich erst gegen Mitternacht zur Ruhe nieder. Dennoch fand sie keinen Schlaf, sie benetzt« ihr Kiffen mit ihren Thränen und erst gegen Morgen senkte sich ein wohlthätiger Schlummer auf ihre Augen herab.

Als eS des andern Tages wieder Abend wurde und die Dunkelheit herein­brach, malt« sich Eleonores lebhaft« Einbildungskraft den Geliebten vor, wie er mit beflügelten Schritten dem roten Hause zueilte, in die Arme ihrer Nebenbuhlerin die ja schöner war wie sie, wie Edward behauptete. Diese Qual war nicht länger zu ertragen. Komme war da wolle, sie mußte die Wahrheit erfahren und sei sie noch so schlimm. Nach Edwards Aussage würde Harold heut« Abend wieder zum roten Hause gehen.

Eleonore zog sich nach dem Mittagessen unter dem Vorwand heftigen Kopf- wrheS auf ihr Zimmer zurück.

Nachdem sie ihrem Kammermädchen gesagt, sie bedürfe nicht» mehr für heute, wartete Eleonore noch eine Welle, bis es völlig dunkel geworden war, dann hüllte sie sich in Mantel und Kaputze ein, nahm aus einem Wandschränkchen im Korridor . einen Parkthorschlüffel und schlüpfte unbemerkt aus dem Hause. Außerhalb des Parkes gelangte Eleonore an einen schmalen Pfad, der längs seiner Mauern hin- lieb» Es war eine dunkle, sternlose Nacht, ein weißer Nebel hüllte die Landschaft ein, so daß es unmöglich war, mehr als einige Schritte vor sich zu sehen, aber Eleo­nore kannte den grasbewachsenen Pfad genau, den sie ging. Sie schritt langsam aber sicher weiter, bis sie an die Landstraße kam, welche rechts nach dem Städtchen Wrflringham und links von Wrstringham Bay führte, einem Weller der dicht am Ufer des Meeres, zu Füßen der sogenannten Piratenklippe lag. Immer deutlicher drang das dumpfe Gemurmel der Wellen an Eleonores Ohr. Erst als sie sich der Piratenklippe näherte, wurde sich Eleonore der Gefahr bewußt, die in der einsamen nächtlichen Wanderung für «in junges Mädchen lag.

Der Platz war übel -erüchtigt als Zusammenkunftsort verwegener Schmuggler. Dann war lange Zeit Ruhe gewesen, bis vor ungefähr einem Monat abermals eine Echmugglerbande aufgetaucht war und «in Scharmüzel stattgefunden hatte, in welchem «in Küstenwächter getötet worden war.

»Wie", dachte Eleonore mit Schrecken, »wenn ich einem Mitglied dieser Bande in den Weg liefe, würde man mich nicht ermorden, um keinen Zeugendes nächtlichen gesetzwidrigen Treibens zu haben?"

Unentschlossen blieb sie stehen, fast geneigt zur Umkehr, da blinkten ihr die erleuchteten Fenster des roten Hauses entgegen, welche ungefähr eine Vie.telmelle von der Klippe entfernt landeinwärts stand.

»Ich will die Wahrhell erfahren," sagte sie laut zu sich selbst, indem sie ihre Schritte gegen das rote HauS lenkte.

Die wüst Du niemals erfahren," tönte ein« dumpfe Stimme an das Ohr deS erschrockenen Mädchens.

In demselben Augenblick wurde Eleonore von einer dunkeln, in einen wellen Mantel gehüllten Gestalt ergriffen, deren Gesicht mit einer Maske verdeckt war. Die Gestatt zog siettkit aller Gewalt gegen die Klippe hin.

»Die Klippe! Die Klippe!" schrie Eleonore entsetzt auf. »Nicht gegen die Klippe! Zu Hilfe! Zu Hilfe! Man will mich ermorden."

Niemand hörte das Geschrei des armen Opfers, Alles blieb lautlos still. Eleonore sträubte sich aus Leibeskräften, aber eS half ihr nichts, unaufhaltsam wurde sie vorwärtsgezogen gegen die Meeresklipp« hin und hinabgestürzt in eine grausige Tiefe.

4. Kapitel.

Inmitten deS unheimlichen Schweigens, welches der Ausübung seines schreck­lichen Verbrechen» folgte, stand Edward Baylis einige Minuten mit angehaltenem Atem auf der Klippe und starrt« hinab in die Tiefe, in welche er sein Opfer gestürzt. Alle» war still unten. Der Körper Eleonore» war ohne Zweifel in Stücke zerschellt auf dem hatten Felsen.

»Dachte ich eS doch," murmelte er vor sich hin, »daß die verliebte Thörin heute zum roten Haus laufen würde, um sich von der Wahrheit meiner Anklage gegen M. Charlton zu überzeugen. Ha, Ha! Verliebte sind leichtgläubig! Weiß ich doch selbst nicht mit Bestimmtheit, ob der Bursche wirklich öfter ins rote Hau»

geht. Besser wäre es gewesen, ich hätte Eleonore bis an die Spitze der Klippe schleppen und hinab in das Meer schleudern können, aber ihr verwünschtes Geschrei verhinderte mich daran. Nun, das FelsengSklüst an der Seitenwand der Klippe thut auch seine Schuldigkeit. Ihr Vater wird es nicht lange überleben und das schöne Gut wird dereinstens doch mein."

Nicht der Schatten eines Selbstvorwurfs zog durch das grausame Gemüt des Mörders, der den Tod seines Opfers als vollständig gewiß annahm. Edward Baylis zog den Mantel aus und nahm die Larve vom Gesicht. Er wickelte beides fest zusammen, beschwerte das Bündel mit einem Stein und band cs mit einer Schnur, die er aus der Tasche zog, zusammen. Dann trat er an den äußersten Rand der Klippe und schleuderte den Pack weit hinaus in die See.

»So," sagte er befriedigt, »das wird verschwinden in den Fluten des Oceans. Wer weiß, ob man jemals Eleonores Leiche findet! Und wenn auch! Was habe ich damit zu thun? Die Sache wird für alle Zellen ein Rätsel bleiben für die Menschheit.

Als der Advokat seine Schritte heimwärts lenkte, kreuzte auf der Landstraße, die nach Westringham führte, ein Mann feinen Weg, welcher eilig der Piraten­klippe zuschritt.

Dieser Mann war Harold Charlton. Er ging achtlos, in tiefe Gedanken verloren des Weges dahin.

Der Advokat war zu Tode erschrocken, als er Harold erkannte, und atmete erleichtert auf als derselbe an ihm vorüber gegangen war, ohne ihn zu beachten.

Gott sei Dank der Bursche hat mich nicht erkannt," murmelte Edward Baylis. »Es ist dunkel und er hat es, wie mir scheint, sehr eilig. Aber wohin läuft er? Am Ende wirklich in das rote Haus ? Ich will ihm nach, die Sache erregt meine Neugier. Teufel noch einmal! Wäre er zehn Minuten früher diesen Weg gegangen, so hätte er Eleonores Geschrei hören können."

Edward Baylis erzitterte bei diesem Gedanken.

Einigermaßen zu des Verbrechers Unbehagen brach der Mond auS dem dunklen Gewölk hervor und beleuchtete mit seinem fahlen Licht den Weg. Vorsichtig, sich stets in einiger Entfernung haltend, folgte der Advokat Harold Charlton. Dieser ging rasch seines Weges. In der Nähe deS roten HauseS, der Klippe noch etwa» näher wie dasselbe stand eine einsame Hütte. Auf diese Hütte schritt Charlton zu. Der Advokat verbarg sich hinter einem Baum, da er bemerkte, daß Harold einen Augenblick stehen blieb und spähend umher sah, ehe er in die Hütte trat wie Edward wähnte, daß er thun würde. Als Edward Baylis hinter dem Baum wie­der hervorblickte, war Charlton verschwunden.

Der Advokat war ganz verwirrt. War denn Harold wirklich in die Hütte getreten? Er hatte ja kaum Zeit dazu gehabt. Die Hütte war immerhin noch zwanzig Schritte entfernt von der Stelle, auf welcher Edward Baylis seinen Clerk zuletzt stehen sah? Wohin war er gekommen? Weshalb sollte sich Harold in das dichte Gebüsch versteckt haben, welches in kleiner Entfernung von der Hütte üppig wucherte? Edward drang in das Gebüsch hinein, aber auch hier keine Spur von Harold. Er bemerkte nichts als die zerbröckelte Mauer eines alten, längst aus- getrocknetcn Ziehbrunnens. Da hinunter in die schwarze Tiefe konnte Charlton doch nicht gefallen sein? War denn der Mensch hinweggezaubett? Er muß doch in der Hütte sein. Es war nicht anders möglich. Edward Baylis öffnet« nach kurzem Beünnen die Thüre zu der Hütte. In einer sehr behaglich eingerichteten Küche saß beim Herdfeuer ein altes Ehepaar, die Abendmahlzeit verzehrend. Die alten Leute wußten nichts, oder behaupteten wenigstens nicht» zu wissen von einem jungen Manne, der hier sein sollte.

Edward wandte sich heimwärts. Die Sache war ihm rätselhaft und er nahm sich vor, zu gelegener Zell nach der Aufklärung zu forschen. Es war ihm unbe­haglich zu Mute. Er tadelte sich selbst, daß er, seiner Neugierde nachgebend, so unvorsichtig gewesen war, sich in der Hütte sehen zu lassen.

Wenn man nun doch Eleonores Leiche fand und wenn die allen Leute ihn gekannt hätten?

Kalter Schweiß trat auf seine Stirne bei diesem Gedanken. Pah ! Wer wird so ängstlich sein, tröstete er im nächsten Augenblick sich selbst. Man findet Eleonore» Leiche nicht.

5. Kapitel.

Westringham, von welchem der Wohnsitz deS Squires Oliver Mostyn den Namen führte, war eine kleine Stadt von ungefähr viertausend Einwohnern. ES war so zu sagen in zwei Hälften g«schi»en. Die Stadt Westringham und der Weiler Westringham. Die Stadt mit ihren hübschen Läden, ihrem Gasthof und ihrem schönen alten Marktplatz lag landeinwärts und hatte die Aussicht auf die See nur aus der Entfernung, während der Weiler Westringham Bay, dicht am Ufer de« Meere», zu Füßen eines der größten Meercsklippen, die unter dem Namen GoffS- oder Piratenklippe bekannt war, lag. Die erstere Benennung stammte von einem verwegenen Seeräuber und Schmuggler, der nach einem wilden gesetzwidrigen Leben endlich mit seinen Genoffen gefangen genommen wurde. Die letzteren wurden in ein Strafkolonie geschickt, aber Goss, als Rädelsführer, wurde auf der Klippe auf­gehängt, gegenüber dem schönen Hause, das er sich von dem Gewinn seiner See­fahrten erbaut und welches, da es aus roten Steinen erbaut war, das rote HauS genannt wurde. Nach dem schrecklichen Tode Goss» behielt die Klippe seinen Namen, obgleich der irdische Teil deS Seeräubers längst in Staubatome aufgelöst war. Viel« Leute kamen im Sommer auf die Piratenklippe, um die herrliche Aussicht auf die See zu genießen. Weller unten an der Klippe, ganz von ihr Überhängen, dehnte sich ein breiter Streifen grasbewachsenen Gestades, wohl über eine Meile lang, aus, denn er zog sich um einen Teil der Klippe herum und vereinigte sich mit der Land­straße, die nach Wrstringham führte.

(Fortsetzung folgt.)