ixm dir Erfahrungen seines erlauchten Großvaters zu eigen geworden sind und der dessen erhabenes Borbild zur Richtschnur seiner Regierung gemacht hat, nicht auch Recht geben? Ganz gewiß! Wird insbesondere der deutsche Landmann, dessen treue Liebe zur heimatlichen Erde und zu seinen angestammten Fürsten so oft die Probe glänzend bestanden hat, nicht wiederum sich auf die Seite der verbündeten Regierungen stellen? Das kann keinem Zweifel unterliegen!
Nun fehlt es ja freilich nicht an Leuten, welche meinen, es müsse sich bei dem Militärwesen doch endlich einmal eine Grenze finden lassen, weil das Volk nicht mehr im Stande sei, noch größere Lasten zu tragen. Das hört sich recht verführerisch an und klingt auch ganz vernünftig» ist es aber gar nicht! Denn erstens kann es kein Kaiser und kein Kanzler und ebenso wenig ein Reichsbote verhindern» daß die Bevölkerung Deutschlands sich jedes Jahr um 5- bis 600,000 Menschen vermehrt, und zweitens liegt es nicht in der Macht der deutschen Regierungen, den Russen und Franzosen zu verbieten, immer mehr Soldaten auf die Beine zu bringen.
Soll nun aber die allgemeine Wehrpflicht zur Wahrheit, und soll nicht diese drückende Steuer auf Leib und Leben des Einzelnen zu einem schreienden Unrecht werden, so muß schon ganz von selbst das Heer fortwährend sich vergrößern, und sollen unsere Nachbarn im Osten und Westen auch fernerhin den nötigen Respekt vor uns behalten und uns - was wir vor Allem wünschen — in Ruh und Frieden lassen, dann müssen wir stark und gefürchtet bleiben!!
Ja, aber was nützt das Alles, wenn wir die Kosten nicht mehr bezahlen und die Lasten nicht mehr tragen können! So?! Wer behauptet das? Das sagen höchstens Leute, die ihr Parteiprogramm und ihren Fraktionsdünkcl höher anschlagen als die Sicherheit und die Ehre des Vaterlandes, oder Solche, denen es an der nötigen Einsicht zur richtigen Beurteilung der in Betracht kommenden Verhältnisse mangelt.
In erster Linie muß darauf hingcwiesen werden, daß die Regierung die zweijährige Dienstzeit statt der dreijährigen einsühren will. Das stellt doch zweifellos für den Einzelnen eine sehr große Erleichterung dar, denn er gewinnt dadurch ein ganzes Erwerbsjahr mehr für sich und wird ein ganzes Jahr weniger seiner Heimat und seinen häuslichen Geschäften entzogen. Das fällt besonders auf dem Lande erheblich ins Gewicht, sowohl weil dort die körperliche Arbeit des Familienmitgliedes das beste Kapital in die Wirtschaft bringt, und ganz sicher auch um deswillen, weil der junge Mann sich nach zwei Jahren viel leichter wieder im Landleben zurcchtfindet, als wenn er drei Jahre lang bei den Soldaten in der Stadt festgehalten wurde.
Daß zudem bei der zweijährigen Dienstzeit allmählich eine erheblich größere Menge von Mannschaften zur Ausbildung gelangt, liegt auf der Hand. Aber eben deshalb liegt es auch auf der Hand, daß im Falle einer Mobilmachung eine ganze Anzahl jüngerer Jahrgänge zur Verfügung stehen, und somit die älteren Leute vorläufig bei ihrer Arbeit und ihren Familien ver-
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bleiben können. Wer die Verhältnisse auf dem Lande kennt, wird den hohen Wert einer solchen Einrichtung gebührend zu schätzen wissen.
Aber die Kosten, die Kosten?! Wie viel mehr wird denn diesmal verlangt? Alles in Allem fünfzig Millionen! Fünfzig Millionen!!! Das ist ja fürchterlich! Ja, das scheint so! Bedenkt man aber, daß Deutschland gegenwärtig über 50 Millionen Einwohner hat, so entfällt auf den Kopf der Bevölkerung von dieser kolossalen Summe nicht einmal 1 Mark oder kaum Pfennig auf den Tag. Und weiter! Wenn, wie die verbündeten Regierungen wollen, zwar 5 3,000 Rekruten mehr zur Aushebung kommen, diese Mannschaften aber durchweg nur zwei Jähste dienen sollen, statt drei, so ergiebt sich, daß dieselben den Arbeitslohn eines ganzen Jahres für sich mehr zu erwerben in der Lage sind. Veranschlagt man diesen direkten Gewinn für den Einzelnen (Kost und Kleidung eingerechnet) auf nur 700 Mark, so verdienen die 53,000 Mann in ihre eigene Tasche mindestens 37 Millionen, während sie im schlimmsten Falle 53,000 Mark mehr an Steuern zu tragen hätten. Und da will man von unerschwinglichen Lasten reden.
Aber den Fall gesetzt, das deutsche Volk in seiner Mehrzahl ließe sich dazu verlocken und verführen, einen Reichstag zu wählen, der zur Militärvorlage wiederum Nein sagt. Was gelchieht dann, wenn auch nicht sofort, aber sicher? Dann haben wir den Krieg! Fürst Bismarck, der die Franzosen kennt wie -die Knöpfe an seiner Kürassieruniform, sprach es einst im Deutschen Reichstage aus: Sobald die Franzosen glauben siegen zu können, fangen sie mit uns den Krieg a n. Schon jetzt jubeln sie aus vollem Halse darüber, daß Deutschland nicht mehr im Stande sei, mit ihren gewaltigen Kriegsrüstungen gleichen Schritt zu halten, und schreien es bereits in die Welt hinaus, daß es nun an der Zeit sei, den seit zwanzig Jahren angesammelten Haß und die seitdem mit tausend Eiden geschworene blutige Rache über Deutschland Hereinbrechen zu lassen. Sie rechnen mit aller Bestimmtheit darauf, daß Rußland ihnen bei der Gelegenheit helfen werde. Nun denke man sich einmal das Bild, daß, wenn der Krieg ausbricht, und wir nicht stark genug sind, den Feind von unfern Grenzen fern zu halten, sich seine Scharen über das Land ergießen. Wer kommt dann zuerst ans Messer? Der Bauer, das platte Land, d a s v e r e inz e l te G e h ö ft, das ungeschützte Dorf!! Mag die Menschlichkeit im Kriege noch so weit fortgeschritten sein, Krieg bleibt Krieg! Und erst die Franzosen! Und gar erst die Russen!! Wie Beide zu wüthen, zu rauben und zu morden im Stande sind, das haben unsere Eltern und Großeltern erlebt, und in manchen Gegenden blutet man noch an den Folgen der schweren Drangsal. Diesmal würde es nicht besser, nein, viel schlimmer werden, denn der bei unseren Nachbarn gegen Deutschland geflissentlich genährte Haß übersteigt alle Vorstellung. Sie würden uns, falls sie könnten, abzapfen bis zur Blutleere. Und die Ueber- 1 lebenden? Sie hätten zu zahlen, bis ihnen ! das Blut wieder unter den Nägeln hervorkäme!
Der Krieg von 1870/71 hat den Franzosen gut und' gern fünfzehn Milliarden oder fünf, zehntausend Millionen Mark gekostet. Die müßten wir ihnen zurückgeben und vielleicht nochmals zehn Milliarden dazu! Die Russen würden ebenfalls ihren Anteil verlangen, aber sicher nicht von den Franzosen, denen sie geholfen hätten. Auch das würde noch aus Deutschland herausgepreßt werden. Und um all dem Jammer und all dem Elend, solange wie es irgend möglich ist, aus dem Wege zu gehen, soll 1 Mark zu viel sein?! Wer das behauptet, dem mag es ja nicht an Patriotismus fehlen, aber ganz sicher fehlt es ihm am Verstände.
Denn dafür, daß man jetzt sich sträubt, freiwillig eine Mark für das Heer des Deutschen Kaisers zu entrichten, müßten, abgesehen von allem sonstigen Unheil im Falle einer Niederlage mindestens sechzig Mark pro Kopf auf eine ganze Reihe von Jahren hinaus an unsere Feinde gezahlt werden. Daran ginge Deutschlandzu Grunde! Aber das, was die Regierung 'gegenwärtig verlangt, ist ohne große Schwierigkeit zu, leisten.
Hat man doch gesehen, daß für unsere eigenen- Bedürfnisse noch mehr als ausreichende Steuerkraft rm Lande steckt, denn die auf der Selbsteinschätzung, beruhende neue Einkommensteuer hat in, Preußen allein ein Mehr von 4 5 Millionen - ergeben, und die neu einzuführende Ergänzungssteuer, bei welcher bloß die großen Vermögen herangezogen werden, so daß der Millionär von seiner Million nur 500 Extrasteuer zu entrichten hat, wird auf- 35 Millionen Mark Ertrag geschätzt. Aber das Volk im Allgemeinen kann auch noch eine Kleinigkeit für das Vaterland leisten, denn das deutsche Volk trinkt Jahr aus Jahr ein für zwe i- tausend Millionen Mark Bier! Da kann Mancher schon Pfennig abfallen lassen!
Drum, ihr Landleute allüberall im Deutchen Vaterlande, laßt es euch recht eindringlich sagen und recht warm ans Herz legen:
Wählt Vertreter in den neuen Reichstag, die bereit sind, für die Militärforderungen der Regierung zu stimmen. Dann werden unsere Feinde uns wieder fürchten, unsere Verbündeten uns schätzen und auch ferner treu zur Seite stehen; dann wird wieder Eintracht herrschen zwischen Volk und Regierung! Ihr seid es doch, auf deren starken Schultern vornehmlich die Hoffnung des Landes im Falle der Gefahr ruht; zeigt nun auch, daß ihr an erster Stelle dazu berufen seid, das maßgebende Wort in der entscheidenden Stunde zu sprechen.. Seid alle miteinander auf dem Posten! Wählt Männer, welche für dieunge- schwächte Wehrkraft Deutschlands einzutreten entschlossen sind.
Eayes-Ueuitzkeiten.
Calw, 5. Juni. Am gestrigen Sonntag war unsere Stadt und die benachbarten Orte wieder von vielen Fremden besucht. So hatte der Johannis-
Jch sprach mit Deinem Vater erst diesen Morgen wieder darüber, es ist sogar sein Wunsch, daß wir uns heiraten."
„Du hast Dich nicht entblödet, Papa zu sagen, daß ich Dich liebe," warf Eleonore entrüstet ein, „während Du doch weißt, daß ich nicht um alle Schätze der Welt Deine Gattin werden möchte. Lasse doch endlich dies Thema für immer fallen zwischen uns."
Das Gesicht des Rechtsgelehrten überflog flammende Zornesröte.
Es war für die edeldenkende Eleonore Mostyn unmöglich die ganze Fülle des schwarzen übelwollenden Neides gegen ihre Person im Herzen ihres Vetters auch nur zu ahnen, ein Neid, der vom Tage ihrer Geburt an, gleich Edward Baylis selbst, zugenommen hotte an Kraft und Stärke. Edward hatte niemals die geringste Zuneigung für seine Kousine empfunden. Ihre brünette Schönheit hatte keinen Eindruck auf ihn gemacht, obwohl er sie anerkannt und der Gedanke ihm angenehm war, eine Frau wie Eleonore Mostyn an der Spitze seiner Tafel zu sehen. Es ist möglich, daß, wäre Eleonore seine Frau und die Mutter seiner Kinder geworden, sich nach und nach ein wärmeres Gefühl für sie in seinem Herzen geregt hätte, so warm als überhaupt der berechnende Mann empfinden konnte. Nun aber, da sie ihn zurückgewiesen, haßte er sie. Eleonore hatte alle seine Hoffnungen, dereinst der Herr von Westringham Hall zu werden, vernichtet. Er haßte sie genug, um den Wunsch zu hegen, sie ,u töten. Edward Baylis war wohl eines Mordes fähig, wenn er sich nicht vor Entdeckung zu fürchten brauchte. — Wenn Eleonore Mostyn die Meinung des finsteren Blickes verstanden hätte, den ihr Vetter auf sie warf, sie würde entsetzt vor ihm geflohen sein. Sre glaubte ihn nur von ihrer Zurückweisung auf das Tiefste beleidigt und legte daher begütigend ihre Hand auf seinen Arm. „Lieber Vetter Edward, lei nicht böse," sagte sie freundlich, „Du weißt, ich bettachtete Dich, lo lange ich denken konnte, als älteren Bruder und etwas Anderes ist für mich nicht möglich."
„Niemals, Eleonore?"
Er ergriff ihre Hand und blickte ihr forschend in das Gesicht.
„Nein, niemals," entgegnete Eleonore, ihre Hand zurückziehend und ihr Gesicht furchtsam von den düster glühenden Augen ihres Vetters abwendend.
Die regelmäßigen Gesichtszüge von Mr. Edward Baylis verzerrten sich vor innerer Wut. Wenn ein Blitzstrahl dies schöne stolze Mädchen zu seinen Füßen niedergestreckt hätte, wie würde er sich gefreut haben!
Er wandte sich ab und biß die Lippen aufeinander, denn er getraute sich im Augenblick nicht zu reden, aus Furcht, sein Mund möchte die Gefühle des Hasses und der Rache verraten, die in seinem Herzen wild aufloderten.
„So wirfst Tu mich also für einen Glücksritter auf die Seite?" fragte der abgewiesene Bewerber nach einigen Sekunden des Schweigens, bleich vor Zorn., „Für einen Mann, von dem Du nichts weißt? Gut denn, wenn sonst Dich nichs von Deiner Thorheit kurieren kann, so will ich Dir die Wahrheit über Deinen uneigennützigen Liebhaber sagen. Er will Deinen Reichtum und nimmt Dich selbst nur als Dreingabe mit, well es nicht anders möglich ist, denselben zu erlangen, aber sein Herz, seine Liebe haben Dir niemals gehört. Sie gehören einer jungen, reizenden Frau, einer Fremden, die selbst noch schöner ist als Du, schöne Cousine."
„Das ist eine schändliche Lüge!' rief Eleonore empört. „Harold Charlton liebt mich wahr und treu."
„Einen Tag über den andern könntest Du ihn des Abends, wenn es dunkel ist. dem roten Hause zueilen sehen, die Dame wohnt dort," fügte Edward mit spöttischer Miene bei. Sich leicht verneigend schritt er dem Herrenhaus« zu. um den Squire zu begrüßen. Eleonore blieb allein im Garten zurück, eine Beute eifersüchtiger- Zweifel.
(Fortsetzung folgt.)