Beilage zum „Calwer Wochenblatt
Nro. 59.
Jeuiktet on.
—. Nachdruck verboten.
Wojarerrscherze.
Novelle von Eduard Wilde aus dem russischen Leben.
(Fortsetzung.)
„So hätte er's gesagt."
„Also daher der Streit mit Anatol Wassiljervitsch?"
Maxim lächelte geheimnisvoll und blickte unter den Tisch. „Hm, ich weiß noch mehr, ich weiß alles. Das ist's nicht, nicht allein. . . So'n Bedienter, solche Stubenmädchen, die haben Ohren wie die Iltisse. . . Sage Gastwirt, weshalb hast Du denn Deine Lenuschka von Moskau zmückgeholt, was?"
„Was geht Dich meine Lenuschka an, Schafskopp!" brauste Ossip Petrowitsch auf.
„Ich habe doch nichts gesagt, Alter," schrie Maxim entgegen. „Ich habe Dich nickt beleidigen wollen; ich spreche nur was ich von anderen gehört habe. Sei kein Narr, Alter!"
Maxim schwieg. Der Warner von vorhin flüsterte ihm zu: „Gieb Acht, er wirft Dich hinaus!"
Ehe Maxim antworten konnte, ging die Thür auf und ein älterer städtisch gekleideter Mann mit gepflegten Bartkoteletten, frisiert und pomadisiert, mit feiner weißer Wäsche und einem goldenen Klvtzring am rechten Zeigefinger, trat grüßend herein. Draußen hörte man ein Pferd schnaufen und mit ven Hufen scharren.
Der ferne Herr wandte sich, ohne die Bauern am Schenktisch eines Blickes zu würdigen, sogleich Ossip Petrowitsch zu; er trat über die hohe Thürschwelle in den Ausschankraum und zog die mit einem Schalter versehene Thür hinter sich zu. Der Wirt erhob sich und beide wurden für die Zecher rn der Borderstube unsichtbar.
„Das ist ja Peter Kinjew, der Oberkammerdiener des Fürsten," flüsterte Maxim dem anderen zu; „möchte gerne wissen, was der hier will. . ."
„Hängt wohl mit der Geschichte zusammen," sagte der zwecke Gutsarbecker.
„DaS ist klar," flüsterte Maxan. Soll ich lauschen?"
„Wenn er's merkt, wirft er Dich hinaus."
„Na, was soll ich auch lauschen, ich weiß ja doch alles, und was ich nicht weiß, ersahre ich morgen!"
„Ossip Petrowitsch," begann der Kammerdiener im Büffetzimmer; er näselte und sprach freundlich herablassend, wie man wohl dahemr mck ihm zu sprechen pflegte. „Ich bringe einen eigenhändigen Brief Seiner Durchlaucht dcS Fürsten — hier, — Du mußt ihn sofort lesen und darnach handeln. Kannst Du lesen? Wo Nicht — rch werde ihn Dir vorlesen, obgleich ich ganz genau weiß, was darin steht. . . Ich werde ihn erbrechen und lesen, wenn Du willst."
„Bom Fürsten? ein Brief 's Was will er denn von mir?" schnarrte Ossip Petrowitsch.
„Das wirst Du schon sehen! Nur erst lesen."
„So ließ mir vor, habe meine Brille nicht —"
Der Kammerdiener, augenscheinlich von Neugier geplagt, erbrach rasch das Couvert und überflog die dicken schwarzen Zecken, schüttelte das frisierte Haupt, lächelte und machte erst Anstalten laut vorzulesen, als der Alte ein ungeduldiges Knurren vernehmen lieh.
„Oflip Petrowitsch! Schicke Deine Tochter mck Peter Semenowitsch, meinem Kammerdiener, sofort auf's Schloß. Mem jchwerkranker Sohn verlangt nach ihr; Lenuschka ist seme Freundin, er spricht sehr viel von ihr rnr Traum. Ser unbesorgt um Deine Tochter. In der Nacht w>rv sie nicht zurückkehren, sie bteibt unter Sophie Nckotaiewnas Obyut. — Anatol Wassiflewitsch Wottonlky."
„Hast Du verstanden, Ossip Petrowitsch?" fragte der Kammerdiener, den Briefbogen wrever zu>ammensallend.
„Nein,' antwortete der Alle trocken.
„W.e?"
„Ich habe es nicht verstanden, ich will es auch nicht verstehen; fahre zurück, Peter Semenowitsch, und sage dem Fürsten, ich hätte nichts verstanden."
Der Latm vetrachtele ihn verwundert und vereidigt.
„Was sprichst Du da, Acker ? Weigerst Du Dich etwa, Deine Tochter zu schicken, wo der Hurst D>r eigenhändig schreist uno sagt, sein schwerkranter Lohn verrange nach dem fangen Mädchen? Bed.nte, Ossip — das geht doch Nicht, sei nicht naillsch!"
„Mache, baß Du fortlommst, Peter Semenowitsch!" Ossips Äuge glühte. „Was solt's Überhaupt mu dem Br»es, Hut der arre Bojar sein bischen Bernunft verirren? Was will der junge Wüstling von meinem Krnb? Was hat mem Kind mck diesem hochgeborenen Fant zu ryun? Wie wagt er, wie wagt es der Alte, wie wagst Du, mck solch 'nem Brief hierher zu kommen! Fort Kammerdiener, forr, ehe ich wütend werde!"
Er war es schon, denn er schrie, blaurot im Gesicht, daß ed durch's ganze HauS schallte; dabei rieb er die geballten Fäuste aneinander.
„Gehe, Lakai, sage dem Fürsten, er möge fürderhin mein Haus meiden, denn sonst könnte ihn dieses Briefes wegen, — ja wohl, nur allein dieses Briefes wegen, — ich tönnle chm die Knochen >m Leibe zermmmen . . . Der Wustlmg, der Wicht schwertrunk — was es sür eine Krankheit ist, bas erzählen unsere Bauern, lsr nur gleichgültig; aber was kümmert mich jem Sohn, was kümmert es mein Kmv ? Mein Kmd hat nie mck ihm eiwad zu thun gehabt; wer bas behauptet, ist ein elender Berleumder, em Lügner — mein Kuiv tennt lyn gar nicht, verstanden! . . . Ich habe nichts mehr zu sagen". . .
,«o gehe ich", bemerkte Peter Semenowitsch wie drohend. „Ist das Dem letztes Wort, Atter ?"
Der Gastwirt drehte ihm verächtlich den Nucken und nahm am Ladentisch seinen Sitz em. Em Lauscher sprang hinter der Schalterthüre abseits, d»e Bauern
vorn auf den Bänken saßen mit zusammengesteckten Köpfen. Der Kammerdiener trat achselzuckend heraus, schnitt eine vornehm-alberne Grimasse über den stinkenden Tabaksqualm, der ihm entgegenschlug, und verließ mit großen Schritten die Wirts- stube. —
Ossip Petrowitsch hielt cs nicht lange auf seinem Platz. Er war gereizt, unruhig, und es ärgerte ihn, daß die Bauern nun alle schweigend ihn unverwandt anglotzten. Er erhob sich und rief Matwei herbei, der in der Küche Holz spaltete. Schüchtern und verzagt — die Ereignisse der letzten Tage mußten mächtig auf ihn eingewirkl haben — nahm dieser den Wirtssitz ein, während Ossip Petrowitsch das Wohnzimmer aufsuchte, nachdem er zuvor den Brief des Fürsten aufgehoben. Hier suchte er seine Brille hervor und las das Schreiben ein, zwei mal mck Bedacht durch. In seine stechende Unruhe nuschle sich nun ein Gefühl von Genugthuung, ein Gesühl, das aber nichts Befriedigendes ober Angenehmes hatte.
„Der Fürst schreibt mir — weshalb schreibt er mir?" dachte er, die dämmernde Stube auf- und abschreckend.
„Wie erlaubt ihm sem Stolz, mir zu schreiben? Oder soll cs Hohn sein? Will er meiner spotten? Hm, aber es ist doch Thatsache, daß sein Sohn, wie er nun selber eingesteht — also schwerkrank — da spottet man nicht, er ist doch Bater."
Ich bin em Dummkopf — anstatt den Diener auszuforschen, um alles zu erfahren, geriet ich in Wut und warf ihn hinaus. Ich weiß nichts, bin wie im Dunkeln. Getobt und geflucht und geschimpft habe ich die Tage — habe ich eine einzige vernünftige Frage an das Mädchen gestellt, damit sie mir alles erklären könnte? — nein, gerast habe ich nur. . .
Was rst'S denn mck dem Fant da drüben, was will er denn von meiner Tochter, wenn er schwerkrank, was ist's mit dem Revolverschuß, mit dem Streck, mit der Hochschule? . . .
Teufel, ich verstehe es doch! Weshalb soll man das Liebchen nicht auch wirklich lieb haben können — vielleicht liegt er obendrein im Sterben — und weshalb soll man die Närrin da nicht nochmals sehen wollen! ? Ha, Elender, welch ein Verlangen und wie beschimpfend für mich!
Für einen Moment geriet er wieder in zornige Aufwallung; darauf las er den Brief zum dritten Mal im Schein der Abenoröte.
„Nur seltsam, daß der Alte selbst — er schickt seine Droschke, den Oberkammerdiener, im Schloß bei Sophie Nckolajewna soll sie bleiben — was ist das? Lenuschka ist seine Freundin, er spricht sehr viel von ihr im Traum" . . . Nun, sie geht aber nicht, mem Kind geht nicht, lieber erwürge ich sie, ja, das thät ich — ich hätte es schon gethan wenn, — wenn . . ."
Er trat leise auf die Thüre des kleinen Nebengemachs zu und stieß diese auf. Am runden Tisch beim Schein einer kleinen Petroleumlampe, saß Helene Ossipowna und nähte an einem grobleinenen Hemd. Das liebliche Köpfchen beugte sich tief auf die Arbeit, man erblickte nur den zartgerundeten, leuchtenv weißen Nacken, das kindliche Profil des traurigen, sinnenden Antlitzes. Lenuschka bewegte sich nicht, als die Thüre ging, sie schien das Geräusch nicht vernommen zu haben.
„Soll ich sie nun endlich vernehmen", dachte Ossip Petrowitsch, „vernehmen, wie es sich gebührt, väterlich strenge, aber gelassen? Soll ich ihr alles mckteilen? Sie muß em Geständnis ablegen, eine Beichte, — ich — ich habe mich davor so gefürchtet, aber es ist doch das Vernünftigste. . . Ich kann es nicht glauben, wenn ich sie so ansehe, aber, wie sollte es denn nicht sein. .
Ossip Petrowitsch trat wieder zurück und schob die Thüre zu.
„Nein", murmelte er, „sie soll kommen und freiwillig gestehen. Ich will sehen, wie lange sie es so aushält, wie lange sie stumm bleibt, obgleich sie sich vor geheimen Ängsten krümmt. „Ich bin unschuldig!" hat sie nur in mein Toben hin- emgerufen, und dann hat sie gemeint, er würde selber kommen und es mir sagen. Nun, wir wollen sehen, wollen sehen. Dummheck, Ossip Petrowitsch, was wollen wir sehen, was noch hoffen! Als verstände man solche Sachen nicht! Fürst und Bauernkmd — eine vom Teufel gebraute Freundschaft, ich kenne das, ich weiß, was dahinter steckr". . .
Er streckte sich stöhnend auf eine mit roter Decke bezogene Lagerstätte hin, umfaßte den grauen Kops mck beiden Händen und schloß das gesunde Auge, während die rötlichen Lider des andern wie immer halb geöffnet blieben. Nach einiger Zeck schlief er em. —
Wie lange er schon geschlummert, wußte er nicht. Man weckte ihn durch Rütteln an der Schulter. Es war Gevater Matwei. Er hielt eine blecherne Lampe in der Hand; durchs Fenster blickte finstere Nacht und Regen klatschte an die Scheiben.
„Was willst Du, — wie spät ist es, Matwei?"
„ES ist schon Mitternacht, Väterchen; Du mußt gleich aufstehen, es ist Jemand gekommen."
„Sind die Gäste fort, hast Du das Wirtshaus geschlossen?" fragte der Wirt schlaftrunken.
„Ich wollte es eben zuschließen, da kam noch Jemand."
„Und hast ihn hereingelassen?"
„Ich mußte schon, es ist der Knjäs, der Dich dringend zu sprechen wünscht."
Mit einem Ruck stand Ossip Petrowitsch auf den Beinen. „Der Knjäs — was will denn der um Mitternacht, im Regen?"
„Frage ihn selbst, er steht draußen m der Gaststube."
Anatol Wassiljervitsch stand da mitten im Zimmer im flackernden Lichtschein der Hängelampe, angethan mit langem, regenfeuchten Mantel, ,n Wasserstiefeln und breitkämplgem Filzhut. Er stand unbeweglich wie ein steinernes Wandbild. DaS Gesicht erschien im trüben Licht aschfahl, leblos, die hohlen Augen hatten Fieberglanz, blickten aber nicht unruhig, sondern starr und brütend. Er schien Ossip Petrowitsch, obgleich dieser schon eine Weile an der Thüre stand, nicht zu bemerken.
(Fortsetzung folgt.)