54. Amts und Anzeigeblatt für den Bezirk (Lalw. 68. Jahrgang.
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Ersch-int Dienstag, Donnerstag und Samstag. Die Einrückungsgebühr beträgt im Bezirk und nächster Um- -gebung S Psg. die Zeile, sonst >2 Pjg.
Dienstag, den 9. Mai 1893.
AbonnementLpreiS »terteljLhrlich in der Stadt SO Pfz. u»d 20 Pfa. TrSgerlohn. durch die Post bezogen Mk. 1. IS, sonst i» ganz Württemborg Mr. 1 . 35.
Amtliche Aekannlmachnnge«.
An die Orlsvorsteher.
Reichstagswahl.
Behufs der Vorbereitung der Reichstagswahl sind von den Ortsbehörden unverzüglich die folgenden Einleitungen zu treffen:
1. Die Ortsvorsteher haben unverzüglich dafür zu sorgen, daß die Wählerlisten nach Vorschrift des Z 1 des Wahlreglements (Reg.-Blatt von 1871 Nr. 1 Seite 5) in doppelter Ausfertigung aufgestellt werden.
Die hiezu erforderlichen Formularien gehen den Ortsvorstehern von hier aus zu.
2. Für jede Gemeinde und bei zusammengesetzten Gemeinden für jede Parzelle ist eine -abgesonderte Wahlliste zu fertigen.
3. Die Listen sind unter Leitung und Aufsicht des Gemeinderats (Teilgemeinderats) durch den Ortsvorsteher (Anwalt) unter Zuziehung des Gemeinde- pflegers zu ' entwerfen und am Tage vor dem Beginn der öffentlichen Auslegung (siehe Ziffer 6) vorläufig abzuschliefien und hiebei vom Gemeinderat (Teilgemeinderat) zu beurkunden.
4. In die Wählerliste sind alle Angehörigen des deutschen Reichs aufzunehmen, welche im Wahlbezirk ihren Wohnsitz, das 25. Lebensjahr zurückge- gelegt haben und nicht nach den Bestimmungen des Reichswahlgesetzes (Z 3) von der Berechtigung zum Wählen ausgeschlossen sind.
Für die zum aktiven Heer gehörigen Militärpersonen , mit Ausnahme der Militärbeamten, ruht
das Wahlrecht. Die Namen der Wähler sind genau in alphabetischer Ordnung aufzuführen und fortlaufend zu nummerieren.
5. Die beiden Listensxsmplare müssen genau mit einander übersinstimmen; das eine ist als „Hauptexemplar" , das andere als „zweites Exemplar" zu bezeichnen.
6. Die öffentliche Auflegung der Wählerliste darf erst dann stattfinden, wenn der Tag des Beginns derselben vom K. Ministerium des Innern bekannt gemacht worden ist, worüber in Bälde weitere Verfügung ergehen wird.
7. Der Vollzug der Anlegung der Wählerlisten ist von sämtlichen Ortsvorstehern unfehlbar bis
Samstag, de« 13. d. M., Mittags,
hierher anzuzeigen.
Den Ortsvorstehern wird noch besonders zur Pflicht gemacht, bei den auf die Re'chstagswahl bezüglichen Geschäften mit aller Pünktlichkeit und Sorgfalt zu Werk zu gehen.
Calw, den 8. Mai 1893.
K. Oberamt.
Lang.
Deutsches Reich.
Berlin, 6. Mai. Der Reichstag lehnte Hl Ser Mililiir - Borla ge gegen die Stimme« der Konservativen a b , ebenso den Antrag Hneue mit 2 ZU gegen 162 Stimmen. Der Reichskanzler verlas hierauf die kaiserliche Botschaft, durch welche der
Reichstag aufgelöst wnrde. Die Neuwahlen finden am 15. Juni statt.
Stuttgart, 5. Mai. Kammer der Abgeord» neten. Beratung der Artikel 9 und 10 des Finanzgesetzentwurfs. Vor Eintritt in die Spezialberatung der in Artikel 10 enthaltenen Exigenzen aus Mitteln der Restverwaltung nahm der Herr Staatsminister der Finanzen Dr. v. Riecke das Wort zu einem Vortrag über die gesamte Frage der Restverwaltung, die bisherige Handhabung und die geplante Reform. Es ergriffen darauf das Wort v. Hofacker, Kanzler v. Weizsäcker und der Herr Staatsminister des Kirchen- und Schulwesens Dr. v. Sarwey. v. Hofacker schlug vor, die Generaldebatte über die Reform der Restverwaltung solange zurückzustellen, bis der im Reichstag abwesende Abg. Frhr. v. G üjl t» lingen, welcher von der Finanzkommission mit einem Referat über diese Sache beauftragt sei, in der Lage sei, dieses Referat zu erstatten. Das HauS trat dann in die Beratung der einzelnen Exigenzen ein. Die letzten Raten für das neue Justizgebäude und Gefängnis in Ulm, für das Lanvesgewerbemu- seum in Stuttgart und für die Jrrenklinik in Tübingen wurden bewilligt. Ferner wurden die Exigenzen für das elektrotechnische Institut in Stuttgart, für Bauten in Hohenheim, für Heizung >der K. Bibliothek, sodann der Staatsbeitrag für ein Gymnasium in Cannstatt genehmigt.
Bei der Exigenz von 160,000 als Staatsbeitrag an die Stadtgemeinde Stuttgart für Erstellung eines Gebäudes für die neu zu errichtende zweite Realanstalt daselbst, entspann sich eine längere Debatte. Die Kommission beantragte Genehmigung.
Iseiriltetorr.
— Nachdruck verboten.
WojarenscHerze.
Novelle von Eduard Wilde aus dem russischen Leben.
(Fortsetzung.)
Es war am vierten Tage von Ossip Petrowitsch' Abwesenheit, als Gevatter Matwei draußen vor der Wirtshausthüre saß und an einem alten Stiefelpaar flickte. Die häufigen Pausen, die er in seiner Arbeit machte, benutzte er dazu, eins erhöhte Stelle des HofzaunS zu besteigen und die Dorfstraße hinabzuschauen, ob denn von Roß und des Popelnja-Wirts noch immer nichts zu erblicken sei. Seufzend, kopfschüttelnd kehrte er jedesmal an seinen Platz zurück: noch immer nicht! Freilich, für «ine Reise per Achse nach Moskau und zurück — die Eisenbahn berührte die Gegend noch nicht — war die Zeit noch gar nicht überschritten; nur Matwei's eigene Unruhe über die seltsame Abfahrt des Vetters machte ihn besorgt und ungeduldig. In unendlichen Grübeleien und Selbstgesprächen hatte der gute Alte den Auftritt mit Ossip Petrowitsch erörtert — zu irgend einem erklärenden Aufschluß darüber konnte er nicht kommen. Die furchtbare Aufregung, das heißspornige Aus- und Davonmachen auf eine weite Reise, die Wut und Wildheit von dem sonst so kaltblütigen, besonnenen Ossip Petrowitsch — das alles war etwas Niegsglaubtes für Matwei. Unmöglich konnten die fünfhundert Rubel Schalden seines Sohnes den reichen Gastwirt von Popelnja so außer Fassung gebracht haben bei den sonstigen schönen Nachrichten, die der Gevatter über dis Kinder aus Moskau mitgebracht! Größere Geldsummen hatte er schon so oft hinschicken müssen. . .
Bei seiner letzten Ausschau erblickte Matwei ein Gefährt auf der Landstraße, machte aber ein enttäuschtes Gesicht; es war nicht Ossips grünlackierter Staatswagen mit dem kleinen wohlgenährten Schimmelwallach. Das da schien ein herrschaftliches Vehikel zu sein, ein Jagdwagen, der in rascher Fahrt dem Dorfe sich näherte. Kurz darauf hielt derselbe vor dem Wirtshaus. Fürst Wolkonsky, Lenker
und alleiniger Insasse des Wagens, drehte sich auf seinem Sitz nach Matwei unz, der seinen Stiefel sortwarf und herzueilts.
„Will das Pferd nur etwas schnaufen lassen", raffelte Fürst Anatol Wassil- jewitsch kurz, .na, und Du — habe ich gehört, bist in Moskau gewesen; was hat'- denn da gegeben, Alterchen?"
„Lauter schönes und Gutes, Knjäs."
„Was? Schönes und Gutes? Immer die Wahrheit sprechen. Was machen denn die Kinder des alten Dummkopfs — he?"
„Danks, Knjäs, — die sind wohlauf und gut und brav. Gott möge sie auch fernerhin erhallen."
Des Fürsten scharfes Auge glitt kreuz und quer über Matwei's ruhige Züge; er schlug scherzhaft mit seiner langen Peitsche über Matwei's linke Schulter.
„Du bist ja ein großer Aufschneider, Matwei. Over hat's Dir der Eisbär verboten, die Wahrheit zu sprechen? Hast schnurrige Geheimnisse aus Moskau mitgebracht, die der Alte vergraben möchte? Du, ich weiß es von Mitja, meinem Stall- jungen, der seine Mutter in Popelnja vor einigen Tagen besucht hat, daß Ossip Petrowitsch selber über Hals und Kopf nach Moskau gefahren sei — am selben Morgen wo Du heimgekehrt warst; ist's nicht so, Närrchen?"
„Ja, das ist schon richtig, Fürst!" rief Matwei aus breitgeöffnetem Munde, und nun verfiel er schnell in jene weitschweifige, alles umfassende Berichterstattung, die seiner biederen Offenherzigkeit eigen war; es schien seinem bedrückten Wesen wohl zu thun, sich mit einem vernünftigen Mann so recht auszusprechen über daS Seltsame der Sache; er hoffte wohl auch guten Rat von dem Fürsten zu bekommen, mindestens seine Meinung darüber zu hören, was denn von dem Gebahren Ossip'L eigentlich zu halten sei. Der Fürst ist zwar des Vetters Femd — na, aber eine so unbefangene Sache, was kann er ihm da anhaben?
Matwei berichtete also von dem noblen Verkehr der Kinder, von dem Ansehen, welches Kolja bei seinen hochgeborenen Kameraden genieß;, vor allem, wo-