eilage zum „Calwer Wochenblatt
Nro. A3.
Jeuitketon.
——- Nachdruck verboten.
Wozarenscherze.
Novelle von Eduard Wilde aus dem russischen Leben.
(Fortsetzung.)
Ossip grübelt und berechnet und findet es unetklärlich, wie das Studium und Leben von Sohn und Tochter in Moskau so ungeheure Geldsummen verschlingen kann. Dem Knjäs drüben im Schloß, dem mag eS nicht so ungeheuer Vorkommen, wenn eS nach jedem zweiten und dritten Monat in des Sohnes Briefen heißt: Ich brauche wieder hundert, zweihundert, dreihundert Rudel zu »unvermeidlichen Ausgaben." Der Knjäs weiß und will, daß sein Wolodja standesgemäß lebe und der Welt zeige, daß Fürst Wolkonsky immer noch einer der reichsten Bojaren Rußlands ist. Aber Kolja, der Sohn des Dorfwirts, ein Bauernkmd — was heißt denn bei dem standesgemäß leben? Der muß studieren, studieren, daß ihm der arme Kopf dampft, und sich durchschlagen mit Kohlsuppe und Grobbrod und kleinem Stubenwinkel, daß er fertig wird in möglichst kurzer Zeit, um sich auf eigene Beine zu stillen. Freilich, der alte Ossip hat Geld, er besitzt mehrere Tausend in guten Wertpapieren und das Wirtshaus wirft schönen Gewinn ab; aber was zu viel ist, ist zu vrel! Wenn eS so fortgeht, mehrere Jahre noch, wenn sich die Ausgaben Mit
der Zeit noch steigern-Ossip Petrowitsch hemmt wie erschreckt den Schritt, die
Hand zupft nervös an den gelben Fäden des Barts. . . Sollte der Kolja etwa — die Großstadt mit ihren Lastern und Verführungen — nein es kann Nicht möglich sein — ein so stiller, fromm erzogener Junge, der niemals Neigung zu einer wirklichen Untugend, zum Leichtsinn — nein, nern, das thut der Kolja seinem alten Bater nicht!
Aber auch mit Lenuschka beschäftigt sich des Alten unruhiger Sinn. Auch m ihren Briefen, die m der letzten Zeit kürzer und seltener werden, steht so oft etwas von einem neuen Kleid und neuem Hut und dergleichen; freilich nur in einem bescheidenen Wink, m plaudernder Erwähnung äußerte sie ihren Wunsch; aber es bleibt doch em Wunsch, und wenn ihn der gute Bater erfüllt, so kostet'» Geld. Dabei spricht Lenuschka von neuer Umgebung, vom Verkehr m besserer Gesellschaft, dem sie sich Nicht entzieht» kann und darf, und da der alte Ossip weder dumm noch geizig ist — er ahnt Mindestens, daß gebildete Menschen besseren Verkehr haben müssen — so schickt er den Kindern Geld und schickt es immer wieder, wenn sie darum bitten, und mit dem Gelbe ernste väterliche Ermahnungen, die hoffentlich aus fruchtbaren Boden fallen.
Gevatter Matwei »st mit der jüngsten Geldsendung nach Moskau gerefft und Ossip Petrowltsch erwartet ihn heute zurück. Der Alte will sich Gewißheit verichaffen, ob »alles rn Ordnung" der den Kindern, denn er wird in letzter Zeck eine schleichende Unruhe nicht los und böse Träume quälen ihn. Gevatter Matwei ist mit oer geheimen Mission betraut, klug und vorsichtig zu ergründen, oo das viele verbtauchte Geld auch gutem, notwenigen Zweck gedient und ob nicht leichtfertige Verschwendung bei Kolja, weibliche Eitelkeit bei Lenuschka daran Anteil gehabt, und n»e es den Kindern sonst gehl.
Ritt imponierendem Selbstbewußrsein hat Matwei versprochen, alle wünschenswert« Auskunft für den besorgten Vater mitzubrmgen. In steigender Ungeduld harrt er semer Rückkehr.
Da — es rasselt die Dorfgasse herunter, Staubwolken wirbeln aus, des allen scharfes Emauge erkennt schon von weitem Pferd und Wagen, Matwei ,st zurück von Moskau! Und rn Heuerster Stimmung scheint er zu sein. Er knallt mit der Peitsche und krächzt dazu das alle bekannte Volkslied: »Moskau, Moskau, du weiß- gemauerte Stabt!" Beim Anfahren schneidet er einen eleganten Bogen um de» Vorplatz herum — nun halt der Lvagen vor der GaslyaustyUre; mit orolltger Wichtigkeit, als hätte er eme Reise um die Welt beendet, schaut Gevatter Matwei schweigend aus den Allen herab, der schnell hinzugeeilt.
»Zdrastwui, Butjuschka — sei gegrüßt Väterchen!" rust er dann, vom Wagen springend. Viele Grüße von Kolja und Lenuschka und — ich bin wieder da! Alles Übrige — o, Alterchen, ich habe Dir viel zu erzähle», habe meine Sache gut gemacht wie ein Taschenspieler, wie ein Advokat — alles Übrige drinnen beim G>aschen Wodka, das Du aus die guten Nachrichten gerne zum Besten grebst — meine Kehle »st verstaubt, ausgetrocknek."
Ossip Pelrowitscb ruft einen Knecht zur Besorgung des Pferdes herbei, den schwätzenden, gestikulierenden Vetter zerrt er beim Rockzipfel so nach rn die Stube.
Hier reicht er chm einen Messingbecher voll Schnaps, aus welchem Matwei mit üblicher Trmkergrlmasse einen tiefen Zug thut. Stach langem Schnalzen, Mundwischen und Räuspern beginnt der Weitgereiste endlich:
»Du, Aller — ich sage D»r — großartig! — und dabei recht er die Augen auf, sperrt den Mund, seine ganze Physiognomie prahlt mit — grvMtrg, Väterchen! Ich spreche nicht von der Stadt und von der Pracht und von den Kuchen und dem Menjchrntrubel, ich meine, Deine Kinder, Alterchen, leben großartig! Gesund, frisch — selbstverständlich. . . Aber dieses Ansehen, diese Ehre!
Da »st zuerst der Kolja. Verkehrt nur mrt Fürsten und Grafen und Gou- veraeurssöhnen. Nein Alter, was ist Dein Sohn für em ferner, nobler Herr geworden — man kriegt schon beim bloßen Anjchauen eure Scheu vor ihm, als habe man euren lechhastigen Bojaren vor sich! Ja, das kommt von der großen Stadt, von der Schule und von dem feinen Verkehr. ..
Wie ich gesagt: Fürsten- und Grasensöhne, das sind so seine gewöhnlichen Freunde — und umgehen soll er Mit ihnen wie Mit Seinesgleichen; sie sollen auch alle große Stücke aus ,hn halten, welk er so 'nen Kopf und Geist hat, west er viel mehr werß und kann, als die hvchgebornen Herren alle zusammen — und dann
sollen sie ihn dann mitnehmen zum Vergnügen auf die feinsten Stellen, und er soll überall das große Wort führen. Väterchen, aus Deinem Sohn wird noch etwas Berühmtes, wie man das so nennt! . . .
Und weißt Du, wer sein bester Freund und Kamerad ist, der ihn so hoch in die Bojarengesellschaft emgeführt hat? Höre und schlage die Hände über dem Kopf zusammen: kenr geringerer als der junge Fürst von Wolodja, der Sohn des Alten von Wolkonskje! . . .
Na, was starrst Du mich denn immerfort an — glaubst Du mir etwa nicht, Väterchen ? Matwei Jurjewstsch lügt nie, und er hat alles, was er nicht selber gesehen, von zuverlässigen Leuten . . . Ja, der junge Fürst Wolodja, das ist ein anderer Bojarensproß als sein grimmer Erzeuger aus der Prügelzeit, Dein aller Feind. In dem jungen Fürsten, so stolz er den Kopf trägt und m,t dem Auge blickt — da ist nichts von Schimpferei und Verachtung und Hohn gegen geringere Leute. Habe ihn ber Wolodja selbst gesprochen, hat mir ohne Ursache drei Rubel geschenkt. Und dabei meinte er selbst, Kolja Ossipowitsch sei sein liebster Kamerad unter all' den hochgeborenen Studenten; aus diesen mache er sich wenig, na, und so weiter. . . Oisip P.trowltsch, welch' em Prachtmensch dieser junge Bojar ist, bas ahnst Du noch nicht, das werde rch Dir erst erzählen, wenn ich eine kleine Last
von der Btust gewälzt habe, eine kleine Last-Du, Väterchen, reich mir Deine
Hand und verspreche nur, nicht aufzufahren, nicht ungerecht zu sein, nicht falsch zu verstehen". . .
Gevatter Matwei schien bemüht, einen innigen flehenden Schmelz in seine schnarrende Stimme zu legen; er verzog das rote gevunjene Gesicht zu emem eigentümlichen fürbittlichen mitleidigen Lächeln und mit beiden Händen griff er liebkosend in den Bart des Vetters.
„Alter, Ossip Petrowitsch, guter lieber Kerl, der arme Kolja, der Du im Leben noch große Freude bereuen w,rd, er hat es mir anvertraut, daß ich Du vorsichtig und wenn Du aufgeräumt bist, Mitteilen soll. . . Hör«, Alter: der Kolja braucht gleich wieder fünfhundert Rubel, er hat kleine Schulden — Du versiehst, der Verkehr m»t den Fürsten und Grafen, Du siehst ern, bist em kluger Mann, unmöglich kann Dem Sohn sich lumpen lassen, er muß die Ehre semes Vaters und sein eigenes Ansehen bewahren — ich hoffe, nichts kann klarer sein als das, Väterchen -also kleine Schulden, er leidet so sehr darunter, der arme Junge, dir
Thränen standen ihm im Auge, wahrhaftig, Thränen! — Alter, Du wüst ihm die fünfhundert Rubel bald schicken, nicht wahr?"
Aus dem Innern des grauen Bartes, an welchem Matwei's Hände herum- streicheln, dringt ein Laut wie das Grollen fernen Gewitters; doch rasch, ehe der Alte zu Wort kommt, fährt Matwei fort und nun nicht mehr in dem früheren Prahl- lon, auch nicht mehr bittend — jetzt gerät er plötzlich in emen Enthusiasmus, der seinen ganzen Körper m prickelnde und zappelnde Bewegung versetzt.
„Ich beglückwünsche Dich, Du alter ungebildeter Bauernkerl, Du simpler Dorf- wi»t von Popelnja!" schreck er ganz unvermittelt den Alten an. »Du bist solcher Eyre nicht wert, bei Gott nicht! . . . Reih' die Ohren auf und höre! Deine Lenuschka, das Prachtmädel — schlank und fein ist sie geworden wie em Peitschenstiel und schön wie em Heiligenbild in der Kathedrale des Kreml — Derne Lenuschka ist die Braut und Geliebte eines Fürsten, eines wirklichen, lebenden, hochgeborenen Fürsten! Und ahnst Du, wer's ist ? Eben derselbe gottbegnadete edle Sohn deS Bojaren von Wolkonskje, der junge Fürst Wolodja! . . . Ja, staune, Alter, reiß' Dir den Bart stränenweffe aus — wahr bleibt's doch! Ich hav'ü von Anna Pantnle- jewna, der Wutm unserer Lenuschka. . . Schlau habe ich die Alte ausgeforscht, ;o beim Thee am Abend, wo wir allein dasaßen — Lenuschka, die Liebliche, war gerade mit dem Herzallerliebsten — na, wie heißt das Ding nur — Komödie, Spektakel, so 'was — gefahren und da hat die gute Alte alles plauschen und beichten müssen. . . Ach Gott, wie sollen sie sich lrcb haben, die veiben jungen Leutchen; wie soll er sie zärtlich küssen, wenn's Niemand sieht"-
Wecker kam er nicht; er fühlte sich plötzlich an der Brust gepackt und geschüttelt, daß ihm die Worte im Munde und die Gedanken im Kopf nur so durcheinander gesiebt wurden; die Zähne klappten »hm die Zunge wund und der Brannt- wemvecher entfiel seiner Hand. Die Baienstunme des alten Ossip brüllte ihn heiser an: »Nleverliächtigster aller Dummköpse, diese Botschaft wagst Du mir zu bringen. Du wagst damit zu prahlen, Du jämmerlichster aller Idioten, Du — Du —! . . . Fort aus meinen Augen, fort — laß' ein frisches Pferd anspannen, in fünf Minuten soll der Wagen vor der Thüre stehen, hörst Du, sonst gnade Gott Deinen Knochen I . . . Einfaltspinsel, Narrenkönig, Tollhäusler"-
Die noch folgende lange Reihe von Ehrennamen hörte der arme Gevatter nicht mehr — er war schon draußen. Blau >m Gesicht, mck wirrem Haar, gewann er erst im Hof am Gartenzaun Hall, nachdem er im Hausflur zuvor die Magd fast umgerannt und deren Milchgejchirr verschüttet hatte. Entsetzt starrte er nach dem Hause zurück, m dessen Innern eS fort rumorte und krachte, als wütete da ein em- gedrochener ElSbär herum. Matwei's Blicke verrieten deutlich die Überzeugung: der Alte ist plötzlich verrückt geworden! Ader aus Angst schon vergaß er, den erhaltenen Befehl nicht auszusühren. Binnen Kurzem stand der Wagen, mck einem von der Weide schleunigst herdeigeschafften fuschen Gaul bespannt, vor der WutShauSthüre und Ossip Petrowitsch, finster und grollend wie ein Donnergott, schwang sich auf den Sitz.
»Wohin denn Batjuscha?"
»Nach Moskau, Theekessel!"
Eine wirbelnde Staubwolke entrückte ihn den blöden Blicken von Gevatter Matwe», von Knecht und Magd.
(Fortsetzung folgt.)