eilage zum „Calwer Wochenblatt"
Nro. 32.
Jeiricteton.
Die Adoptivtochter.
Erzählung von K.Labacher.
(Fortsetzung.)
.Elisabeth auf Wiedersehen!" Hang Rudolf's bebende Stimme an ihr Ohr. .Du kannst meinen Entschluß nicht ändern, Ruhe wäre jetzt schrecklicher als der Tod für mich. Nur im dichtesten Gewühle der Schlacht werde ich Betäubung meines Schmerze« und meiner Sehnsucht finden. Und will das Schicksal unsere Vereinigung, so kann eS mich ja beschützen vor Kugeln und Lanzen. Auf Wiedersehen, Elisabeth! Auf ein selige« Wiedersehen, entweder hier oder in besseren Sternen!"
Er wollt« sie sanft aus seinen Armen lassen, aber sie klammerte sich fest an ihn.
.Geh nicht in den Krieg, suche nicht die Gefahr auf," flehte sie. .Thue es nicht, aus Erbarmen für mich."
Er sah sie mit einem Blick voll Zärtlichkeit und Hoffnung an.
.Wenn ich nicht gehe, willst Du mir dann versprechen, auch gegen den Willen meines Vater« die Meine zu werden?"
Da wich sie weit von ihm zurück.
„Gehen Sie, gehen Sie!" sprach sie mit erlöschender Stimme. „Kein Mann ist eine« uneigennützigen Opfers fähig. Zu leiden und zu entsagen vermögen nur die Frauen."
Und er ging langsam und traurig. Noch oft winkte er nach der Hütte zurück, in der er sein teuerstes Kleinod ließ. Hinaus in Sturm und Kampf! Sie hielt ihn ja nicht, ihr galt die trockene, kalte Pflicht mehr als seine Liebe, sein Glück. Hinaus in Kampf und Sturm!
15 .
Den Geliebten oder Gatten in Kampf und Gefahr wissen, mit den geistigen Auge sehen, wie er unter den höhnenden Klängen einer lustigen, kriegerischen Musik der Schlachtlinie des Feinde« entgegenrückt, wie mordendes Eisen nach seiner teuren Brust zielt, und die Kugeln seinen Kopf umschwirren — das sind die Passionswochen der Frauen, und glücklich diejenige, für die darauf da« fröhliche Hallelujah der Ostern folgt, für die nicht ein Trauerflor und die schmerzliche Pflege eines Grabes der ihr einzig zugemefsene Teil bleibt.
Elisabeth ertrug die Zeit der namenlosen Angst und Sorge mit der tiefen Empfänglichkeit einer echten Mädchenseele und zugleich mit dem Blute einer Heldin.
Sie hatte ein starkes Gemüt diese junge Elisabeth, sie vermochte es fast völlig, unter einer angenommenen, äußere» Ruhe und milden Freundlichkett, gegen die Ihrigen zu verbergen, wie sie litt, wie von bangen Schrecken erfüllt ihre Nächte waren und wie freudlos öde ihre Tage. Nur das Mutterauge vermochte sie nicht zu täuschen, das die Spuren eines unermeßlichen Schmerzes mit innigem Mitleid in den glanzlosen Augen ihre« Lieblings sah. Und an die Mutterbrust allein flüchtete sich Elisabeth, wenn das Leid zu übermächtig wurde, das Herzpochen der heißen Angst sich gar nicht mehr wollte beruhigen lassen. — Im Übrigen wäre Elisabeth's Leben sehr friedlich und gleichmäßig dahin geflossen, so friedlich, w e es gut ist für eine große Leidenschaft, die doch unterdrückt werden muß. Äußere Ruhe und Stille wirken einschläfernd wie rin Wiegenlied auf die seelischen Stürme, und Elisabeth würde vielleicht über ihre Liebe gesiegt haben, wenn sie den Geliebten statt im Echlachtenfelde in der sicheren Residenz gewußt hätte, glücklich und umgeben von zerstreuenden Vergnügungen. Nun aber webten ihre Gedanken Tag und Nacht an dem Bande, das sie mit seinem Schicksale verknüpfte; die Erinnerung an ihn war ja nur rin Zoll zärtlichen Mitleids, ihm geweiht, den sie lange als Bruder zu lieben gewohnt war. Sollte sie ihn deshalb vergessen, weil er ihr später unter einem anderen Namen, unter dem süßeren eines Geliebten noch viel teurer geworden? Nein, nein! das Gefühl ihrer Liebe, das durfte Elisabeth behalten, es war empor- grkeimt aus dem reinsten Boden, aus einer vermeintlichen Schwesterzärtlichkeit — wenn die Blume nun eine andere Form und Farbe angenommen hatte und berauschender« Düste ausatmete, was ging das die Menschen an? Die Blume verblühte ja einsam und ungesehen. Die Blume verblühte! Sie hing schon welkend das reizende Köpfchen nieder. Wie bleich wurden Elisabeth's Wangen, wie verzerrt das Lächeln, da« sie bemüht war, auf ihren Lippen festzuhalten, auch dann noch, als sich die unbestimmte Nachricht einer mörderischen Schlacht bei Leipzig vom Kriegsschauplätze in das abgelegene Dorf verirrte.
„Napoleon besiegt," lautete die freudentrunkene Botschaft, welcher aber der lange nachzitternde Seufzer folgte: .Um ungeheuren Preis! die Hälfte der deutschen Jugend verblutete auf Leipzigs Feldern."
Arme Elisabeth! Sie erwartete keine Kunde, ob unter diesen Verblutenden auch ihr Geliebter hingesunken sei. Was ging den Grafen Raveneck ihre Angst, ihr tiefer Jammer an? der dachte wohl nicht mehr daran, daß in der Ferne ein banges Mädchenherz für seinen Sohn zitterte, daß es all' sein Lebenrblut freudig ausge- strömt hatte für das süße Wort: .Er lebt, er ist unverletzt!' Harren mußte sie, bis vom Schlosse aus, vielleicht erst nach langer Zeit, der Befehl an den Pfarrer erging, ein Freudenamt zu celebrirren für die Erhaltung des Gutserben, oder — eine Trauermeffe um seinen Heldentod.
Elisabeth suchte täglich das Plätzchen im Walde auf, wo ihr LebenSfrühling vier kuHe rasch verrauschende Wochen lang geblüht hatte, um dann jeder Blume, jeden grünen Blatte« beraubt zu werden, wie der Wald selbst, der sitzt so herbstlich öde aussah, in den statt Sonnenstrahlen feine Nebel ihre Gespinnste webten und statt de» lustigen Vogelfangs wüstes Nabengeschrei bang und schauerlich durch die tiefe Einsamkeit tönte. Elisabeth fühlte die Herbstgeister in ihr Herz hinabsteigen und dort alle» Blühende und Schöne verderben. Wo hatte sie es nur gehört das trübe Lied?
Steigen kleine Nebelgeister,
Kreuzen meine stillen Pfade Immer schneller, immer dreister;
Streifen hin an meine Wangen,
Huschen flüchtig durch mein Haar,
Aus dm Lüften, aus der Erde Mehrt sich ihre leichte Schaar.
Einer dieser Geister schlüpfte,
So wie leise Lüftchen weh'n,
In die Tiefen meiner Seele,
Muß sich d'rin gefangen seh'n;
Etwas von dem kalten Nebel Nahm er mit in meine Brust,
Der nun trübe mir umziehet Allen Glanz der Jugendlust.
Und nun mein' ich, wie da draußen Reif und Frost das Grüne morden,
Sei es mir in Haupt und Herzen Völlig Winter auch geworden.
Traurig ist's, sich kalt zu fühlen,
Eh' die Jugend noch vorbei —
Kobold, sprenge Deinen Kerker,
Brichst Du auch mein Herz entzwei!"
O spräche es wahr, das Lied, könnte sie sich erst alt kühlen. Dann wäre vielleicht dieses ungestüme Klopfen des Herzens vorbei, vorbei die heißen Wünsche, die sich nicht mehr zurückweisen ließen, die um so heftiger drängten und tobten, je enger sie in's Tiefinnerste des Gemüts eingeschlossen wurden.
Solche düstere Träumerei umspann Elisabeth im herbstlichen Walde und wenn sie von der besorgten Mutter oder Katharine endlich heimgeholt wurde und dann mit blutlosem Gesichte und durchkälteten Gliedern wieder an ihrem Fenster saß, war es ihr oft. als ob eine eilig kalte Hand über ihre wanne Brust hinstreiche und sie glaubte, daß dies die Nähe der Erlösung — daß es der Tod sei!
Da hielt eines Tages ein Reisewagen vor der Hütte; Katharine stürzte aufgeregt in das Zimmer und verkündete cs der teilnahmlos vor sich hinstarrenden Elisabeth. Ihr auf dem Fuße folgte ein alter Mann, es war Robert. Elisabeth stieß einen Schrei au» bei dem Anblick des Greises, der sie ja aus ihrem Liebes- himmel herabgestürzt hatte. Sie sah es an seinen traurigen, müden Zügen, daß er ein neues Unheil für sie brachte.
Er ließ sie auch nicht lange im Zweifel darüber.
Nach einem kurzen, verwunderten Blick auf die verwandelte Gestalt dcS einst so blühenden Mädchens begann er:
.Ich bin im Aufträge meines armen, jungen Herrn, des Grafen Rudolf, hier, der in Leipzig zu Tode verwundet darniederliegt. Sein letzter Wunsch —"
Er kam nicht weiter, denn er sah Elisabith mit geschlossenen Augen in die Arme ihrer Schwester sinken. Er hielt sie für ohnmächtig und bereute, gar so geradezu mit der traurigen Botschaft herausgerückt zu sein. Aber Elisabeth macht« eine matte Handbewegung und sagte mit kaum vernehmlicher Stimme: .Sein letzter Wunsch — o, warum muß ich dieses Wort noch hören, warum habe ich nicht früher sterben können! Sein letzter Wunsch?"
„So hören Sie ihn," versetzte der Alte mitleidig. .Er will Sie noch einmal seben, Jungfer Elisabeth. Ja, ja, ich habe nicht geglaubt, daß die Liebe zu Ihnen schon so tief in seinem Herzen sitzt. Er hat sich wie ein Wahnwitziger in das Kampfgewühl gedrängt, er hat fallen müssen, mein armer, junger Herr!"
Elisabeth stand mit totblassem Gesichte, aber ruhig und entschlossen vor ihm.
„Und der Vater Rudolf's?" fragte sie.
„Er selbst schickt mich, Sie zu holen, Jungfer."
„O dann, ja dann ist's Ernst, dann giebt es keine Rettung mehr, keine! hauchte Elisabeth, fast zusammenbrechend.
In dem nächsten Augenblicke aber ergriff sie seinen Ann und sagte gebietend: „Ich gehe mit Ihnen, kommen Sie!"
An der Hausthüre traten ihnen Frau Anna und Josef Will entgegen, die von einem Besuche bei ihrer ältesten Tochter heimkamen.
.Elisabeth, wohin willst Du?" rief Frau Anna erschreckt aus. —
Das junge Mädchen warf sich schluchzend an den Hals ihrer Mutter; sie war unfähig in zusammenhängenden Worten die Trauernachricht zu erzählen. Robert that es an ihrer Stelle und Frau Anna hob ihre Tochter selbst in den Wagen.
.Geh' mit Gott, Elisabeth! Und möge Dein Schmerz —"
„Sie verstummte, als habe sie sich selbst über einer nichtssagenden Phrase ertappt. Das Leid, das aus diesem Mädchenherz blickte, das durfte nicht mit dem gewöhnlichen Tröste angesprochen werden. Das mußte verloben, verrinnen, verwehen, wie es eben konnte; gut, wenn es einer plötzlichen Wasserflut glich, die nach und nach wieder in ihre Grenzen zurückweicht, und nicht einer fressenden Flamme, welche das Gebiet zerstört, das sie ergriffen hat.
Josef Will strich liebkosend über Elisabeth's Goldhaar.
„Wenn's nach meinem Rat gegangen wär, so könntest Du es besser haben. Du Arme!" sagte er weinend. „Und auch der junge Graf müßte nicht sterben. Fragte er nichts nach semem Titel, mit welchem Recht hatte sich ein anderer darum zu bekümmern?"
.Komm', komm', Du marterst sie noch mehr," sagte Frau Anna und zog ihn vom Wagen zurück, der gleich darauf fort rollte.
(Fortsetzung folgt.)
„Aus dm dürren, feuchten Hecken