Beilage zum „Calwer Wochenblatt"
Rro. 152.
Jeuitketon.
WevsöHnL.
Novelle von O. Otto.
(Fortsetzung.)
Auf den Antillen angekommen, war es Bannert's eifriges Bemühen gewesen, weiter« Nachforschungen nach Erick anzustrllen, und es ergab sich nun, daß dieser auf St. Thomas in eine der dortigen Brüdergemeinden getreten war und als Missionar für die Bekehrung der Neger zum Christentum gewirkt habe, bis er dem dort herrschenden gelben Fieber zum Opfer gefallen sei.
Erick, der Seiltänzer und spätere Schauspieler als Missionar in einer Brüdergemeinde gewirkt? —
Welche Bitternis des Lebens mußte der junge Mann durchkostet haben, um auf dem Wege der Entsagung und Selbstverleugnung, der Arbeit und Aufopferung das Ziel eines Daseins zu suchen, welches ihm einst in Glanz und Herrlichkeit des Lebensgenusses vorgeschwebt hatte! Er war in die weite Welt gegangen, um möglichst eine Spur seines Vaters zu entdecken, um sein Heimatshaus zu finden, welches sein hochfahrender Geist sich stets als einen Palast vorstellte. Er träumte sich gern als den Sohn eines hochgestellten Mannes, der durch einen unglücklichen Zufall oder durch eine Familien-Jntrigue den Eitern genommen worden, und von Sparre zu dessen eigensüchtigen Zwecken zum Seiltänzer herangebildet worden sei. Daß dieser sein wirklicher Oheim sei, glaubte er nicht; bezweifelte auch manchmal, daß Carla seine Schwester wäre; doch liebte er sie wahrhaft brüderlich und stellte sich auch vor, daß man einen Doppelraub an ihnen begangen hätte, um vielleicht einen andern Zrveig der Familie in den reichen Besitz eines alten vornehmen Geschlechts zu bringen;. denn daß er einem solchen entsprossen, war nach und nach zur fixen Idee bei ihm geworden.
In Mexiko «ngelangt, war Erick's Baar schüft so erschöpft, daß er daran denken mußte, einen Erwerb zu erringen, der ihm die nötigen Geldmittel zum Lebensbedarf sicherte. In gedrückter trauriger Stimmung trat er eines Abends in eine Trinkstube, und an einem der Tische dort Platz nehmend, fiel sein Blick auf eine da liegende Zeitung, die er mechanisch ergriff und durchlas. Da fand er auf der letzten Seite die Aufforderung von einem Landbesitzer, der einen Hauslehrer für seinen zehnjährigen Sohn suchte und demselben ein hohes Gehalt zusicherte. Die Hacienda lag einige Stunden von der Hauptstadt entfernt, der Besitzer desselben, Don Paeblo, der eben so stolz auf seine vornehme Abstammung wie auf seinen Reichtum war, hatte sein Haus mit einer Pracht und einem Luxus ausgestattet, wie Erick es bisher nie gekannt; doch heimelte ihn dieser Glanz an wie ein schöner Kmdertraum. Auch in Schweden gab es stolze, prächtige Schlösser; seine Wiege hatte vielleicht auch in einem Gemach gestanden, welches mit pmpurnen Vorhängen geziert, mit goldenen Gefäßen geschmückt war, und von diesem Gefühl durchglüht, empfand Erick durchaus nicht, welche geringe Stellung er in diesem Hause einnahm. Er trat dem stolzen Spanier eben so stolz entgegen und nahte sich Jsabella, der schönen Tochter des Hauses, wie jeder gleichberechtigte Gast desselben. Bald zog ihn sein Herz öfter in ihre Nähe, und auch sie fand in dem Umgänge mit dem jungen Fremden mehr Reiz, als ihr der Verkehr mit den Herren der Umgegend bisher geboten hatte.
So kam eS denn, daß, wenn Erick mit seinem Zögling einen Spaziergang unternahm, sich auch Jsabella daran beteiligte, so wie sie auch dem Unterricht ihres Bruders oftmals beiwohnte. Ob nun Don Paeblo von diesem Verkehr der jungen Leute unterrichtet oder ob es zufällig war? — Er trat unvermutet in das Schulzimmer als Erick gerade Jsabella ein Buch hinreichte und dabei sichtbar deren Hand in der seinigen festhielt, während seine Augen mit einer beredten Sprache die ihrigen suchten.
Wie ein gereizter Tiger sprang Don Paeblo auf Erick los, ihn am Arm erfassend, stieß er ihn zur Thür hinaus und rief mit donnernder Stimme: „Sie verlassen augenblicklich mein Haus, oder ich lasse Sie durch meine Sklaven fortpeitschen/
ErickS Stolz bäumte auf. Er hatte nichts gethan, um eine solche Behandlung hinzunehmen, und wenn Jsabella ihn liebte, warum sollte er nicht von ihrem Vater ihre Hand fordern dürfen? Aber liebte ihn auch Jsabella wahrhaft, oder hatte sie nur ihr Spiel mit ihm getrieben und seine Neigung ihrer Eitelkeit geschmeichelt? —
Ohne sein Zimmer wieder zu betreten, verließ er die Hacienda und eilte planlos weiter, dem nahen Walde entgegen. Von tiefen Seelenschmerzen zernagt, warf er sich in das Moos und gab sich dem Ausbruch heftiger Verzweiflung hin. Sein bisheriges Leben war verfehlt, sein Dasein wertlos; an Jsabella's Seite wäre ihm dasselbe aufs Neue erblüht, hätte er dem Glücke zujubeln können, denn er liebte sie mit der Kraft seiner reinen, starken Seele.
Es wurde Abend, noch immer lag Erick auf dem Erdboden, das Haupt unbedeckt, die Hände in das feuchte Gras gestallt. Das Thierleben des Waldes erwachte, Vögelstimmen wurden laut, Leuchtkäfer wiegten sich auf Blumen und Gräsern, von fern ertönte das Geheul eines Wolfes. Erick sprang empor; er mußte Jsabella noch einmal sehen und sprechen, mußte ouS ihrem Munde hören, ob er von ihrem Herzen nichts mehr zu hoffen habe. So näherte er sich mit einiger Vorsicht wieder der Hacienda, aus deren Fenstern Heller Lichtschein erglänzte. Schon wollte er daS Thor öffnen; die Hunde, welche da» Geräusch hallender Schritte vernommen, schlugen an; da nahte sich ihm leise eine alte Negerin und flüsterte ihm zu: „Ich suchte Euch lange und wartete jetzt aus Euch. Dorna Jsabella läßt Euch sagrn, daß Ihr fliehen mußt, soweit Euch Eure Füße tragen. Nicht nur Euer Leben, auch das ihrige ist bedroht/
Er wollte noch etwas sagen, aber sie drängte ihn gewaltsam von dem Thore und sagte: „Kein Wort, oder Ihr seid verloren, die Hunde wittern Euch; — sie kommen schon/
Die Negerin verschwand, als ob sie die Erde verschlungen hätte; die Hunde
sprangen an dem geschlossenen Gitter empor und heulten laut. Erick wankte dem Walde wieder zu.
Nach einigen Tagen fand ein Reisender einen erschöpften, fieberhaften Mann im dunklen Waldesdickicht und brachte ihn auf Umwegen in ein in der Nähe befindliches Krankenhaus, wo ein eben anwesender Missionär einer Brüdergemeinde ihn verpflegte, dis er nach Wochan genaß und in dessen Begleitung dann nach St. Thomas abreiste. Es war Erick Sparre. der gebrochen an Leib und Seele, unter das gastliche Dach der Brüder einzog. Geknickt in seinen stolzen Träumen, war er vor der Welt und der Berührung nut den Menschen von einem solchen Ekel erfüllt, daß er einen Trost darin fand, sich der frommen Gemeinde anzuschließen, und ein Mitglied ihrer Thätigkeit zu werden. Der Tod setzte seinem Streben bald ein Zeel; in der treuen Ausübung seiner Pflicht, hatte er sich auch bei der Pflege der am gelben Fieber Erkrankten beteiligt und war ein Opfer der herrschenden Seuche geworden.
Der Bruder Missionar, der einst Erick noch St. Thomas gebracht und dort noch in der Gemeinde waltete, war von Gustav aufgesucht worden und hatte ihm diese Mitteilungen gemacht, wie er sie aus dem Munde des Verstorbenen erfahren.
Erick tot, — Gustav fern! In diesem traurigen Geleise bewegten sich Carla's Gedanken. Draußen heulte der Sturm und der mit Schneeflocken durchmischte Regen schlug prasselnd an die Scheiben. Da streifte ein dunkler Schatten an dem Fenster vorüber und Carla bemerkte die hohe Gestalt eines Mannes, der bald an der Thür stand und klingelte.
Als Stina öffnete und nach dem zu meldenden Namen fragte, wurde ihr zur Antwort, er sei ein alter Freund von Frau Bannert der einzutreten wünsche.
Carla hatte die Worte vernommen, sie sprang empor und trat dem Fremden entgegen.
„Axel / rief sie freudig bewegt und streckte ihm die Hand zum Gruß entgegen, die er an seine Lippen zog und küßte. Dann führte sie ihn zum Sopha und neben ihm Platz nehmend, hörte sie mit gespannter Aufmerksamkeit auf seine Mitteilungen.
Diese mußten nicht freudigen Inhalts sein, denn Carla's Züge Nahmen einen immer ernsteren Ausdruck an und zuletzt traten Thränen in ihre Augen.
„Muß cs gleich sein?" fragte sie halbleise den Fremden.
„Ohne jeden Verzug", gab dieser ebenso zurück. Carla rief Stina herbei und sagte ihr, daß sie verreisen müsse und erst in einigen Tagen wiederkehren würde. Sie sollte das Haus gut verschlossen halten, und die kleine Thyra zu Fräulein Brlling bringen, an die sie ihr emen Brief mitgeben würde. Sie schrieb diesen eilig, packte einige Kleidungsstücke zusammen, küßte ihr Kind unter strömenden Thränen und verließ am Arme des Fremden das Haus. Stina sah Beide in einen Wagen steigen, welcher den Weg nach dem Hafen einschlug.
Margarethe Billig war sehr überrascht, als man ihr das Töchterchen und einen Brief von Frau Bannert überbrachte, in welchem diese sie flehentlich bat, für einige Tage die Pflege der kleinen Thyra zu übernehmen und diesen Liebesdienst auszuüben, bis sie von ihrer Reise zurückgekehlt sei.
Margarethe nahm das Kind auf den Arm und trug cs in ihr Zimmer, wo ste es weich bettete. Sie hatte sich während Bannerts Abwesenheit wieder Carla genähert und sie mit Aufmerksamkesten überschüttet, wenngleich dieselbe ihr wenig Interesse einflößte, ja ihr geradezu unangenehm war. Doch die Neigung für Bannert war in Margarethens Herzen noch nicht erloschen, noch immer bewahrte sie die Hoffnung, ihn einst ihr eigen zu nennen, und deshalb war sie auch liebreich gegen das Kind, weil es sein Kind war. Die Seiltänzerin, wie sie Carla nannte, würde ihn doch nicht immer fesseln können, und sich wohl einmal ein Grund auffinden lassen, sie ihm zu entfremden. Deshalb nahte sie sich Carla immer wieder und suchte sie durch Freundlichkeit zu umsticken, um eine Stelle aufzusinden, an welcher sie dieselbe verderben konnte.
Acht Tage verflossen, — Frau Bannert kehrte nicht zurück. Margarethe ging in das kleine Haus am Gammelstrand und ließ sich von der Magd alles erzählen, waS der Abreise vorangegangen war. Das Aeußere des Fremden? Stina hatte ihn vorher nie gesehen, es sei ein sehr großer, hübscher Mann gewesen. — Was er mit der Frau gesprochen,? forschte Margarethe weiter. Stina hatte es nicht verstanden, denn sie hatten in schwedischer Sprache geredet.
In tiefes Sinnen verloren ging Margarethe wieder heim. Da blitzte ein freudiger Gedanke durch ihre Seele: wenn Carla entflohen, mit einem Manne entflohen war, den sie von früher her kannte? Sie hatte ihn ja Axel genannt, wie Stina gehört, mußte also auf sehr vertrautem Fuße mit ihm stehen, da sie ihn beim Vornamen anredete.
Margarethe redete sich immer Mehr in diese ihr angenehme Vorstellung hinein. Da hätte ja das Schicksal, oder vielmehr Frau Carla selbst sich in ihre Hände gegeben ; nun mußte sie noch den letzten Trumpf ausspielen und Mutterstelle bei der kleinen Verwaisten ausüben, dann war ihr Bannert sicher, und sie hatte nicht umsonst seinetwegen alle Heiratsanträge abgelehnt.
Schwebenden Schrittes kam sie im Hause wieder an; noch nie hatte man sie dort so voll Güte und Nachsicht gegen ihre Umgebung gesehen, noch nie wie jetzt sie lachen hören. Das Kwd wurde bestens gepflegt und täglich mit einem weißen Kleidchen und rosa Schlesien geputzt; sie mußte ihrer inneren Freude damit Ausdruck geben.
N^ch einer Woche wederhote Margar-the ihre Nachfrage nach der abwesenden Haasftaa vel St na. D ese wußte w.eder n.chts. Jetzt stano es fest Carla war m t einem Liebhaber entflohen, und nur um der Form zu genügen, ging Margarethe nach ewiger Zeit nochmals in das kleine Haus am Gammelstrond.
Da überreichte ihr Stma einen großen Brief mit dem Poststempel Malmö. Die Adresse lautete an den Obersteuermann Bannert.
(Fortsetzung folgt.)