Beilage zum „Caliver Wochenblatt"
Nro. 149.
Jerricteton.
W e r fö H n L.
> Novelle von O. Otto.
(Fortsetzung.)
In gleichem Maße wie Carla's Talent zur Schauspielkunst hervortrat, entwickelte sie sich auch körpcrlich zu einer vollendeten Schönheit. Das braune lang aufgeschossene magere Mädchen nahm durch die jetzt ihr gebotene Ruhe und geregelte Lebensweise an Kraft und Fülle überraschend zu; die eckigen Glieder verschwanden in einer üppigen Rundung und die braune Hautfarbe löste sich in den mattgelben, sammetartigen Teint der Südländerinnen auf. Die nachtschwarzen Haare und die dunkelglühendrn Augen erhöhten noch ihren Reiz, und bald galt Carla Sparre als das schönste Mädchen in Kopenhagen, welches auch mit dem Selbstbewußtsein und den Ansprüchen eines solchen auftrat.
Der einige Jahr ältere Bruder, ein ernster junger Mann, wachte über Carla mit der Sorgfalt und Treue eines Vaters. Sie durste nur unter seinem Schutz auSgehen, und wenn sie die Bühne betrat, stand er zwischen den Coulifsen, und beobachtete sie und jeden der sich ihr nahte, mit scharfen Blicken. So sehr Carla dem Publikum gefiel, und so vielfach die Männerwelt ihr huldigte, konnte man nicht sagen, daß sie einen der jungen Herrn bevorzugt hätte, welche sich so eifrig um ihre Gunst bewarben. Blieb ihr Herz ungerührt, oder hielt der Bruder von demselben jeden leichtsinnigen Eindringling fern, — das wußte man nicht, aber der Ruf der schönen Carla blieb unangetastet und sie selbst zeigte immer dasselbe gleichmäßig freundliche Antlitz Allen, die ihr nahten.
Man feierte am 14. November in Kopenhagen OehlenschlägerS Geburtstag. Dänemark, stolz auf seinen ruhmgeklönten Dichter, suchte bei jeder Gelegenheit dessen Gedenken hervorzuhebrn und ihm auf dem Altar des Vaterlandes ein Dank- und Weihrauchopfrr zu bringen. Auf allen Bühnen der Hauptstadt wurde an diesem Tage ein Oehlenschläger'sches Drama aufgesührt, und auch das kleine Theater in Tivoli zeigte einen Alt aus Correggio mit Carla Sparre als Maria in demselben an. Da sie bisher nur im Lustspiel ausgetreten war, hatte sie sich ungern zu dieser Rolle verstanden, die sie nicht genügend auszuführen fürchtete; doch auch Guck redete zu und sagte: „Es geht ein ernster und inniger Zug durch Deinen Charakter, der vortrefflich zu der Maria paßt, die in Liebe und Hingebung für ihren Galten aufgeht. Ich verspreche mir gerade in dieser Rolle einen großen Erfolg für Dich, und hast Du einmal das ernste Fach betreten und gefällst darin, so mußt Du Dich weiter für eine große Bühne ausbilden. Die Bretter von Tivoli sind zu gering für Carla Sparre." Des Bruders Ausspruch war für Carla maßgebend und bewahrheitete sich auch, da sie mit mehr Applaus als je überschüttet wurde. Wenn auch manche Stimmen flüsterten, daß ihre eigentliche Begabung sich mehr >m Lustspiel geltend mache, war doch der Erfolg als Maria ein glanzvoller Punkt ihrer Bühnen-Laufdahn.
Bannert, der einen Platz in der ersten Reihe rrme hatte, war von Carla's Erscheinung und ihrem Spiel so hingerissen, daß er seine Umgebung ganz vergaß, mit glühenden Blicken jeder Bewegung der jungen Schauspielerin folgte und, — als ob er ihre Worte mit seinem Munde auffangen wollte, — die Lippen fortwährend öffnete und bewegte. Ein paar mal wiederholte er laut, was sie eben gesprochen. Die neben ihm Sitzenden sahen ihn dabei verwundert an und baten um Stille die« brachte ihn dann wieder zur Erkenntnis, wo er sich befand. >
Als die Vorstellung beendet und der Vorhang , gefallen war, sprang Bannert hastig auf und eilte nach der Ausgangsthür, wo er stehen blieb, dis Erick und seine Schwester in derselben erschienen, um das Theater zu verlassen. Carla hatte sich umgekleidet und in Bannerts Augen hob der schlichte dunkle Mantel ihre Schönheit noch mehr hervor, das kleine, schwarze Hütchen umgab ihr Gesicht noch lieblicher, als es >hm auf der Bühne erschienen. Da er mit Erick schon öfter zusammen gewesen war, machte er das Recht früherer Bekanntschaft geltend und bat, daß es ihm gestattet sei, da« Geschwisterpaar durch den Galten zu begleiten. Mit kühler Artigkeit willigte Erick ein, Carla neigte nur beistimmend den Kopf und beteiligte sich nicht an der Unterhaltung, die gezwungen und einsilbig blieb; es wollte Atz» rechtes Gespräch in den Gang kommen. Alan trat an einige Buden heran, desichtigta^ren Ausstellungen, ging m den mit bunten Lampen beleuchteten Gängen umher; doch als Bannert fragte, ob sie nicht m eine Restauration einkehren und dort gemeinsam zu Abend essen wollten, verneinte dies Erick kurz, indem er sagte, es sei jetzt an der Zeit, mit feiner Schwester heimzukehren.
Sie empfahlen sich rasch, und bald stand Bannert wieder allein.
Wie ein Betrunkener eilte er auf die Straße und dann in seine Wohnung; er wollte keinen Menschen mehr sehen oder sprechen hören, er mußte allein sein und sich Carla's Bild vergegenwärtigen, die Worte wiederholen, die er aus ihrem Munde vernommen halte. Obgleich er Correggio vorher weder gelesen, noch eine Aufführung desselben gesehen, hatten sich ganze Zeilen des Gesprächs zwischen Maria und Antonio seinem Gedächtnis so tief eingeprägt, daß er sie jetzt laut wiederholte. Er trat ans Fenster und es öffnend, sprach er in die Nacht hinaus:
„Er sah nicht ein, daß, was ich eben liebte,
Das war Dein Geist und Deine schöne Seele.'
„Ja, Carla, Deinen Geist und Deine schöne Seele liebe ich," wiederholte er mehrmals, in träumerisches Sinnen verloren. Er schloß das Fenster, warf sich auf da« Sopha und bedeckte beide Lugen Mit seiner Hand; dann murmelte er vor sich hin: „Mit welcher tiefen Innigkeit, mit welchem Silberton der Lrebe in ihrer Stimme sagte sie zu Michel:
»Das Höchste, das Gewisseste, ich weiß,
Zst, daß ich inniglich Antonio liebe.'
O, wenn ich solche Worte aus lbrem Munde aus mich anwenden dürfte, wenn ^ie von mir sagte: „ich werß, daß ich inniglich Gustav liebe." —
„Gustav Bannert, du bist ein Narr!" rief er laut; „bist alt genug, um vernünftig zu sein! Hast heute einen Traum ohne Schlaf geträumt; erwache, morgen weißt du nichts mehr davon. Jetzt zu Bette, ein wirklicher Schlaf soll die wirren Bilder dieses Abends verscheuchen. Die blaue Thetis soll mich im Traum umschweben, das Rauschen der Wellen mein Schlummerlied sein."
Doch der so angerufene Schlaf wollte sich nicht einstellen, die Erinnerungsbilder des vergangenen Abends tauchten immer wieder auf, und nicht die Meeres- göttin, sondern Carla Sparre war es, welche auch im Traum den Obersteuermann der Ophelia umgaukelte.
Drittes Kapitel.
Im Hause des Herrn Billing ging es heute hoch einher, es war der Geburtstag seiner Tochter, und er feierte denselben mit aller Verschwendung seiner väterlichen Liebe und seines Reichtums. Alle seine Bekannte, auch Bannert, waren zu einem großen Mittagsmahl geladen, und dieser hatte den Ehrenplatz neben der Tochter des Hauses erhalten. Margarethe Billing war heute besonders erheitert und kam ihrem Nachbar mit einer Freundlichkeit entgegen, die dessen Jugendfreund, Doktor Wansoe anregte, ihm über den Tisch zuweilen mit einem bedeutsamen Augenwinkern zuzunicken.
Die wasserblauen Augen Margarethens hatten ihren sonst harten Blick ge- sänstigt, sie konnte sogar ein gütigscheinendes Lächeln auf den schmalen Lippen Hervorrufen, und ihr mattgrünes Kleid war in so viele Puffen und Falten gelegt, daß man die eckigen Formen der hoch aufgeschossenen Figur weniger als sonst wahrnahm. Sie gab sich augenscheinlich alle Mühe, so hübsch und liebenswürdig als nur möglich zu erscheinen, was alle Anwesenden bemerkten, nur Bannert nicht, der zerstreut und wortkarg neben ihr saß.
„Sie sind so schweigsam, Herr Obersteuermann", begann Margarethe, „erzählen Sie mir doch, was in der Welt, ich meine in der Stadt, vorgeht. Ich verlasse so selten die Klausur meines väterlichen Hauses, daß ich nichts von dem Getriebe außerhalb desselben wahrnehme."
Bannert fuhr zusammen, als ob er aus schweren Gedanken aufgerüttelt würde. Er sollte sprechen, erzählen; — für ihn gab es nur ein Thema, welches seine Zunge lösen konnte.
„Waren Sie gestern im Tivoli-Theater?" fragte er.
Margarethe sah ihn befremdet an und sagte: „Nein, ich liebe weder die kleinen Bühnen, noch die mittelmäßigen Schauspieler derselben. Will ich mir einen Theatergenuß verschaffen, so wird mir dieser nur in der Oper oder in dem Königlichen Schauspielhause geboten."
„Ein solcher Genuß würde Ihnen gestern im höchsten Grade im Tivoli zu Teil geworden sein", unterbrach sie Bannert, „wenn Sie Fräulein Sparre als Maria in Correggio gesehen hätten. Es war dies eine Kunstleitung seltener Art, unterstützt durch die eben so seltene äußere Schönheit der Darstellerin, deren Figur und Gesicht an die klassischen Formen Griechenlands erinnern, welche durch den Meißel Thorwaldsens auch in unserem Norden bekannt geworden sind. Fräulein Sparre trägt die Züge von Thorwaldsens Morgenröte, wie diese Blumen streuend über die schlafende Erde schwebt."
Margarethe rückte ihren Stuhl etwas zurück und sagte mit einer merkbar spöttischen Betonung: „Meinen Sie unter Fräulein Sparre die Seiltänzerin Carla?"
„Seiltänzerin Carla?" wiederholte Bannert.
„Ja", fuhr sie mit lauter Stimme fort, „cs ist sicher dieselbe. Diese Carla und ihr Bruder machten vor ungefähr acht Jahren in dem Price'schen Volkstheater vor dem Wasserthor den guten Kopenhagenern Kunststückchen auf dem Seile vor. Ein solches Kunststück kostete dem Direktor das Leben, und um die beiden fremden Kinder nicht hier in den Straßen betteln oder verhungern zu lassen, nahm sie der Unternehmer des Tivoli zu sich und ließ sie für seine Bühne erziehen. Dies ist die Vergangenheit Ihrer gepriesenen Fräulein Sparre."
Eine dunkle Röte färbte Bannert's Antlitz, seine Augen glühten und die Stimme bebte, als er erwiderte: „Eine elternlose traurige Kindheit ist ein Unglück, aber kein Makel, der auf der Vergangenheit von Fräulein Sparre ruht, und ich wußte auch nicht, wie selbst ein solcher die höhe beeinträchtigen könnte, auf welcher sie turch Talent und Schönheit glänzt!" —
Bannert schwieg, Margarethe hatte sich abgewandt, als ob sie die letzten Worte nicht mehr gehört hätte; es trat eine peinliche Pause in der Unterhaltung ein.
Ein eigner Trotz kam über Bannert; er sprach nicht mehr mit Margarethe und ließ alle Schüsseln unberührt vorübergehen. Das Diner näherte sich dem Ende» der Champagner wurde herumgereicht; — er bemerkte es nicht. Als nun der Toast auf das Geburtstagskind ausgebracht wurde, nahm er den noch mit Rheinwein gefüllten grünen Römer und neigte denselben gegen seine Nachbarin; aber sie that, als bemerke sie seine Absicht nicht, stand auf und eilte zu ihrem Vater hin, dem sie etwas in's Ohr flüsterte.
„Alter Junge, heute hast Du sehr unschlau gehandelt, oder vielmehr gesprochen," rief Wansoe, als die Tafel aufgehoben war und er Bannert einsam in einer Fensternische stehen sah. „Die Million, welche Du schon ziemlich sicher in der Tasche hattest, ist wieder zweifelhaft geworden. Du hättest Deinen Enthusiasmus für die Schauspielerin nicht auskramen sollen; dergleichen gehört in die Weinstube, wenn wir unter uns sind, aber nicht vor den strengen Gerichtshof der strengen Sittfamkeit von Fräulein Billing. Sieh Dich einmal hier um, was Du Alles für ein hübsche« geschminktes Gesicht oufgeben willst; sieh Dir diese Marmor und Brokat strotzenden Räume, sieh diese Gemälde und Silbergeräte an, und bedenke, wie herrlich eS sich hier wohnen und herrschen ließ."
* (Fortsetzung folgt.)