636
und Pforzheim zerstört. In Württemberg, wo der Herzog und die Landstände in scharfem Gegensatz sich befanden, wurden in kurzsichtiger Weise die Hugenotten nicyt ausgenommen (wohl aber später die Waldenser in Neuhengstett u. a. Orten). Im Jahr 1688 suchten die Franzosen Heilbronn, Crailsheim, Eßlingen, Hohen- asperg, Schorndorf, (Verteidigung durch Weiber) Tübingen und Stuttgart heim; im Jahr 1692 verheerte der Mordbrenner Melac in greulicher Weise Mühlacker, Neuenbürg, Liebenzell, Hirsau, Zavelstein und Calw. (Näheres hierüber ist aus einem früheren Artikel dieses Blattes ersichtlich). Der Friede von RyLwick machte den Greueln ein Ende; Deutschland aber war allein der verlierende Teil. Ein derartiger Rückblick auf diese schlimme Zeit erweckt Dankbarkeit für die neue bessere Zeit und patriotische Freudigkeit, daß solch traurige Zeiten niemals wieder kommen dürfen.
Reutlingen, 7. Dezbr. Der Mangel an Futter, der im Lauf des Winters noch empfindlicher werden dürfte, machte sich in einer starken Zufuhr zum gestrigen Viehmarkt bemerklich. Von den etwa 1800 zugetriebenen Stücken Hornvieh jeglicher Gattung wurde wegen der sinkenden Preise nur ein kleiner Teil abgegeben; gegen 20 Wagen Großvieh gingen mit der Eisenbahn nach auswärts. Noch flauer war der Schafmarkt, dem gegen 8000 Stück zugeführt wurden, ein Trieb, dessen Stärke im Zusammenhang mit dem allgemeinen Niedergang auf diesem Gebiete die Preise drückt; gegen 1000 Stück kamen ins Ausland. Die zugetriebenen jungen Schweine in einer Anzahl von gegen 700 fanden rasch Abnehmer, dank der reichen Kartoffelernte.
Aus dem Gaildorfer Bezirk. Am letzten Sonntag wurden zwei von den Kirchen unserer Diözese, die im Laufe dieses Sommers erneuert und verschönert wurden, in feierlicher Weise wieder der Benützung übergeben. Es sind dies die alte Wallfahrtskirche in Herberg (Laufen a. K.) und die St. Kilianskirche in Oberfischach. Beide sind, jene in gothischem, diese in romanischem Stiel nach Plänen des Baurats Dolmetsch-Stuttgart gründlich und schön restauriert worden. Der Einweihung in Herberg wohnte der Vorstand der Diözese, Dekan Leypoldt, sowie der Baumeister selbst nebst zahlreichen Gästen aus der Nähe und Ferne an. Auch in Oberfischach fand der Einzug in das Gotteshaus in festlicher Weise statt, worauf der Ortsgeistliche, Pfarrer Braun, die Festpredigt und dessen Amtsvorgänger, Pfarrer Lubrecht-Michelbach eine Ansprache an die Gemeinde hielt. Ein in den Rahmen eines liturgischen Gottesdienstes gefaßtes Kirchenkonzert folgte dem einfachen Festmahl und gegen Abend sammelten sich die Festgenoffen noch einmal, um unter Gesang und Reden der Freude über das Gelingen des schönen Werkes weiteren Ausdruck zu geben. Eine besondere Zierde des Oberfischacher Kirchleins bildet ein von Kunstmaler von Treeck gemaltes Chorfenster, den auferstandenen Christus darstellend. Zu den Kosten des letzteren hat
der Verein für christliche Kunst einen namhaften Beitrag verwilligt, wie auch der Vorstand desselben schon vor 40 Jahren sein warmes Interesse für die Erneuerung der Kirche bekundet hatte.
Freiburg, 7. Dez. Einem hiesigen Studenten wurde von seinem 17jährigen Diener während seiner Abwesenheit sämtliche Kleider, Effekten und Schmuckgegenstände im Gesamtwert von über 1000 ^ entwendet und ist derselbe damit verschwunden. In dem Kasten des ungetreuen Dieners wurden mehrere geöffnete Briefe vorgefunden, welche demselben von seinem Herrn zur Besorgung übergeben, von ihm aber wohl in der Meinung, daß solche Geld enthielten, unterschlagen worden waren. Auch stellte sich noch weiter heraus, daß der Bursche zum Nachteil der Firma Menner hier einen Betrug verübt hat, indem er auf den Namen seines Herrn eine größere Partie Hüte und Mützen geholt und solche mitgenommen hat.
Feldkirch. Letzten Freitag 2. Dezember begab sich eine Gesellschaft St. Galler Herren zur Jagd in das Gamperdonathal bei Nenzing, dessen Pacht sie seit einigen Jahren inne haben. Unter den Jagdgästen befand sich ein junger Mann von 19 Jahren namens Bonanno, Sohn einer angesehenen Familie in Messina, der in St. Gallen zur Erlernung der deutschen Sprache sich aufhielt. Dieser war zu früh von seinem Stande gegangen und kam in die Schußlinie eines Jagdgastes Meier aus St. Gallen, welcher sein Gewehr losdrückte und statt eines Hirsches den jungen Italiener traf. Dieser stürzte sofort zusammen und wurde zu Thal nach Nenzing gebracht, wo ihm ärztliche Hilfe zuteil wurde; leider vergebens, denn die schwere Verwundung war mit einem sog. Expansionsgeschoß geschehen, das baldigen Brand hervorrief. Der Arme starb unter großen Schmerzen in der folgenden Nacht. Der unglückliche Schütze war aufs höchste bestürzt und wurde zum Gericht nach Bludenz gebracht, wo er nach seiner Vernehmung gegen Kaution auf freien Fuß gestellt wurde.
Bischweiler, 8. Dezbr. Gestern kam das 4jährige Kind einer Arbeiterfamilie in Abwesenheit der Mutter dem Ofen zu nahe. Die Kleider fingen Feuer, und die zurückeilende Mutter fand das Kind in vollen Flammen. Das bedauernswerte Mädchen wurde sogleich dem hiesigen Spital überliefert, jedoch sind die Brandwunden so schrecklich, daß eine Genesung des Kindes kaum zu erhoffen ist.
— Das „Berl. Tageblatt" meldet aus London: Der Viermaster ,;Bendouran", von San Franzisko mit Getreide nach England unterwegs, ist mit 32 Mann Besatzung untergegangen.
Uermischtes.
NeueVerkehrsordnung für die Eisenbahnen Deutschlands. Mit dem 1. Januar 1893 treten in den Grundlagen des Eisenbahnfracht
rechts erhebliche Veränderungen ein. An Stelle des Betriebs-Reglements vom Mai 1874 tritt jetzt die Verkehrsordnung für die Eisenbahnen Deutschlands (Nr. 41 des ReichS-Gesetzbl.) Gleichzeitig wird das internationale llebereinkommen über den Eisenbahn- Frachtverkehr vom 14. Oktober 1890 wirksam, welches zwischen Deutschland, Belgien, Frankreich, Italien, Luxemburg, den Niederlanden, Oesterreich-Ungarn, Rußland und der Schweiz vereinbart wurde. Sodann kommen speziell für den Verkehr auf den Eisenbahnen in Oesterreich und Ungarn unter der Benennung „Betriebs-Reglement" nahezu gleiche Bestimmungen in Wirksamkeit, wie sie die Verkehrsordnung für die Eisenbahnen Deutschlands enthält. Endlich wurde zwischen Deutschland und Oesterreich-Ungarn eine Vereinbarung zu dem Zwecke getroffen, um für Gegenstände, die vom internationalen Transport ausgeschlossen oder nur bedingungsweise zugelassen sind, im gegenseitigen Verkehr leichtere Bedingungen zu schaffen. Was den Güterverkehr betrifft, so wird nunmehr für den inneren deutschen Verkehr das neue Frachtbrief-Formular der Verkehrsordnung» dagegen für den Verkehr, der sich auf Grund des internationalen Uebereinkommens vollzieht, das in diesem aufgestellte Formular zur Anwendung kommen. D i e Verwendung der bisherigen Frachtbrief- Formulare ist vom 1. Januar 1893 an nichtmehr zulässig. Die Eisenbahnverwaltungen haben wie seither die Verpflichtung, auf Verlangen des Absenders den Empfang des Gutes zu bescheinigen und zwar entweder auf einem Frachtbrief-Duplikat oder, wenn es sich nicht um ganze Wagenladungen handelt, auf einem Aufnahmescheine. Die Ausfertigung erfolgt auf einen im Frachtbrief zu stellenden Antrag; im internationalen Verkehr erfolgt sie auch ohne Antrag. Von hervorragender Bedeutung unter den neuesten Bestimmungen ist der Wegfall der seitherigen Beschränkung des Schadensersatzes bei Verlust oder Beschädigung von Gepäck, Expreßgut, Tieren und Gütern auf einen Normalsatz. In Zukunft hat die Eisenbahn den gemeinen Handelswert, in dessen Ermanglung den gemeinen Wert am Ort der Ablieferung zu ersetzen und bei Beschädigung den ganzen Betrag des Minderwertes zu bezahlen. Eine Wertversicherung durch Angabe des Wertes im Frachtbriefe findet nicht mehr statt. Dagegen ist aus dem internationalen Uebereinkommen die Einrichtung der „Deklaration des Interesses an der Lieferung" in die Verkehrsordnung übernommen. Hiedurch ist ermöglicht, sich gegen Zahlung eines Frachtzuschlags nicht nur im Fall des Verlustes oder einer Beschädigung einen den Wert des Guts übersteigenden Ersatz des nachgewiesenen weiteren Schadens, sondern auch, wenn nur die Lieferfrist versäumt ist, den Ersatz des hiedurch entstandenen Schadens in einem höheren Betrage zu sichern, als die Eisenbahnverwaltung in Ermanglung einer solchen Deklaration zu gewähren verpflichtet wäre. Für die Berechnung der Lieferfristen sind — abweichend von dem internationalen Ueber-
dann teilten sich die Falten des Bettschirms, «ine schmale weiße Hand wischte mit einem feinen Tuche die Schweißtropfen von der Stirn deS Liegenden, und ein Paar dunkle Augen schauten aus der Kaputze sorgenvoll auf das schmerzdurchzogene Antlitz desselben.
Draußen heulte der Sturm und der Regen schlug prasselnd an die kleinen Fensterscheiben. Die See ging hohl und ihr Brausen ertönte oft donnergleich durch dir Lootsenstraße. Es war ein arges Unwetter, welches erst nach Mitternacht ausgebrochen war. Auch der Kranke schien dessen Einfluß zu empfinden, er warf sich unruhig hin und her und streckte die Arme oft hoch empor.
„DaS Bramsegel fällt", schrie er wild auf, dann richtete er sich empor und sah mit den erloschenen Augen umher. „Ulrich," rief er, „gieb mir zu trinken, der Durst verbrennt meine Zunge!*
Alles blieb still. „Ja," fuhr er fort, „da liege ich nun allein und verlassen und habe Niemanden, der mir einen Trunk Wasser reicht! Der Junge schläft, erschöpft von des Tages Arbeit, soll er noch in der Nacht Krankenwärter-Dienste^bei mir thun; das hält er nicht aus, er Hot keinen starken Körper. Aber sie, die mich verlassen hat, sie. — die zu mir gehörte, — verflucht!" —
Ein Seufzer schallte durch das Gemach.
„Ulrich, bist Du da? rief der Kranke. Alles blieb still. „Allein, allein, sprach dieser weiter. „O wäre ich bei meinen armen Negern geblieben, sie würden treu bei mir ausharren, und ich jetzt nicht umsonst nach einem Trunk verlangen, der meine beißen Lippen kühlt."
Da öffnete sich die Thür, der junge Mann trat wieder ein.
„Da bin ich, Oheim," sagte er; „Du hast mich wohl vermißt, ich hörte Dein Rufen schon vom Flur auS."
.Komm' Ulrich," stöhnte eS vom Bette her, .komm' und reiche mir das Wasserglas und dann — dann bleibe bei mir. Ich habe vorher die bös» Träume gehabt, sie war hier, Carla war hi«*» sie wischte mir den Schweiß von der Stirn,
es war ihre Hand, ich fühlte es deutlich, ihre schmale weiße Hand berührte mich'- wie in den Tagen des Glücks. Und solche Träume, die reiben mich auf, die bringen mich zur Raserei. Bleibe hier, damit sie nicht wiederkehren."
„Ich bleibe bei Dir, Oheim, ich will jetzt nur die Lampe höher schrauben."
Ulrich nahm die Lampe zur Hand, sie verlöschte.
„Was machst Du da?" klang es vom Bette her.
„Die Lampe ist ausgegangen, ich werde nach der Küche gehen und sie wieder anzünden. Verzeih', wenn Tu einige Minuten im Finstern bleiben mußt."
Ulrich hatte laut gesprochen, dann ging er mit starken Schritten durch das Zimmer in den Flur. Hinter ihm schlich noch eine Gestalt her, so leise, so unhörbar, daß kein lauter Athemzug ihre Anwesenheit verriet; erst im Flur stand sie still.
,O, Ulrich," schluchzte sie leise, „welche unsagbare Qual habe ich erduldet, als er um Wasser bat, und ich cs ihm nicht reichen durfte, um mich nicht zu verraten? Dieser Kampf ging über meine Kraft. Doch nun muß ich eilen, der Wagen wird warten."
„Thyra", sagte der Angeredete, „ich habe auf meinem Wege hierher keinen wartenden Wagen bemerkt, und es ist unmöglich, daß Du jetzt allein heim gehen kannst. Das Unwetter tobt mit furchtbarer Gewalt, Du mußt hier warten, bis der Wagen kommt, um Dich abzuholen. Du kannst nicht zehn Schritte gehen, ohne durchnäßt zu werden. Ich habe nicht einmal einen Mantel hier, um Dir denselben anzubitten, und den Schirm reißt Dir der Sturm aus der Hand."
„Halte mich nicht auf," entgegnet« sie, „ich darf hier nicht länger verweilen. Bedenke, wenn meine Hauswirtin ahnt, daß ich die Nacht über nicht heimgekehrt war; wenn sie am Morgen früh, wie es ihre Gewohnheit ist, mein Zimmer ordnen will, und ich nicht anwesend bin, so ist mein guter Name auf ewig gebrandmarkt. Schon ist eine Stunde über die Zeit verflossen, welche ich drm Kutscher zu meiner Abholung bestimmt batte; er muß den Auftrag verschlafen haben, und ich nun zu Fuß dräch Hause gehen, ehe der Tag anbricht. Lebewohl!" (Forts, folgt.)