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und gepfiffen haben sollen. Die Strolche sind erst aus dem Zuchthaus entlasten worden.
Ulm, 19. Nov. Wochenmarkt. Zugeführt waren gegen 300 Säcke Kartoffeln zum Preise von 1.50—3 Eier kosteten 7 --Z, hundert 6 ^; Butter
95 ^ bis 1 Zufuhr in Geflügel stark; Gänse kosteten 3—4.50 Enten 1.50—2 Holzmarkt
stark, ebenso Heu- und Strohmarkt. Futterpreise ziehen bei starker Nachfrage an. Fleischpreise notieren: Ochsenfleisch 65—75 Schweinefleisch 60—68 -H, Kalbfleisch 50 Rindfleisch 60—65 --Z, Hammelfleisch 40—45 -H, Hasen kosten 2.50—3
Tuttlingen, 16. Nov. In Eßlingen Amt Donaueschingen hat OA.-Thierarzt Reichte von hier, im Stalle des Bauern I. Bertsche bei einer Kuh eine Mißgeburt zur Welt geschafft. Das Kalb hatte 2 Köpfe, 2 Hälse, 5 Füße, ein abnormer Fuß ging am Bug aufwärts. Zwei Füße und ein Kopf mußten entfernt werden, dennoch mit harter Mühe wurde der Geburtsakt vollzogen. Das Muttertier ist zur Zeit wohl.
Biberach, 15. Nov. Am letzten Sonntag nachmittag entfernte sich die Frau eines hiesigen Metzgers und Wurstfabrikanten auf kurze Zeit aus ihrem Laden, um Würste zu holen. Die Thüre wurde abgeschlossen, jedoch der Schlüffe! nicht abgezogen. Als die Frau zurückkam, war die Ladenkasse mit etwa 50—70 ^ Inhalt verschwunden. Den eifrigen Nachforschungen unserer Polizei gelang es heute, die Diebe, drei hoffnungsvolle Bürschlein im Alter von 13—15 Jahren, zu ermitteln. Von diesen hat einer eine Lustreise nach Ulm gemacht, ein zweiter einen schönen Revolver angeschafft. Die Jungen sind hinter Schloß und Riegel gebracht.
Mannheim, 19. Nov. Die Südd. Tabakszeitung erfährt aus Berlin, daß die Regierung beabsichtige, außer dem Tabak vor allem das Bier in hervorragendem Maße zu den Kosten der Militärvorlage heranzuziehen. Die Regierungsabsicht, den Tabak-Zoll um 30 ^ und die Tabak-Steuer UM 10 zu erhöhen, werde bestätigt.
— Der deutsche Kaiser obliegt gegenwärtig dem Herbstjagdvergnügen, wird aber zum 22. Nov. wieder in Berlin sein, um den Reichstag zu eröffnen. — Die Militärvorlage soll in einer der ersten Sitzungen des Reichtags durch eine längere Rede des Reichskanzlers, Grafen Caprivi, begründet werden. Ueber die Aussichten der Militärvorlage läßt sich heute noch keine Vermutung anstellen. — Im preußischen Landtag scheint eine große Mehrheit für die Steuerreformvorlagen gesichert zu sein.
Rede an Luthers Geburtstag
(10. Nov. 1892) von Hrn. Stadtpfarrer Eytel. (Wegen Raummangel verspätet.)
Vor wenigen Tagen, am 375sten Geburtstag der Reformation, haben sich die deutschen evg. Fürsten und die Abgesandten der deutschen evg. Landeskirchen
in Wittenberg um den Kaiser zu einer denkwürdigen Feier versammelt. Die Schloßkirche, an deren Thür Luther die 95 Sätze über den Ablaß angeschlagen hat, ist aus der Zerstörung, in die sie in Zeiten der Not geraten war, durch die Arbeit der 3 deutschen Kaiser herrlich wiederhergestellt, und nun eingeweiht worden zu einem Denkmal der Reformation. In ihrem Innern stehen die Bildnisse der Reformatoren, an den Wänden die Wappen und Namen der evang. Länder und Städte, in ihrer Gruft ruhen Luther und Melanchthon, und eine Thüre trägt in Erz gegossen jene 95 Thesen, die den ersten Schlag im Kampf um die Glaubensfreiheit geführt haben. Der Kaiser und fein Gefolge aber haben in feierlichen Worten das Bekenntnis ausgesprochen, daß sie an den Errungenschaften der Reformation festhalten und ihrem Geiste treu bleiben wollen.
Dieses Fest hat in allen evang. deutschen Herzen einen freudigen Wiederhall gefunden, und unter seinem Eindruck stehend feiern wir heute den Geburtstag Martin Luthers. Wir würden ihn freilich auch ohne jenen Vorgang festlich begehen. Wir sind evangelische Christen; auf der Reformation ruht unser Geistesleben und Luthers gedenken, heißt sich auf die Wurzeln unserer Kraft besinnen. Es ist doch wunderbar, wie die Erinnerung an den großen Mann unser Herz immer von neuem ergreift und erhebt. Wir wollen versuchen uns diese Thatsache zu deuten.
Luther muß uns ergreifen, denn er ist die Verkörperung seines Werkes. Seine That lebt in seiner Verson; wer den Mann nicht kennt, versteht unsere Kirche nicht. So ist es ja bei allen großen Fortschritten der Menschheit. Wenn ein rechter Held da ist, geschieht eine große That, die ist nach seiner Art, und durch lebendige Menschen hat Gott seiner Welt noch immer weiter geholfen!
Luther ist die lebendige Reformation, nach ihren beiden Seiten, nach der evangelischen wie nach der protestantischen.
Das ist freilich der innerste Kern seines Wesens: dieses heilige, sehnende Suchen nach der ewigen Wahrheit, nach dem Frieden mit Gott, nach Gott selbst. Wer kann sich genug vertiefen in dieses glühende, angstvolle, wahrhaftige Herz, das keine Ruhe findet, als in Gott allein! Ihm waren alle Güter der Welt nichts gegen das eine: einen gnädigen Gott zu haben. Wie hat er sich verzehrt um ihn zu finden! Wie selig war er, als er ihn gefunden hatte, und seines Glaubens gewiß war! Das war wohl eine tiefe Einsamkeit, als er so suchte. Denn er ging nicht darauf aus, mit Menschen in Verbindung zu kommen; alles Herkommen, alle altheiligen Ordnungen, alle kirchlichen Lehren und Autoritäten konnten ihn nicht befriedigen. Im Suchen und Finden war er die meiste Zeit allein, aber allein mit seinem Gott, und je weniger er seinen himmlischen Reichtum von anderen empfing und bei anderen wiederfand, um so völliger erfüllte und durchdrang sein Glaube sein ganzes Wesen. Luthers tiefe Frömmigkeit, seine Gottinnigkeit und Gottesgemeinschaft, sein ehrfürchtiges Gottvertrauen, seine brennende Liebe zu seinem Herrn
und Heiland muß man kennen, um dem Wesen der Reformation auf den Grund zu kommen.
Aber ebenso anschaulich ist in ihm die andere Seite der Reformation verkörpert: die protestantische. Wir segnen das Andenken der Reformation wegen ihrer standhaften Auflehnung gegen alle Verderbnisse der damaligen Kirche. Aber dieser Befreiungskampf so gewiß er nach dem Herzen des ganzen deutschen Volkes war, er ist eben doch im Grund Luthers persönliches Werk gewesen. So war er, daß er ihn führen konnte und mußte. Er konnte nicht den gefundenen Schatz in stillem Herzen hegen, und die Welt um sich her gehen lasten wie sie ging. Die Not, welche ihm seine Kirche gemacht hatte, erfüllte sein Herz mit flammendem Zorn gegen ihre verblendeten Häupter und mit thatkräftigem Mitleid mit dem armen Volk, dem der Weg zum Frieden so schmählich verlegt war. So wurde er in den Streit geführt und so focht er ihn durch. Er protestierte zuerst gegen den Mißbrauch des Ablasses, dann gegen den Ablaß selbst; anfangs kämpfte er nur gegen den Mißbrauch der kirchlichen Gewalten und des Papsttums an ihrer Spitze; dann als er das Wesen durchschaute, gegen die ganze Gewaltherrschaft Roms und seiner Klerisei. Er protestierte gegen jede Menschensatzung in Glaubenssachen, gegen alle Knechtung des Gewissens, gegen jede menschliche Autorität, welche sich zwischen Gott und Menschen eindrängt. Was war das ein gewaltiger Kampf! Wider die nicht von Gott, aber von Jahrhunderten geheiligten Ordnungen der Kirche, wider Papst und Konzil, wider Mönchtum und Gelübde, wider die tiefst eingewurzelten Sitten und Gebräuche! Was für eine ungeheure Freiheit wohnte in diesem demütigen Herzen! Der Mann, der in seinem Leben der Obrigkeit und aller menschlichen Ordnung willig unterthan war, nahm es auf sich, dem Kaiser und den Fürsten zu widersprechen, von Adel- und Bauernstand verkannt zu werden, seiner Freunde wohlgemeinten Rat in den Wind zu schlagen; er trug den Vorwurf des pietätlosen Hochmuts, der lieblosen Rücksichtslosigkeit, er trug die Schimpfnamen aller, die je ein Heiligtum entweiht haben — aber er wußte, daß er für das einzig wahre Heiligtum kämpfte, für das Wort Gottes, für das Evangelium Jesu Christi und darum war er frei von Menschenfurcht und Menschendienst, ein wahrer König im Reich des Geistes. Wahrlich, wer je in heiligem Zorn protestieren mußte gegen das Böse in jedweder Gestalt, der fand immer sein leuchtendes, befreiendes Vorbild an dem Vorkämpfer des Protestantismus.
Allein die ganze Größe dieses seltenen Mannes ist damit noch nicht erschöpft. Unsere Herzen gehören ihm, weil er als die lebende Reformation zugleich auch das verkörperte deutsche Wesen ist. Er war unser, das hat das deutsche Volk stets empfunden: von unserem Fleisch und Blut, von unserer Geistesart. Alles an ihm ist deutsch, vom Wirbel bis zur Sohle; auch auf seinen höchsten Höhen führt er den deutschen Bodengeschmack mit sich. Er hat sich zeitlebens mit Stolz als deutschen Bauernsohn gefühlt. Aus hartem, knorrigem Holz geschnitzt, fest bis zum
Ich heiße Edmund Sartorius, bin Rechtsanwalt in Frankfurt und gegenwärtig auf Besuch bei meinem Freunde Althaus in Birkenhof."
Ein erfreutes „Ah!" antwortete mir, zugleich hörte ich Christian vor sich hinbrummen : „Wer zu den Althaus'schen kommt, muß kein Schlimmer sein! Wo steckt denn der olle dämliche Schimmel ? Denn werd' ich man nach Grünheide Hindämeln!"
.Grünheide?" rief ich. „Liegt das hier so in der Nähe? Grünheide, wo Herr Witte wohnt?"
.Kennen Sie ihn auch?" fragte die junge Dame.
„Ihn selbst wenig, desto besser seine schöne Tochter Thekla."
„Ja, Thekla ist wirklich schön."
Es klang aufrichtig bewundernd, kam auch kein „Aber," kein Tadel für Herz oder Charakter danach. Ich half Christian aufs Pferd, was nicht ganz leicht ging, und schärfte ihm noch einmal möglichste Eile, Schlitten, Pferd und Laterne ein.
Ja, ja, wenn ich man überhaupt hinfind' nach Grünheide in dem verdammten Schnee!" Damit verschwand er wie ein Nebelstreif.
„Nun kommen Sie aber her zu mir in den Schlitten. Nein, sofort! Sie wollen sich wohl bei dem Unwetter auf den Tod erkälten? Hierher bitte! Ich reiche Ihnen die Hand. Da haben Sie ein Stü ck von der Pelzdecke! Wickeln Sie sich gut hinein!"
„Wenn Sie selbst nur nicht kalt werden!"
„Bewahre! Aber meinen Namen bin ich Ihnen noch schuldig: Olga von Monkwitz!"
Eine reizende Situation, in der That! Da saß ich in enger Nachbarschaft mit ihr, die mir Freund Hermann als einen „kleinen Teufel" geschildert, im Schlitten in stockfinsterer Nacht beim tollsten Schneetreiben auf der Straße. O, Frau Hedwig, wie wurde dein Wunsch, ich möge diese junge Dame kennen lernen, seltsam erfüllt!
Ich lüstete meine überschnelle Pelzmütze bei Nennung ihres Namens.
„Wissen Sie irgend etwas von mir?" fragte sie nach einer kleinen Pause ein wenig schücktern. Es klang zutraulich und lieb, wie bei einem Kinde.
„Mein Freund Althaus und seine Frau sprachen neulich von Ihnen, sie bedauerten es, daß Sie verreist waren!"
„Ja, ich war bei meiner Schwester und bin früher zurückgekommen als verabredet war, um meinen Vater am Neujahrsmorgen zu überraschen. Er hat niemand auf der Welt so lieb wie mich!"
„Das muß ein schönes Gefühl für Sie sein."
„Sehr schön! Aber auch verantwortlich. Wenn man sich gegenseitig lieb hat, macht man große Ansprüche aneinander und muß sich doppelt vor Hetzer Kränkung, jeder Uebereilung hüten!"
„Also eine anspruchsvolle Natur sind Sie?"
„Da, wo ich liebe, ja! Es soll ja auch Menschen geben, die gar nichts für sich selbst beanspruchen, sich daran genügen lassen, zu lieben und nichts mehr zu begehren. Zu denen gehören wir aber nicht, mein Vater und ich; er giebt mir, so viel er kann, ich thue das gleiche!"
Während dieser Auseinandersetzungen schüttete der Schnee über uns her in unerschöpflicher Fülle. Wir klopften und schüttelten an unfern Hüllen und Decken, aber gleich lag olles wieder voll weißer Flocken. Die beiden Pferde vor dem zerbrochenen Schlitten senkten ergebungsvoll die Köpfe; kalt war es nicht, der Wind blies weniger heftig, und es fror mich nicht im mindesten neben «einer Nachbarin.
(Fortsetzung folgt.)