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burtstag feierlich zu begehen, hatten sich gestern abend im badischen Hof Männer und Frauen der evangel. Gemeinde ziemlich zahlreich eingefunden. Hr. Stadtpfarrer Eytel entrollte in markigen Worten ein Bild des so einzig dastehenden gewaltigen deutschen Geistes, in dem er ausführte, in Luther sei die Reformation sowohl nach der evangelischen als auch nach der protestantischen Seite verkörpert; er sei ein Mann von echter, tiefster Frömmigkeit gewesen; er habe sich nur aufgelehnt gegen die herrschenden Mißbräuche in der Kirche, gegen die verblendeten Häupter derselben, die dem armen Volk den Weg zum Frieden schmählich verlegten, gegen den Mißbrauch des Ablasses und dann gegen diesen selbst, gegen die ganze Gewaltherrschaft Roms und seiner Klerisei, gegen alte Menschensatzungen im Glauben und gegen gewisse Ordnungen der Kirche. Frei von aller Menschenfurcht habe Luther in weitgehender Freiheit auch dem Kaiser und den Fürsten widersprochen, aber auch alle Schmähungen erduldet, da er wußte, daß er für das einzig wahre Heiligtum kämpfe, als ein König im Reich der Geister, als das leuchtendste Vorbild des Protestantismus. Die evangelischen Herzen gehören aber auch deshalb Luther an, weil er eine Verkörperung deutschen Wesens sei, alles an ihm sei deutsch gewesen, mit Vorliebe habe er sich einen deutschen Bauernsohn genannt, deutsch sei sein großer Tiefsinn, der die Geheimnisse Gottes und der Menschen erforschte, deutsch sein sonniges, warmes und heiteres Gemüt gewesen; anhänglich an Fürst, Vaterland und Freunde, empfänglich für alles Schöne und Edle, für Gesang und alle rechtschaffene Arbeit, ein Muster eines rechten Hausvaters, mute er uns an als ein ganz echter Mensch und kraftvoller deutscher Mann. Dieses Bild der hohen Gestalt sollen sich deshalb die Evangelischen nicht trüben lassen, sondern im Sinne des großen Reformators ruhig Weiterarbeiten und in seinem Geist das angefangene Werk fortführen. Stehend sang sodann die Versammlung das Lutherlied „Ein feste Burg ist unser Gott". Hr. Unterlehrer Staig er trug das Gedicht „Luther und die Bannbulle" vor, worauf Hr. Rektor Müller einen Rückblick auf die Ausbreitung und Zurückdrängung des Protestantismus gab, die Jesuitenfrage, die Beschlüsse des letzten vatikanischen Konzils und die Katholikentage beleuchtete und zum Eintritt in den evangelischen Bund, zur Wahrung der deutsch-protestantischen Interessen aufforderte. Der nächste Redner, Hr. Prof. Haug, feierte Luther als den ersten deutschen Schulmann, als den eigentlichen Gründer der Volksschule; es sollte deshalb die Jugend diesen Mann nie vergessen; überhaupt sollten und könnten alle Evangelischen, welcher Stimmung sie auch angehören, an Jesum Christum, als dem Mittler zwischen Gott und den Menschen festhalten und unter diesem Panier sich scharen, dann könnten uns unsere Feinde bei solch geschlossener Einheit nichts anhaben. Aeußerst ansprechend und mit feinem Humor gewürzt sprach Hr. Dekan Braun über den großen Reformator und seine besonders hervortretenden Charakterzüge, dabei bemerkend, daß wir dann eigentliche Nachfolger
Luthers seien, wenn jeder an sich selbst reformiere, was zu verbessern notwendig sei. Mit dem Choral „Lobe den Herren" fand die einfache, aber erhebende Feier ihren gelungenen Abschluß.
Calw. Auf nächsten Mittwoch hat laut Anzeige im heutigen Blatte der K. Württ. Hofschauspieler Emil Richard einen Recitationsabend im bad. Hof hier angekündigt, der nach allem über die Leistungen des Hrn. Richard bekannten zahlreich besucht werden dürfte. Herr N., welcher ehemals Kaufmann war und später Schauspieler geworden ist, hat sich nun schon seit Jahren sowohl in der Darstellung ernster Piecen als auch in der Wiedergabe feiner Humoresken einen weitbekannten Ruf erworben. Ueber ein Gastspiel des Hrn. R. in Pforzheim schreibt der dortige „Anzeiger": „Seine Leistung war wieder von packender Wirkung, drastisch, liebenswürdig, gemütvoll und mit vollendeter Decenz wiedergegeben. In dem Einakter „Jochen Päsel" gab Hr. Richard ein Prachtstück realistischer Komik, das ihn ohne Weiteres neben Junkermann stellt. Das Publikum weinte geradezu vor Vergnügen über diese unwiderstehliche von Herzen kommende und zu Herzen gehende Komik."
^ ^ I-*- Neuweiler, 9. Novbr. Aus Anlaß der s chier stattgefundenen Gemeinde-Visitation hat letzten Montag der neugewählte Vorstand des landwirtschaftlichen Bezirksverejns Hr. Oberamtmann Lang eine Gau-Versammlung im Gasthaus z. Lamm hier veranstaltet und als Gegenstand der Verhandlung Erörterungen über die Raiffe isen'schen Darlehenskassen auf die Tagesordnung gesetzt. Vor äußerst zahlreicher Zuhörerschaft von hier und auswärts legte Hr. Oberamtmann Lang die Grund- und die Vorzüge dieser Kassen, namentlich auch für die ländliche Bevölkerung in gemeinfaßlichem Vortrage dar und gab der Versammlung die seither üblichen Statuten dieser Darlehenskassenvereine kund. Hr. Pfarrer Storz dankte dem Hrn. Vorstand für diese gefälligen und wohlaufgenommenen Worte seiner Auseinandersetzungen und empfahl den hiesigen Einwohnern die alsbaldige Gründung eines Darlehenskassenvereins. Sofort zeichneten sich 31 Mitglieder ein, welche Hrn. Schultheiß Strehler als ihren Vorsteher und Hrn. Pfarrer Storz als Vorsitzenden des Aufsichtsrat bestellten. Möge dieser neu gegründete Verein seinen Genossen bald ebenbürtig zur Seite stehen und zum Heil und Segen der hiesigen Einwohnerschaft wirken. — Auch über ein altes Schmerzenskind, eine Straße dem Teinachthal entlang, wurde in besonderer Versammlung mit den Beteiligten Beratung gepflogen. Wir geben uns der frohen Hoffnung hin, dieses Projekt bald verwirklicht zu sehen, umsomehr als wir nach dieser Richtung hin schon längst stiefmütterlich behandelt wurden.
Cannstatt, 5. Novbr. Die Daimler- Motoren-Gesellschaft hier hat einen Motorwagen (sog. Daimler-Wagen) ausgeführt mit etwa 1'/-pferdigem Motor, der zum Befahren von neuen Straßen von beliebiger Beschaffenheit wie auch von
bergigem Terrain bis zu 10 und 12°/» Steigung bestimmt ist. Der Wagen ist zweisitzig gebaut und ruht auf 4 Rädern, welche aus Hickoryholz mit Stahlreifen und Stahlnaben bestehen. Eine kräftige Bremse ist im Stande, den Wagen in raschem Abwärtsfahren auf wenige Meter zum Stillstand zu bringen. Der Motor, der unter den Sitzen angeordnet ist, wird mit rektifiziertem Petrol betrieben, was weder Rauch noch Geruch erzeugt. Eine Bedienung des Motors während des Ganges ist nicht nötig; es genügt, alle Stunden, einmal nach dem Oel und Kühlwaffer zu sehen.. Die Fahrgeschwindigkeit ist regulierbar auf 6, 12 oder 18 Kilometer pro Stunde und erreicht auf guter ebener Chaussee bis zu 22 Kilometer.
Ochsenbach OA. Brackenheim, 7. Nov. Gestern feierte der hiesige Bürger und Bauer Jakob Stüber und seine Ehefrau Margarethe, geb. Rommel, 86 und 85 Jahre alt, im Kreise von Kindern und Enkeln und unter Teilnahme der Kirchengemeinde das seltene Fest der diamantenen Hochzeit. Das Ehepaar ist. geistig noch frisch und der Ehemann körperlich so- rüstig, so daß er die meisten Feldgeschäfte noch verrichten kann. Das Paar hat es durch Fleiß und Sparsamkeit und durch den Segen Gottes zu Wohlstand gebracht und hat infolge dessen einen ruhigen und sorglosen Lebensabend.
Aalen, 9. Nov. Der seit etwa 8 Tagen verheiratete Bahnhoftaglöhner Geiger von hier, fand gestern nachmittag auf jämmerliche Weise den Tod. Der Zug nach Wasseralfingen, an welchem er zu thun hatte, war abgefahren und Geiger wollte eben das nächste Geleise überschreiten, ohne zu bemerken, daß auf demselben ein Zug einfuhr. Nun wurde er von der Maschine erfaßt und überfahren; dabei schnitten ihm die Räder den oberen Teil des Kopfes weg.
— Das neue Reichstagsgebäude soll im Jahre 1894 seiner Bestimmung übergeben werden.. Die Ausschmückung des Gebäudes mit Bildwerken und Malereien kann jedoch bis dahin nicht beendet sein und soll nach und nach in den folgenden Jahren vollendet werden. Die künstlerische Ausschmückung des Gebäudes wird, wie bekannt, nicht aus den bereiten Baumitteln bestritten werden, man wird die dafür erforderlichen Summen im Reichshaushalt ansetzen. In Betracht kommen zunächst solche Bildhauer- und Malerarbeiten, welche womöglich bis zur- Eröffnung des Gebäudes fertig zu stellen sind. Dahin gehören eine Germaniagruppe, Figurengruppen und Reiterstandbilder an den Stirnseiten, sowie im Innern,. Ausschmückung der großen Halle und der Eingangshallen, sowie Deckenmalereien im Langsaale der Restauration.
Gottesdienste
am Sonntag, den 13. November.
Ernte- und Herbstdankfest.
Vom Turm: 53. Predigtlied: 66. Vorm.-Predigt: Herr Dekan Braun. 1 Uhr. Christenlehre mit den Töchtern. Abends 5 Uhr Eesangs- gottesdienst in der Kirche: Herr Stadtpfarrer Eytel..
sellenwirtschaft an, und ich konnte Betrachtungen darüber anstellen, wie in Birkenhof, auf meines Freundes Wohnsitz, jedes Möbel, jedes Gerät, seine eigene trauliche Physiognomie aufwies, während bei mir alles kahl und nüchtern aufgereiht stand, ohne eine Spur von Poesie. Und ich hatte Sinn für Poesie, ich hatte sogar als Primaner und Student im ersten Semester Verse gemacht, die wir damals sehr schön erschienen waren. Seufzend ging ich ins Restaurant, verzehrte die unausweichliche „Brühe," den Hühncrflügel oder das Beefsteak, das ich nie ohne innerlichen Argwohn musterte, ein paar Gläser „Echtes" war noch das Beste an der ganzen Mahlzeit, dabei redete man Politik, wobei auch nichts Erfreuliches herauskam, machte einen Skat und hörte sehr oft dieselben Witze, und seufzend setzte ich dann.mich an meinen Schreibtisch zu den Akten, neben mir eine Flasche Rotwein, über meinem Haupt eine schlecht brennende Hängelampe und im Busen wehmütige Gefühle.
Ich besuchte im Winter ziemlich viele Gesellschaften, die Frankfurter waren wirklich „lieb zu mir, sie luden mich häufig ein," und meistens amüsierte ich mich auch ganz gut, hatte angenehme weibliche Tischnachbarschaft und plauderte ganz vergnüglich mit derselben. Aber, weiß der Himmel, ein so recht gemütlicher Familienverkehr, nach dem ich nun gerade Verlangen trug, wollte sich nicht finden. Unsere geselligen Formen sind so verteufelt zugespitzt, kaum macht man in einem Hause Besuch und zeigt die Absicht, in nähere Beziehungen zu der Familie zu treten, sofort sind drei Dutzend Basen bei der Hand, die es im Vertrauen ihren intimsten Freundinnen unterbreiten, man habe Absichten auf die Tochter des Hauses. Eine reizende Situation! Natürlich wenn die drei Dutzend Basen nicht gleich das Richtige getroffen haben, zieht man sich sackte zurück, die Tochter des Hauses wird bei zufälligen Begegnungen verlegen, die eigene Unbefangenheit gerät ins Wanken, und damit ist die Sache, die man harmlos genug begann, zu einem unerquicklichen Abschluß gekommen. Ich kann durchaus nicht behaupten, daß man auf mich Jagd gemacht habe, dazu bin ich nicht eitel, auch nicht reich genug. Immerhin aber kann ich mich,
ohne Ruhm zu melden, einen leidlich gut aussehenden Menschen von gesicherter Stellung und einigem Vermögen, eine „annehmbare Partie" nennen, und daß die Mütter mir dies zuweilen schon recht deutlich und die Töchter „durch die Blume" zu verstehen gaben, will und kann ich nicht leugnen.
Oft sagte ich mir: „Heiraten möchtest Du, das steht fest, also besinn' dich nicht lange, greif zu!" Aber eben, ohne Besinnen ging es nie ab, es war also das Richtige nicht, und je älter, desto bedenklicher wurde ich auch. Nicht daß ich so ungeheure Ansprüche an meine Zukünftige erhoben hätte! Aber so etwas wie ein Ideal trug ich in meiner Seele, etwa ein Ebenbild von Frau Hedwig Althaus, nein, doch etwas anderes, aber so ungefähr in den Grundzügen! Sollte denn das durchaus nicht zu finden sein? Nein, es war nicht zu finden, wenigstens nicht in Frankfurt an der Oder, und immer mehr kam ich dahinter, wie glücklich und beneidenswert mein Freund Althaus im Vergleich zu mir war!
Daß mich der „Liebe heil'ger Götterstrahl" blitzähnlich treffen würde, daran dachte ich nie; meine Naturanlage, mein ganzes Temperament, mein Alter (ich war über die Mitte der Dreißiger hinweg) schloß das aus. Nein, es mußte eine ruhige, wohlüberlegte Herzens-, aber auch Verstandesneigung sein, alles sollte zu einander stimmen und passen, harmonisch abgetönt, doch es fand sich nichts! In ganz sentimentaler Stimmung, die durch einen ungenießbaren Hammelbraten im Restaurant, ein plötzlich entlaufenes Bedienungsmädchen, trostlose häusliche Zustände eben recht verstärkt war, schrieb ich an meinen braven Hermann eine rührende Elegie und erhielt umgehend einen herzlichen Brief seiner liebenswürdigen Frau, in welchem sie mir Trost zusprach, mich zum Dezember dringend zu sich einlud, es ohne weiteres übernahm, mir, falls ich fünf bis sechs Wochen bei ihnen bliebe, eine — Frau zu. verschaffen. -
(Fortsetzung folgt.)