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Mastfelle, weshalb auch namentlich diese Ledersorte schwer anzubringen war. Sohlleder war schwach zugeführt und ohne Preis-Veränderung, während Schafleder selbst bei kleinem Angebote sich nur schwer auf dem bisherigen Preise behaupten konnte. Der nächste Ledermarkt findet Dienstagden 4. Oktober d. I. hier statt.
Mergentheim, 2. Sept. In der vergangenen Nacht sind zu Rengershausen zwei Scheuern mit ihrem ganzen Inhalt von Frucht und Futter abgebrannt. Der entstandene Gebäudeschaden belauft sich auf 1900 Die Beschädigten haben ihr
Mobiliar versichert.
Tettnang, 1. Sept. Ein hiesiger Geschäftsmann drang dieser Tage in das Parthienzimmer des hiesigen Amtsgerichts ein und drohte den anwesenden Zustellungsbeamten mit einem großen Küchenmesser zu erstechen. Der Beamte konnte sich noch schnell zur Thüre hinausflüchten, und schloß dieselbe ab, worauf der Rasende verhaftet und zur Beobachtung seines geistigen Zustandes ins hiesige Spital verbracht wurde.
Gut Kaltenberg bei Tettnang, 2. Sept. Vorgestern traten in hiesiger Gegend und wie es scheint auch in anderen Gegenden bis gestern anhaltende Gewitterregen ein; abzuwarten bleibt, ob derselbe für die noch zu erntenden Hopfen schädlich war, oder insofern nützlich war, daß dadurch Schlimmeres aufgehalten wurde. Heute haben wir wieder prachtvolles Wetter, die Ernte wird im hiesigen Bezirke nunmehr rasch zu Ende kommen. Die in Farbe, Wuchs und Güte so vorzüglichen und hervorragenden Tettnanger resp. Württemberger Hopfen haben ihren gestiegenen Preis am Nürnberger Markte voll und ganz behauptet.
— Ein frecher Betrug wurde in Karlsruhe dieser Tage verübt. Am 19. August kam ein fremder Herr inBruchsal an und ließ sich in einem Hotel ein Zimmer zum Umkleiden geben. Er legte dort die Uniform eines Militär-Assistenzartes, welche er bei sich geführt, an. In dieser Uniform begab er sich nach Karlsruhe und bestellte bei einem Juwelier mehrere Brillantringe zur Auswahl, von welchen aber jeder wenigstens 300 ^ kosten sollte. Er bemerkte noch, daß die Ringe nicht für ihn selbst, sondern für Dr. N. in Bruchsal seien, der für seine Braut einen solchen Ring kaufen wolle, und gab die Adresse, so wie er sich in Bruchsal ins Fremdenbuch eintragen ließ an, an welche die Ringe geschickt werden sollten, worauf er wieder nach Bruchsal zurückreiste. Dort erklärte er, es werde ein Wertbrief an ihn eintreffen. Am andern Tag kam an die angegebene Adresse ein Brief, der mit 3000 deklariert war, aber über 4000 ^ Wert gehabt hat. Die Post nahm an der Abgabe des Wertbriefes Anstand, weil sich der angebliche Doktor nicht genügend ausweisen konnte. Da jedoch der dortige Hotelier die Identität desselben bestätigte, wurde dem Fremden die Sendung ausgefolgt,
worauf derselbe mit den Ringen abreiste. Bei näherer Nachfrage hat sich das ganze Manöver als Betrug herausgestellt. Der Fremde war kein Militär-Assistenzarzt, sondern ein Hochstapler.
Aus Dortmund 2. Sept. wird geschrieben: Den schwer heimgesuchten Hamburgern soll von hier aus Hilfe kommen. Der Vater des hier stationierten Aichungsinspektors der Provinz Westfalen, Hauptmann a. D. Will, ein Arzt in Ostpreußen, hat nacy hinter- lafsenen Schriften bei der Choleraepidemie, die in den 30er Jahren Ostpreußen heimsuchte, mit einem einfachen Mittel großartige Erfolge erzielt. Nach den Versicherungen des nunmehr verstorbenen Arztes (der Sohn bestätigt es) ist kein Kranker, der das Mittel rechtzeitig bekommen, an der Cholera gestorben. Das Mittel besteht aus Aether und Phosphor. Nach dem Gutachten des Kreisphysikus, Geh. Rat Dr. Hagemann, ist es geeignet, die Nerventhätigkeit anzuregen, worauf es bei den Cholerakranken hauptsächlich ankommt. Hr. Will hat sich nunmehr mit Gerichtschemiker vr. Kaysser hier in Verbindung gesetzt, der das Mittel in größeren Mengen angefertigt hat. Heute geht die erste Sendung nach Hamburg ab. Möge es den versprochenen Erfolg haben.
Hamburg, 2. Sept. Gegenüber den sehr verbreiteten Stimmen in der Presse und in der öffentlichen Meinung Deutschlands überhaupt, daß die Hamburger Behörden die ihnen obliegenden Pflichten in sanitärer Beziehung nicht oder nicht mit der nötigen Energie und Umsicht erfüllt haben, schreiben die „Hamb. Nachr.": „Wir dürfen der Haltung der leitenden Behörden sowohl wie der Gesamtbevölkerung ohne Selbstlob wohl das Zeugnis ausstellen, daß sie sich in besonnener und männlicher Weise, wie bei dem großen Brand vor 50 Jahren, bewährt hat. Soweit menschliche Kräfte reichen, ist im Lauf der letzten Woche alles geschehen, um dem allgemeinen Leid mit den Waffen ärztlicher Kunst und administrativer Anordnung tapfer entgegenzutreten. Von vielfacher Seite hören wir von Leistungen freiwilliger Nächstenliebe, von aufopfernder Hingabe an die Pflichten des Amts oder Berufs, der einen großen Teil unserer Mitbürger mit der verheerenden Krankheit in Berührung bringt. Das sind Eigenschaften, die unsere Bevölkerung von guter Seite kennen lehren und durch die That" beweisen, daß Hamburg sich auch in der Bedrängnis wert und würdig erweist, einen Teil der großen deutschen Volksfamilie, ein lebenskräftiges Glied des deutschen Reiches zu bilden."
— Amtlicher Cholerabericht. Am 1. Sept. wurden in Hamburg 626 Erkrankungen, 116 Todesfälle zur Anzeige gebracht.
— Unter den Hamburger Ziffern für den 1. September 626 und 116 sind 266 nachträglich gemeldete Erkrankungs- und 11 Todesfälle der vorhergehenden Tage inbegriffen. Die Erkrankungen haben gestern gegen vorgestern etwas zugenommen, die Todes
fälle wesentlich abgenommen. Insgesamt sind bisher 4514 Erkrankungen und 1894 Todesfälle gemeldet. 3917 Erkrankte und 1877 Tote wurden transportiert.
— Am 1. ds. kam aus Westerland-Sylt ein direkter Extrazug mit etwa 150 Badegästen in Berlin an, und am 2. folgte ein zweiter. Die Badegäste fliehen aus diesem und andern Nordseebädern, weil dieselben von Hamburgern überschwemmt werden. In Sylt war, obwohl ein Cholerafall dort nicht vorgekommen ist, durch die Ankunft von Hamburgern eine Art Panik ausgebrochen, die dahin geführt hat, daß die Badegäste in oorporo den Badeort in Eile verlassen.
— Aus Florenz wird gemeldet: Die Stadt ist durch eine furchtbare Familien-Tragödie in die größte Aufregung versetzt. Der Telegraphen- Kontrolor Michel Angiolo, welcher vor wenigen Tagen seine Gattin durch den Tod verloren hatte, ergriff aus- Verzweiflung hierüber seine beiden Töch- terchen im Alter von fünf und drei Jahren und stürzte sich mit denselben vor den Augen des entsetzten Schwiegervaters vom vierten Stock auf die Straße herab. Alle drei blieben tot.
Vermischtes.
Der Gescheiteste gibt nach. Manschreibt dem „N. Tagbl." folgendes lustige Stücklein: Die stattliche Gänseschaar von Jettenburg bei Tübingen scheint sich durch die neue Telephonleitung aufs höchste belästigt gefühlt zu haben. Diese Leitung war nämlich von dem ahnungslosen Techniker mitten durch die gewohnte Flugbahn der gefiederten Haustiere geführt worden. In den heißen Tagen des August, wo auch ruhigere Wesen bisweilen in Hitze kamen, scheint es im Rat der Gänse beschlossen worden zu sein, die neue Kette, die sich über ihr Dasein spannte, mit bekanntem kapitolinischen Mute zu sprengen. Dreimal versuchten sie mit elementarer Gewalt den stürmischen Anlauf. Das erstemal ohne Erfolg; das zweitemal mit bewundernswerter Energie, denn eine amtliche Stelle wußte zu berichten, daß eine oder etliche der Heldinnen „bereits ganz tot" auf dem Platz geblieben seien. Endlich beim dritten Sturme sollte es der todesmutigen Schaar gelingen: eben war der Draht Träger eines wichtigen gerichtlichen Gespräches, als er und es mitten entzweigerissen wurden. Die Gänse und jene amtliche Stelle, die schon mit Klage drohte, hatten gesiegt. Ein Reisiger sprengte im Sonntags- gewande zu Fuß nach der nächsten — nein, nach der Tübinger Telephonstelle, des Feuerreiterlohnes gewärtig, und meldete den Thatbestand. Der Techniker ging hin und fand — wenn auch keinen Gänsebraten, so doch die Sache richtig und die Beschwerde begründet, und so baute er eiligst die telephonische Leitung an dieser Einbruchsstelle — den Gänsen zur höchsten Befriedigung — um etliche Nieter höher. Hoffenlich ist sie jetzt gegen solche Feinde gesichert!
aber unter demselben quollen goldrote Locken hervor, welche Regina's Vermutung neue Nahrung gaben; jetzt zog die Fremde die Klingel am Nachbarhause und schlug zugleich den Schleier zurück der — Olga's Züge verhüllt hatte. Eine unwillkürliche Bewegung, vielleicht auch ein leiser Laut Regina's ließen Olga erschreckt aufblicken; sie legte den Finger auf die Lippen und verschwand dann im Hause, dessen Thür sich inzwischen geöffnet hatte.
Bevor sich Regina von ihrem Staunen erholt hatte, erschien das Mädchen wieder und meldete, Frau Mason sei nicht im Nachbarhause gewesen; Regina bestellte Grüße an Frau Mason, nannte ihren Namen und fragte dann wie beiläufig:
„Wissen Sie zufällig, wer hier nebenan im Hause wohnt?"
„Eine Familie Eggleston, gnädiges Fräulein; eS soll den Leuten nicht zum Bellen gehen — so viel ich gehört, ist es eine Malerfamilie/
Regina dankte und entfernte sich langsamen Schrittes; der Heimweg führte durch einen der zahlreichen Parks, welche New-Dork verschönern; eine Schar fröhlicher Kinder tummelte sich auf den freien Plätzen und warf einander mit Schneebällen. Regina schaute lächelnd dem lustigen Treiben zu, als sich plötzlich eine schwere Hand auf ihren Arm legte und die derbe Gestalt eines ziemlich ärmlich gekleideten Mannes vor ihren bestürzten Blicken stand. Seltsamer Weise hatte Regina die Empfindung, als müsse sie diesen Mann bereits früher gesehen haben; «ährend sie sich indes bemühte, sich seiner zu erinnern, redete er sie an und sobalv sie die rauhe Stimme vernommen, wußte sie auch, daß eS Hannah'S Vetter war, der damals auf dem Kirchhof mit ihr gesprochen hatte.
„Guten Tag, Regina," sagte der Mann, „es ist wirklich an der Zeit, daß Du mich kennen lernst."
Die unverschämt vertrauliche Anrede machte Regina's Blut stocken; sie bemühte sich, seine Hand abzuschütteln, aber dieselbe hatte sich gleich einer Klammer um ihren Arm gelegt und mit höhnischem Lachen fuhr der Mann fort:
„Weißt Du, wer ich bin?"
„Ich weiß, daß Sie Peter heißen und ein böser Mensch — der schlimmste Feind meiner Mutter sind."
„Hm — die kleine Natter sticht schon! Wie ich mit Deiner Mutter steh-, meinst Du zu wissen, daß ich aber Dein Vater bin, scheint Dir nicht bekamt zu sein, ha?"
Regina erbleichte und ihre weit aufgerissenen Augen starrten entsetzt auf den Sprechenden.
„Es ist eine Lüge," stammelte sie endlich außer sich „es kann nicht wahr sein!"
„Na, das muß ich sagen — besonders höflich bist Du nicht," knu-rte der Fremde, „ein Wunder ist's freilich nicht — hast Du mich doch niemals gesehen und Deine Mutter ließ sich's angelegen sein, Dich im Haß gegen mich zu erziehen!"
„Meine Mutter hat mir niemals mitgeteilt, wer mein Vater ist, aber daß Sie es nicht sein können, sagt mir mein Herz! Ich glaube, ich würde wahnsinnig werden, wenn ich denken müßte, ich wäre ihre Tochter! Und jetzt lassen Sie mich los, oder ich rufe einen Polizisten zu Hülfe!"
Mit diesen Worten zog Regina ihren Arm aus den Händen des Unverschämten ; er blickte sie an und meinte dann:
„Schrei immerhin — wenn der Polizist erscheint, soll er erfahren, daß Du meine Tochter bist und daß Du Dich Deines Vaters schämst! . . . Allem Anscheine nach hat Mmnie Dir auch nicht gesagt, wo Du geboren bist, he? Ach, daß ich's erleben muß, daß mein eigen Kmd sich von mir abwendet und die Polizei gegen mich zu Hilfe rufen will!"
Bei den letzten Worten schlug seine Stimme in einen weinerlichen Ton um und er fuhr sich mit der schwieligen Hand über die Augen. Regina stand unsicher und zweifelnd vor dem Mann, der sie Tochter nannte — seine Worte trugen das Gepräge der Wahrheit — war's möglich — hatte er das Recht, sich ihren Vater zu nennen?
(Fortsetzung folgt.)