425
Rußland, d. h. die Gewährung der herabgesetzten Getreidezölle, bekämpfe das Zentrum aufs entschiedenste, als die Landwirtschaft schwer schädigend und weder aus volkswirtschaftlichen noch aus politischen Gründen geboten. Diese Aeußerung ist bezeichnend für die gegenwärtig bei der klerikalen Partei herrschende Stimmung, welche vor einigen Monaten erst die Handelsverträge durchsetzen-half und sich dieser Leistung nicht genug zu rühmen wußte. Schw. M.
München, 21. Aug. Bei dem heute Nacht ausgebrochenen fürchterlichen Unwetter brannten durch einen Blitzschlag 3 Häuser ab. Der orkanartige Sturm richtete erheblichen Schaden an Gebäuden, Telegraphenleitungen und Feldfrüchten an.
— In Sontra (Provinz Hessen) hat es an mehreren Stellen zugleich gebrannt. Die Erntevorräte sind vernichtet, viel Vieh ist umgekommen. 400 Menschen sind obdachlos.
Berlin, 20. August. Der Kaiser hat das nach achtmonatlicher Arbeit vollendete gräfliche Diplom dem Reichskanzler Grafen Caprivi persönlich am Donnerstag abend nach dem Prunkmahl im neuen Palais überreicht. Das Diplom enthält sieben Seiten Text. Auf der ersten Seite steht der Titel des Kaisers, umrahmt von Arabesken auf goldenem Grunde, darüber am obern Rande die Königskrone im Strahlenglanze. Die zweite bis vierte Seite bringen die Gründe für die Erhebung in den Grafenstand, in welchen der Verdienste des Reichskanzlers um den Abschluß der Handelsverträge mit Oesterreich-Ungarn und Italien gedacht ist, den Akt der Erhebung, die Bestimmungen über die Erblichkeit der Würde, die Beschreibung des Wappens. Die fünfte Seite bringt das Wappen selbst. Es ist das alte Caprivische Wappen, ein gravierter Schild mit gekröntem rotem Herzschilde, in welchem ein silberner Göpel, unter dem Wappen erblickt man ein reizend ausgeführtes koloriertes Miniaturbild von Helgoland zwischen brandenden Wogen. Die sechste und siebente Seite bringen die Fortsetzung der Beschreibung des Wappens. Die Unterschrift lautet: „So geschehen und gegeben auf unserm Palais bei Potsdam den achtzehnten Tag des Monats Dezember nach Christi unseres Herrn Geburt im eintausend achthundert und ein und neunzigsten und unser königlichen Regierung im vierten Jahre. IV. U."
— Ein Berliner Telegramm der „Frkf. Ztg." meldet: Die Ansprache des Kaisers an die höheren Offiziere nach der letzten Parade wird jetzt authentisch bekannt, und es ergiebt sich, daß diese Aeußerungen einen wesentlich anderen Sinn haben, als man nach bisherigen unvollkommenen Berichten annehmen konnte. Der Kaiser hat zunächst im Anschluß an die Kritik über die Parade in sehr lebhaften, nicht mißzuverstehenden Worte sein Erstaunen ausgedrückt, daß in letzter Zeit in steigendem Maß militärische Interna in die Tagespresse gelangten, dar
unter solche, die rein theoretischer Natur seien, wie über die Echießversuche mit Gewehren neuen Kalibers. Besonders mißbilligte er die Preßerzeugnisse, die nur rein militärischen Federn entsprungen sein könnten, und welche die geplante Heeresvermehrung sehr verschiedenfach beurteilten, insbesondere aber iveugehende organisatorische Einschränkungen aus Ersparnisrssck- sichten bei einer etwaigen Einführung der zweijährigen Dienstzeit als möglich erörterten. Derartige Erörterungen über eine Militärvorlage, der er noch gar nicht zugestimmt habe, gehörten ins Gebiet der Phantasie. Die zweijährige Dienstzeit erscheine weiten Kreisen als eine zeitgemäße Einrichtung; sie sei aber ohne Gewährung ganz besonderer Gegenleistungen nicht denkbar. Sollte etwa die Mehrheit des Reichstages nicht patriotisch genug sein, mit einer Vorlage, die auf der zweijährigen Dienstzeit beruht, gleichzeitig die erwähnten notwendigen Ergänzungen derselben zu bewilligen, dann erkläre er, daß ihm immer noch eine kleine gut disziplinierte Armee lieber sei als ein großer Haufe.
— Das „Berl. Tagbl." meldet aus Triest: Der „Mattino" teilt aus Adelsberg mit, bei den am Karst manövrierenden Truppen seien in den letzten Tagen gegen 200 Sonnenstichfälle vorgekommen. Vorgestern seien fünf, gestern sechs Personen daran gestorben.
* Antwerpen. Die hiesigen Deutschen, in deren Händen sich die größten Firmen und Rhedereien Antwerpens befinden, haben durch ihren außordent- lichen Wohlthätigkeitssinn wiederholt die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Beispielsweise verdankt das hiesige Hospital Louise-Marie sein Dasein der Munificenz einer Fräulein Tiedemann; das großartige Seemannshaus wurde von einer Frau Grisar gestiftet, und als im vorigen Winter das Elend besonders groß war, da waren es hauptsächlich Deutsche, welche je Tausende von Francs für die Stadtarmen hergaben. Das Alles ist nicht unbemerkt geblieben und hat den Deutschen mächtige Sympathien erworben, die sich in interessanter Weise zu bethätigen beginnen. So war z. B., um nur einen Fall herauszugreifen, zu dem letzten Konzerte in der Königl. Harmonie ein vollständig deutsches Programm aufgestellt und die Benutzung eines deutschen Flügels bei demselben vorher ausdrücklich bekannt gemacht worden; eine Erscheinung, welche allerdings zum Teile wohl auch darauf zurückzuführen ist, daß, als dem bekannten Pianovirtuosen Felix Dreyschock vor kurzem anläßlich seines Auftretens im Thsatre classique de Schott in Brüssel und Lüttich die Wahl zwischen einem großen Konzertflügel von Erard in Paris und einem zufällig disponiblen kleinen Formats von Nud. Ibach Sohn in Barmen anheimgestellt wurde, der Künstler sich nach kurzer Prüfung zu allgemeinem Erstaunen für den letzteren entschied und darauf kolossale Erfolge erzielte. Früher hatten derartige Konzerte einen vollständig französischen Charakter, heute dagegen haben sie einen
durchaus deutschen; weil eben das Deutschthum Hierselbst außerordentliche Fortschritte macht u«d die hiesige deutsche Kolonie sich eines Ansehens erfreut, wie dies bei keiner andern Antwerpens auch nur annähernd der Fall ist. Wenn man in Deutschland alle Ursache hat, diese Thatsache mit Genugthuung zu begrüßen, so sollte man dagegen dort auch nicht vergessen, daß der deutschen Kolonie in Antwerpen eine schwere Last aufliegt; nämlich die Unterstützung der außerordentlich großen Zahl von Deutschen, die alljährlich auf der Durchreise von oder nach Deutschland, oder um sich hier in Antwerpen eine Existenz zu suchen, hier ein- treffen. Es sind ganz bedeutende Summen, welche die hiesigen Deutschen dem „Unterstützungsverein für hilfsbedürftige Deutsche in Antwerpen" jedes Jahr zuwenden und doch reichen diese Zuwendungen bei weitem noch nicht, um all' unfern unglücklichen Landsleuten, welche sich hier so häufig ohne ihr Verschulden in der bittersten Not befinden, zu helfen. Möge daher dieser Verein auch in Deutschland allen denjenigen, welchen das Schicksal ihrer auswandernden Landsleute nicht ganz gleichgültig ist und die gerne zur Linderung menschlichen Elends ihr Scherflein beitragen, hiermit angelegentlich empfohlen sein.
Catania, 23. August. Bewaffnete Räuber nahmen gestern den Baron Spitaleri nebst Sohn, sowie die Gräfin Cianciolo gefangen und ließen dieselben am Abend gegen 160000 Francs Lösegeld frei.
— Der Hitze wird es zugeschrieben, daß am 18. Mittags ein Teck der Dynamitfabrik in Cugny, nahe bei Fontainebleau, infolge einer plötzlichen Zersetzung von Nitroglyzerin in die Luft sprang. Die 4 Arbeiter, die bei der Mischung beschäftigt waren, hatten bemerkt, daß einer der Glyzerinhähne sich erhitzte, und ihn unter Wasser gesetzt, dann aber rasch die Flucht ergriffen. Eine Minute später fand die Explosion statt. Dabei wurde einer der Arbeiter an der Stirn verletzt. Der Schaden ist beträchtlich. Ein 10 Meter langes, 6 Meter breites und 6 Meter hohes Gebäude aus Backsteinen wurde zerstört, und was darin war, 30,000 Bleiröhren, Kessel, Kufen re., bis auf eine Entfernung von 600 Metern gewaltsam zerstreut. Zum Glück war Niemand unterwegs und die Explosion kostete keine Menschenleben.
Briefkasten.
D em annonymen Einsend er. Die Frage, ob durch die Pchuttablagerung bei der kathol. Kirche das Flußbeet nicht zu sehr verengt und dadurch bei Hochwasser die Gefahr für den nächst unteren Stadtteil nicht in bedenklicher Weise vermehrt werde, ist schon da und dort zur Sprache gekommen und darf auch im Wochenblatt eine Anregung hiezu gegeben werden. Sie sollten es aber doch für billig halten, wenn wir wenigstens wissen möchten, mit wem wir es zu thun haben. Ihr Vorschlag, mit der Auffüllung einzuhalten bis ein erfahrener Wasser-Fluß- Bautechniker darüber befragt sei, ist gewiß am Platze, doch dürfte dies schon geschehen sein.
dahingegangen, aber die sanften blauen Augen blickten trotzdem heiter und voll Gottvertrauen und die feingeschnittenen Lippen hatten trotzdem das Lächeln nicht verlernt. Frau Mason saß in ihrem Sessel; auf dem kleinen Tisch vor ihr lag die aufgeschlagene alte Bibel, aber die alte Dame las nicht, sondern blickte lächelnd auf Regina, welche am Boden kauerte und mit einer schönen weißen Angorakatze spielte.
„Also Herr Palma ist nach Washington?" fragte Frau Mason jetzt.
„Ja — doch wird er in diesen Tagen zurückerwartet," antwortete Regina, „da fällt mir übrigens ein, Frau Mason, daß Sie kürzlich gesprächsweise erwähnten, Sie hätten Frau Palma früher gekannt — bezog sich dies auf die jetzige Frau Palma oder ihre Vorgängerin?"
„Auf die zweite Frau Palma,' sagte Frau Mason; „ich kannte sie früher sogar sehr gut und ich habe nicht leicht eine strahlendere, glücklichere Braut gesehen, als Louise Aston — so hieß sie. bevor sie den Lieutenant Neville, einen jungen, liebenswürdigen Marine-Osfizier heiratete. Es war ein gar kurzes Glück — der junge Gatte ertrank beim Scheitern seines Schiffes im Meerbusen von Biecaya, noch bevor sein Töchterchen das Licht der Welt erblickte. Louise Neville geberdete sich wie unsinnig beim Tode ihres Gemahls, aber da kaum zwei Jahre später heiratete sie Herrn Godwin Palma — einen sehr reichen, aber finsteren und strengen Mann. Das Verhältnis zwischen Louise und dem schon ziemlich erwachsenen Stiefsohn war niemals besonders gut; als der ältere Herr Palma plötzlich starb, focht Louise das Testament an, welches Elliot Palma zum Universalerben einsetzte und ihr nur eine jährliche Rente auswarf, aber die Gerichte entschieden zu Gunsten des Sohnes. Der letztere soll, wie ich gehört, in ebenso liberaler wie nobler Weife für seine Stiefmutter und deren Tochter sorgen; Louise ist früher sehr verwöhnt worden und daher in mancher Hinsicht unvernünftig, aber ihr Charakter war immer zuverlässig und unter der oftmals hochmütig und stolz erscheinenden Außenseite birgt sich ein treues, warme« Herz."
„Wie gefällt Ihnen mein Vormund, Frau Mason?* fragte Regina nach einer
Welle.
„Sehr gut, Regina — ich habe ihn, wie Du weißt, neulich, als er Dich herbrachte, zum ersten Male gesehen und war überrascht, ihn weit jünger zu finden, als ich ihn mir vorgestellt. Was ich von Herrn Palma gehört, erfüllt mich mit Hochachtung für ihn; cr thut im Stillen viel Gutes und hat unter anderem für eine Schwester seines Vaters, eine Frau Noscoe, die ihr großes Vermögen durch unsinnige Spekulationen ihres Gatten verloren hatte, in aufopfernder Weise gesorgt. Einen der Söhne hat er vollständig erziehen lassen und ihn dann auf seinem Bureau angestellt." —
„Haben Sie lange nichts von Tante Elise gehört?"
„Doch, liebes Kind — sie schrieb mir vor etwa 14 Tagen und trug mir Grüße an Dich auf. Das indische Klima scheint leider sehr ungünstig auf Percy's Gesundheit zu wirken. — Indien ist leider für so manche Familie verhängnisvoll geworden."
Das Gespräch wandte sich jetzt anderen Gegenständen zu und im Verlauf desselben sagte Regina:
„Herr Palma hat kürzlich davon gesprochen, daß er mich im nächsten Winter manchmal in die Oper und in's Theater führen wolle — halten Sie derartige Vergnügungen für schädlich oder sündhaft, Frau Mason?"
„Nein, Regina." entgegnete die alte Dame ernst; „ich weiß wohl, daß es religiöse Sekten giebt, welche dieser Ansicht sind, aber ich bin anderer Meinung. Ein gutes Schauspiel kann nur fördernd aus die allgemeine Bildung des Menschen einwirken und dasselbe gilt von einer guten Oper."
In diesem Augenblick läutete es von der in diesem Stadtviertel gelegenen Kirche und Regina sagte:
„Es ist Zeit zur Kirche, Frau Mason, darf ich Ihnen Hut und Mantel holen?"
„Nein, Regina — heute mußt Du allein gehen. Ich habe einer armen Kranken auf heute Vormittag meinen Besuch versprochen und möchte mein Versprechen gern halten. Du fürchtest Dich doch nicht, allein zu gehen, Regina?'
(Fortsetzung folgt.)