M 73. Amts und Anzeigeblatt für den Bezirk <Lalw. 67. Iahrgavß
Erscheint Di en » t a g , Donnerstag und SamStag. Die EtnrückungSgebühr beträgt im Bezirk und nächster Umgebung S Pfg. die Zeile, sonst 12 Psg.
Donnerstag, den 23. Zuni 1892.
LbonnementSpreir vierteljährlich in der Stadt Bü Pfg. und Lv Ufa. Trägerlohn, durch die Post bqogen Mk. t. IS, sonst i» g«n- Württemberg Mk. 1 . SS.
Amtliche Bekanntmachungen.
Die Grtslmstkhrr
derjenigen Gemeinden, in welchen seit wenigstens 25 Jahren freiwillige Feuerwehren im Sinn des Art. 4 Ziffer 1 der Landesfeuerlöschordnung vom 7. Juni 1885, oder Feuerwehren, welche aus freiwilligen und nichtfreiwilligen Abtheilungen gemischt sind, bestehen, werden beauftragt, bis 1Ä. Juli d. Js. Verzeichnisse derjenigen Feuerwehrmitglieder hieher vorzulegen, bei welchen die in ß 1 Abs. 1 des Statuts (Reg.- Bl. von 1885 S. 540) festgestellten Voraussetzungen für die Verleihung des Feuerwehrdienstehrenzeichens zutreffen. Etwaige Vorstrafen der in das Verzeichniß Aufgenommenen find zu benennen. Auf den Ministerialerlaß vom 12. Januar 1886 (Min.- A.-Bl. S. 9) wird zur genauen Nachachtung hingewiesen.
Calw, den 21. Juni 1892.
K. Oberamt.
Schönmann A.-V.
Tages-Neuigkeiten.
Stuttgart, 17. Juni. Wie man hört, wird auch seitens der königl. württ. Eisenbahnverwaltung das Beispiel Bayerns nachgeahmt und die Giltigkeitsdauer sämtlicher Retourbillete auf den württ. Eisenbahnen auf 10 Tage erhöhtwerden. In diesen Zeitraum werden übrigens auch die Sonn- und Feiertage eingerechnet, so daß es keinen Unterschied mehr macht, ob man am Anfang over am Schluffe der Woche ein Retourbillet kauft. Die bayrische Verwaltung ist zu jener Maßregel auf
Anregung des Vereins zur Hebung des Fremdenverkehrs geschritten und sie wird sicher diesen beabsichtigten Zweck erreichen. Auch in Württemberg kann eine derartige Verlängerung der Retourbillete nur förderlich auf den Fremdenverkehr einwirken und gleichzeitig die Reiselust der Inländer erhöhen, so daß die Staatskaffe vermutlich keinen Ausfall erleiden wird, sondern im Gegenteil mehr Einnahmen erzielen dürste.
Albbote.
Tübingen, 18. Juni. Der Gerichtsvollzieher Hermann Trautwein hier war seit dem 15. ds. M. morgens verschwunden. Eine am 17. ds. M. vom Amtsgericht vorgenommene Durchsicht seiner Papiere ergab Unregelmäßigkeiten in seiner Geschäftsführung. Als am gleichen Tage abends das Pfandlokal untersucht werden sollte, fand sich dasselbe von innen verschlossen. Nach Sprengung der Thüre wurde der Leichnam Trautweins mit einer Schußwunde in der rechten Schläfe aufgefunden. Ein Revolver lag vor dem Toten. Es besteht kein Zweifel, daß der Verstorbene sich selbst entleibt hat.
Tübingen, 20. Juni. Die Ausschmückung der Stadt zum Zwecke eines würdigen Empfangs des Königspaares nimmt immer mehr eine größere Ausdehnung an. Am prächtigsten geschmückt sind die Bahnhofstraße, die Karlsstraße, die Mühlstraße und besonders die Wilhelmsstraße und der Marktplatz. Vor der Neckarbrücke bei der Einmündung der Uhlands- strahe in die Karlsstraße steht eine großartige Ehrenpforte. An der Aula bemerkt man zwischen den württembergischen und Lippe-Detmoldschen Farben das württembergische Wappen, das in gelber Farbe prächtig absticht. Außer diesen Farben finden sich Fahnen und Fähnlein in den Tübinger Stadtfarben.
Schramberg, 20. Juni. Heute vormittag kurz vor 12 Uhr brach im Dachraum des Metzger Wagnerschen Hauses neben der Apotheke Feuer aus, das rasch einen sehr bedrohlichen Karakter zeigte. In wenigen Augenblicken war auch das unmittelbar angebaute Haus des Bäckers Kaltenbacher vom Brand ergriffen. Beide Häuser sind bis auf den untersten Stock von Feuer und Wasser vernichtet. Der Giebel des an das Kaltenbachersche Haus angrenzenden „Vereinshauses" ist stark vom Feuer angegriffen und beschädigt, auch die Apotheke war sehr gefährdet.
Ebingen, 19. Juni. Heute verschied hier Kasper Rümmele, Gerber, erst 30 Jahre alt, am Wundstarrkrampf nach nur zweitägiger Krankheit. Derselbe hatte sich an einem Finger eine leichte Verwundung zugezogen, die er anfangs wenig beachtete; da er aber mit Wildhäuten beschäftigt war, die mit Schimmel behaftet oder gar milzbrandig waren, so trat bald Blutvergiftung ein, und ärztliche Hilfe konnte nichts mehr ausrichten.
— ZurEnthüllungsfeierdesSchnecken- burger-Denkmals in Tuttlingen waren nahezu 15000 Gäste eingetroffen. Die Stadt trug den herrlichsten Festschmuck. Prof. vr. Hieber hielt die Festrede. Hierauf folgte die Vorlesung der Ueber- gabeurkunde, wobei Prinz Weimar folgendes sprach: „Ich übergebe hiemit das Denkmal als Eigentum der Stadt zur liebevollen Pflege und Bewahrung, auf daß das Andenken des Dichters Max Schneckenburger erhalten bleibe, auf daß warme Vaterlandsliebe und patriotische Begeisterung auch in kommenden Geschlechtern niemals erlöschen möge. Ich hoffe, daß dafür Sorge getragen wirv, daß es vor Beschädigungen beschützt und daß stets in Tuttlingen ein patriotischer Geist
6 ^ 1 ü 1 ^ O . Nachdruck verbaten.
Dolorosa.
Roman von A. Wilson. Deutsch von A. Geisel.
(Fortsetzung.)
In Regina's Zügen malte sich lebhafte Enttäuschung; augenscheinlich hatte sie ihre Mutter zu sehen erwartet und nur zögernd näherte sie sich dem Gitter. Der jenseits desselben stehende Fremde betrachtete die Kleine mit gespannter Aufmerksamkeit; ein hellblaues Kachemirkleid umschloß die zierlichen Glieder; das auffallend reiche dunkle Haar war von den Schläfen zurückgestrichen und wurde von einem blauen Bande gehalten und siel in langen Locken über den weißen Nacken hinab. Die kleine Rechte hielt noch einen Strauß weißer Lilien, die Regina gepflückt, um sie ihren tobten Lieblingen mit ins Grab zu geben; ein zauberhafter Schimmer von Kindlichkeit und Lieblichkeit lag über der ganzen Erscheinung des Kindes, und der Fremde mochte dies wohl empfinden, denn mit einem Gemisch von Bewunderung und Rührung blickte er auf Regina. — Er selbst war ein stattlicher, auffallend schöner Mann von etwa dreißig Jahren; der kraftvolle Körver trug einen stolzen Kopf und die blitzenden dunklen Augen schienen die Fähigkeit zu besitzen, Menschen wie Dingen bis auf den Grund zu blicken. Das kurz gehaltene dunkle Haar bildete eine äußerst wirksame Folie für die marmorweiße Stirn, welche eS umrahmte, und Palma's Freunde behaupteten scherzend, er trage keinen Bart, um seinen schön geschnittenen Mund nicht zu verdecken. Dem Kinde seine wohlgeformte weiße Hand entgegenstreckend, sagte Palma sanft und freundlich:
„Willkommen Regina — ich hoffe Du freust Dich, mich zu sehen."
Zögernd legte Regina ihre Hand in die seine und bemerkte dann logisch:
„Ich habe Sie noch nie gesehen und so wüßte ich nicht, weshalb ich mich Ihrer Ankunft freuen sollte. Weshalb haben Sie mich denn aufgesucht?"
„Weil Deine Mama mich darum bat."
„Dann sind Sie sehr gut und freundlich, aber ich wollte doch, meine Mama wäre lieber selbst gekommen. Geht es ihr gut?"
„Sie war krank, ist aber wieder gesund. Wenn Du sehr brav bist, Regina, findet sich vielleicht sogar ein Brief für Dich. Auf Deiner Mama Wunsch habe ich soeben Mutter Aloysia mitgeteilt, daß ich beauftragt bin, Dich von hier fortzubringen; so, hier ist auch der Brief Deiner Mama für Dich. Soll ich Dir denselben vorlesen, oder bist Du selbst schon im Stande, Geschriebenes zu lesen?'
Palma hielt dem Kinde einen Brief entgegen und Regina nahm denselben aus seiner Hand, während sie für die Unterstellung, des Lesens unkundig zu sein, nur einen halb vorwurfsvollen, halb stolzen Augenaufschlag und ein trotziges Schürzen der Lippen zur Antwort hatte.
Herr Palma schien indes ihren Gesichtsausdruck völlig zu begreifen, denn er nickte befriedigt und lächelte, bei welcher Gelegenheit zwei Reihen blendend weißer Zähne sichtbar wurden. Regina hatte hastig das Siegel des Briefes erbrochen und zu lesen begonnen, Mutter Aloysia sagte aber jetzt sanft:
„Regina — Du mußt Deinen Brief später lesen; Herr Palma ist gekommen, um Dich abzuholen und wünscht mit dem nächsten Zuge weiterzufahren. Gehe hinauf zu Schwester Helene und bitte sie. Dich umzukeiden — sie ist mit dem Einpacken Deiner Sachen beschäftigt."
Regina leistete der Aufforderung unverzüglich Folge; als die Thür sich hinter ihr geschlossen hatte, seufzte Mutter Aloysia tief auf und sagte:
„Ich wollte, wir dürsten das liebe Kind immer behalten; ich kann nur mit Schmer; und Sorge daran denken, daß Regina dereinst in der Well leben soll. Die Reinheit und Unschuld so manchen Mädchenherzens geht im Getriebe der Welt verloren und der Kampf mit dem Leben endet gar oft mit einer Niederlage. Regina gleicht einstweilen noch dm Lilien, die sie so sehr liebt — möge ein gnädiges Geschick sie so erhalten."