Beilage zumCalwer Wochenblatt'

Nro. 57.

^ ^ ^ ^ ^ 6 ^ . Nachdruck verdaten.

Strandgut.

Novelle von I. von Brun Barnow.

(Fortsetzung.)

.Kennen Sie mich nicht mehr?" kragte Sie mit ihrer weichen, innigen Stimme, aus der dann aller Stolz dahinschmolz. .Ich bin ja das arme, arme Strandgut!"

ES lag eine überwältigende Wehmut in dieser Frage und ein überwältigender Zauber in ihrer holden, lichtumflossenen Gestalt, den traurigen Augen, und dennoch schien «S, als wolle er diesen von sich abschütteln, sie nicht kennen, dann aber, als schäme er sich dieser unritterlichen Regung, reichte er ihr die Hand und sagte ehrlich: Gewiß erkenne ich Sie. Ich habe Sie gleich bei unserer erste» Begegnung erkannt, obgleich ich nach dem, was ich durch den alten Jansen erfahren, Sie für tot halten mußte."

Wieder wallte dar verräterische Blut heiß in ihr Gesicht und sie erwiderte mit niedergeschlagenen Blicken und unsicherer Stimme:

So wissen Sie, Herr Graf, mit welcher Absicht ich damals die Insel verlassen ?"

Ja, ich kannte sie," gab er zu,und-"

Und verurteilten mich deshalb," fiel sie ihm, als er zögerte, schmerzlich erregt inS Wort.

.Nein, daS that ich nicht. Ich bedauerte Sie nur aus tiefster Seele", erwiderte er ernst,und freue mich von Herzen, daß sich, wie es den Anschein hat, Ihr Schicksal so günstig gestaltet. Sie sind verlobt?" fügte er mit etwas auffallender Kürze, die Vergangenheit abschließend und in die Gegenwart zurückkehrend, hinzu.

' »Ja*, sagte sie leise, unsicher, .ich bin es!"

Er hatte auf der Lippe, zu fragen .und glücklich?" Aber er sah auf ihr tief- erblaßtek Gesicht und verwarf diese Frage sofort als eine banale Redensart und sagte nur, um etwas zu sagen:Schon lange?"

.Nein, erst feit Kurzem. Ich war bis vor einigen Monaten in einer Erziehungs­anstalt, um mich zur Lehrerin auszubilden. Das anhaltende Studieren aber griff meine Gesundheit an. Vielleicht hatte ich so viel nachzuholen; auch war ich des ersten Lernen- ungewohnt. Als mein Wohlthäter, ich meine mein Verlobter, mich besuchte, fand er mich krank. Er nahm mich aus der Pension und machte mir den Heirats­antrag. Er war so gut zu mir, ich hatte ihm so viel, so sehr viel zu danken, es er­drückte mich fast da wurde ich seine Braut."

Der Graf antwortete nicht. Es war ihm unmöglich, auf dieses einfache, offene Bekenntnis, das mit wenigen Worten so unendlich viel verriet, eine alltägliche, noch weniger eine gleichgiltige Antwort zu geben.

So schritten sie einige Zeit auf dem weichen Dünengrase schweigend und lautlos neben einander her.

Plötzlich fuhr Mona leicht zusammen, rasche, kräftige Schritte näherten sich ihnen. .Da kommt mein Verlobter vom Baden zurück," sagte sie hastig, verlegen! .Darf ich Sie mit ihm bekannt machen, Herr Graf?'

Unwillkürlich mußte Graf Fabrie an das letzte Gespräch über das seltsame Paar denken und was wohl die .Exklusiven" zu dieser Situation sagen würden.

Er erklärte dem Rheder, daß er mit Mona eine alte Bekanntschaft erneuert habe.

Der Rheder maß ihn mit einem mißtrauischen Blick. Er kannte augenscheinlich mehr von der Welt als Mona und schien diese frühere Bekanntschaft keineswegs mit günstigen Augen zu betrachten.Ich errinnere mich" sagte er kalt,wir begegneten uns schon einmal auf den Wiesen. Sie erkannten aber damals meine Braut nicht," setzte er trocken hinzu.

Wenigstens war ich meiner Sache nicht ganz sicher, da fast sechs Jahre nach unserer Begegnung- auf dieser Insel dahingegangen, und Ihr Fräulein Braut da­mals noch ein halbes Kind war," parierte der Graf mit der ruhigen Sicherheit des vornehmen Mannes diesen indirekten Angriff.

Ach, von jener Zeit her kennen Sie Mona?" rief der Rheder mit einem raschen Blick nach ihr hin, welche während dieser Unterhaltung unausgesetzt die Farbe gewechselt und jetzt so weiß wie das Kleid aussah, das ihre zarte Gestalt umhüllte.

Ja, von jener Zeit her," bestätigte Graf Fabrie mit einem offenen Blick seiner dunklen Augen.Wir waren damals wie zwei gute Kameraden, nicht wahr, Fräulein Mona?" Seine überlegene Ruhe und Sicherheit beschämten und entwaffneten des Rheders Mißtrauen.

Also ein guter Kamerad waren Sie meinem armen Strandgut?" fragte er mit seinem breiten, gutmütigen Lächeln, das zu seinem Gesichte viel besser als die argwöhnische Reserve paßte.Nun freilich, seitdem hat sich Mona etwas verändert, leider ihre Gesundheit ist nicht zum Besten", und er faßte dabei mit derber Vertrau­lichkeit seine junge Braut unter das Kinn.Du siehst auch heute wieder wie ein weiße« Segeltuch aus, Kleine", setzte er hinzu.Die heimatliche Seeluft, von der ich für Dich mir so viel Gute« versprochen, übt die erwartete Wirkung nicht aus."

Sie wird sich schon noch einstellen", beruhigte ihn Mona lebhaft.Viele Farbe hatte ich überhaupt nie."Das ist wahr," stimmte ihr Graf Fabrie bei. .Vielleicht erinnerte sich Fräulein Mona, wie ich sie oft scherzweise die kleine, weiße Mimose genannt."

Ob sie sich daran erinnerte? Sie lächelte zustimmend und dachte, daß diese Worte nicht die einzigen geblieben, die ihr Gedächtnis bewahrt hatte.

Man trennte sich jetzt. Graf Fabrie verabschiedete sich etwas eilig, weil ihm seine Verabredung mit Campella einfiel. Der alte Jansen, welcher in einiger Ent­fernung über die Dünen schritt, sah zu seinem nicht geringen Erstaunen, wie sich der Rheder mit dem Grafen die Hand schüttelte, als er sich von ihm und seiner Braut mit der Zusage empfahl, sie bald in ihrer Villa aufzusuchen.

Graf Fabrie ließ e« auch nicht bei dieser Zusicherung bewenden, er machte

wirklich in aller Form bei dem Rheder Besuch. Nicht allein die Exklusiven, nein, die ganze Badegesellschaft war in Heller Verwunderung darüber, noch mehr aber, . als man ihn von nun an in ihrer Gesellschaft fast täglich sah.

Man hätte sich darüber weniger gewundert, besonders nicht die Exklusiven, gegen welche er ja unverholen seine freisinnigen Ansichten über die Badegeseüschaften, die er nichts alsEintagsfliegen" genannt, ausgesprochen wenn der Legationsrat weniger vornehm und der Rheder weniger gewöhnlich ausgesehen. So paßten sie, wie die Chronik skandaleuse von S. ganz treffend bezeichnet«, zu einander, wie der Ackergaul zum arabischen Pferd. Und doch verstanden sich diese beiden äußerlich so grundverschiedenen Männern nach kurzer Bekanntschaft sehr gut und die Freund­schaft war, wie die Badegesellschaft glaubte, weder von Seite» des Grafen Mittel zum Zweck, um den Galan der hübschen Braut zu spielen, noch wurde sie von dem Rheder aus Eitelkeit, um sich ein Ansehen zu geben, geduldet. Der Graf übersah einfach das breitspurige Wesen des Rheders, weil er sehr bald den vortrefflichen Kern in ihm erkannte, den Rheder beengte wiederum die vornehme, weltmännische Sicherheit des Grafen nicht, weil er fühlte, daß sie mit seiner Gesinnung und Bildung im Einklänge stand und er sie niemals verletzend zur Geltung brachte. Der Rheder hatte sich in seiner gradsinnigen, schlichten Weise, sobald er erst Vertrauen zu des Grafen Ehrenhaftigkeit gefaßt, mit diesem über sein Verhältnis zur Strandwaise ausgesprochen.

Glauben Sie nicht", sagte er bei der ersten Gelegenheit, wo sich Beide allein befanden,daß ich ein so eingebildeter Narr gewesen, anzunehmen, daß meine Braut aus purer Liebe eingewilligt, mein Weib zu werden. Als ich damals das blutjunge, unerfahrene Ding an einem Orte und in einer Gesellschaft traf, wo sie nicht hinge­hörte, und ich mich ihrer Hilflosigkeit und Verlassenheit aus Menschlichkeit annahm, gestand Mona, daß sie mit der Absicht, den Tod zu suchen, die Insel verlassen und durch die Mannschaft eines Schoner«, welche sie im Kahne dahertreiben und ins Wasser springen sah, gerettet worden sei. Hartnäckig habe sie aber über sich alle Auskunft verweigert und gebeten, sie in Hamburg, wo sie sich einen Dienst suchen wollte, ans Land zu setzen. Das war auch geschehen, aber der Dienst hatte sich wahrscheinlich weniger schnell als gewissenlose Menschen gefunden, welche, auf die Schönheit des Mädchens spekulierend, die Arglose in ihren Nchen zu fangen gesucht. Nun, daß ich es kurz mache, ich sah daS arme Ding erbarmte mich ihrer und brachte sie in Pension, um sie auf ihren Wunsch zur Lehrerin ausbilden zu lasten. Als ich dann nach Jahren von meiner letzten, großen Seereise zurückkehlte und sie so blaß wiedersah, merkte ich wohl, daß das Lernen sie zu sehr anstrcngt und daß sie der Freiheit bedürfte. Ich hätte sie nun zu mir nehmen und von ihr meinen Hausstand führen lassen können, aber erstens hätte daS meine alte, treue Ursula gewaltig ver­drossen und zweitens kannte ich die Welt genug, um mir zu sagen, daß ein so hübsches Mädchen wie Mona bei einem unverheirateten Mann, selbst in meinen Jahren, nicht gut wirtschaften, noch als Pflegetochter gelten kann, ohne nicht in's Gerede zu kommen. Dazu kam, daß ich Verwandte hatte, die sie um's Leben gern wegen der reichen Erbschaft aus meinem Hause verdrängt hätten und alles, was ich für sie that, mit mißgünstigen, neidischen Augen ansahen.

Unter andere Leute wollte ich sie auch nicht gehen lassen, dazu schien sie mir zu zart; denn sie schaute aus, als könnte ein rauhes Wort sie umwerfen. So kam es, daß ich mir die Sache überlegte und es schließlich für das Beste hielt, wenn ich sie zum Weibe machte. Da konnte ihr weder der Neid meiner Verwandten die Erbschaft, welche ich ihr zugesichert, streitig machen, noch sie mit bösen Nachreden kränken. Als ich ihr zuerst meinen Heiratsantrag machte, antwortete sie mir darauf nur mit Thränen. Nun, das ist Weiberart und ich konnte warten, bis sie sich die Sache in aller Gelassenheit überlegte. Das that sie auch, und als ich sie nach einigen Tagen aus der Pension zu einer Spazierfahrt abholte, legte sie unterwegs ihre kleine Hand in die meine und sagte:Ich will versuchen, Ihnen eine gute Frau zu wer­den." Ich erwiderte darauf, daß ich auch gar nicht mehr von ihr verlange und so kam unsere Verlobung zu Stande. Nur frischer aussehend, wünschte ich sie zu haben, ehe ich sie heirate," schloß er mit einem Seufzer.Aber alle Weisheit der Arzte arbeitete sich bei ihr zu Schanden und kann ihr nicht helfen. Da kam ich auf den Gedanken, mit ihr in die alte Heimat zu reisen. Zwar hängt sie nicht sonderlich an der Insel und hat eine krankhafte Scheu, jeder Begegnung mit den früheren Bekannten auSzuweichen und scheint sie auch Niemand in der Braut des reichen Rheders," setzt« er mit einem leisen Anflug von Genugthuung hinzu,zu erkennen. Da ich jedoch noch einen besonderen Zweck mit meinem Besuche habe, so muß sie schon hier noch ein« Weile aushalten."

Graf Fabrie war mit wachsender Teilnahme den schlichten Worten des Rheders gefolgt, die in ihm die Achtung vor diesem Mann befestigten.

Mona selbst ahnte von den vertraulichen Mitteilungen ihres Verlobten gegen Fabrie nichts. Mit einem Gemisch von Staunen und scheuem Entzücken beobachtete sie die sich steigernde Freundschaft beider Männer und trank, ahnungslos der Gefahr, in welche sie selbst dadurch gebracht wurde, täglich das süße Gift seiner Nähe.

Es war eine alte Gewohnheit Mona's noch von ihrer Kindcrzeit her, planlos über die Dünen zu streifen. Auch heute war sie die alten, vertrauten Wege gegangen und hatte das äußerste Ende der Insel erreicht, wo weder Kunst noch Spekulation auf die Natur den Stempel der Alltäglichkeit gedrückt und sogar damit das schöne grandiose Meer bezwungen. Zwischen dem Gewirr von Klippen und Felsen, an denen die Insel an der Nordseite einen natürlichen Schutz gegen das anfluthende Meer gefunden und die Vögel ihre Brut- und Ruhestätte hatten, herrschte eine köstliche, wunderbare Einsamkeit.

Hierher hatte sich Mona in der seltsamen Unruhe ihres Herzens geflüchtet und saß in träumender Stellung, die Arme um die Knie geschlungen, den breiten Schäferhut zur Sette gelegt, den Kopf leicht nach vorn geneigt, und blickte auf das rauschende Meer.

Fortsetzung folgt.