Beilage zumCalwer Wochenblatt

Nkv. 45.

6 ^ ^ H ^ ^ . Nachdruck verbaten.

Der Achwedenhof.

Novelle von Fritz Brentano.

(Fortsetzung.)

Das war ein ernstes, banges Wiedersehen, welches Ulrich und Gertrud zwei Tage später feierten. Von einer unerklärlichen Macht getrieben, war der starke Mann vor ihr auf beide Kniee gesunken und das schöne, blaffe Weib, hatte sich über ihn gebeugt und ihre heißen Thränen träufelten auf sein Haupt.

Und als der erste Sturm ihrer Gefühle vorüber war und sie ruhiger beisammen saßen, da erzählte er ihr von seiner langen Wanderfahrt und wie das Schicksal ihn herumgeworfen jenseits des Oceans.

Ihre Hand, welche auf der seinen ruhte, während sie ihm treu in die Augen schaute, zitterte leicht, als er ihr von seinem Weib, seinem Kind sprach und Thränen des Mitleids perlten abermals über ihre Wangen, als sie von dem traurigen Ende der Beiden hörte.

Mit atemloser Spannung hing sie an seinem Munde, als er seine Flucht schilderte und ein tiefer Seufzer der Erleichterung entrang sich ihrer tiefsten Brust, als sie von dem Gelingen derselben von seiner Rettung hörte.

Er aber schaute auf das schöne Weib vor ihm hin und in seinem Innern regte sich das Begehren nach ihrem Besitz und Wünsche keimten in ihm, die er längst tot und begraben wähnte.

Denn sie war wirklich schön und begehrenswert.

War auch der jungfräuliche Zauber, den sie einst auf ihn ausgeübt hatte, längst abgestreift, so lag doch jetzt etwas so Eigenartiges über ihrem Wesen, welches nicht minder reizte. Die stolze, stattliche Figur, der ergreifende Zug stiller Schwer­mut in ihrem blassen, regelmäßigen Antlitz, auf dem die Leiden vergangener Jahre sich spiegelten, ohne daß sie dessen Schönheit angetastet hatten das ernste, melancholffche Auge, in dem die stille Freude des Wiedersehens glühte all dieses ließ die einstige Liebe wieder hell auflodcrn in seinem Herzen und drängte ihn zu einem Geständnis, das er bester in den tiefsten Tiefen der Seele begraben hätte, auf daß seine That nicht aufs neue aufgeschrieen zum Throne des Richters und die schlummernde Gerechtigkeit wach gerufen hätte.-

Er hatte seine Geschichte beendet und schweigend saßen die Beiden eine lange

Weile.

ES war Abend geworden, er mußte scheiden für heute. Aber ein schwerer Augenblick stand ihm bevor.

»Ulrich!" sprach sie scheu und leise.

Gertrud!" antwortete er fast tonlos und ein leichtes Zittern ging durch seinen Körper, denn er fühlte, was kommen würde.

Du sagtest dem Walter mein er sei tot?"

Ja!" hauchte er und fuhr, als sie sich abwandte, nach einer Pause fort: Ich sah ihn sterben drüben jenseits des Meeres cs ist lange lange her."-

Sie sank in den Stuhl zurück, von dem sie sich erhoben hatte, und vergrub das Antlitz in ihre Hände, er aber stürzte hinaus in die Nacht, als ob di« Geister der Rache ihn trieben.

Und als er zu Pferde saß und dem einsamen Hof zujagte, da war ihm, als schwebe vor ihm der erschossene Förster und die blutige Wunde in seiner Brust leuchtete grauenvoll durch das nächtliche. Dunkel. Ec sah ihn so deutlich, als sei die That erst gestern begangen worden und nicht vor fünfzehn langen Jahren, und die Wipftl der Bäume zur Seite der Straße neigten sich im Nachtwinde und flüsterten:

Bedenke, was Du gethan, bedenke!

Aber dann tauchte wieder das Bild des schönen, begehrenswerten Weibes, um die er «S gethan, aus dem Dämmer der Nacht vor ihm auf der alte Trotz, den er lang begraben glaubte, regte sich wieder und in seinem Ohr klangen die Worte des verblutenden Dieter:Notwehr der Jäger zuerst!" die er trotz des furchtbaren Augenblicks, in dem sie gesprochen wurden, nicht überhört, an die er sich geklammert hatte, wie der Sterbende an das ewige Erbarmen. Er wollte den Preis seiner Blutthat auch besitzen wollte das haben, wofür er den Fluch eines langen unstäten Lebens auf sich geladen und warum mußte die Gertrud die Seine werden. An ihrem Herzen wollte er den langersehnten Frieden finden den Jammer begraben, der ihm über Länder und Meere seit jener Schreckensnacht gefolgt war.

Die wechselnden Gefühle in seiner Brust rangen einen schweren Kampf immer wieder tauchten die gespenstischen Bilder vor ihm auf, bis die Lichter des Schwedenhofes durch die Nacht ihm entgegenleuchteten und Menschenstimmen den geheimnisvollen Zauber zerstörten, den die schaudernde Erinnerung um seine Sinne wob.-

Es war wieder Herbst geworden der zweite, seit der Ulrich zurückgekehrt und aufs neue als Herr auf dem Schwedenhof eingezogen war.

Die Spuren der Armut und des Verfalls an dem Gehöft waren verschwunden und es schaute wieder stolz und stattlich wie einst in das Weite, als ob die lange Zeit spurlos an ihm vorübergegangen sei.

Und anscheinend ruhte der Segen auf dem Anwesen.

Die Scheunen waren gefüllt bis unter das Dach, fleißige Arbeiter tummelten sich in und um den Hof. Von den Wiesen klangen wieder die Sensen der Mäher herüber und der Hirte trieb seine Herde durch das weite Thor.

Aber dennoch lag es wie eine dumpfe Schwüle auf dem Hof und kein fröhliches Lachen erklang in seiner Nähe kein heiteres Lied tönte von den Lippen der Guts­leute es war, als ob der Trübsinn und das stille Wesen der Gutsherrschaft auf allen laste.

Der Ulrich hat die mahnende Stimme in seinem Innern übertäubt und hatte die Gertrud als sein Weib auf den Schwedenhof heimgesührt. Sie aber war ihm mit Freuden dahin gefolgt, war doch seine Wiederkehr der erste Lichtblick seit jener Zeit, wo ihr junges Leben gewaltsam an einen ungeliebten Mann gekettet, wo sie eben so gewaltsam von ihm getrennt wurde.

Sie hatte dem Ulrich ihr volles treues Herz gegeben ein Herz, daß sie ihm durch fünfzehn lange Jahre rein und unverändert bewahrt hatte, in der stillen Hoffnung, daß er doch einmal wiederkehren müsse zu der Stätte, wo er geboren zum Grabe der Mutter.

Und er was gab er ihr?

Wohl war die alte Liebe bei ihrem ersten Anblick wieder mächtig erwacht in seinem Herzen und hatte ihn zu dem Schritt getrieben, den er nimmer vor Gott und seinem Gewissen verantworten konnte wohl hatte er geglaubt, endlich dm Frieden gefunden zu haben allein nicht lange hatte diese Täuschung seiner selbst gedauert und wieder waren Stunden des tiefsten Seelenleides über ihn gekommen.

Manchesmal, wenn sie still an seiner Seite sitzend, sinnend in seinen Zügen las, als wolle sie den Grund seines rätselhaften Kummers erforschen, da war ihm, als müsse er ausspringen und hinuuseilen in den rauschenden Wald, müsse das Ge­heimnis seines Schmerzes dort ausschütten, daß ihm leichter würde vnd die Winde es hinaustrügen in die unendliche Weite über Länder und Meere.

Er hatte sich in den Strudel der fieberhaftesten Thätigkeit gestürzt, in harter Arbeit auf Wochen und Monate die Qual seines Innern übertäubt, aber sie kehrte wieder und da erkannte er die furchtbare Wahrheit des ewigen Bibelwortes von dem Feuer, das nicht lischt, dem Wmm, der nicht stirbt.-

Und wunderbar! Als er den Hof verkauft hatte und fortgezogcn war, da ging ein allgemeines Bedauern durch die Gegend; denn wenn die Schwedenhofbauern sich auch stolz und abgeschlossen von den andern zurückgezogen hatten und soweit dies thunlich war, für sich gelebt hatten, so waren sie doch bei allen beliebt gewesen, waren als Zierde der dortigen Bauernschaft verehrt worden, weil sie streng und treu seit Jahrhunderten nach dem Glauben ihrer Väter gelebt, stets federn Rat- und Hilfeheischenden ihre Thüre geöffnet und in Handel und Wandel ein Muster der Ehre und Rechtlichkeit gewesen waren.

Man hatte ihren Verkehr gesucht und wer sich dessen gewürdigt sah, hatte dies als eine absonderliche Auszeichnung betrachtet, um die er von seinen Genossen beneidet wurde.

Aber seit der Ulrich wiedergekcmmen und den alten Besitz der Familie aufs neue übernommen hatte, war eine gar seltsame Veränderung in seinem Verhältnisse zu den Dorfleuten eingetreten. Wohl freute man sich, daß der Hof in alter Gediegenheit erstand und bald wieder als eine Musterwirtschaft für nah und fern galt, aber eine unerklärliche geheimnisvolle Scheu hielt die Umgegend von dem Ehepaar fern es lag wie ein dunkler rätselhafter Bann über dem Gehöft ein Bann, den keiner sich erküren konnte und unter dem doch ein jeder stand.

Der Ulrich fühlte dies nicht es fiel ihm nicht einmal auf.

Er war gewohnt, seit Jahren einsam zu leben; harmonierte doch diese Stimmung seiner Innern vollständig mit derjenigen, welche man ihm entgegenbrachte und hing doch über ihm selbst der Himmel wie ein trüber, düsterer Schleier, den der lachendste Sonnenschein in der Natur nicht zu durchdringen vermochte.

Desto schwerer litt sein Weib, die Gertrud, unter diesem Gefühl der Vereinsamung» das sich ihr mehr und mehr aufdrängte. Sie hatte sich das alles so ganz anders gedacht, als ihr Jugendtraum endlich in Erfüllung ging und sie an der Seite des stets geliebten Mannes als Bäuerin auf dem Schwedenhof einzog.

Viele Jahre hatte sie still und verschlossen drinnen in dem Städtchen gelebt, jetzt schaffte und waltete sie mit emsiger Hand in dem großen Anwesen und herrschte über ein großes Gesinde aber viel einsamer fühlte sie sich trotzdem in ihrem Innern und bald legte sich auch um ihr Herz wieder jenes schreckliche Gefühl der Verödung, welches sie einst in dem stillen Forsthaus an der Seite ihres ungeliebten ersten Gatten, so bitter empfunden hatte.

Und doch liebte sie den Ulrich. Aber noch ein anderes Gefühl mischte sich nach und nach in ihre Liebe, das eine» tiefen unsäglichen Mitleids, wenn sie in seinen bleichen Zügen las, auf denen manchesmal seine Seelenpein mit beredter Schrift eingeschrieben stand. Zuweilen wollte es ihr bedünken, als sei es das Gedenken an Weib und Kind, das ihn nicht zur Ruhe kommen lasse und dann krampste eine wilde Eifersucht auf die Toten, jenseits des Ozeans, ihr Herz zusammen und ein verzehrendes Feuer, wie sie es früher nicht gekannt, glühte in ihren Adern. Aber dann schloß sie der Ulrich, wenn er ermüdet von des TageS Last heimkehrte, so lieb und treu in seine Arme. Aus seinem Gebühren sprach eine so warme, wenn auch, wie ihr dünken wollte, etwas scheue Herzlichkeit, daß diese Spannung ihres Innern sich lind löste und nichts zurück blieb, als das tiefe, innige Mitgefühl mit dem heimlichen Leid des geliebten ManneS, das sie nimmer und nimmer ergründen konnte.

Und so war ihr Leben denn kein freudiges. Der ewige Widerstreit der Ge­fühle spielte sich schon in den ersten Monaten ihrer Ehe auch auf ihrem Antlitz und die Schatten der Trauer warfen ihre geheimnißvollen Reflexe darüber.

Mit schweren Opfern hatte Ulrich den angrenzenden Wald als sein Eigentum erworben und fast kein Tag verging, an dem er nicht wenigstens ein paar Stunden darin verbrachte.

Er durchkreuzte ihn nach allen Richtungen, denn es zog ihn allmächtig in die Einsamkeit der hohen Bäume und oft sahen ihn die Leute aus dem Dorf auf einem vom Sturme gefällten Stamm sinnend sitze», neben sich das Jagdgewehr, ohne welches er nie ausgieng, dessen er sich aber merkwürdiger Weise niemals be­diente.

Fortsetzung folgt.