Beilage zumCalwer Wochenblatt

Nro. 43.

. Nachdruck verboten.

Der Schwedenhof.

Novelle von Fritz Brentano.

(Fortsetzung.)

Einen Moment überblickte der Flüchtling das Schauspiel, das sich vor chm abspielte. Sollte er seine Waffe zurückholen? Da tauchten zwischen den Bäumen die übrrgen Verfolger auf hier galt kein Besinnen wieder riß er sein Tier herum und sprengte davon. Ein schreckliches, langezogenes Geheul verkündete ihm, daß die Sioux bei ihrem sterbenden Führer angelangt waren, gab ihm aber zugleich die Gewißheit, daß er voräufig von ihrer Verfolgung nichts zu fürchten hatte. Er kannte ihre Sitten und wußte, daß sie sich von der Leiche sobald nicht trennen würden.

Dennoch setzte er seinen Ritt mit ungeminderter Eile fort, soweit ihm dies die erschöpften Kräfte seines Pferdes gestatteten, während das ledige Tier sich eben­falls zu ihm gesellt hatte und nebenher trabte.

Ulrich hatte keine Ahnung, wo er sich befand. In der furchtbaren Aufregung der letzten Stunden war ihm jeder Sinn für die Richtung seiner Flucht abhanden gekommen und er mußte eS dem Zufall überlassen, ob er ihn neuen Gefahren entgegen oder auf den Pfad der Rettung führen wolle. Die Reaktion trat nach den Schrecken der entsetzlichen Nacht bei ihm ein wie eine dumpfe, bleierne Schwere legte es sich auf sein Gehirn und fast gleichmütig ritt er dahin. Es mußte schon nahe gegen Morgen sein, denn ein kühler Wind strich durch die Bäume und wie ein Schauer flog es über seinen Körper, während sich zu gleicher Zeit wieder die quälende Erinnerung an die Ereignisse der letztvergangenen Tage bei ihm einstellte und die Schreckensbilder seiner toten Lieben seines zerstörten Heims seines vernichteten, elenden Lebens, gleich mahnenden Gespenstern vor sein geistiges Auge traten.

Das Pferd unter ihm hatte seinen Schritt gemäßigt und trabte, als fühle es, daß die Verfolger hinter ihm von der Jagd abgelassen, gleichmäßig weiter, während sich der Dämmer des hereinbrechenden Tages durch die Zweige stahl und allerlei Nachtgewürm durch das Holz huschte. Hie und da gab schon ein Vogel einen Laut des Erwachens der Morgenwind nahm von Zeit zu Zeit einen stärkeren Anlauf und fuhr durch die aufrauschenden Zweige, daß sie sich zu einander beugten, als flüsterten sie sich geheimnisvolle Geschichten von dem halbgcbrochenen totmüden Mann zu, der da unter ihnen hinritt Geschichten von dem Mörder vom Schwedenhof.

In diesem aber hatte sich die wilde Thatkraft, die ihn vor Stunden noch zu dem gewaltigen Ringen um sem Leben angespornt hatte, gelegt und er fragte sich staunend, weshalb er noch einmal diesen Kampf gerungen und dieses erbärmliche Leben nicht von sich geworfen habe? Was wollte er noch auf dieser Welt was fesselte ihn noch an ein Dasein voll Qual und ewigen Schmerz, an diese Wüste voll Jammer, in deren Öde keine freundliche Oase hineinlachte?

Aber die rauschenden Wipfel flüsterten weiter das Morgenrot erhob sich über die Riesen des Waldes die ersten Strahlen der Sonne leuchteten friedlich auf das wogende Meer der Blätter und keine Stimme löste ihm das uralte, uner­gründliche Rätsel des Menschenherzes, das sich immer wieder an dieses oft verwünschte

öde liebeleere Leben klammert.

Und so ritt er weiter planlos weiter neuen Kämpfen neuen Leiden

dem letzten Gericht, der strafenden Gerechtigkeit entgegen.-

Am Abend des Tages, welcher auf die errignisvolle Nacht gefolgt war, fanden deutsche Ansiedler, die auf einem längeren Jagdzug begriffen waren am Ufer des großen Stromes, welcher in die zivilisierten Gegenden des Landes führte, einen be­sinnungslosen, bleichen Mann im Grase ausgestreckt liegend. Neben ihm lag ein verendetes Pferd, während ein zweites, blutbeflecktes Tier in der Nähe graste. Erst ihren längeren Anstrengungen gelang es, den Ohnmächtigen in das Leben zurückzu­rufen und ihm durch Einflößung eines stärkendes Trankes die Sprache wieder zu geben.

Mit schwacher Stimme berichtete Ulrich, denn er war eS, nachdem er notdürftig mit Speise und Trank gelabt war, seinen neugierigen Rettern die Geschichte des Überfalls, seiner Gefangenschaft und Flucht und wie er nach dem furchtbaren TodeS- ritt leblos neben seinem sterbenden Tier zusammengesunken war. In die Augen der rauhen Männer traten Thränen der Rührung, als er von seinem erschossenen jungen Weib, seinem gemordeten Erstgeborenen erzählte ihre Fäuste ballten sich krampf­haft und ihre Lippen murmelten Flüche über die braunen Teufel die Urheber all' dieser Frevel.

Unter der liebevollen Pflege seiner Landsleute erholte sich der Flüchtling sichtlich ein langer, totenähnlicher Schlaf gab ihm die entschwundenen Kräfte wieder und am anderen Tage bereits konnte er sich neugestärkt den Heimkehrenden anschließen.-

Fünf Jahre waren seit den oben geschilderten Ereigniffen vergangen.

Auf dem einst so stattlichen Schwedenhof sah es trübe aus und wer denselben zu jener Zeit gekannt hatte, wo noch die früheren Besitzer daselbst wirtschafteten, konnte ein gewisses schmerzliches Gefühl über die jetzige Verwahrlosung des Gehöftes, das Jahrhunderte lang eine Zierde der Gegend gewesen war, nicht unterdrücken.

Freilich hatte die ganze Gegend sich unvorteilhaft verändert. Der lange, blutige Krieg, welcher unter dem großen Friedrich sieben Jahre wütete, hatte seine tiefen Spuren auch hier hinter lassen und nur langsam erholten sich die Landleute von den Folgen der ewigen Truppendurchzüge, Plünderungen und Brandstiftungen, welche das wechselnde Kriegsglück über sie gebracht hatte. Der jetzige Schwedenhof­bauer ganz besonders hatte schwer gelitten hatte er doch seine baren Mittel damals zum Ankauf deS Anwesens verwendet und suchte, als die Schrecken des Krieges ihn wiederholt heimsuchten, vergeblich nach rettenden Händen, die ihm das nach und nach schwerverschuldete Gut wieder flott gemacht hätten.

Damals war sich jeder selbst der Nächste und wer unter das eherne Rad der Zeit geraten war, wurde unerbittlich zermalmt, wenn er sich nicht aus eigener Kraft emporraffte, wie dies die früheren Besitzer des Hofes so oft gelhan halten.

Allein diese zähe Ausdauer der alten Schwebenhofbaucrn besaß der jetzige Herr des Gutes nicht. Wohl hatte er anfangs versucht, gegen das Schicksal, welches ihn heimsuchte, anzukämpfen, bald aber war seine Kraft erlahmt und willenlos hatte er sich dem Strom des über ihn hereinbrechenden Unglücks überlassen. Den einzigen Sohn, welchen er besaß, hatten ihm tückische Werber in das rauhe Kriegsleben hinausgerissen sein Weib war kränklich und so schlug er sich denn kümmerlich mit des Lebens Bitternissen herum, die ihn immer tiefer in den Strudel des Verderbens hineinzogen.

Heute war für ihn wieder ein böser Tag gewesen. Einer der Gläubiger aus der Stadt hatte ihn gedrängt, und er konnte nicht zahlen die notwendige Saat war nicht im Hause die Hofgebäulichkeiten waren in schlechtem Stande und be­durften dringend der Reparatur, wenn Sturm und Wetter sie nicht total ruinieren sollten kurz er stand näher denn je am Rande des Bankerotts, dem er früher oder später doch anheimfallen mutzte.

Der Abend dämmerte schon herein und der arme Walter, so hieß der Schweden- hosbauer, saß in dem Wohnzimmer des Gutes an dem alten Eichentisch und stützte tiefsinnig sein müdes Haupt aus die Arme, während sein We>b nicht minder trostlos in dem Sessel neben dem gewaltigen Kachelofen in halbliegender Stellung ruhte.

Es ist aus, Lene," sprach der Bauer dumpf,ich mag sinnen und rechnen wie ich will, es fehlt an allen Ecken und Enden, und es bleibt uns nichts übrig, als unser Bündel zu schnüren und wieder hinaus zu wandern in die weite Welt."

Da sei Gott vor!" antwortete erregt die Frau, indem sie sich mühsam in ihrem Sitz aufrichtete, und zu ihrem Manne hinüberblickte,so weit wird es doch noch nicht mit uns gekommen sein, daß wir zu Bettlern geworden sind und den Hof verlassen müssen, den wir als wohlhabende Leute vor fünfzehn Jahren bezogen!"

Aber was für fünfzehn Jahre," erwiderte schwer seufzend der Mann.Haben sie nicht mein Haar gebleicht und mich zum Greis gebracht? Hat uns nicht die ver­wünschte Soldateska dreimal ausgeplündert bis aus's Letzte? Ist uns nicht zweimal die Frucht auf dem Felde verbrannt worden und welche Opfer hat es gekostet, daß sie uns nicht noch ras Hans über dem Kopfe anzündeten? O, hätte ich sie doch ge­währen und mich begraben lassen unter den stürzenden Trümmern, mir wäre wohler als jetzt!"

Mann, Mann! Versündige Dich nicht mit so gottlosen Reden!" rief die Frau, und füge zu all' unserm Unglück nicht noch das Bewußtsein hinzu, daß wir es ver­dienen, indem wir gegen Gottes Willen murren"

Gottes Willen!" unterbrach er sie heftig,was heißt Gottes Willen? Kann es sein Wille sein, daß ein ehrlicher Kerl, der sein Lebtag nichts verschuldet hat, in schwerem Kampf zu Grunde geht? Wo liegt da Sinn und Verstand? Nein, ich geb'S auf; uns ist nicht zu helfen!"

Der Stadtherr wird warten!" erwiderte die Frau.Laß mich morgen nur zu ihm fahren, ich hoffe, er läßt sich nochmals vertrösten."

Er thut es nicht," erwiderte der Bauer bestimmt,und wenn er es thäte, was dann? Wir gewinnen eine kurze Frist und ist sie vorüber, pocht das Elend mächtiger als zuvor an unsere Thür!"

Zeit gewonnen viel gewonnen!" sprach die Frau.

Nichts gewonnen!" entgegnete er so heftig, daß das leidende Weib erschreckt zusammenfuhr und sich scheu abwandte.Sieh, Lene," fuhr er nach einer Pause weicher fort,was hilft's, uns noch länger über unsere Lage zu täuschen? Was hilft's, den Riß immer und immer wieder zu verkleistern, wenn die Flicken alle Augen­blicke reißen und der Schaden sich als unheilbar erweist. Ich habe Dich geschont, so lange ich konnte, denn Du bist ein braves, treues Weib, und habe so Manches allein getragen, was getragen werden mußte, weil ich Dir das Herz nicht noch schwerer machen wollte als es ohnehin schon ist. Aber es muß einmal gesagt werden, wir können uns so nicht länger halten! Diese Gewißheit hat sich mir aufgedrängt in langen schlaflosen Nächten, wo mich der ewige Kampf nicht zur Ruhe kommen ließ der Kanpf dem ich eS muß heraus nicht mehr gewachsen bin. Ja, hätten wir unfern Buben, den Friede!, noch, den uns der Werber verflucht sei er verlockte, daß seine Knochen jetzt vielleicht irgendwo in Feindesland bleichen, dann wäre manches anders. Zweie tragen mehr als einer; aber so kann ich's, mag ich's nicht mehr treiben!

Die Frau war bei der Erwähnung des verschollenen Sohnes in ein stilles Weinen ausgebrochen und der Mann hatte sich erhoben und war zu ihr hinübergetreten.

Weine nicht. Lene," sprach er mit rauher Zärtlichkeit und faßte ihre am Sessel herabhängende Hand,noch kann ja alles wieder besser werden, wenn ich nur erst die schwere Sorge um das Gut von mir geworfen habe, die mir wie Bergerlast auf dem Herzen liegt. Sieh, manchesmal ist es mir, als läge ein Fluch auf dem Schwedcnhof als sei mit dem Tod der alten Bäuerin und dem Wegzug Ulrichs der Segen, der so lange auf ihm ruhte, davon gewichen, als habe der junge Bauer einen Fluch hinterlassen, der jetzt auf uns gefallen ist und unser bestes Wollen ge­lähmt. Es ist vielleicht sündlich zu denken, aber ich kann mich der Gedanken nicht erwehren und seit Jahren schon haben sie mein Schaffen gelähmt!"

Die Bäuerin hatte ihre Thränen getrocknet und ernst und schweigsam ihrem Manne zugehört. Sie wollte es ihm nicht gestehen, aber oft hatte sie dasselbe Ge­fühl beschlichen. War ihnen doch früher alles geglückt und erst seit sie den Hof er­standen, waren alle ihre Anstrengungen, vorwärts zu kommen, umsonst gewesen.

Und ist keine Hilfe, Walter, keine?" fragte sie tonlos nach längerem Schweigen.

(Fortsetzung folgt.)