Beilage zum „Calwer Wochenblatt
Rro. 40.
6 111 ^ ^ 6 1 ^ n. Nachdruck verbaten.
Der ^chwedenhof.
Novelle von Fritz Brentano.
(Fortsetzung.)
„Es ist aus mit mir!" antwortete dieser mit schwacher Stimme. „Nein, rührt nicht an den Pfeil, Frau, denn er hält noch auf einen Augenblick das bischen Leben auf! Die Sioux sind draußen — fünfzehn — zwanzig — braune Teufel! Sie kommen — wegen des — anderen — — weh mir — daß ich die Schuld —-
Ulrich — haltet aus — lieber sterben — als in ihre Hände fallen-!"
Er schwieg erschöpft, indessen Judith, alle Rücksicht vergessend, ihn mit beiden Armen stützte, wobei ihre heißen Thränen auf sein Antlitz träufelten.
Aus den brechenden Augen schoß ein letzter dankbarer Blick aus sie, dann drehte er sich mühevoll gegen Ulrich, der atemlos an der Thür lauschte, vor welche er die schweren Verschlußbalkcn gelegt hatte.
„Ulrich!" stöhnte er mit erlöschender Kraft und hob die zitternde Hand zum
letzten Lebewohl — „Ulrich — Notwehr — der Jäger zuerst-ah, das brennt
— Dank — Frau — lebt wohl-!"
Sein Haupt fiel schwer zur Erde zurück, er war tot.
Einen Augenblick sah Ulrich s cheu auf die Leiche des Gefährten, dann wendete er sich mit Schauder ab und rief:
„Schließe seine Augen, Judith, schließe sie, damit ich nicht wahnsinnig werde, wenn sie mich anstarren!"
Es lag so etwas Entsetzliches in diesem Aufschrei, daß die junge Frau sogar die Schrecken draußen und den Toten zu ihren Füßen auf einen Moment vergaß und auSrief:
„Beim Himmel, Mann, was ist mit Dir? Das ist doch seltsam!"
Er wurde einer Antwort durch das Geheul der Sioux enthoben, welches aufs neue losbrach, als sie hinter den schimmernden Bäumen näher geschlichen waren und nun endeckten, daß der Gegner, welcher ihnen eben noch zwei Krieger schwer verwundet hatte, entkommen war und jedenfalls Zuflucht in dem fest verrammelten Blockhaus gefunden hatte, das ihren Pfeilen nirgends eine Blöße zum Angriff bot.
Der Ansiedler winkte seiner Frau beschwichtigend mit der Hand zu, zog sie liebevoll von dem Leichnam des armen Dieter und warf über diesen eine der Decken, welche für die beabsichtigte Nachtreise zurecht gelegt waren. Dann schob er eine der plumpen Holzbänke an die Wand de« Blockhauses, stieg hinauf und spähte vorsichtig durch die schmale Schießscharte hinaus ins Freie.
Die Nacht war nicht gerade mondhell, aber trotzdem konnte er so ziemlich übersehen, was draußen vorging. Anscheinend war eben alles still und tot — aber er kannte die Gewohnheiten der braunen Gegner und wußte ganz genau, daß sie rings im Hinterhalte lagen, um irgend eine Blöße, die er sich gab, abzulauern und, wenn eS ihnen an der Zeit dünkte, sofort zum Angriff zu schreiten.
Judith sah mit blassem, thränenüberströmtem Antlitz zitternd zu ihm empor und flüsterte nach einer Weile, als wolle sie die Ruhe des Toten nicht stören:
„Nun, Ulrich! Rede, ich vergehe vor Angst; Was giebt es draußen?"
„Es ist vorläufig keine Gefahr!" antwortete er leise. „Sie halten sich hinter den Bäumen verborgen, denn ich sehe zuwellen die Feder irgend eines Kopfschmuckes im Winde nicken. Und wenn sie auch zum Angriff schreiten, — unsere Büchsen sind wohl im Stande, sie in der Ferne zu halten. Freilich könnten sie uns von der Hinterseite des Hauses mit Feuer auf den Leib rücken — aber gottlob, die schweren Stämme sind nicht so rasch in Brand zu stecken, daß wir die braunen Schufte nicht unterdessen zehnmal zu Schanden geschossen hätten. Geh' in die Kammer und sieh' nach dem Kinde, Judith; geh, mein liebes Weib, erhole dich von dem traurigen Schauspiel und spähe, ob sich von jener Seite nichts rührt!"
Die arme Mutter trocknete ihre Thränen und gehorchte schweigend dem Wunsche ihres Gatten. Sie begab sich zunächst in die Kammer, wo ein Blick sie lehrte, daß daS Kind fest und friedlich schlafend aus seiner Decke lag ahnungslos des Schrecklichen, was um es her vorging. Bon neuem Schmerz beim Anblick ihres gefährd-ten Lieblings übermannt, sank Judith am Lager desselben nieder und barg ihr Gesicht in daS Kiffen, in welches das Kind gehüllt war, während draußen vor der Seele ihres ManneS die drohende Zukunft ihre schrecklichen Bilder entrollte.
Wohl hatte er die Wahrheit gesprochen, als er sagte, daß vorläufig keine Gefahr drohe und daß ein etwaiger Angriff der Sioux nicht zu fürchten war, so lange die schützende Nacht das Blockhaus umgab und die Feinde in Ungewißheit ließ, von woher der gefürchtete Blitz und Tod des gegnerischen Feuerrohrs komme. Aber wenn der Tag anbrach, dann war er mit den Seinen der Übermacht gegenüber verloren, und selbst wenn die Indianer nicht zum offenen Angriff gegen das Blockhaus schritten so genügte schon die Umschließung desselben, um die Belagerten dem entfitzlichsten Feinde, dem Hunger, zu überliefern. Wohl hatte er für Wochen Lebensmittel im Hause gehabt, aber sie lagen draußen tief verpackt in dem zur Abfahrt fertigen Wagen, der gerade zwischen ihm und den Feinden stand — eine dunkle Masse, unerreichbar für beide Teile, da der drohende Tod auf beiden Seiten derselben lauerte.
Die Indianer verhielten sich immer noch schweigsam wie das Grab, und der unglückliche Ulrich hatte lange Zeit, sich seinem quälenden Nachsinnen hinzugeben. In seinem Kopfe wogten die Gedanken wild und verworren durcheinander — zuweilen schweiften sie well — weit ab von der Gegenwart in eine ferne längst vergangene Zell — in die Heimat seiner Jugend — zu der toten Mutter — zu der einsamen
Stätte im Walde, wo-nein, daran durfte er jetzt nicht denken, sonst schlug
der Wahnsinn seine Krallen in sein Hirn. Er faßte sich gewaltsam und spähte wieder hinaus auf die dunklen Bäume, hinter welchen der Tod lauerte — der furchtbare Tod
für ihn und die Seinigen. O, wie gerne hätte er daS elende Dasein mit all' der Qual nagender Erinnerung hingeworfen, wenn er dadurch das Leben des jungen Weibes an seiner Seite, des schuldlosen Kindes hätte erretten können. Wie freudig hätte er sich den Sioux draußen ausgeliefert, wenn er damit Schonung und Gnade für die beiden erkauft Härte, aber er kannte das blutige Gesetz derselben: „Auge um Auge, Zahn um Zahn," und wußte, daß sie wie er, dem Rachedurst um den erschlagenen Krieger geopfert würden.
Da plötzlich horchte er auf. Ein Geräusch war an sein Ohr geschlagen, aber nicht von draußen, auch nicht aus der Kammer, wo sein Weib regungslos neben dem schlummernden Kinde lag. Es kam von den Pferden, die sich in ihrem Verschlag ungedulrig regten, daß die Ketten an ihren Halftern erklirrten und ihm ihre Gegenwart in dos Gedächtnis zurückriefen. Der Gedanke an die Tiere wirkte wohlthuend auf ihn und gab ihm im Augenblick seine männliche Thatkrast wieder. Er konnte sie töten und sich und den Seinen dadurch lange das Leben fristen — vielleicht so lange bis Hilfe nahte oder die Sioux der Belagerung müde wurden. Freilich kamen nur selten Weiße in die Gegend, aber zuweilen verirrten sich doch Jagdgesellschaften hierher oder zogen einzelne Trupps von Ansiedlern über die Lichtung nach dem Westen. Das wilde Fieber, welches in seinem Gehirn getobt hatte, legte sich nach und nach und er dachte ruhiger über seine Lage nach.
Sie war freilich entsetzlich genug, um selbst bei kältester Auffassung schrecklich zu erscheinen. Wieder vernahm er das tröstliche Klirren, und plötzlich fuhr ihm der Gedanke an Flucht durch den Sinn. Wenn es ihm gelang, die mutigen Tiere in das Freie zu bringen, ohne daß die Feinde etwas davon bemerken, durfte er hoffen, ihnen zu entrinnen und die nächste Ansiedlung zu erreichen, welche etwa vier deutsche Meilen entfernt und von 10—12 starken Familien bewohnt war. Er war dort mehrmals eingekehrt auf seinen Reisen nach New-Aork, die er während der letzten Jahre wiederholt gemacht hatte.
Neue Hoffnung senkte sich ermutigend in sein Herz, er warf noch einen langen, spähenden Blick durch das Halbdunkel der Nacht draußen. -- Nichts rührte sich unter den Bäumen, hinter denen die Feinde sich bargen, und so verließ er denn seinen Posten und trat in die Kammer, um Judith die nötigen Mitteilungen zu machen.
Das arme Weib war, überwältigt von den Anstrengungen und Schrecken der letzten Stunden, fest eingeschlafen, und fast jammerte ihn, daß er sie aus der trügerischen Ruhe in die furchtbare Wirklichkeit zurückrufen mußte. Aber hier galt kein Besinnen. Was geschehen sollte, mußte geschehen, und so faßte er sie leise am Arm« und flüsterte:
„Judith!'
Sie fuhr erschrocken auf, rieb sich die Augen und stante wirr um sich. AIS sie Ulrich mit der Büchse vor sich stehen sah, dämmerte ihr nach und »ach das Bewußtsein ihrer Lage auf und ihr erster Blick galt dem Kinde, welches friedlich weiter schlummerte und ihr die Gewißheit gab, daß noch keine feindliche Hand sein Haupt berührt hatte.
„Steh auf, Judith," sprach er leise, „und höre mich an!"
Sie erhob sich und folgte ihm in den vorderen Raum deS Blockhauses.
„Noch ist alles still draußen," flüsterte er, und ich glaube kaum, daß wir vor Tagesbruch »inen Angriff zu gewärtigen haben. Wir müssen die kurze Zeit, welche uns bleibt, zu einem Fluchtversuch benutzen, der unsere letzte Hoffnung ist. Zittere nicht, Judith," fuhr er fort, als das junge Weib leicht erbebte, und faßte ihre kalt« Hand, „und sei meine starke, mutige Frau, die Du immer warst. Umwickle, so gut es gehen will, die Hufe der beiden Pferde draußen im Verschlag mit dem Stroh ihres Lagers, während ich die Querbalken des hintern Ausgangs entferne, dm ich damals für die Tiere anlegte, als ich mit Dieter das Blockhaus aufrichtete. Wir wollen versuchen, das Freie zu gewinnen — die Indianer sind unberllten — möglich, daß uns die Flucht gelingt!"
Ein Hoffnungsschimmer erhellte das Gesicht Judiths.
„Den Gedanken gab Dir Gott ein," antwortete sie erregt. „Ja, nur hinaus auS der dumpfen Schwüle des engen Hauses — fort aus der schrecklichen Ungewißheit, und wenn wir sterben sollen, so mag uns der gemeinsame Tod wenigstens draußen ereilen unter GotteS freiem Himmel und angesichts seiner leuchtenden Sternen- «ugen, die da oben friedlich auf uns herabstrahlen."
Ulrich schloß das treue Weib schweigend in seine Arme, winkte nach dem Verschlag, während er selbst nochmals seine Warte bestieg und durch die Schießscharte späht«.
Alle« lag noch schweigend draußen, als ob der alte Frieden über der Gegend herrschte und nicht eine Horde blutdürstiger Teufel auf Tod und Verderben der Insassen deS Blockhauses sinne. Er stieg herunter und machte sich rüstig ans Werk, die Notthür des Verschlags zu öffnen, was ihm um so schwerer fiel als er alle seine Werkzeuge in dem Wagen geborgen hatte und nur die Axt, die er nie von seine Seite ließ, zum Entfernen der Nägel und Bänder benutzen konnte. Die Arbeit wurde ihm dadurch erschwert, daß er sie mit Vermeidung jeglichenS LärmS vollbringen mußte, da in der feierlichen Stille der Nacht jeder Ton weithin vernehmbar war ruü> leicht die Aufmerksamkeit der Feinde erregt werden konnte. Aber der Gedanke a»'die winkende Rettung von Weib und Kind gab ihm neue Kraft, und wenn gleich der Schweiß in Strömen von seiner Stirne rann, so arbeitete er doch lautlos und mit aller Energie weiter.
Weit leichter und rascher war das Werk Judith'S vollbracht. Di« kltHtv Tier«, seit Jahren an ihre Pflegerin gewöhnt, ließen sich so ruhig ihre Hufe umwickeln, als wüßten sie, daß Freiheit und Leben aller von dem Gelingen dieser Operativ» abhinge, und da das mutige Weib angesichts der neuen lockenden Hoffnung ihre ganze Fassung wiedergewonnen hatte, löste sie mit solch« Geschicklichkeit ihre Aufgabe, daß fast mit Gewißheit anzunehmen war, daß bei sorgsamem Wegreiten der Schritt der Pferde fast unhörbar sein würde.
(Fortsetzung folgt.)