Beilage zumCalwer Wochenblatt"

Nro. 34.

6 H ^ ^ 6 1 » Nachdruck, verbaten.

Der Schwedenhof.

Novelle von Fritz Brentano.

(Fortsetzung.)

Ich hab's gethan! Sie hatte es gewußt! von der ersten Stunde an, da sie gehört, daß der Förster verschwunden sei hatte sie das Geständnis täglich in den scheuen Zügen ihres Sohnes gelesen und dennoch traf sie's wie ein Dolchstoß, als sie die furchtbaren Worte aus seinem eigenen Munde vernahm, von ihm selbst die Bestätigung ihrer schlimmsten Befürchtungen hörte.

Ich hab's gethan! Lange fand sie keine Worte nach dem schrecklichen Geständ­nis. Nur das harte Ticken der Uhr und ihre eigenen schweren Atemzüge unterbrachen die unheimliche Stille, welche in dem Krankenzimmer herrschte, bis sie sich endlich wieder aufrichtete und mit fast tonloser Stimme sprach:

Und wie geschah eS? Erzähle mir alles, ehe ich von hinnen scheide!"

O Mutter, Mutter!" rief Ulrich in überströmendem Leid und warf sich vor dem Bett der Kranken auf die Kniee.Quäle mich nicht, das Fürchterliche selbst zu berichten, es nochmals zu durchleben. Wie geschah's? Ich traf ihn an jenem Abend Du weißt wohl, welchen ich meine im Walde, gerade als ich einen Hirsch gewildert. Er forderte mich auf, ihm zu Gericht zu folgen schoß nach mir

fehlte, und ich o verflucht sei die Hand, die es that! ich traf ihn desto bester!"

Und wo bargst Du die Leich« ?" fragte leise die Kranke.

In der Mordeiche!" antwortete er und fuhr fort:O Mutter, hätte ich Dir gefolgt in jener Nacht, als mich der Teufel Hinaustrieb in den Wald oder hätte mich die Kugel des Försters erreicht, und ich läge draußen, kalt und starr wie er, statt das Gewicht der entsetzlichen, unsühnbaren Schuld zu tragen. KeingAuhe kam über mich, kein Schlaf senkte sich auf meine Lider seit dem Abend, una.' nimmer kann eS Friede da drinnen werden!" ?

Wieder warf er sich verzweifelnd über das Lager der Kranken,Welche tief aufstöhnte und ihre zitternde Hand auf das Haupt des Sohnes legte. -5

Ulrich Ulrich," sprach sie,armer, unglücklicher Sohn, ich weiß Dir keinen Rat und muß Dich zurücklasten ohne Trost ohne Hilfe in der Welt. Ich will Dich nicht drängen Dich dem irdischen Richter zu überliefern möge Gott mir in meiner Todesstunde verzeihen, wenn ich den einzigen Sohn nicht von der Henkers­hand sterben wissen will aber ich beschwöre Dich sühne die That Dein Leben lang bete bete, mein Sohn mache Frieden mit Deinem Gott bis er Dich abruft vor sein ewiges Gericht-und leb wohl Ulrich der Tod

ich sühl's, eS ist zu Ende!"

Mutter! Mutter!" schrie er auf und faßte die Sterbende in beide Arme Du darfst mich nicht jetzt nicht so verlassen! O bleibe, Mutter, und laß mich das entsetzliche Elend nicht allein tragen auf dieser Welt!"

Aber sie blieb nicht. Noch einmal hob die Schwedenhofbäuerin ihr Haupt noch einmal öffnete sie ihr« Augen und richtete einen Blick, in dem schon alle Schauer de» Todes lagen, auf den Sohn einen jener Blicke, den wir nimmer vergessen, der uns verfolgt über Meer und Länder im Lärm des Tages im Schlaf der Nächte. Dann sank sie zurück und war tot.

Der Nachtsturm heulte um das Haus und rüttelte gewaltig an den Fenster­laden; die Bäume krachten unter der Last des Schnee's und alle Schauer der eisigen Mitternacht zogen durch die Ritzen und Spalten in den einsamen Hof.

Aber Ulrich hörte sah nichts. Halb erstarrt fanden ihn am andern Morgen die Mägde, immer noch vor dem Bette der toten Mutter knieend und ihre Hände in den seinen haltend. Kalt und fremd blickte um sich, als man ihn sanft von der Leiche hinwegzog, und dann schritt er, ohne ein Wort zu sprechen, hinaus über die beschneiten Felder in den Wald.

Die Nacht war schon angebrochen, als er zurückkehrte. War er früher schon stillträumerisch gewesen, so war es jetzt, als ob die Ruhe des Grabes über ihn ge­kommen sei. Das Begräbnis der Mutter überließ er einem entfernten Verwandten unten aus dem Dorfe, und nur einmal in der Nacht stand er plötzlich neben dem erschrockenen Totenwächter an dem Sarge und blickie lange lange Zeit in das verkümmerte, entstellte uno doch so liebe Antlitz, das er ja so gerne mit seinem Herz­blut zu neuem Leben erweckt hätte.--

Der Schnee hatte sein dichtes Leichentuch über das Grab der Schwedenhof­bäuerin gebreitet der Lenz hatte es mit linder Hand davon genommen und seine ersten Blumen über den Hügel gestreut draußen im Walde grünte und blühte eS wieder lustig, um das heimliche Grab in der Eiche rankten sich die ju ae- Blätter und bargen das blutige Geheimnis tief und tiefer vor jedem forschenden Auge.

Die junge Försterin aber hatte aus der fernen Hauptstadt eine seltsame Kunde erhalten. Von unbekannter Hand war für sie dort eine Summe deponiert worden, deren Zinsen hinreichten, ihr ein bescheidenes Leben zu sichern, und vergeblich mühte sie sich ab, den Schleier zu lüsten, in welchen sich ihr heimlicher Wohlthätcr hüllte. Wohl ahnte sie, daß es mit dem Verschwinden ihres Mannes Zusammen­hänge, aber eine Gewißheit konnte sie nicht erlangen, da man selbst an Ott und Stelle nichts Näheres über ihren unbekannten Freund wußte.

Und auch den Dorfbewohnern brachte der Frühling eine Ueberraschung. Der Schwedenhof, seit mehr denn zweihundert Jahren im Besitz der Voreltern Ulrichs» ging in andere Hände über von fernher, weit aus dem Polnischen, war der neue Eigentümer eines Tages gekommen, und Ulrich war hinausqegangen in die weite

weite Welt. Wohl waren die Schwedenhofbauern denen vom Dorf stets ziem­lich fremd gewesen und hatten still und verschlossen für sich selbst gelebt, allem trotz­dem ging doch ein allgemeines Staunen über diesen plötzlichen Entschluß durch die Gegend, und noch lange bildete der Verkauf des Hofes-das abendliche Gesprächs­

thema, bis auch hier die Zeit das Gedenken verwischte und das Vergessen in seine

uralten ewigen Rechte trat.--

VI.

Acht Jahre waren seit jener Zeit verflossen.

Wir müssen unsere Leser hinüberführen über den weiten Ocean, in das da­malige Land der ungezügelten Kraft und Freiheit, den fernen Westen Amerika'«, der noch nicht angekränkelt war von der movernen Kultur, wo man die Korruption der Städte noch nicht kannte, und wo eiserne Pioniere der Civilisation den schweren Kampf gegen Wildnis und Urwald führten und unter harten Kämpfen Schritt für Schritt sich dak Terrain erkämpften, auf dem sie einsam leben einsam sterben konnten. Noch reichten die Gürtel der pfadlosen Wälder bis an den gewaltigen Strom oder den schimmernden See, der sich in feierlich-ernster Schweigsamkeit un­endlich auszubreiten schien nur selten tauchte ein sonnengebräunte» Menschenantlitz zwischen den Bäumen auf und verkündete der Donner einer Büchse, daß die euro­päische Todeswaffe auch schon in diese Gegend gedrungen sei. Wohl aber huschte von Zeit zu Zeit ein leichtes Kanoe über die Fluth, dessen schweigsame, kupferbraune Insassen Zeugnis davon ablcgten, daß noch die Ureinwohner die(Herren des Grund und Bodens waren.

ES war gegen Abend, und die Sonne, welche den Tag über glühende Strahlen herabgesandt hatte, warf dieselben bereits schräg durch die Bäume und auf eine kleine Lichtung, m deren Mitte sich ein roh gezimmertes, aber starkes Blockhaus erhob. Die Thüre desselben stand offen und gewährte einen Blick in das schmucklose Innere, in welchem allerdings nicht viel zu sehen war. In zwei verschiedenen Ecken lag je ein Haufen Felle und Häute aufgestapelt dieselben dienten offenbar zum Nacht­lager für die Insassen der Ansiedelung ein roh gearbeiteter Tisch, besten Füße in die Erde gerammt waren, ein paar Stühle von gleichem Kaliber und ein aus unbehauenen Feldsteinen aufgebauter Feuerherd bildeten die Ausstattung des schlichten Gebäudes, dessen einziger Schmuck, wenn man dies so nennen durfte, in einigen Ge­wehren bestand, die an einer der Wände hingen und offenbar mit besonderer Sorg­falt gepflegt waren. Zwei derselben schienen europäischer Herkunft zu sein, während die anderen beiden von jenem außerordentlich wuchtigen Kaliber waren, wie es zu jener Zeit in den amerikanischen Wäldern gang und gäbe war.

In einiger Entfernung von dem Blockhaus saß auf einem Felle, welcher am Boden ausgcbreitet lag, ein Kind von etwa einem Jahre, während die Mutter des­selben in der Nähe beschäftigt war, Wäsche von einer Leine abzunehmen, die zwischen zwei Bäumen gespannt war. Ein mächtiger Wolfshund hatte sich dicht bei dem spielenden Kinde in die Sonne gelegt und schaute mit blinzelnden Augen zu ihm hinüber, dabei von Zeit zu Zeit den Kopf hebend und in die Luft hinausschnobernd.

Das junge Weib hatte seine Arbeit beendet und trat zu der Kleinen, welche ihr beide Hände entgegenstreckte, und als sie sich zu ihr niederbeugte, dieselben um den Hals der Mutter schlang. Es war ein liebliches Bild, welches sich dem Be­schauer bot. Das blonde Haar des Kindes stach auffallend von dem tiefdunklen des jungen Weibes ab, wie auch seine ganze Gesichtsbildung mehr auf den Vater hinwies, der offenbar deutscher Abkunft war, während die Mutter von dem Stamme der fran­zösischen Kanadier schien.

Nun, Lieb!" flüsterte das junge Weib und drückte das Lockenköpfchen der Kleinen an ihre Brust,bist Du müde und willst zur Mutter? Komm, ich bringe Dich zum Lager, dort sollst Du ruhen, bis der Vater nach Hause kommt!"

Sie nahm das Kind auf den Arm und trug eS in die Hütte, während der riesige Hund sich ebenfalls erhob und ihr treulich auf den Fersen folgte. An der Thür aber drehte er sich plötzlich um, witterte in die Weite hinaus und stieß ein dumpfes, bedrohliches Knurren aus, welches auch die junge Mutter veranlaßte, stehen zu bleiben und nach dem Thiere umzublicken. Als sie das auffällige Gebühren ihres Hüters folgern ließ, daß irgend eine Gefahr im Anzuge sei, trug sie schleunigst da» Kind, welches bereits auf ihrem Arme zu entschlummern begann, auf eines der Lager im Blockhaus und griff mit so sicherer Hand nach einer der schweren Büchsen an der Wand, daß daraus zu ersehen war, daß sie mit der Führung der Waffe wohl Bescheid wußte. Im nächsten Augenblick trat sie unter die Thür des Blockhauses und zog dieselbe hinter sich zu, wobei sie scharf nach der Richtung hinspähte, nach welcher ihr viersüßiger Gefährte mehr und mehr kaunte, bis er in ein wütendes Bellen ausbrach.

Ein tötlicher Schreck fuhr der Frau in alle Glieder, als das Unterholz am Saum der Lichtung sich teilte und die hohe Gestalt eines indianischen Kriegers in dieselbe trat. Er hob wie zum Schutze semer Augen vor den letzten Sonnenskahlen seine Hand an die Stirne und schaute ruhig zu dem Weib hinüber, welche» mit der einen Hand den wütenden Hund am Halsband festhielt, damit er sich nicht auf den Fremdling stürze, während die andere krampfhaft die Büchse umklammert hielt.

Tahitis grüßt das junge Bleichgesicht!" sprach ernst und ruhig der braune Mann, dessen halbnackter Körper gleich einer Broncestatue in der Sonne leuchtete. Möge die Squaw den Hund zurückhalten, denn Tahitla kommt als Freund und möchte nicht gerne dem Tier ein Leid thun."

Der Indianer hatte in den tiefen Gutturaltönen seines Volkes, aber in leid lichem Französisch diese Worte gesprochen, bei deren freundlichem Inhalt das Weib des Ansiedlers sich einigermaßen beruhigt fühlte.

Nieder, Cäsar, nieder!" sprach sie zu dem Tier und drückte eS mit starker Hand zu Boden,nieder, sag' ich dir, wenn du nicht willst, daß ich böse werde!"

Nur mit Widerstreben und immer noch leise fort knurrend, streckte sich der Hund zur Erde, von wo aus er übrigens den Fremden scharf im Auge behielt, be­reit, der der ersten verdächtigen Bewegung auf ihn los zu stürzen.

Fortsetzung folgt.