Beilage zum „Callver Wochenblatt"
Nkv. 31.
^5 6 n ^ ^ ^ 6 1 » Rachdnnk verboten.
Der Schwedenhof.
Novelle von Fritz Brentano.
(Fortsetzung.)
Die hatten sich auf den abendthaugetränkten Boden niedergelassen, neben sich ihre mageren Bündel, welche all' ihr Hab' und Gut enthielten, und stillten mit zusammengebettelten Brocken den nagenden Hunger, den ihre lange Wanderschaft heute in ihnen erregt hatte. Verächtlich beiseite geworfen, lag, einige Schritte entfernt, ihre einzige Trösterin auf der trostlosen Vagabonden fahrt, die Schnapsflasche, der aber kein Tropfen mehr zu entlocken war.
„Hol'S der Teufel, Heinz!" sprach der Jüngere, indem er sich lang ausstreckte und das Bündel unter den Kopf schob, „ich habe das Hundeleben satt! Hätte ich eine Ahnung gehabt, daß es mir so ergehen sollte, ich hätte den Schießprügel hübsch auf dem Rücken behalten-*
„Und die Striemen von dem Stock des Herrn Korporals dazu?" fiel der Andere ihm roh lachend, mit rauher, heiserer Stimme in die Rede, „gelt Dieter, die schmeckten prächtig?"
„Immer besser als da» erbärmliche Leben, welches ich führe, seit ich Deiner Lockung folgte und vom Regiment auskniff. Da hatte ich wenigstens des Leben- Notdurft, und wenn es auch nur Bohnen und Kommißbrot waren — sie waren doch den elenden Bettelbrocken vorzuziehen, die man un» zuschmeißt und um die man sich noch mit den Dorfhunden Herumbalgen muß."
„Pah," antwortete der Andere, „aber die Freiheit — die goldene Freiheit, Dieter. Rechnest Du die für nichts?"
„'ne nette Freiheit!" sprach grimmig lachend der Deserteur. „Nennst Du da» Freiheit? Des Tage» über auf der Landstraße herumstrolchen, mit der ewigen Angst im Leibe von den Landreitern aufgegriffen und in das nächste Raspelhaus gesteckt, oder gar zum Regiment zmückgeliefert zu werden? Freiheit! Jahraus, jahrein auf freiem Felde, im Waldesdickicht, oder wenn's hoch kommt, in einer Scheune auf einer Strohschütte übermachten und am Morgen nie wissen, woher das elende Birchen Speise und Trank nehmen, daS unseren erbärmlichen Kadaver zusammenhält. Nein, ich Hab'» satt! Lieber wieder den bunten Rock. Bei den Preußen freilich darf ich mich nicht mehr sehen lassen, wenn ich nicht die Spießruten kosten und mir den Buckel zerfleischen lassen will, aber jenseits der Grenze blüht auch der Korporalstock, und noch heute mach' ich mich auf den Weg zu den Österreichern."
„Bist halt ein geborner Soldat,' höhnte der andere, und wirst eS gewiß noch zum Feldmarschall bringen. Na, meinetwegen mach' was du willst, feige Seele, die nicht mal ein paar Tage lang das bischen Hunger ertragen kann. Und hättest's gar nicht nötig, wenn Du nur meinem Rat folgtest. Hast Dich nicht umgeschaut drüben in dem einsamen Hof, wo wir heute ansprachen? Dort steckt Geld und Gut, Junge, und niemand im Hause als 'ne Alte mit ihrem Sohn. Dar Gesinde schläft all' im Nebengebäude. Höre, Dieter, wie wär'S, wenn wir da heute einen Coup machten, der uns mit einem Male aus der Patsche risse?"
„Wie meinst Du das?" fragte scheu der andere.
.Mensch, bist Du so dumm oder stellst Du Dich so?" erwiederte Heinz, und seine Stimme sank zu heiserem Flüstern herab, „einen Einbruch wollen wir riskieren heute Nacht. Die ganze Gegend ist still, kein Hofhund da, und die Leute schlafen, wenn sie vom Feld heimkommen, wie die Hamster im Winter — was ist da für Gefahr dabei?"
„Einen Einbruch — hm —" sprach zögernd der Deserteur, „Habs noch nie getrieben — und doch, das Wasser steht uns an der Kehle — Hunger und Durst — die verfluchten Lumpen wollen auch nicht mehr am Leibe halten, und jeder Landreiter wittert aus ihnen den Durchgänger, aber einen Einbruch, Heinz, ich hab's meiner sterbenden Mutter versprochen, ein ehrlicher Kerl zu bleiben-"
„Haha?' lachte roh der andere auf. „Ein ehrlicher Kerl! Haha! Denkst wohl, Du bist einer geblieben? Schurke und Fahnenflüchtiger, der seines Königs Montierung stahl und von den Spießruten zu Tode gehetzt wird, wenn man ihn erwischt!"
„Verdammt, daß Du recht hast!" stöhnte mehr, als er sprach, der Deserteur, der längst aufgesprungen war; „die Geschichte muß ein Ende nehmen, so oder so!"
„Nun also," zischelte der andere, „was besinnst Du Dich lange? Heute Nacht geht's an den Hof!"
„Und wenn der junge Bauer erwacht — wenn er Lärm schlägt?"
„So kriegt er eins über den Kopf, daß er für ewig das Maul hält!"
„Mensch! Mensch! Soweit bist Du schon!" rief entsetzt Dieter. „Ein Mord! Nein, dazu biet ich nie meine Hand."
„Unsinn!" lenkte der andere ein, „wer spricht denn von einem Mord? Glaubst Du, ich will mit Gewalt in des Teufels Küche kommen? Sei ohne Sorge, die Geschichte geht glatt ab und Geld liegt dort die Fülle. Haben wir's erst, dann ist alle Not vorbei und heidi, geht» über die Grenze-doch still, was ist das?"
Deutlich tönte durch die Nacht, welche längst hereingebrochen war, der Schritt «ine» Menschen unter dessen Füßen da» gefallene Laub knisterte, während von Zeit zu Zeit das Krachen eines dürren Astes die Richtung kundgab, aus welcher sich derselbe nahte.
Der Alte faßte seinen Gefährten am Arm und zog ihn lautlos tiefer in das Gebüsch zurück, von wo aus sie, vollständig unsichtbar, den Ankömmling beobachteten.
Jetzt trat dieser zwischen den Bäumen hervor in das Niederholz, und überrascht flüsterte Dieter seinem Genoffen zu: „Alle Wetter, es ist der Bauer vom Hof drüben!"--
Ja, eS war Ulrich vom Schwedenhof. Die Büchse über die Schulter geworfen, den Hut tief in da» Gesicht gedrückt urü> wilden Grimm im Herzen, so war er in
den Wald geschritten, unbekümmert, ob ihn der Förster treffe oder nicht. Er war hinausgegangen, um das Heer der wüsten Gedanken abzuschütteln, welches ihn drinnen in der engen Stube des Schwedenhofs überflutete, aber als ihn die frische WaldeS- luft umwehte, die nächtliche Ruhe und Stille ihn umfingen, da legte sich nach und nach die Brandung in seinem Innern, und die alte Jagdlust regte sich leise. Der Hirsch kam ihm zu Sinn, den er seit Wochen wiederholt dort unten am Quell bei der Mordeiche hatte äsen sehen, das stolze, stattliche Tier, dessen Spur er erst am Morgen wieder entdeckt hatte, und das zum Schuß zu kriegen sein einziger Gedanke war.
Er nahm unwillkürlich die Büchse von der Schulter und machte sich schußfertig- Dann stand er einen Augenblick still und spähte mit scharfem Auge durch den Dämmer der Nacht umher, wo er sich befand. Sein kundiger Blick ließ ihn sofort die eingeschlagene Richtung erkennen, und ohne Zögern wendete er sich nach links und schritt nach der Gegend der Mordeiche. Er nahm sich keine Mühe, seine Schritte zu dämpfen, — wer konnte ihn auch hören? Pah, der wich ihm aus, und wenn er ihn auch traf — wenn er ihn traf, — nun ja, dann mußte der alte Groll endlich einmal ausgefochten werden, mußte sich das Schicksal eines von ihnen erfüllen.
Wieder stieg ihm heiß das Blut zu Kopf, und fester umspannten seine Hände die Büchse; aber der Nachtwind, welcher leise durch die Bäume strich, kühlte sein« glühende Stirn, er atmete ein paar mal tief auf und schritt ruhig weiter.
Und wie die Leidenschaften in der Brust des einsamen NachtwanderrrS unten, so rangen oben am Himmel die Wolken einen schweren Kampf. Bald jagten sie in dichten, bleischweren Massen über einander hin, daß auf Augenblicke vollständig« Finsternis eintrat, dann kamen wieder einzelne, leichte Nachzügler hinterdrein, nur halb und halb die bleiche Mondscheibe verhüllend, bis endlich der Herbststurm,' des Spieles müde, die Backen aufblies und mit einem mächtigen Hauch die ganze gespenstische Gesellschaft vor sich Hertrieb, daß sie erst langsam und widerwillig, dann rascher und rascher abzog und endlich vom nächtlichen Horizont verschwand. Der Mond, er war nicht ganz voll, aber gab schon lichten Schein, behauptete als Sieger das Feld und sandte seine bläulichen Strahlen hinunter auf Busch und Bäume, daß es gar seltsam glitzerte und funkelte in den herbstlich roten, vom Nachttau getränkten Blättern, wie Blut und Thränen.
Jetzt hatte Ulrich den Rand des Dickichts erreicht, welches die Wasserlache umsäumte, die vom Ausfluß der Quelle gebildet wurde. Sie enthielt nur wenige Schrstte im Geviert und ihr Spiegel verschwand unter den wuchernden Wasserpflanzen und einer Lage falber Blätter, welche die mächtige Eiche auf daS Gewässer herabgestreut hatte. Der hundertjährige Baum war nicht besonders hoch, aber weitverzweigt und streckte seine knorrigen Aeste nach allen Seiten aus. Der Wilderer trat in ihren Schatten, spähte scharf nach der Seüe, von woher er den Hirsch erwartete und horchte dann, als sich seinem Auge nichts zeigte, gespannt in die Nacht hinaus, jeden Augenblick bereit, dem sorglos nahenden Tiere den bleiernen Toderboten au» dem schußfertigen Gewehr entgegenzusenden.
Aber e» blieb lange, lange still. Nur die Äste rauschten, vom Wind bewegt, zuweilen auf und ein einsamer Vogel gab verschlafen einen kurzen, krächzenden Laut, während in Ulrich jenes nervenaufregende Gefühl sich regte, welches nur der kennt, der in atemloser Erwartung auf dem nächtlichen Anstand der Beut« harrt. Er dachte nur noch an den Hirsch, alles andere war tot und vergessen, selbst der Förster; und so lebte und webte das stattliche Tier in seinen Sinnen, daß e» zuweilen vor sein geistige» Auge trat und ihm zweimal war, als sähe er es aus dem Gehölz in die kleine Lichtung treten und mü seinen großen, klugen Augen nach ihm herüberschauen.
Zehn Uhr dröhnte dumpf von der Dorfuhr durch die Stille der Nacht. EL war kalt geworden und auch durch den Körper der harrenden Wilderer» ging ein eisiges Frösteln.
Aber was kümmert ihn das. Er hatte ganz andere, grimmig kalte Winternächte im Waloe verbracht, seü ihm seine Liebe gestorben war. und war gefeü gegen Sturm und Wetter. Und jetzt, jetzt regte sich etwas in der Ferne, er richtete sich hoch auf und horchte hinaus, während sein Auge den leichten Nebclflor zu durchdringen suchte, der aus dem Boden ausstieg und, vom Mondlicht durchwoben, sich um die Büsche legte.
Ha, es war der Hirsch! Da trat er aus dem Dickicht in die Lichtung, den Kopf hoch erhoben, und schritt, vorsichtig witternd, dem Wasser zu, ahnungslos, daß wenige Gänge von ihm der Todesbote lauerte.
Einen Augenblick drohte die Auflegung den Bauer vom Schwedenhof fast zu ersticken, als er sich so nahe dem Ziel seines lang gehegten Wunsches, als er den stolzen Hirsch vor sich sah. Aber nur einen Augenblick — dann hob er die Büchs« und zielte lange und sicher. Eben neigte sich das Tier zu dem Wasser hinab, da donnerte der Schuß aus dem Rohr des Wilderers — der Hirsch machte einen mächtigen Sprung und brach dann mit schwerem Fall zusammen.
Ulrich stieß einen Schei des Triumphes aus und sprang, alle Vorsicht vergessend, hinter der Eiche hervor und in weüen Sätzen auf den erlegten Hirsch zu, al» ihm ein donnerndes „Halt" entgegentönte.
Er stand augenblicklich, und wie ein Schauer kam es über ihn. Er kannte die Stimme — die gehaßte, oft verfluchte — gemiedene und doch wieder gesuchte Stimme seines Todfeindes, des Försters. Die Stunde der Abrechnung zwischen ihnen war gekommen — das fühlte er. jetzt galt kein Besinnen — und allmächtig bäumte sich der alte, langgenährte Groll in ihm auf, als er den Gegner wenige Schritte vor sich in Anschlag stehen sah.
„Leg' Deine Waffe nieder, Schwedrnhosbauer, und folge mir, dm Du bist nach Recht und Gesetz mein Gefangener!"
„Ich Dir folgen!" rief der Wilderer als Antwort auf diese Anrede des Gegner», „Dir folgen! Lieber zehnfachen Tod sterben! Ja, hebe nur das Gewehr zum Schuß, Bube, Räuber meines Lebens und meiner Liebe! Triffst ja so gut, Mörder meine» Vaters!"
Fortsetzung folgt.